77. LUST, Winter 03/04
 
Die Altenpflege und die Gesundheitsreform
Ca. 1,2% der Bevölkerung befindet sich in Pflegeheimen, und zwar überwiegend alte Menschen, die geistig oder körperlich ihr Leben nicht mehr selbständig bewältigen können. Ein Fünftel der 80 bis 85-Jährigen sind Pflegefälle und ein Drittel der 85- bis 90-Jährigen. In einer Stadt von ca. 270.000 Menschen (Wiesbaden) sind das ca. 2.250 Menschen.
Wenn ein Mensch aus Gründen seiner Altersschwäche in eine solche Lage kommt, haben gewöhnlich die Kinder, wenn welche vorhanden sind, für die Kosten der Altenpflege, der Heimunterbringung aufzukommen, oder sie müssen die alten Menschen selber pflegen. Da Lesben und Schwule gewöhnlich keine Kinder haben, werden sie im Alter auch nicht von ihnen gepflegt. Sie sind dann also auf solche Heime angewiesen.

Aber Lesben und Schwule haben Eltern, die möglicherweise gepflegt werden müssen oder einen Heimplatz benötigen. Und dabei spielt es keine Rolle, ob sich die Eltern wegen der Homosexualität von uns abgewandt haben, wir werden für die Kosten verantwortlich gemacht, und viele unserer Lebensformen können wir gegeenüber den Sozialämtern nicht geltend machen.
 
Die Heimpflegekosten belaufen sich auf die Höhe von ungefähr 3.000 bis ca. 5.000 Euro im Monat. Ca. 1.500 bis 2.500 Euro kosten Miete und Kost in einem solchen Heim. Weitere 1.500 bis 2.500 Euro kostet die Pflege. Nun erhalten diese alten Leute ja eine Rente, von der die Kosten für Kost und Logis zu bezahlen sind, und sie erhalten einen Pflegesatz von der Pflegeversicherung. Die Rente reicht meistens nicht für Kost und Logis aus, und die Einstufung in Pflegestufen ist sehr regide, so dass die Versicherung oft nur einen Bruchteil der Kosten übernimmt.

Trotz einer anständigen Rente werden diese alten Leute in den Heimen in der Regel zu Sozialhilfeempfänger. Rund 80% der Heiminsassen werden zu Sozialhilfeempfänger. Das wird uns im Alter wohl nahezu alle betreffen, unsere Eltern wohl auch.
Die „hohe“ Rente, die von den meinungbildenden Medien in die politische Schlacht geführt wird, um die Renten zu kürzen, reicht also nicht aus, um die Alterskosten zu bezahlen.

Die Kinder zahlen also tatsächlich die Kosten, die von den Rentnern selbst nicht übernommen werden können, die Sozialämter holen es sich von ihnen, und dadurch geraten die teilweise gut verdienenden Kinder selbst oft in die Sozialhilfe.
Wenn also behauptet wird, die Alten sollen keine so hohe Rente erhalten, damit nicht die Kinder dafür zahlen müssen, dann ist das in den beschriebenen Fällen zumindest absolut verlogen, denn dann zahlen die Kinder erst recht.

Die Alten in den Heimen sind nun also Sozialfälle und erhalten neben Kost und Logis noch ein Taschengeld von 89 Euro monatlich, von denen sie sich Seife und Shampo kaufen können, Mineralwasser, Rudfunk- und Fernsehgebühren und noch die Telefonkosten, falls sie sich ein Telefon überhaupt leisten können.

Es ist für alte Menschen, die vielleicht bis jetzt mit ihrer Rente ganz gut auskamen, ein tiefer Schock, wenn sie sich in einer solchen Lage wiederfinden. Und die Neigung der Kinder, die möglicherweise nun ihre eigene Altersvorsorge für ihre Eltern verbrauchen und die, obwohl recht gut verdienen, selbst nun Sozialfälle geworden sind, die Neigung hier noch zusätzlich zu helfen, ist dann nicht so groß.

Die Alten in den Pflegeheimen müssen aber (wie alle Sozialhilfeempfänger) von ihrer Sozialhilfe beziehungsweise ihrem Heim-Taschengeld aufgrund der Gesundheitsreform die 10 Euro für Arztbesuche sowie die erhöhten Arztneimittelkostenanteile bezahlen. Viele alte Leute in den Heimen sind Inkontinent und benötigen Windeln. Fahrten zum Arzt, Brillen, stationäre Krankenhausaufenthalte, alles geht an das kleine Taschengeld.

Schon jetzt betteln sich alte Heiminsassen gegenseitig um eine Zigarette oder eine Flasche Bier an, weil das Taschengeld nicht mehr dazu reicht. Das Geld reicht schon längst nicht mehr für ein Stück Kuchen oder den Friseur.
Und da schrumpft das Taschengeld auf Null, wenn Medikamente zur Durchblutung, zur Herzstärkung, zur Entwässerung nehmen müssen.

Das ist das Leben, das unsere Gesellschaft für uns und unsere Eltern für die letzten Jahre des Lebens bereithält. Schon jetzt ist es unerträglich. Durch den fortlaufenden Sozialabbau, für den sich die Parteien gegenseitig auf die Schultern klopfen, wird die Bevölkerung systematisch enteignet. Angeblich muss das so sein. (js)
 
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