78. LUST, Frühling 04
 
Unsere Körperwelten
Die Darstellung des nackten Körpers in Skulpturen, auf Bildern und Fotos
So lange wie es die Möglichkeit der Abbildung gibt, haben Menschen auch nackte Menschen abgebildet. Doch worauf Wert gelegt wurde, was jeweils das Bemerkenswerte am abzubildenden Menschen war, das scheint nicht nur dem technischen Fortschritt der Abbildungskunst unterworfen zu sein, sondern auch dem zwischenmenschlichen Umgang, der Moral, dem Zeitgeist usw.,. woraus sich entwickelte, was einzuhalten als wünschenswert galt.
 
Hinzu kamen natürlich auch ideologische Fragen, und ob die Abbildung des Menschen einem dokumentarischen, einem propagandistischen Zweck folgen oder nicht mehr versteckt, sondern offen erotisch aufreizend wirken soll. Dazu wäre natürlich das Wissen um die gesellschaftspolitischen Strukturen im Zusammenhang mit der Sexualmoral im jeweiligen Zeitgeist der jeweiligen Gesellschaft vonnöten.
 
Man findet Skulpturen, Gemälde und (seit deren Erfindung) Fotos von nackten menschlichen Körpern aus vielen Epochen unserer Menschheitsgeschichte. Sind Körper Träger von Botschaften, Abbildungen von Realitäten, Leitbilder gewesen, oder wurden sie als Objekte für bestimmte Zweckbestimmungen funktionalisiert?
 
Zugegeben, die Abbildung des nackten Körpers hat auch immer etwas mit körperlicher Ausstrahlung, mit erotischer Anziehung und Faszination zu tun. Die nackte Haut hat da so ihre Anziehung. Aber wenn wir die präparierten Leichen und Leichenteile der Wanderausstellungen „Körperwelten” nehmen, die gerade in Deutschland in der Lage sind, ein Millionenpublikum anzuziehen, dann entdecken wir, dass offensichtlich auch die nackte Haut zu angezogen ist. Hier scheint die Faszination nicht aus der Erotik der Haut zu entstehen, sondern eher wohl aus der Zerstörung der Erotik und menschlichen Anmut. Das wird auch nicht dadurch geändert, dass man eine Menschenleiche auf eine Pferdeleiche setzt oder spielerisch in Schachspielerpose drapiert. Das ist ein Sonderthema, vielleicht dem Bereich Nekrophilie zuzurechen, welches wir hier nicht weiter untersuchen wollen.
 
Wer hat eigentlich die Motivation, Frauen und/oder Männer abzubilden, zu modellieren, zu fotografieren und auszustellen?
Unter den Aktdarstellungen von Frauen finden sich wenig Exponate, die von Frauen geschaffen wurden. Es ist also der erotische Männerblick auf die Frau, sehr selten der erotische Frauenblick.
 
Unter den Aktdarstellungen von Männern finden sich überwiegend Exponate, die von Männern geschaffen wurden, sehr selten welche von Frauen. Es handelt sich also zueist um den erotischen Blick von Männern auf Männer.
 
Nun gut, irgendwo muss ja die Motivation herkommen, die Erotik eines Menschen einfangen zu wollen. Denn um Erotik geht es natürlich immer, wenn nackte Körper abgebildet werden, auch wenn sie nicht offensichtlich pornographisch wirken.
Gestattet mir bitte einen kleinen Medienausflug. Im Theater werden Gefühle durch eine überzeichneten Schminke oder Maske, verknüpft mit der großen Gebärde dargestellt, während man im Film mit der Kamera direkt die Aufmerksamkeit auf ganz bestimmte Stelle lenken kann, zum Beispiel auf den sich bewegenden Adamsapfel eines Menschen, der sich beim Schlucken bewegt, um Erregung anzudeuten.
 
Aber wenn man durch Skulpturen, Abbildungen oder Fotos etwas Menschliches deutlich hervorheben will, kann man diese Hervorhebungen auch isoliert darstellen.
 
Hervorgehobenes
Einzelne Körperteile darzustellen, führt natürlich dazu, dass sie aus ihrem Zusammenhang der Bewegung zwischen vorher und nachher gelöst und isoliert zum Objekt unserer Aufmerksamkeit gemacht werden. Dabei scheint ein Körperteil eine Ausnahme darzustellen: das Gesicht. Die isolierte Darstellung des Gesichtes scheint gerechtfertigt zu sein, weil bei einer Ganzkörperdarstellung das Gesicht nicht so gut als Objekt der Nähe und Ausdruckskraft gezeigt werden kann, wie dies in der zwischenmenschlichen Kommunikation der Fall ist. Das uns dargebotene hervorgehobene Gesicht scheint mit uns zu kommunizieren. Allerdings, die Körpersprache korrespondiert mit den Gesichtszügen. Deshalb wäre es durchaus besser, die spontanen körperlichen Regungen im Zusammenhang der Gesichtsmimik zu beobachten.
 
Nehmen wir auch die isolierten Abbildungen von Geschlechtsorganen, die so also von der Persönlichkeit und dem Umfeld einer Person getrennt werden. Persönlichkeit und Geschlecht sind hier also getrennt. Das ermöglicht es, die Persönlichkeit geschlechtslos darzustellen. Heißt das, dass Sexualität nicht als selbstverständlicher Teil eines Menschen angesehen wurde? Der Mensch ist Funktionsträger von asexuellen Rollen? Übrig bleibt das Geschlechtliche als isoliertes Phänomen? Oder heißt das, dass man den Geschlechtsorganen eine besondere Persönlichkeit geben möchte, ähnlich dem Gesicht?
 
Dieser und anderen Fährten wollen wir in einer Serie folgen und wir hoffen auf rege Hilfe und Anteilnahme von kundigen und interessierten HelferInnenn unter unseren LeserInnen.
(Alle Fotos befinden sich im Anschluss zum Artikel)
 
Das menschliche Gesicht
Unbestritten gilt das Gesicht als der ausdruckstärkste Teil eines menschlichen Körpers. Zumindest sehen wir das heutzutage so. Manche empfinden das Gesicht gar nicht als Körperteil, sondern als körperlos transzendent. Bei den Venus-Skulpturen finden wir z.B. die Merkmale einer schwangeren Frau detailliert dargestellt, aber auf das Gesicht scheint es den Künstlerinnen oder Künstlern nicht angekommen zu sein. Wir versuchen aus Gestik des gesamten Menschen und der Mimik des Gesichts den Gefühlszustand eines Menschen zu lesen, Sympathie oder auch Ablehnung. Wir lesen in einem Gesicht, weil dieser Mensch für uns Bedeutung hat, so oder so. Abbildungen von Gesichtern kommunizieren also mit uns.
 
Sicher, man könnte die Auffassung vertreten, dass das isolierte Lesen eines Gesichts ohne die Botschaften der Körpersprache mit zu berücksichtigen zu Fehlschlüssen führen kann. Aber zu Fehlschlüssen führen ja Abbildungen schon alleine deshalb, weil wir zu wenig von den zwischenmenschlichen Zusammenhängen usw. der abgebildeten Menschen wissen. Körper und Gesicht sind nie eingefroren und in Starre festgehalten, wie das auf einem Bild erscheint, sondern ständig in Bewegung. Bilder lügen durch das Unterschlagen einer Bewegung, durch das Ausblenden des Vorher und Nachher.

Dennoch möchten wir uns hier einmal gezielt dem Gesicht widmen. Dabei soll es uns nicht um biometrische Untersuchungen gehen, die als Erkennungssignale eines Menschen für die Personenkontrollen der Sicherheitsorgane des Staates diskutiert werden, beispielsweise beim elektronischen Personalausweis.
 
Gesichter sind wahrscheinlich in der Kunst bzw. in Abbildungen historisch dann bedeutungsvoll geworden, als das Individuum oder einzelne Individuen bedeutungsvoll wurden. So findet man auf alten Gemälden oder alten Skulpturen die Gesichter von Herrschern und die fiktiven Abbildungen von Göttern, meist auch Herrschern nachempfunden. Und weil man die Obrigkeiten wohl nicht beleidigen wollte, erfahren wir sicherlich in ihnen auch etwas von den damaligen Schönheitsidealen.
 
Die Sklaven, Leibeigenen und Dienstboten wurden sicherlich noch nicht als Individuen erkannt. Sicher muss es aber dann in der Kunst als wichtiger Einschnitt angesehen werden, als empfunden wurde (oder ist es noch gar nicht klar?), dass jeder einzelne Mensch ein eigenständiges Individuum ist. Das hat sicherlich mit dem Sinn der Kunst zu tun, also in welchem Zusammenhang und in welcher Epoche das jeweilige Kunstwerk seine Wirkung entfalten sollte.
 
Heutige massenhaft auf Zeitschriften abgebildete Gesichter erheben wohl kaum mehr den Anspruch, Ausdruck von Individualität zu sein, da sie austauschbar sind. Eher hat sich der Mensch den dort gezeigten Mode- und Schönheitsidealen anzupassen als dass diese Bilder irgend eine menschliche Wirklichkeit darstellen.
 
Und der „Feind” in sogenannten Action-Filmen wird nicht als Individuum, sondern entweder als Monster oder gesichtslos dargestellt. Vielleicht ist es in einer Zeit, in der man Kriege wieder für möglich hält, in der Diskriminierungen von Personengruppen wieder als stubenrein gelten, nicht mehr bedeutungsvoll, alle Menschen als individuelle Wesen mit Gefühl, Freude und Trauer zu sehen. Individuen mit ihren Gefühlen lassen sich eben nicht so einfach und so gewissenlos töten.
 
Das individuelle Gesicht hat in der Kunst aber auch im Zusammenhang mit der Erotik eine Bedeutung. Die Geschlechtsrolle ist hier natürlich von entscheidender Bedeutung. Markante menschliche Gesichtszüge werden zumeist bei Männern dargestellt, Sinnlichkeit eher bei Frauen. Nur in Abbildungen von Knaben finden wir „männliche” Sinnlichkeit. Wir haben also in den Exponaten der offiziellen Kultur wie auch der Subkulturen und auch in den erotischen Fotobildbänden die fossile Geschlechtsrollenzugehörigkeit als Maßstab der erotischen Ausdruckskraft. Also hat ganz sicher die Geschlechtsrollenzugehörigkeit beziehungsweise die Auffassung zu ihr die Hand der Künstler und Fotografen geführt.
 
Liebe LUST-LesreInnen, wir haben vor, zu diesem Bereich auch in den nächsten Ausgaben Beiträge zu veröffentlichen. Das Thema ist mit diesem Einstig ins Thema natürlich noch nicht abgeschlossen. (js)
 
 
 Die Bilder auf dieser Seite:
 
1. und 2. Unbekannter Herkunft
3. Männerfotografie, Bruno Gmünder Verlag Berlin, 1988, S. 141
4. Tina Mosotti (Leben, Wek, Schriften), Agimos Verlag Kiel 1996
5. und 6. Anja Müller, Frauen, Konkursbuchlerlag Claudia Gehrke Tübingen 2000
 
Es tut mir leid. Weil wir erfahren haben, dass KollegInnen zunehmend wegen "Pornographie", bzw. auch Kindern und Jugendlichen diese zugänglich gemacht haben (es könnte ja jewmand unter 18 Jahren auf diese Seite geraten) sollen, haben wir die Beispielsbilder wieder rausgeschmissen. Wir können es uns nämlich nicht lesiten, einen Prozess wegegn angeblicher Pornographie durchzuführen und schon gar nicht deshalb abgemahnt zu werden, von einenm Anwaltsbüro, das hier die Monatsgehälter der Anwälte verdient.
 
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