77. LUST, Winter 03/04
 
Sprache als Mittel von Herrschaft
Neue verschleiernde Kommunikationsformen, die es nur bestimmten Menschen ermöglichen, Informationen zu entnehmen, tauchen unter immer neuen Namen immer wieder auf. Sie werden meist mit freundlichen Begründungen gerechtfertigt, wirken sich aber letztlich überhaupt nicht so freundlich aus, weil den Menschen die Möglichkeit genommen wird, Wahrnehmungen oder Empfindungen mit sprachlichen Mitteln zu begreifen, des Gemeinte sprachlich zu fassen, zu äußern, also sich seinen Mitmeinschen sprachlich verständlich zu machen.
 
Frühere Formen des bewussten Eingriffs in die sprachliche Kompetenz der Menschen
Bekannt ist, dass Latein nicht nur die Sprache der geistlichen und somit auch politischen Herrschaft des Mittelalters war, sondern neben Altgriechisch eben auch der Wissenschaft. Altgriechisch und Latein wurden von der einfachen Bevölkerung nicht verstanden. Die Erkenntnisse wissenschaftlicher Forschung, lateinisch oder altgriechisch formuliert, waren also weithin ungefährlich für den weltlichen Machtanspruch der geistlichen Führung. Weltliche Herrschaft wurde religiös begründet, und erst durch Luthers Bibelübersetzung konnten Teile des belesenen Volkes selber nachsehen, was da drin steht. Dies führte zu großen Erschütterungen im Machtgefüge der von Klerus und Adel regierten politischen Einheiten.

Im Zeitalter der Aufklärung, als neue technische Entwicklungen und Arbeitsabläufe das Leben zu beeinflussen begannen, benötigte man einen immer größeren Kreis technisch ausgebildeter Menschen, die auch lesen und schreiben konnten. Größeres Wissen bei mehr führenden Menschen war die Voraussetzung zur Erfüllung wirtschaftlicher Ziele. Aber auch Arbeiterinnen und Arbeiter mussten Anweisungen lesen können, was es ermöglichte, dass sie auch Flugblätter lesen könnten, was die Obrigkeit als Gefahr ansah.

Das Erziehungsziel für die nun neu entstehende Arbeiterklasse war die Tugend der “Industriösität”, was man heute mit Arbeitsamkeit übersetzen konnte. Besonders der Pädagoge Joachim Heinrich Campe hat hierzu seiner Obrigkeit zahlreiche pädagogische Tricks geliefert. In den an die Manufakturen und Fabriken angeschlossenen Industrieschulen, die als Vorläufer der Volksschulen angesehen werden, wurden die Kinder der sogenannten Arbeitsscheuen von Pfarrern und pensionierten Offizieren unterrichtet, während sie gleichzeitig einfache Arbeiten zu verrichten hatten.
 
Arbeitsscheue waren die aus der Leibeigenschaft befreiten landlosen Bauern, die es nicht einsahen, für einen Hungerlohn, der nicht zur Ernährung ausreichte, 14 Stunden täglich in einer Fabrik zu arbeiten. Diese Menschen sollten nun eine persönliche Erfüllung nur im Arbeiten sehen, weil dies preiswerter war als höherer Lohn. Das Arbeiten war für Arbeiter die einzige legitime persönliche Erfüllung. Alles, was sie davon ablenken könnte, wurde für sie nun tabuisiert. Und der menschliche Körper hatte die Möglichkeit, Erfüllung zu gewähren, die nicht mit Arbeit verbunden waren (und sind). So gehörte auch eine Körperfeindlichkeit zu den Erziehungszielen für Arbeiter.

Für sexuelle und andere körperliche Belange und Fragen stand in der Bevölkerung ein reicher und oft recht deftiger Wortschatz zu Verfügung. Ziel der Erziehung war es nun, diesen Wortschatz als sogenannte Gossensprache ansehen zu lassen. Sexualität wurde so der zwischenmenschlichen Kommunikation und somit dem kulturellen Zusammenhang entzogen, der sexuelle Mensch wurde weitgehend vereinzelt. Für Ärzte, Erzieher und andere gebildeten Leute gab es zur beruflichen Bezeichnung dieser körperlichen Belange die lateinische Sprache.

Es gelang so tatsächlich für eine lange Zeit, die arbeitende Bevölkerung in diesem Bereich sprachlos zu machen. Auch heute ist es vielen Menschen unterer sozialer Schichten nicht anders möglich, als in die sogenannte Vulgärsprache zu verfallen, wenn sie sich in diesem Bereich verständigen wollen. Dies stellt sich derzeit als eine Katastrophe besonders auch in der Aids-Aufklärung heraus. Völlig sprachlos und hilflos sind viele Menschen dann bisweilen gegenüber dem Arzt oder in der Öffentlichkeit, wenn die angebliche Vulgärsprache nicht benutzt werden kann, weil sie sich hier nicht als unanständig zeigen wollen. Sie behelfen sich dann vielfach mit einer verkindlichten Sprache, also wie die Mutter mit ihren Kleinkindern darüber gesprochen hat, denn die sogenannte Kindersprache ist nicht die Sprache der Kinder, sondern die Sprache der Erwachsenen mit Kindern.

Wir sehen aus diesen Beispiel auch, es kommt in Zusammenhängen mit der eigenen Emanzipation und dem Bewusstwerden der eigenen Situation, in Zusammenhängen mit der kritischen Distanz gegenüber Manipulationsversuchen sehr stark auf die Möglichkeit an, griffige Begriffe zur Verfügung zu haben. Im Wort Mündigkeit gibt es das Wort Mund. Mündigkeit hat etwas mit der Fähigkeit, in klaren Begriffen zu denken, zu differenzieren und zu sprechen zu tun. Anders gesagt: um Herrschaft auszuüben muss zwischenmenschliche Kommunikation und Sprache teils kanalisiert, teils unterbunden werden.

Es sei hier eine kleine kleine Excursion in die Geschichte des kollektiven lesbischen und schwulen Coming-outes erlaubt. Die Diskriminierung der Homosexualität ist älter als die Industrialisierung. Sie begann mit dem Christentum als Staatsreligion des römischen Imperiums. Sie verschlimmerte sich immer dann, wenn in der Gesellschaft Körperfeindlichkeit hinzukam. Menschen die einen Menschen des gleichen Geschlechts als begehrenswert erkannten, hatten für diese “namenlose Liebe“ keinen positiv besetzten Wortschatz.
 
Homosexualität wurde lange Zeit mit dem gleichen Wort wie Sex mit Tieren bezeichnet: mit Sodomie. Im Gegenteil, sie kamen sich selbst als abartig und sündhaft vor. Und dies ist noch immer nicht überwunden. Denn noch immer werden die begriffe, die Homosexualität bezeichnen, in der Alltagssprache negativ besetzt. Erst Karl Heinrich Ulrichs bemühte sich, hierfür einen neuen Wortschatz zu erfinden, mit dem sich ein Betroffener identifizieren könnte.
 
Er beziechnete sich selbst als Urning, als Mann der sich in einen Mann verlieben kann. Wir wissen, dass “schwul“ unter männlichen Jugerndlichen ein Schimpfwort ist, dass männliche Jugendliche in Richtung der Männerrolle diszipliniert. Wer nicht rau und gefühllos genug auftritt, macht sich verdächtig, schwul zu sein, wobei die Jugendlichen natürlich auch männliche schwule Jugendlichen derart beschimpfen, was ihr individuelles Coming-out nicht nur erschwert, sondern auch gehörig verzerrt. Schwule Jugendliche werde so gesellschaftlich genötigt, sich ebenso raubeinig und gefühllos zu geben, um gerade nicht dem diskriminierenden Bild zu entsprechen, selbst wenn sie einen Mann lieben. So greifen alle Teile in einer Gesellschaft ineinenader, niemand lebt auf einer Insel. So beeinflusssen sich gesellschaftliche Strukturen gegenseitig.
 
Herrschaft, Macht und Sprachverhalten
Macht über andere Menschen hat der, der in der Lage ist, Menschen zugunsten der eigenen Interessen und gegen deren eigenen Interessen handeln zu lassen. Um Macht ausüben zu können, muss ein Abhängigkeitsverhältnis bestehen. Zwischenmenschliche Abhängigkeitsverhältnisse gibt es auf vielfältige Art, von der Sklaverei bis hin zur sexuellen Hörigkeit. Diese Abhängigkeit kann auf unterschiedliche Weise hergestellt werden. Die heutzutage augenfälligste und stärkste Abhängigkeit ist die vom Lohn oder Gehalt, ist also die wirtschaftliche Abhängigkeit. Diese setzt sich in der Familie fort. Hier begeben sich Menschen scheinbar freiwillig in die Anhängigkeit und Unterordnung eines Vorgesetzten- und Untergebenenverhältnisses.

Als sprachliches Mittel sind in einer Macht- beziehungsweise Abhängigkeitssituation Befehle und Anweisungen durchaus ausreichend. Im Zusammenhang mit einem besseren Arbeitsergebnis und um auch den Willen, die Kreativität und die Spontaneität des betreffenden Menschen für den Arbeitsprozess nutzen zu können, haben sich subtilere Formen der asymmetrischen Kommunikation entwickelt.

Symmetrische Kommunikation geschieht zwischen Gleichen, asymmetrische Kommunikation in einer Hierarchie zwischen Ungleichen. In einem asymmetrischen Gespräch erzeugen ungeschickte, also durchschaubare Manipulationsversuche bei dem Abhängigen eher Unwillen als bei Befehlen, weil man sich aufgrund der realen Stellung in der Hierarchie der Manipulation nicht entziehen kann, auch wenn sie stümperhaft durchgeführt wird, man sie bemerkt. Der Vorgesetzte wird es zumeist gar nicht bemerken, ob es seine Macht oder seine Manipulationskunst war, da er entweder aus dem einen oder dem anderen Grund freundliche und offene Gesichter sieht.
 
Sprachforschung
Die Linguistik ist die Sprachwissenschaft. Das Wort kommt aus dem Latein, wo Linguam die Sprache ist. Da gibt es zum Beispiel die Psycholinguistik, in der die individuelle Sprachentwicklung eines jeden Menschen untersucht wird. Der sogenannte Spracherwerb geht eng mit der Identitätsbildung einher. Sprache ist das Bindeglied zwischen dem Körperlichen und dem Geist. In der Psycholinguistik stellen sich aber auch andere Fragen. Wie kommt es zum Beispiel, dass das Wort Mama in allen menschlichen Sprachen vorkommt? Die Psycholinguistiker vermuten, dass die Ursache in der menschlichen Biologie liege, das Wort stamme aus den Säugegeräuschen des Säuglings.

Ich selbst beschäftige mich schon seit vielen Jahren mit der Soziolinguistik, deren Grundlage der Engländer Basil Bernstein gelegt hat. Die unterschiedlichen sozialen Schichten in der Gesellschaft benutzen die gleiche Sprache unterschiedlich. Den gleichen Wörtern wird eine unterschiedliche Bedeutung gegeben, weil der Erfahrungshintergrund im Zusammenhang mit diesen Wörtern auch unterschiedlich ist. Bernstein nannte die Sprachverwendung der Unterschicht (er selbst sprach von der Arbeiterklasse) “restringiert” also “eingeschränkt”.
 
Das hat er bei vielen Untersuchungen untermauern können. Das Sprachverhalten des Bildungsbürgertums nannte er “elaboriert”, also “hervorgehoben”. Dem widersprach teilweise der deutsche Linguist Ulrich Övermann. Eingeschränkt artikuliert ein Mensch der Unterschicht nur in einem asymmetrischen Gespräch mit einem Bildungsbürger, der sich in einer Macht- und Entscheidungsposition befindet.

Unter Seinesgleichen ist der “restringierte” Sprachcode eines gegenständlich arbeitenden Menschens aber nicht eingeschränkt, sondern lediglich in seiner Ausprägung einfach gegenständlicher, ergänzt durch Gestik und Mimik, und er kommuniziert ausreichend vielfältig, auf jeden Fall nicht eingeschränkt.

Ein Bildungsbürger unter Seinesgleichen benutzt auch nichtsagende Sprechhülsen. Seine Sprache ist gemäß seiner Aufgaben in der Gesellschaft eher abstrakt. Das scheinbare sprachliche Unvermögen des Unterschichtangehörigen resultiert aus der Hierarchie zwischen den beiden Gesprächspartnern. Der Sprachcode des Bildungsbürgers wird als die eigentliche Sprache angesehen, die Hochsprache, während der Sprachgebrauch des Unterschichtmenschen als unzulänglich abgetan werde, so also Övermann.

Ich bitte, den Soziolekt der unterschiedlichen sozialen Schichten nicht mit dem Dialekt, also den Regionalsprachen, zu verwechseln. Die Dialekte haben auch ihre elaborierte und ihre restringierte Ausprägung. Auch wenn die Dialekte zur gleichen Sprachfamilie gehören, sind sie doch vollwertige Sprachen mit eigener Grammatik. Unsere derzeit verwendete Hochsprache ist auf Martin Luther zurückzuführen, der, um die Bibel in die Sprache des Volkes übersetzen zu können, eine zusammenhängende Sprache des Volkes über die verschiedenen Regionalgrenzen hinaus erst entwickeln musste. Er und seine wissenschaftlichen Freunde, besonders auch Phlillip Melanchton, benutzte dazu den Hannoveraner Dialekt und die lateinische Grammatik, und dieses sprachliche Konstrukt wird nun Neuhochdeutsch genannt.

Der gute Rhetoriker, der seine Untergebenen oder auch Seinesgleichen mit sprachlichen Mitteln manipulieren möchte, der sich vielleicht auch nur richtig verständlich machen möchte, muss sich den jeweiligen richtigen Soziolekt aneignen, um die kritische Distanz gegenüber seinen Erklärungs- oder Manipulationsversuchen überwinden zu können.
 
Wer ein Angeber ist, wer sich in seinem verwendeten Sprachverhalten ganz bewusst sprachlich distanziert, um eine Hierarchie zu verdeutlichen, verzichtet bei seinen Untergebenen oder Seinesgleichen auf das Gemeinsamkeitsgefühl, das die Distanz überwindet und Offenheit sowie Sympathie entstehen lässt.
 
Political Korrektness (PK) und Neurolinguistisches Programmieren (NLP)
Der Begriff “political Korrektness” stammt aus den USA. Es handelt sich um ein Sprechverhalten, bei dem man die multikulturelle Zusammensetzung der nordamerikanischen Bevölkerung akzeptiert und alle Formulierungen unterlässt, mit denen man eine andere nationale oder religiöse Minderheit angreifen, verletzen, herabwürdigen könnte. Es handelt sich hier also um eine Art Selbstzensur, ursprünglich zugunsten eines humanen Zieles.
 
Unterdessen gibt es hier zahlreiche Kritik, und die nicht nur, weil man irgendeine Minderheit herabsetzen möchte. Die PK, so die kritischen Anmerkungen, hindere die Menschen nämlich auch daran, an ungerechten Verhältnissen Kritik zu üben. Ich möchte hier nicht werten, welche Position im Recht ist. Auf jeden Fall handelt es sich um einen Eingriff in die Fähigkeit, sich zu artikulieren, auch wenn dies zu einem guten Zweck geschieht. Niemand wird bestreiten, dass das Diskriminieren von Minderheiten kein guter Zweck ist. Wer bestimmt denn eigentlich, welcher Zweck ein guter Zweck ist?

Um den Widerstand und die kritische Distanz eines Menschen zu überwinden, steigen die Anhänger des NLP tief in den Zusammenhang zwischen Sprache und Psyche bzw. der Identität des Menschen ein, indem alles, was ihn befähigen könnte, Widerstandwillen zu entwickeln, geschickt umgangen wird. Es handelt sich hier also um ein Handlungsmuster zum Manipulieren aus dem Bereich der Psycholinguistik. Die folgende Definition stammt aus den Texten einer Einrichtung, die NLP unterrichtet:

“Das Neuro-Linguistische Programmieren (NLP) gilt als bedeutsames Konzept für Kommunikation und Veränderung, das heute ganz besonders von den Menschen nachgefragt und genutzt wird, die beruflich mit Kommunikation zu tun haben. Robert Dilts, einer der wichtigsten Entwickler des NLP, beschreibt NLP als ein „... Verhaltensmodell und ein System klar definierter Fähigkeiten und Techniken, das von John Grinder und Richard Bandler im Jahre 1975 begründet wurde.

NLP wird definiert als die Struktur der subjektiven Erfahrung. NLP untersucht die Muster oder die »Programmierung«, die durch die Interaktion zwischen dem Gehirn (Neuro), der Sprache (Linguistik) und dem Körper kreiert wird, und die sowohl effektives als auch ineffektives Verhalten produzieren können.

Die Fertigkeiten und Techniken des NLP entstanden durch Beobachtung der Muster im exzellenten Tun von Experten aus diversen Bereichen professioneller Kommunikation, unter anderem aus dem Bereich der Psychotherapie, der Wirtschaft, der Hypnose, des Rechtswesens und der Erziehung.”
 
Machtanspruch erkennen lassen
Die persönliche Karriere im Wirtschaftsleben aber auch in Teilen der Freizeit, zum Beispiel in Vereinen, hat etwas damit zu tun, dass man in einer hierarchischen Struktur aufzusteigen Wünscht. Man verhält such wie folgt: Anfänglich zeig man sich als ein williger Befehlsempfänger gegenüber weiter oben, zumindest zeitweise, andererseits bemüht man sich gegenüber Unteren und den Gleichen abzusetzen. Man erkennt es auch am Sprechverhalten, wenn jemand solche Ziele anstrebt.

Bei den durch Manipulation, Unterdrückung und Machtausübung gekennzeichneten Formen der Konfliktregelung wird nicht partnerschaftlich (auf der Ebene gleichberechtigter Partner) kommuniziert, sondern „von oben nach unten“. Dabei wird oft die „Sprache der Manipulation“ angewendet. Neben harten, direkten Formen gibt es auch verschleierte und relativ sanfte Formen solch ungleicher Kommunikation „von oben herab“
· Befehlen, kommandieren; „anordnen“ gegenüber Gleichberechtigten.
· Warnen, drohen; “ermahnen“ oder “Hinweise geben“ als sanftere Formen asymmetrischer also ungleicher Kommunikation.
· Moralisieren, predigen; “zureden“ als sanfte Form.
· Lösungen geben; “beraten“ oder “Vorschläge machen“, ohne darum gebeten zu sein.
· Vorhaltungen machen, belehren; “logische“ Argumente bei emotionalen Problemen anführen (z.B. Probleme, Ängste “ausreden“ wollen).
· Über die Person urteilen, die Person kritisieren; widersprechen, ohne den Kommunikationspartner zu (be-)achten; beschuldigen.
· Von oben herab “loben” was die Möglich nicht zu loben und zu tadeln eröffnet.
· Beschimpfen, lächerlich machen, beschämen.
· Den Gesprächspartner gezielt und/oder mit Objektivitätsanspruch interpretieren, analysieren, diagnostizieren: “So bist du wirklich - das ist nicht nur meine subjektive Meinung, sondern es ist tatsächlich so!“
· Die Autonomie des Partners ständig verletzen.
· Verhören; “forschen“ und fragen, ohne den wirklichen Grund der Fragen offen zu nennen (als sanfte Form der Inquisition); etwas “herauskitzeln“, was der Gesprächspartner ursprünglich nicht sagen wollte.
· Sich bei unangenehmen Themen/Fragen zurückziehen; ablenken und “aufheitern „; “zerstreuen“.

Die Reaktion auf manipulative Kommunikation im Sinne der voranstehenden Beispiele ist vielfältig. Diese unangemessenen Formen der Kommunikation aus der “Überlegenheitsposition“ heraus können beim anderen - insbesondere wenn er ein Problem oder berechtigtes Anliegen vorbringt - die folgenden Reaktionen hervorrufen; dabei treten diese Reaktionen teilweise in vielfältigen Kombinationen auf:
· Widerstand, Trotz, (offen oder verdeckt).
· Ärger, Zorn, Feindseligkeit.
· Aggression, Vergeltungsmaßnahmen, Zurückschlagen.
· Lügen; Empfindungen verbergen, “innerer Rückzug“.
· Aussteigen und den Nachbar durch Gesprächsversuche zwingen, mit auszusteigen.
· Selbst (als Reaktion) dominieren wollen: Herumkommandieren, tyrannisieren.
· Siegen müssen; ungern Kompromisse eingehen, in ständiger Unterlegenheitsangst sein.
· Bündnisse schließen, sich organisieren gegen den oder die anderen (“kollektiven Widerstand „ aufbauen).
· Überanpassung, Fügsamkeit, Gehorsam, Unterwerfung bis zum “Speichellecken“: Aufgabe der eigenen Identität.
· Einschmeichelung, um Gunst buhlen, “Trittbrettfahrer“ werden.
· Flucht in Phantasien, Ausbauen einer “Traumwelt“.
Manipulatives Kommunikationsverhalten ist nicht geeignet, zu helfen oder zur partnerschaftlichen Lösung von Konflikten beizutragen, soll es auch gar nicht. Es handelt sich um Kommunikationsformen, die auf Unterdrückung der Konflikt-Kontrahenten abzielen.
Beispiele solcher, am Sieg/Niederlage-Modell orientierter Kommunikation sind auch sogenannte Killer-Phrasen, die darauf abzielen, dem Kontrahenten keine gleichwertige Gegenposition zu belassen, sondern ihn von vornherein in die Position des Unterlegenen zu bringen.
 
Killerphrasen (wie sie täglich zu beobachten sind):
· Als ... müssen sie ...
· Sie werden zugeben, dass ...
· Es ist doch faktisch so, dass ...
· Auch Sie werden nicht darum herumkommen ...
· Durch Ihre Worte geben Sie zu erkennen, dass Sie ein . . . sind (Zu jemandem, der fachlich-wissenschaftlich nicht über Kenntnisse verfügt):
· Wissenschaftliche Ergebnisse haben gezeigt, dass ...
· Wie bei jeder Gruppe können wir auch hier feststellen, dass ...
· Wie doch jeder weiß ...
· Sie können sich doch nicht der Logik verschließen, dass ...
· Die jetzige Situation fordert ...
· Als fähiger Manager/Lehrer/Arzt müssen Sie ...
· Nur ... können in einer solchen Situation ...
· Das ist juristisch nicht machbar!
· Dazu fehlt Ihnen die Erfahrung!
· Bekanntlich ist es so, dass ...
Mit solchen Killerphrasen sollen die GesprächspartnerInnen in der Kommunikation in die Defensive gedrückt werden.
Interaktiver Zusammenhang

Um sein Ziel, zu dominieren, erreichen zu können, sind nicht nur sprachliche, sondern auch im Verhalten ganz bestimmt Merkmale erforderlich. Typische Merkmale, die man zwar nicht immer allesamt aber häufig bei einem sogenannten Menschen beobachten kann, der eine Karriere anstrebt:
- Ausstrahlung von körperlicher Robustheit
- Stimme, die sich auch noch in Tumulten durchsetzen kann
- Bereitschaft, sich mit Kollegen und Vorgesetzten anzulegen.
- Verzicht auf allseitigen Beliebtheit
- Fähigkeit, anderen Menschen Bitten ganz einfach abzuschlagen, ohne dabei Entschuldigungen oder Begründungen auszuführen,
- Fähigkeit und Bereitschaft, Menschen vor den Kopf zu stoßen oder sei einzuschüchtern, wenn eigene Ziele durchzusetzen sind
- lustvolle Kampfbereitschaft in Konflikten, ohne dabei selbst gefühlsmäßig beeindruckt zu sein
- Lust am Sieger-Gehabe bei gewonnenen Konflikten
- leicht ruppige Kommunikation und schlagfertige Reaktion auf Äußerungen anderer
- Neigung zur Selbstbeweihräucherung und Selbstinszenierung
- Hemmungslos in Meetings verspätet hereinzuplatzen und Mut, alles bisher Vereinbarte für ungültig zu erklären
- erhöhter Geräuschpegel im Vergleich zu den Kollegen durch lautere Stimme, hemmungsloses Stühle rücken und Türenknallen und durch feste Schritte beim Anmarsch und Abgehen
- Ungeduld in der Zusammenarbeit mit bedächtigeren, gründlicheren und einfältigeren Kollegen
- Dickfälligkeit bei Kritik und persönlichen Angriffen
- Bereitschaft zur Verletzung der Höflichkeitsregeln, vor allem durch Neigung zum Unterbrechen und Übertönen in Diskussionen
- kurzes Gedächtnis in Hinblick auf eigene Zusagen
- scharfes Gedächtnis beim Einfordern der Zusagen anderer
- blitzschnell im Erkennen günstiger Gelegenheiten
- Bereitschaft zum Übertreten von Verboten und Regeln
- Neigung zum ausgiebigen Nutzen des „kleinen Dienstweges“
- demonstrativer Mangel an Respekt vor Ranghöheren bis zur Dreistigkeit
- Fähigkeit, schnelle Entscheidungen zu treffen und Fehlentscheidungen souverän zu revidieren

Das vermutlich typischste Merkmal ist, dass Alpha-Tiere immer viel größer wirken, als sie tatsächlich sind. Sie sitzen breit und bequem und beanspruchen viel mehr Platz am Tisch als der Nachbar.

Alpha-Tiere sind nicht darauf aus, mit Bescheidenheit und guten Manieren einen guten Eindruck zu machen. Es ist ihnen schnuppe, was andere von ihnen halten, wenn sie nur ihren Willen durchsetzen können. Sie sind nicht beliebt, sie imponieren und schüchtern ein. Darin liegt ihre Stärke. (So weit die Meinung der Unternehmensberaterin Hedwig Kellner, die nur Spott für die Opfer solcher Machhungrigen Leute übrig hat: Hirntypen sind für sie Eierköpfe ohne Karrierechancen, Herztypen vergessen, dass das Wirtschaftleben kein Sanatorium ist, Fausttypen sind die geborenen Führer, man muss sie gewähren lassen, weil sonst das Team gesprengt wird. Dann gibt es noch die Herzchentypen mit gutem Benehmen, die in den “Club der Versager” gehören und besonders deshalb unangenehm sind, weil sie sich für Mitglieder im “Club der Gerechten” halten.

Die Wirtschaft braucht und fördert also real eine solche Hierarchie, lernen wir aus diesen Aussagen, und das ganze wird vor den Machtlosen durch schönklingende Formulierungen über political Korrektness oder NLP verschleiert.
 
Schlussfolgerung
Wir leben in einer hierarchischen Gesellschaft, und trotz der Verschleierungen von Macht lassen sich Machtmerkmale in allen Bereichen der Gesellschaft erkennen. Dass sich auch die Machtlosen untereinander und bis in alle Verästelungen des gesellschaftlichen Seins (und auch wenn sie es gar nicht nötig haben) gegenseitig mit Machtsymbolen, Machtverhaltensweisen und einem hierrarchischen Sprachverhalten begegnen, lässt erkennen, dass das hierarchische Prizip für normal gehalten wird. Man akzeptiert, dass es ein gesellschaftliches Oben und Unten gibt, und niemand möchte zu den Verlierern gehören. Daher ist zwischenmenschliche Solidarität kaum zu beobachten. Vielleicht existiert sie nur dann, wenn man sich von einem Mitmenschen berührt fühlt.

Es ist eigentlich eher eine Verhärtung zwischen den Menschen zu beobachten. Der liberalistische Spruch „Jeder ist seines Glückes Schmied“, der es dem Bürgertum ermöglichte, sich aus der Knechtschaft des Adels zu befreien und auf eigene Rechnung zu wirtschaften begann, ist in unserem neoliberalen Zeitalter zum „Jeder gegen Jeden“ geworden.

Muss man sich wirklich derart unsozial verhalten? Was ist über Gütigkeit und Toleranz zu sagen? Nun, Gütigkeit und Toleranz stammen aus der Zeit des Adels, wo der adlige Herr unangefochten war und deshalb seinen Machtanspruch nicht ständig zu verteidigen brauchte. Dass die Verhaltensweisen Gütigkeit und Toleranz werden meistens aus einer Position der Macht eingesetzt und können in bestimmten Situationen auch wieder zurückgenommen werden, weil eben die Macht nicht angefochten ist. Auch die gütige Sprache ist sprachlich zu erkennen. Sie sind im wesentlichen nur Stilmittel, bei denen sich der Machthaber besser vorkommt und in dem Gefühl sonnen kann, dass er doch nicht so schlimm ist, wie die Konkurrenten.

Gibt es Anderes? Sicher gibt es das. Es gibt Mitmenschlichkeit, die sich auch in der Sprache ausdrückt. Das geht partiell in den Inseln von Subkulturen, die ihr Eigenleben haben. So etwas ist aber in einer extrem hierarchischen Gesellschaft nur schwer durchzuhalten. Oder willst Du als ein Warmduscher, ein Weichein, ein Versager angesehen werden? Im allgemeinen beschweren sich die Leute nur dann, wenn sie von jemand anderes unter dessen Machtanspruch zu leiden haben. Um nicht Opfer zu sein muss man Täter sein?

Und die Teamarbeit in der Wirtschaft? Ist die nicht zwischen den Arbeitnehmern weitgehend egalitär? Bei Marx kann man nachlesen, der moderne Unternehmer zu seinem eigenen Nutzen die Elemente des Verhaltens in seinem Betrieb entwickelt, die letztlich dem Arbeitnehmer die Fähigkeit geben, ohne den Unternehmer auszukommen, wie es der Bürger vom Adel gelernt habe.

Ich könnte mir vorstellen, dass solche hierarchischen Geflogenheiten dann in Vergessenheit geraten, wenn es wirtschaftliche, gesellschaftliche und zwischenmenschliche Vorteile bringt, sich mitmenschlich zu verhalten. Aber es fällt mit kein Weg dazu ein, wie so etwas zustande kommen soll. Auch wenn sich Vorgestzter und Untergebener per Du anreden, wenn sich die Vorgestzten beim Feiern einer symmetrischen Sprachverwendung bedienen, am nächsten Tag im Unternehmen ist die Hierarchie den Untergebenen absolut bewusst.

Wären alle Mitarbeiter egalitäre Kollegen, gälte es nicht, eine Hierarchie am Leben zu halten, gäbe es nicht die Menschengruppe, deren Wohlstand aus der Arbeit anderer gespeist würde, die das so umschreiben: „Mein Geld arbeitet für mich,“ Herrschaftssprache wäre dann eher lächerlich.

Wer so etwas will, der muss wohl ein Sozialromantiker oder Träumer sein. Menschlich gesehen, bräuchten wir solche Mitmenschen. Und selbst bräuchten wir alle etwas mehr von ihnen und ihren Eigenschaften, denn vor ihnen müsste man sich nicht ständig vorsehen, wie vor raubtieren. Ohne mitmenschlicher Wärme kann man nicht leben, finde ich. Aber dass sich das in unsrer Gesellschaft durchsetzt, das scheint mir nicht so eilig zu sein. Selbst das weniger ehrgeizige Ziel, die “Humanisierung der Arbeit”, ist im Sprachgebrauch völlig aus der Mode gekommen. (js)
 
Dein Kommentar zum Artikel: hier

 Zum Artikelarchiv

 Zur Artikelhauptseite

 Zur LUST-Hauptseite