- 73. LUST, Winter 02/03
- Landtagswahlen und Klassenkampf
- Die Landtagswahlen in Niedersachsen (Ministerpräsident
Gabriel) und noch mehr in Hessen (Ministerpräsident Koch)
werden entweder dazu beitragen, dass der Wählerwille, der
bei der Bundestagswahl zur Geltung kam, endlich zur politischen
Geltung kommen kann, oder ob die Union die Bundestagswahlen doch
noch gewinnt.
Wenn Koch bleibt, wenn möglicherweise sogar Gabriel stürzt,
dann blockieren CDU und FDP im Bundesrat die Regierungsarbeit
derart, dass die Regierung eigentlich zurücktreten kann,
um der Union dann den Vortritt zu lassen. Der bei den Bundestagswahlen
zum Ausdruck gebrachte Wählerwille zählt offenbar nichts,
es wurde falsch gewählt, denn das Wahlergebnis sei ja angeblich
durch Betrug zustande gekommen. Wenn alles blockiert wird, lässt
sich die Politik der Bundesregierung dann noch mehr, als es schon
geschieht, nur noch als Gemurkse darstellen. Ein Platzen der
rotgrünen Koalition und eine große Koalition wäre
dann wohl die Konsequenz.
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- Durch eine beispiellose Einflussnahme der
Union auf alle Medien ist eine Art Generalmobilmachung entstanden.
Überall in den Schlüsselpositionen der Wirtschaft sitzen
nach 16 Jahren Kohl CDU-ler, die knappen Verlierer der Bundestagswahl,
die sich trotz Parteispendenaffäre doch schon im Regierungsamt
sahen, um die 4 Jährchen rotgrün einfach rückgängig
zu machen.
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- Die Steuergeschenke durch den Genosse
der Bosse an die Wirtschaft zählen den Wirtschaftsbossen
nichts mehr, die durch die Unionskampagne und die Unionsversprechungen
an sie Morgenluft gewittert hatten: Abschaffung des Kündigungsschutzes,
Bessere Möglichkeiten, gutbezahlte Arbeitsplätze durch
Niedriglohnplätzen zu ersetzen usw. Sie wollten den Regierungswechsel
zugunsten der Union, wollen die Wahlentscheidung des Volkes nicht
akzeptieren, und sie wollen den Wahlsieg der Union immer noch.
Die Politik zugunsten der Konzerne hatte den ArbeitnehmerInnen
zwar einige Verluste gebracht, doch hielten sich die in Grenzen,
weil das Arbeitsrecht gestärkt wurde und eher die Staatsquote
selbst belastet wurde. Doch ist dies den Konzernen und dem Teil
des Mittelstandes, der gut verdient, nicht genug. Sie möchten,
dass die Staatsquote einerseits und die Löhne andereseits
weiter gesenkt werden, damit ihr Anteil an der sozialen Verantwortung
weiterhin niedriger und niedriger werden kann, und damit ihr
Anteil an den Ergebnissen der Wirtschaft weiter und weiter steigen
kann.
Und so versuchen sie in einer beispiellosen demagogischen Kampagne
den arbeitenden Teilen der unteren Lohngruppen der Bevölkerung
weiszumachen, dass das ganze Volk selbst aufgrund seiner Wahlentscheidung
aufgrund der von ihm gewählte Regierung schuld an hohen
Preisen und niedrigem Einkommen sei und nicht die Maßlosigkeit
und die soziale Verrohung führender Wirtschaftskreise. Sie
sind sogar dazu bereit, das gesamte Sozialsystem zu ruinieren,
um auch hier ihre steigenden Vorteile weiterhin rausschlagen
zu können, denn, das wissen sie ja, wenn es den kleinen
Leuten nicht so schlecht geht, wie sie es wollen, geht es ihnen
nicht so gut wie sie es wollen.
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- Die Arbeitsleistungen der vielen kleinen
Leute scheinen nicht zu zählen, denn die hohen Herren bewegen
ja ganz andere Summen, also ist ihr Verdienst wichtiger. Sie
nennen das (und lassen das durch die Union so nennen): Leistungsgerechtigkeit.
Die sei im Argen, behaupten sie, also müssen sich die Leistungen
der hohen Herren wieder mehr lohnen. Die Leistungsgerechtigkeit
sei auch durch eine erneute Vermögenssteuer nicht gegeben,
die einige SPD-Bundesländer anstrebten.
Sie kritisieren die Macht der Verbände und meinen dabei
nicht die Unternehmerverbände, sondern die Gewerkschaften,
deren Aufgabe es ja ist, sich für die Lohnempfänger
einzusetzen. BDI und BDA, die großen Unternehmerverbände,
scheinen jenseits von gut und böse zu sein, denn denen unterstellt
man, dass alles, was sie anstreben, zugunsten der gesamten Gesellschaft
sei.
Mit ihrer Demagogie in den Medien, vom verlogenen Kanzler-Song
bis hin zu immer neuen Horror-Meldungen, wollen sie die Landtagswahlen
in Hessen und Niedersachsen gewinnen und gehen sogar so weit,
anzuzweifeln, ob die parlamentarische Demokratie überhaupt
das Richtige sei. Erst wird in BILD kritisiert, dass Eichel nicht
genug einspare, dann wird er als Vampir dargestellt, weil er
zu viel spare.
Die Journalisten von faz bis BILD rufen das Bürgertum zum
Aufstand gegen die gewählte Regierung auf, als wollten sie
drohen: wenn das Volk bei der Wahl in Hessen und Niedersachsen
auch noch falsch wählt, kommt es durch uns zum Bürgerkrieg.
Sie spielen also, um ihrer Macht und ihres Vorteiles wegen, mit
der demokratischen Ordnung, die sie offensichtlich, wenn es ihrem
Vorteil dient, für entbehrlich halten.
Helfen soll ihnen nach der Planung von Koch, der ja immer nur
die Wahrheit gesagt hat, ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss.
Dieser kann mit einem Viertel der Bundestagsabgeordneten etabliert
werden. Es wird Wahlbetrug der Regierungsparteien unterstellt.
Also, das Wahlergebnis sei nichts wert, weil SPD und Grüne
vor der Wahl gelogen hätten. Die Regierung habe angeblich,
um die Wahl zu gewinnen, die traurige Lage der Sozialversicherungen
und des Staatshaushaltes verschwiegen.
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- Es geht also um Wahlkampfaussagen, und die
sind ja tatsächlich von allen Parteien auch immer mal recht
abenteuerlich, das wissen wir alle, weiß nun allerdings
Herr Stoiber auch, mit seinen milliardenschweren Wahlkampfversprechen.
Und das wusste auch Herr Kohl, mit seinen blühenden Landschaften.
Nun ist ja Wahlbetrug dann nachzuweisen, wenn beim Auszählen
der Stimmen betrogen wird oder wenn es beim Wahlvorgang selbst
unredlich zugeht. Dies war aber nun wirklich nicht der Fall.
Was die Union in Wirklichkeit erreichen will, ist, sich als Richterin
über Wahlkampfaussagen der SPD und der Grünen aufzuspielen,
während ihre eigenen Versprechen und die Finanzaffäre
der FDP in Vergessenheit geraten sollen. Auch die Verstrickung
des brutalst möglichen Aufklärers in die
Unwahrheiten der CDU-Finanzaffäre sollen vergessen werden.
Was vor uns liegt, ist also eine beispiellose Schlammschlacht,
bei der die CDU-Ideologie zum Maßstab der Wahrheit erhoben
werden soll. Es ist dies eine Verlängerung der Bundestagswahl,
um das Wahlergebnis nicht anerkennen zu müssen und um die
Reformen der Bundesregierung nicht wirksam werden zu lassen.
Einzelne Abgeordneten der rotgrünen Regierung hatten nämlich
gegenüber einigen Presseleuten erwähnt, Erbschaftsvermögen
über eine Million Euro müsse man höher besteuern,
um die Steuergerechtigkeit und die soziale Verantwortung aller
sozialer Schichten nutzbar zu machen und nicht nur, wie schon
immer, die Arbeitnehmer, aber das sind ja völlig überzogene
Forderungen. Außerdem sollte das Kündigungsschutzgesetz
erhalten bleiben. Das sind doch völlig absurde Forderungen,
meint die Wirtschaftselite und schon meldet sich der Kanzler,
davon könne ja auch gar keine Rede sein.
Und da wir, alle Arbeitnehmer unter uns, doch wohl gar nichts
dagegen haben, gekündigt zu werden, und weil wir ja auch
ständig Erbschaftsvermögen über eine Million Euro
erben, die wir nun leider höher versteuern sollen, müssen
wir uns an dem riesigen Aufstand, den die Journalisten, die Unternehmerverbände,
CDU und FDP unternehmen, beteiligen. Schließlich sollen
ja grade wir Arbeitnehmer bei den beiden Landtagswahlen glauben,
die Bundesregierung gehe uns an den Kragen.
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- Die Stimmungsmacher der gehobenen Einkommen
in den Medien tun das Ihrige. Und der BDI-Chef Rogowski, CDU,
klagt über eine angebliche Steuererhöhung für
die großen Konzerne, weil die sie entlastende Steuerermäßigung
wegen der Flut um ein Jahr verschoben wird. Man merke, eine Steuerentlastung,
die man immer als zu niedrig kritisierte, die nun etwas später
kommt, wird einfach Steuererhöhung genannt. Er vergisst
dabei, die riesige Steuerermäßigung für diese
Konzerne in der vergangenen Legislaturperiode zu erwähnen.
Diese alle also schreien also nun Wahlbetrug und
hoffen auf eine Wende in Niedersachsen mittels eines solchen
Wahlkampfes und gehen von Kochs Verbleiben aus, denn der soll
ja dann, als erfolgreicher hessischer Ministerpräsident,
gegen Schröder in vier Jahren antreten. Hier ein Auszug
aus dem Bericht über den CDU-Parteitag:
-
- Ohne besonders ins Detail zu gehen,
forderte Merkel den Abschied von der Politik des Augenblicks
und stattdessen die Rückkehr des Politischen.
Deutschland müsse seine nationalen Interessen definieren,
ohne in die vom Kanzler gebrauchte Formulierung eines deutschen
Sonderwegs zu verfallen. An die eigene Partei appellierte
Merkel, sich auf jene Werte zu besinnen, die Christdemokratie
pur seien. Sie sprach von der Wiederentdeckung der Religion
und Ethik, von der Bedeutung der Heimat sowie vom Bedürfnis
nach innerer und äußerer Sicherheit. Dies alles münde
in einer neuen bürgerlichen Gesellschaft. Merkel
sagte: Das ,C ist heute so aktuell wie einst. Dieses
,C macht uns zukunftsfähig.
Merkel gestand Defizite der Partei in der wichtigen Frage der
Reform der sozialen Sicherungssysteme ein. Sie kündigte
an, eine Reformkommission zu berufen. Ihrer Meinung nach werden
die Pläne der Hartz-Kommission die erwarteten Entlastungen
auf dem Arbeitsmarkt nicht bringen - darin sei zu sehr der
Geist des Staatsinterventionismus enthalten. Die Union
will den schwachen Start der rot-grünen Koalition in Berlin
nutzen, die im Frühjahr 2003 in Hessen und Niedersachsen
anstehenden Landtagswahlen zu gewinnen. Hessens Ministerpräsident
Koch kündigte an, die Wahl am 2. Februar zur Volksabstimmung
über Rot-Grün zu machen,
-
- schrieben Thomas Kröter und Axel Vornbäumen
von der Frankfurter Rundschau über den CDU-Parteitag. Also
wird die Union beten, dass sich alles irgendwie fügen wird?
Oder sollen eher wir beten?
Bei diesem Parteitag war es auf Anregung von Stoiber vermieden
worden, über die Gründe der verlorenen Bundestagswahl
zu sprechen. Es wurde außerdem vermieden, irgendwelche
programmatischen Aussagen zu machen, um dem Gegner
keine Argumente für den Wahlkampf zu liefern. Es ist ja
auch leicht, das Programm des Gegners und überhaupt den
Gegner zu kritisieren und dabei kein eigenes Programm vorzustellen.
Wir werden also die unappetitlichen Lügereien und Verdrehungen
des Wahlkampfes bis Anfang Februar weiter erleben müssen,
weil dummerweise das Volk (der Souverän) nach Meinung der
hohen wohlhabenden Herren und Damen falsch gewählt hat.
Und natürlich: die SPD hat im Wahlkampf gelogen, sonst wäre
natürlich die Union gewählt worden, und mit ihr alle
die, die Millionäre werden wollen. Oder?
Das tra
- urige an dieser Sache ist aber, dass rotgrün
gar nicht entschlossen auf der Seite der immer ärmer werdenden
arbeitenden Bevölkerung nun in den Kampf zieht, sondern
eher soft und elastisch nachgibt, wenn der Druck von oben (Wirtschaft)
und der Union zunimmt. Es scheint so, dass der engagierte Politiker,
der Konturen zeigt, irgendwie abhanden gekommen ist und stattdessen
Sachwalter höherer Interssen miteinander wetteifern, wer
den Interessen der wohlhabenden Damen und Herren besser dienen
kann. Offensichtlich ist in diesem Zusammenhang die Union bereit,
sehr weit zu gehen und zornig das Bett mit zu verbrennen, in
dem die anderen liegen, nur weil sie selbst nicht drin liegt.
Im Kampf von schwarzgelb um die besser bezahlten Posten wollen
sie offensichtlich den Eindruck erwecken, an wirtschaftlicher
Not der unteren Schichten sei rotgün schuld.
Die wirtschaftliche Lage ist nicht nur in Deutschland,
sondern in der ganzen EG nicht besonders, auch nicht in den USA
und schon gar nicht in Japan. Da will man wohl wenigsten seine
Profite in Deutschland sichern. Die gegenwärtigen Renten
sollen gekürzt werden, die Löhne bei Arbeitsvermittlungsunternehmen
um 30% gesenkt werden, dann gehe es wieder aufwärts, versprechen
sie. Und dass die Regierung sie enttäusche, schreiben die,
die ohnehin eine andere Regierung gewollt haben.
Aus dem Schwitzkasten der Wirtschaftsangst will man die Regierung
nicht rauslassen, das Thema soll weiterhin am Kochen gehalten
werden, denn für die wohlhabenden Gutverdienenden geht es
ja nicht darum, was sie essen werden, oder ob alles vergiftet
oder krankmachend ist, sie können sich auch anderes leisten.
Es geht ihnen zum Beispiel bei ihren Forderungen zur Gesundheitsreform
nicht darum, dass bessere medizinische Hilfe für kleine
Leute dann immer unerschwinglicher wird, weil es sie selbst gar
nicht betrifft. Sie möchten also, dass die Regierung, die
zu ihren Gunsten Reformen machte wie keine vor ihr, dass diese
Regierung dennoch immer weiter in ihre Taschen hinein arbeitet,
unabhängig davon, was der Wählerwille aussagt.
Es geht, so scheint es, um scharfen Klassenkampf von oben. Und
da ist die Regierung noch immer nicht entschlossen genug auf
der Seite der Union und der Millionäre. Die vielen kleinen
Erleichterungen für uns, die Regelung des Verbraucherschutzes,
die Bekämpfung der Diskriminierung von Lesben und Schwulen,
die Gleichstellung der Frau in weiteren Bereichen der Gesellschaft,
die Bildung breiter Bevölkerungsschichten im Gegensatz zu
bayerischen Eliteschulen, das Kindergeld und anderes sind für
sie völlig unwichtig, in diesen Bereichen haben sie ja keine
Probleme, einzig auf den kleineren Gewinn für sie sollen
wir unser Augenmerk richten, wenn sie von Wahlbetrug und dem
Ende des demokratischen Zeitalters reden. (js)
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