76. LUST, Herbst 03
 
Oberster Gerichtshof der USA erklärt antischwules/antilesbisches Gesetz für ungültig

Einige Fragen der Haltung zu den USA
von Michael Hespen
 
Am 26. Juni dieses Jahres erklärte der Supreme Court mit 6:3 Stimmen ein texanisches Gesetz für ungültig, welches Anal- und Oralsex für illegal erklärt, wenn dieser zwischen Menschen gleichen Geschlechtes betrieben wird (“Lawrence vs. Texas”). Damit verliert auch das Urteil von 1986 (“Bowers vs. Hardwick”) seine Gültigkeit, was sich auf ein ähnliches Gesetz stützte.
 
Nach 17 Jahren harten Kampfes gegen die Regierung und gegen die reaktionären Kräfte ist dies ein Zugeständnis an die Schwulen-, Lesben- und Bürgerrechtsbewegung in den USA, welches einige Konsequenzen haben dürfte.
 
In seiner 18-seitigen Urteilsbegründung führt das Gericht aus, daß das texanische Gesetz das in der Verfassung garantierte Recht auf Privatsphäre (right to privacy) verletzt. Dies bedeutet, daß ähnliche Gesetze, die Anal- und Oralsex (sodomy) zwischen Menschen gleichen Geschlechts verbieten (nämlich in Kansas, Missouri und Oklahoma) allesamt ungültig sind. Darüber hinaus werden mit diesem Urteil auch die Sodomie-Gesetze, welchen solchen Sex für alle, also auch für Heteros verbieten, ungültig. Das betrifft Alabama, Florida, Idaho, Louisiana, Mississippi, North Carolina, South Carolina, Virginia und Utah.

Diese Gesetze stellten einen wichtigen Baustein der US-amerikanischen Schwulen- und Lesbenunterdrückung dar, und wurden in einer ganzen Reihe von Gerichtsverfahren gegen Schwule und Lesben eingesetzt, sowohl im Strafrecht, als auch im Familienrecht. Dieses Urteil könnte also Konsequenzen bei Diskriminierungen am Arbeitsplatz, Vormundschaften, Adoptionen, beim Erbrecht und bei der rechtlichen Behandlung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften haben.
 
Kein Wunder, dass die US-Rechte zum weiteren Kampf bläst:
“Während es manche gut finden mögen, dass ein Stigma von einer besonderen Gruppe genommen wird, ist auch etwas anderes genommen worden – die Grenzen, die sexuelles Chaos in unserer Kultur verhindern” sagte Tom Minnery, Vizepräsident von “Focus on the Family”.
 
Der ultrareaktionäre Richter Antonio Scalia, der gegen die Entscheidung stimmte, sieht einen “Kulturkrieg über die soziale Wahrnehmung von sexueller and anderer Moral” voraus. Und Vertreter der Exekutive in den Bundesstaaten Idaho und Texas haben bereits angekündigt, dass sie in Zukunft gleichgeschlechtlichen Sex mit Hilfe anderer Gesetze bestrafen wollen.
 
Die Reaktion der Bush-Administration läßt zur Stunde immer noch auf sich warten. Sie wird zwar schwer von ihren reaktionären Anhängern bedrängt, gegen das Urteil Front zu machen, traut sich aber (noch?) nicht so recht (“USA Today”).
 
Die amerikanische Zeitung “The Nation” schreibt auf ihrer Internet-Seite:
“Laßt uns nicht vergessen, wo der Ausgangspunkt dieses Krieges ist. Es liegt in den Schlafzimmern und Straßen, in Bars und auf Parkplätzen. Hier, an diesen sowohl privaten als auch öffentlichen Orten, finden wir die Leute auf verschiedene Art und Weise mit dem Streben nach sexueller Befreiung beschäftigt, etwas, was das Lawrence-Urteil mit seiner Bestätigung sexueller Freiheit schützt, aber nicht durch sich selbst und von selbst durchsetzt.” Kurz: Auch mit Gerichtsurteil muß man/frau sich seine/ihre Rechte nehmen.
 
Ein US-Freund weist auf Folgendes hin:
“Die obersten Richter haben vor Kurzem etwas Gutes gemacht, indem sie das texanische Sodomie-Gesetz rausgeworfen haben. Natürlich wurden solche Gesetze schon vor über 200 Jahren von der französischen Revolution abgeschafft, so dass dies wirklich ein gewisses Zurückbleiben beim Einholen der Zivilisation darstellt.

Die Schlüsselfrage dieser Gesetze ist die Tatsache, dass sie das First Amendment (der 1. Verfassungszusatz, der unter Anderem die Trennung von Staat und Religion fordert) verletzen, weil sie direkt von den Lippen des Hl. Thomas von Aquinas (“unnatürlich”) genommen wurden. Also repräsentieren diese Gesetze eine direkte Linie zwischen Religion und Staat. Mit dieser Kernfrage beschäftigt sich das Urteil nicht.

Im Texas-Prozeß spielte lediglich das Recht auf Privatsphäre eine Rolle, welche die Supremes ausdehnen auf gleichen Schutz durch das Gesetz. Beides gute Punkte, aber unglücklicherweise, meiner Meinung nach, lassen sie das Religionsargument unberührt.”
(E-Mail an den Verfasser)
 
Also, alles in Allem: Ein Teilsieg ist errungen, und der Kampf geht weiter. In den USA, und selbstverständlich auch in Deutschland. Das Argument meines Freundes, die Trennung von Religion und Staat, die Trennung von Kirche und Staat viel stärker zu beleuchten, gilt übrigens auch für dieses Land. Schon seit Jahren hat man von der “schwul/lesbischen Bewegung” so gut wie nichts in dieser Angelegenheit gehört. Aber das nur nebenbei an dieser Stelle.
 
Das Allerwichtigste an dieser Angelegenheit ist aber: Ohne den Kampf der verschiedenen fortschrittlichen Bewegungen gegen Regierung und Staat hätte es in den USA nicht den allerkleinsten Fortschritt gegeben.
 
Es gibt hierzulande Gruppen, die das ganz anders sehen. Eine dieser Gruppen trat beim CSD und bei seiner alternativen Version diesen Jahres offen auf. Sie nennt sich: “Queer for Israel”(für Eingeweihte: die schwule Abteilung der “Bahamas-Gruppe”) und ihre Sicht der Dinge geht so:
 
Seit den Ereignissen des 11. September 2001 führten die USA antifaschistische Befreiungskriege, die Schwule und Lesben unterstützen sollten. Das sagte mir die Vertreterin dieser Gruppe, die eine US-Flagge auf dem alternativen Kreuzberger CSD trug. Die antifaschistischen Befreiungskriege, die sie meinte, sind die gegen Afghanistan und gegen den Irak. Auch in ihrem CSD-Flugblatt stellt diese Gruppe die USA als Vorbild hin, einschließlich der Bush-Regierung.
 
In Wirklichkeit ist es doch so: Die US-amerikanische Schwulen- und Lesbenbewegung, die im militanten Kampf gegen die New Yorker Polizei begann, und jeden ihrer Erfolge im Kampf gegen Staat und Regierung errungen hat, muss unterstützt werden und man kann von ihr lernen.

Der zweite Weltkrieg war der letzte gerechte Krieg, an dem sich der US-Imperialismus als Teil der Anti-Hitler-Koalition beteiligt hat. Seitdem haben die USA ausschließlich und allein imperialistische und ungerechte, auf Versklavung und Ausbeutung der Völker gerichtete Kriege geführt. Auch, wenn es dabei manchmal einen ihrer vorherigen “Kettenhunde” getroffen hat, wie zum Beispiel in jüngster Zeit die Taliban oder Saddam Hussein. Der US-Imperialismus gehört bekämpft, einschließlich seiner Flagge! “Queer for Israel” versucht genau diese Frage zu verdrehen.
 
Heißt das, daß man Partei für den nach wie vor antisemitischen deutschen Imperialismus ergreifen kann? Ganz im Gegenteil. Der deutsche Imperialismus ist hierzulande unser Hauptfeind, weil er die Staatsmacht innehat und uns in jedem Kampf unmittelbar gegenübersteht. Zwar ist es nicht erforderlich, die israelische Staatsflagge zu zeigen, um den Antisemitismus hierzulande zu bekämpfen, aber es ist dennoch immer richtig, das Existenzrecht Israels zu verteidigen. Das sollte aber nicht die Unterstützung der Politik der israelischen Regierung und des israelischen Staates bedeuten, was die Palästinenserfrage anbelangt. Trotzdem: Die israelische Flagge ist keine “Drecksflagge”, wie Dragking Caputo auf dem Alternativen CSD sich auszudrücken beliebte.
 
Gut und richtig ist es von “Queer for Israel”, die palästinensische Autonomiebehörde für ihre Verfolgung, Einkerkerung, Folterung und Ermordung palästinensischer Schwuler anzuprangern. Jeder anständige Mensch wird diese Position teilen.
 
Am 4. Juli 1986, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, fand unter anderem in New York City ein riesenchauvinistisches Spektakel statt - mit vielen US-Flaggen und jeder Menge nationalistischen Gesülzes. Doch Tausende von Demonstranten und Demonstrantinnen gingen damals auf die Straße, um gegen das kurz zuvor ergangene Urteil Bowers vs. Hardwick des Obersten Gerichtshofes zu protestieren, wonach Schwule und Lesben noch nicht einmal in ihrer Wohnung ein Recht auf Sex ihrer Wahl haben sollten.
 
Zwei der Parolen klingen mir noch heute im Ohr:
“This is America – fuck America!” und ”Red White and Blue I spit on you – you stand for plunder you must go under!” Auch angesichts des neuen Urteils der “Supremes” gelten diese Parolen weiter.
 
Dank an meine beiden amerikanischen Freunde David und Hänsel, ohne deren hilfreiche Hinweise und Gedanken dieser Artikel nicht hätte entstehen können.
(Alle Übersetzungen aus dem Englischen vom Verfasser)
 
Benutze Quellen:
www.queerforisrael.tk, www.thenation.com, www.lambdalegal.org, www.acluorg.news, www.motherjones.com, www.usatoday.com/
 
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