- 78. LUST, Frühling 04
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- Trend zum Gleichgeschlechtlichen?
Gibt es außer in unserem Wunschdenken
ernstzunehmende Hinweise darauf, dass sich Frauen untereinander
und Männer untereinander besser verstehen als Männer
mit Frauen und Frauen mit Männer?
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- Auf der meistens lesenswerten Nachrichtenseite
Telepolis von Heise Online (http://www.heise.de/tp/) war am 03.02.2004
von Hubert Erb der Artikel Imponiergehabe - Die Ungeselligkeit
der Geschlechter zu lesen.
Hier erfahren wir: Es wird kalt in unserem Lande. Immer
mehr junge und alte Alte humpeln mit dem Kopf unter dem Arm verbissen
am Taxistand (wo Ulla Schmidt die Hand aufhält) vorbei,
dem nur noch drei Kilometer entfernten Krankenhaus entgegen.
Gleichzeitig werden immer weniger Jungrekruten (aka Kinder) in
den sozial-liberalistischen Abwehrkampf geworfen, den bereits
verlorenen Kampf gegen den drohenden Umbau Deutschlands in ein
Altenheim, an dem bereits der Putz bröckelt. Geheiratet
wird auch ungern und manche Ehe/Partnerschaft hält nicht
mal mehr solange wie ein rot-grüner Kabinettsbeschluss.
Warum nur? Können Männchen und Weibchen nicht (mehr)
miteinander, was der weise Loriot ja immer schon postuliert hat?
Oder wollen sie bloß nicht? Wo doch jedes Kloreiniger-
und Wackelpudding-Werbeversprechen nur so vor brachialer Erotik
strotzt. Trotzdem ziehen sich die Gegensätze an, aber nicht
mehr aus. Man möchte als Single-Schicksal in seinen Pasteria-Snack
hineinweinen, im Partner-Katalog blättern oder enerviert
doch einfach nur noch mit seinesgleichen unter sich sein. Man?
Mann natürlich, z.B. am Pilshüttn-Stammtisch, in der
Bierdeckel-Tauschbörse und an der Carrerabahn im Hobbykeller.
Frau aber auch, gerne am Waschbecken vom Disco-Abort, im Kaufrausch
der Tupperware-Party und beim heißen Kantinentratsch. Kein
Wunder, dass Erwachsene gleichgeschlechtliche Kontakte suchen.
Denn die jüngeren Semester konzentrieren sich schließlich
ab Eintritt der Lauffähigkeit ja auch schon: Auf dem Bolzplatz,
an der Barbie-Puppenküche, um mediale Erscheinungsformen
von Enrique Iglesias oder Heidi Klum.
Nun sind die oben beschriebenen Beobachtungen nicht unbedingt
Belege des vom Autor dahinter vermuteten Trends. Man könnte
eher vermuten, dass die Menschen beziehungsärmer werden,
dass die kinderfeindlichen Strukturen der Gesellschaft in Verknüpfung
einer neoliberalen Ideologie eben nicht gerade zur Belastung
durch Kinder animieren. Wie kommt der Autor denn zu seinen Thesen?
Das lässt der Wissenschaft natürlich keine
Ruhe, die das Phänomen der Sexuellen Segregation
der beiden Geschlechter weltweit seit längerem untersucht.
Dass Männchen und Weibchen überwiegend getrennte Wege
gehen ist in sehr vielen Spezies (bei Mäusen beginnt es
seltsamerweise sogar schon im Uterus!) im ganzen Tierreich verbreitet.
Bisher waren hauptsächlich Huftierarten Gegenstand der Forschungen,
zunehmend werden auch andere Arten einbezogen. Die interdisziplinäre
Forschung hat weltweit mehrere Faktoren der Segregation ermittelt.
Faktor Eins ist die unterschiedliche Körpergröße,
da Männchen meist größer sind (im Extremfall
doppelt so groß wie z.B. Alpen-Steinböcke) und vermutlich
nicht dauernd auf die kleinen Weiberln runterschauen wollen.
Die Forscher Kathreen Ruckstuhl und Peter Neuhaus von der Uni
Cambridge fanden bei statistischen Auswertungen heraus, dass
Tierarten ab ca. 20 Prozent Größenunterschied zur
Bildung gleichgeschlechtlicher Gruppen neigen.
Auch die Arterhaltung scheint eine gewichtige Rolle bei der Segregation
zu spielen. Robert Barclay von der Universität Calgary hat
nachgewiesen, dass in Kanada beheimatete Fledermausarten bei
der Nahrungssuche unterschiedliche Gebiete aufsuchen. Die Männchen
fliegen weiter in die Berge hinauf, weil sie kalte Nächte
in einer Starre mit extrem verlangsamtem Stoffwechsel verbringen
können. Trächtige Fledermausweibchen sind eher in wärmeren
Gefilden anzutreffen, weil die tiefe Körpertemperatur ihren
ungeborenen Nachwuchs gefährden würde.
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- Weibchen haben also als gebärendes
Geschlecht einen höheren Energieverbrauch und müssen
mit ihren Kräften stärker haushalten. Albatrosse und
Seevögel sind durch Segregationsverhalten mittlerweile sogar
in ihrer Art bedroht. Weibchen fliegen im Gegensatz zu Männchen
weit aufs Meer hinaus und verfangen sich bei der Jagd auf Beutefisch
dort vielfach in den Netzen von Hochseefischern. Bei Raubtieren
wie Grizzlys dient die Segregation dem Schutz der Jungtiere vor
den ausgewachsenen Männchen, die nach der Vaterschaft grundsätzlich
keine Verwandten mehr kennen.
Und wie stehts um unsere Verwandten, die Primaten? Bei Affen
gibt es die geschlechtliche Rudelbildung weniger, am ehesten
noch im Zusammenhang mit Balzverhalten. So bilden Schimpansenmännchen
Trupps, die sich der hemmungslosen Rauferei und Schürzenjagd
hingeben. Was sagt uns das über den Homo sapiens in geschlechtlicher
Trennung? Wie der Wissenschaftler Anthony Pellegrini von der
Uni Minnesota bei einer Langzeitstudie spielender Kinder herausgefunden
hat, sind Jungen grundsätzlich aktiver, bewegungsfreudiger
und extrovertierter als Mädchen.
Das alles ist schon irgendwie interessant, aber weil Menschen
nicht unbedingt mit dem Alpensteinbock und der Buschfledermaus
verwand sind, und weil es bei Menschen die unterschiedlichsten
Erscheinungsformen von Zussammenrudelungen gibt, lässt sich
aus solchen Untersuchungen so gut wie gar nichts für das
Zusammenleben von Menschen untereinander aussagen. Was soll denn
dann der Artikel überhaupt, ist er ein Füllartikel?
Die Psychologin Melissa Hines von der City University
London führt als biochemische Ursache Testosteron an. Mädchen,
die im Mutterleib als Fötus einer hohen Dosis männlicher
Hormone ausgesetzt waren, verhalten sich nach Hines später
auch eher wie Jungs. Aber Geschlechterrollen sind natürlich
auch gesellschaftlich konstruiert und werden dadurch verstärkt.
Gerade Buben werden von Erwachsenen eher zur Beschäftigung
mit dem eigenen Geschlecht angehalten (damit Sohnemann mal nicht
verweichlicht und dadurch schwul wird), was die Kinder entsprechend
zum Mobben anderer Jungs anstiftet, die mit Mädchen spielen.
Erwachsene spielen dafür wieder ganz gerne mit dem anderen
Geschlecht, dennoch geht man auch gern getrennte Wege.
Bei der Ursachenforschung bieten sich primitive Eingeborenengesellschaften
an, wo geschlechtliche Segregation extrem ausgeprägt ist.
Männer gehen jagen, Frauen sammeln Nahrung und bleiben in
Nähe der Behausung, sogar gegessen wird oft getrennt. Die
Ethnologin Kristen Hawkes, die an der Uni von Salt Lake City
wirkt, hat das Rollenverhalten in Urvölkern lange untersucht
und kommt zu dem Schluss, dass die eigentliche Ursache dafür
sexuelle Selektion ist. Das Jagen dient dem Imponiergehabe der
Männer und dies wiederum dem Anbandeln mit diversen weiblichen
Wesen. Je mehr Frauen, desto höher der Macho-Status in der
sozialen Gemeinschaft.
Nur seltsam, dass etwa bei Edmund Stoiber das Gebirgsschützentum
bisher nicht zu mehr als einer Frau geführt hat. Es scheint,
dass der vielbeweibte Gerhard Schröder sich auch deshalb
den höheren Status bewahrt hat. Und der Gerd geht hinaus
auf Jagd, sogar bis ins wilde Afrika, und lässt Doris zuhause,
während Edi brav im Nest bleibt. Manchmal fragt man sich
ja, was an der Teilung der Krone der Schöpfung in zwei Geschlechter
gut sein soll, wenn diese bloß vor sich hin wurschteln
und beim Power-Shoppen störende Männer wie Viecher
einfach im Cafe abgegeben werden können. Aber ohne die schönste
Nebensache der Welt wärs halt doch auf Dauer leicht fad...
Der Verdacht, dass es sich hier schlicht um einen Füllartikel
handelt, scheint mir nicht von der Hand zu weisen zu sein. Und
ein Trend zu mehr Gleichgeschlechtlichkeit lässt sich so
keinesfalls ausmachen und begründen.
Leider ist eher Folgendes zu beobachten: Es gibt wieder mehr
Belege von versteckter Homophobie, sie nimmt wieder schleichend
zu. Die Tendenz dieses Artikels gehört auch eher in diese
Kategorie, da er genüsslich von der Selbstverständlichkeit
der Heterosexualität als durch die Natur gerechtfertigt
ausgeht.
Hinzu kommen die immer wieder neu auftauchenden biologistischen
Theorien vom schwulen Gen oder den Stresshormonen bei schwangeren
Frauen, wodurch Homosexualität entstehen würde. Die
unweiblichen Verhaltensweisen von Frauen sind also angeblich
die Ursache von Homosexualität, Kindermangel und der sexuellen
Notlage heterosexueller Männer. Einfach nur um nicht akzeptieren
zu müssen, dass die moralischen und Geschlechtsrollenbezogenen
Grenzziehungen in die Vielfalt menschlichen Lebens und menschlicher
Sexualität hinein das eigentliche Problem darstellt.
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- Und was die Anzahl der Kinder betrifft: ein
wenig mehr gesellschaftliche Verantwortlichkeit für die
Kinder und nicht das Abschieben aller Sorgen und Kosten, die
mit Kindern zu tun haben, alleine auf die Frauen, würde
hier Vieles ändern. (js)
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