- 73. LUST, Winter 02/03
- Dichtung und Homosexualität
Die Dichtung homosexueller Menschen
konnte kein eigenständiges Genre entwickeln.
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- Das Irreführende ist schon in der Fragestellung
verborgen, denn homosexuelle Menschen oder genauer
homosexuelle Dichterinnen und Dichter gibt es zwar,
aber als literarisch zu kennzeichnende Gruppe mit gemeinsamen
Merkmalen im Eigentlichen nicht. Es gibt auch keine homosexuelle
Literatur, und daher gibt es kein homosexuelles Genre der Literatur.
Erstaunt über diese Behauptung?
Wenn ich als schwuler Mann ein Buch über Probleme beim Verwenden
der neuen Rechtschreibung schreiben würde: Ist das dann
ein homosexuelles, genauer (da ich ein Mann bin): ein schwules
Buch? Und wenn eine Lesbe sich den Spaß macht, eine erotische
Geschichte zu schreiben, die von Sex zwischen zwei Männern
handelt, ist das eine lesbische oder eine schwule Geschichte?
Wenn ein schwuler femininer Mann sich in eine heterosexuelle
Frau hineindenkt, beim Schreiben einer erotischen Geschichte,
ist das ein Frauenroman oder was ist das?
Beschreibungen über sexuelle Handlungen zwischen Frauen
und/oder solche zwischen Männer gibt es offensichtlich,
seit es überhaupt Beschreibungen gibt. Sicher, Beschreibungen
sexueller Handlungen zwischen Männern und Frauen gibt es
ebenfalls seitdem. Aber das sind dennoch keine heterosexuellen
Beschreibungen, wie die anderen keine homosexuellen Beschreibungen
sind, sondern bestenfalls die Beschreibung von Sexualität
in ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen. Da es Homosexualität
als Teil der menschlichen Sexualität eben schon immer und
überall gab, gibt es auch deren Beschreibung schon immer,
wo immer Sexualität beschrieben wurde.
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- Legitimation für eine eigenständige
Literatur
Ist es also nicht legitim, eine spezielle Literatur für
homosexuelle Menschen als eigenständige Literatur haben
zu wollen? Nun gut. Wenn in der üblichen Literatur dieses
Thema nicht angemessen vorkommt, wenn es ignoriert wird oder
nur herabwürdigend beschrieben, dann muss sich eine Ergänzung
entwickeln, die manche auch als Alternative ansehen, was aber
einen Irrtum darstellt.
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- Denn was dann entsteht, ist keine Alternative
zur bestehenden Literatur, sondern ein Wurmfortsatz der bestehenden
Literatur, der sich in einer Nische einrichtet.
Als ich vor vielen Jahren begann, die Zeitung Nummer
herauszugeben und in ihr mitarbeitete, war ich irritiert, wenn
ein neugieriger Leser kurz durchblätterte und meinte, hier
gehe es ja nur um Schwules. Enttäuscht erklärte
ich ihm, es gehe nur selten um Sexuelles, sondern um Politik
und Kultur, und ich sagte zu ihm, dass es nach dieser Auffassung
zum Beispiel im SPIEGEL nur um Heterosexuelles ginge. Nein, meinte
der, im SPIEGEL gehe es um Normales. Aber bei meinem Blatt doch
auch, antwortete ich, nämlich hier geht es um Theaterstücke,
dort sind Nachrichten, und hier findest du eine politische Analyse.
Aber alles nur Schwules, beharrte mein Gesprächspartner,
der nicht einmal zur Kenntnis genommen hatte, dass es auch um
Lesben ging.
Schwules hat nichts mit mir zu tun, sagt mir sinngemäß
dieser Hete und grenzt mich damit aus, nicht nur meine Sexualität.
Er verdrängt mich auf einen für ihn abstoßenden
sexuellen aber eben auch gesellschaftlichen Randbereich, will
alles von mir zusammen mit diesem von ihm nicht geliebten Thema
völlig ausklammern. Und diese Ausklammerung will er zu meinem
Problem machen, während der heterosexuelle Blick für
ihn eben nicht auch ein verengter spezieller, sondern der normale
Blick ist. Das ist wohl im großen und ganzen die Haltung
eines heterosexuellen Mannes gegenüber einem homosexuellen.
Homosexualität ist dem Heten, selbst bei aller Freundschaft,
offensichtlich immer noch eine Anfechtung, die ihn in allen Augen
lächerlich machen würde, besonders in seinen eigenen.
Und letztlich wäre das Identifizieren mit mannmännlicher
Lust deshalb abstoßend, weil es im Grunde herabwürdigend
wäre, vielleicht nicht unbedingt nach seiner Meinung aber
eben nach seinem Gefühl.
Wenn so viele problematische Aspekte für ihn mit Homosexualität
verknüpft sind, kann er kaum Lustvolles mit ihr in Verbindung
bringen, und das wäre ja zum Nachvollziehen notwendig. Und
deshalb würde er ein Buch mit Erlebnissen die in einem homosexuellen
Umfeld stattfinden, wenn das offen auf dem Titel prangt, auch
nicht in die Hand nehmen. Und in den Buchläden in den großen
Kaufhäusern findet man offene lesbische und schwule Literatur
kaum oder eben in einer abgelegenen und nicht leicht zu findenden
Ecke, da sie keine massenhafte Kundschaft bringen kann. Höchstens
noch Ärger mit schwulenfeindlichen Männern und Frauen
und mit lesbenfeindlichen Frauen (denn Männer sind ja nicht
lesbenfeindlich, sondern wollen Lesben eher rumkriegen, am besten
gleichzeitig zwei von ihen. Oder?).
Unter solchen Bedingungen brauchen wir natürlich für
uns selbst eigenständige Bücher, Zeitschriften, andere
Medien, sogenannte Betroffenenliteratur, und die eigenen Plätze,
wo man sie auch bekommen kann, die dadurch allerdings deutlich
sexueller sind als das ach so normale Schriftgut.
Solche sexualisierten Medien und Plätze werden dann erst
recht von der normalen Literatur als pornographisch angesehen
und nicht positiv zur Kenntnis genommen. Heten benötigen
meistens für ihr Selbstbild die Distanz dazu und können
unsere Empfindungen und unsere Nischen-Lebensart höchstens
von außen begutachten. Unsere Medien sind dann also deshalb
etwas, das außerhalb der offiziellen Literatur steht, weil
es sozusagen als eine Schmuddelecke der Literatur angesehen wird,
wie die Pornographie. Während sich auch für Lesben
und Schwule die Hetenwelt weniger pornographisch darstellt, erscheint
die eigene Lesben- und Schwulenwelt, besonders letztere den Lesben
und Schwulen gerade deshalb suspekt.
Denn unsere Leute leben ja dennoch in der offiziellen Welt, können
sich in die Gefühlswelt ihrer Eltern, Geschwister und Freund
hineindenken, lesen die offiziellen Medien und zusätzlich
vielleicht auch einen Teil der eigenen Medien. Das ist ihnen
aber im Grunde genauso unangenehm, wie das schwul und lesbisch
sein, denn viele wären gerne lieber normal.
Die meisten, die Unwissenden und Unbedachten von uns, wenden
sich voller Verachtung von unseren eigenen Medien ab, zumindest
unseren engagierten Medien, denn jeder von uns ist natürlich
weit mehr von den offiziellen Medien geprägt als von unseren
Selbstbehauptungsmedien, die im übrigen die offiziellen
Medien auch nicht ersetzen können. Und unsere Appelle widersprechen
auch moralisch den Auffassungen des sonstigen Umfeldes von Lesben
und Schwulen, wenn es ihnen um Emanzipation geht.
Bei einem Schulklassenbesuch meinte eine Mutter, Homosexuelle
könnten nicht normal befreundet sein, würden sich abgrenzen.
Ja wie geht denn ein Hete mit mir um, wenn ich ihm anvertraue,
dass ich mich in ihn verliebt habe? Er geht nicht einen Schritt
auf mich zu, sondern er muss mich für seine Selbstachtung
abgrenzen. Oder kann ein Hetenmann ohne erotische Nebengedanken
mit einer Frau kameradschaftlich verkehren, die in sein Beuteschema
fällt? Für Kameraderie dient ihn höchstens eine
Frau, die ganz außerhalb seinen Beuteschemas liegt, und
so erklären sich die blöden Witze über hässliche
Karrierefrauen im Berufsleben usw.
Sicher, so ist das. Man grenzt uns aus und wirft uns Isolationismus
vor, denn wir könnten ja auch am normalen Leben teilnehmen,
bräuchten keine eigenständige Kultur und Literatur
und eine eigenständige Szene. Mit einem kleinen bisschen
guten Willen kann frau als Lesbe, kann man als Schwuler auch
ganz gut unter Heten leben. Man muss natürlich ihre Heterosexualität
achten, den Rest können wir ja im Verborgenen erledigen.
Eine Lesbe kann auch ihren Mann stehen, meinen sie, und ein Schwuler
kann auch ein guter Kamerad sein, so lange er uns mit seinen
Schwulitäten in Ruhe lässt. Und unter solchen Bedingungen
kann man sich ja auch mit uns schmücken, auf Parties usw.
weil man ja so tolerant ist, sogar eine Lesbe oder einen Schwulen
normal zu behandeln.
-
- Unsere Literatur
Wenn wir unsere Literatur sichten, dann finden wir
hier einmal Aufklärendes und Mutmachendes. Das geht aber
gar nicht so gut, sagt uns der Buchhandel. Das will niemand lesen,
die Heten natürlich schon gar nicht. Dann gibt es Erotisches
und Triviales. Ins schwule Erotische schauen schaudernd und fasziniert
neugierige verwegene junge Frauen. Selbst schwule Pornos werden
von Frauen interessiert angeschaut. Sie meinen, die Schwulen
machen dabei lustvoller mit als zum Beispiel die Frauen in Heten-Pornos.
Das kann ich mir gut vorstellen. Man braucht nur mal in solche
Chat-Lines schauen, in denen schwule Männer sich gegenseitig
ihre Körperteile vorführen.
Ins lesbische Erotische schauen lüsternd heterosexuelle
Männer, stellen sich vor, dass sie da mitmischen könnten
und sich alles um sie dreht. Deshalb sind die Lesben-Porno-Seiten
im Internet so unlesbisch. Frauen sitzen mit offenen Körperöffnungen
nebeneinander und schauen verträumt auf das Objektiv der
Kamera. Übrigens, schwule triviale Liebesromane werden oft
von Frauen geschrieben.
Erotisches und Triviales, das sind dann die wirtschaftlichen
Grundlagen des Handels und der Verlage unserer Szene. Unterschiedliche
mehr oder weniger sachliche, zumeist aber triviale Sachbücher
und Ratgeber finden auch ihre KäuferInnen. Das war es im
wesentlichen. Also eine typische Randgruppenliteratur, eine Insel
ohne Möglichkeit, außerhalb Interesse vorzufinden,
denn die männlichen Heten interessieren sich im Großen
und Ganzen nicht für Schwules, man ist ja nicht
so, im Gegenteil. Und weibliche Heten kommen mit
dem Lesbischen nicht zurecht, wollen es auch gar nicht, sind
nach Höherem, nach dem Mann ausgerichtet. Dem wollen sie
gefallen und an ihm leiden sie in ihren trivialen Romanen, die
im übrigen recht oft von schwulen Männern geschrieben
werden.
-
- Gegen die Selbstisolation in der Literatur
Und wir, interessieren wir uns für Hetiges? Doch, das tun
wir. Wir sehen Filme, in denen sich Heten finden und irgendwo
vielleicht noch ein Schwuler bei der Bewältigung von Problemen
hilft, wenn man sich tolerant gibt, oder er ist eben
an einem Kontakt interessiert, wenn man ihn als lästig schildern
will, oder er leidet furchtbar, wenn man sich dadurch zum besseren
Menschen macht, in dem man was für die armen Unterdrückten
tut.
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- Es gibt auch noch den unterhaltenden oder
lustigen Schwulen als Partyclown, nicht zu vergessen die Tunte,
über die Frauen und Männer anzüglich lachen dürfen.
Oder Schwule sind Verbrecher. Lesben werden schlicht ignoriert,
meistens zumindest. Mal sind sie auch Mörderinnen oder tragisch
Verliebte, weil die Angebetet sich dafür entscheidet, anständig
zu leben, also mit einem Mann. Anders kan es ja auch gar nicht
sein, weil das ja dann Verführung zur Homosexualität
wäre.
-
- Aber am wichtigsten ist die Familie mit Kindern,
sind die Liebesgeschichten zwischen Mann und Frau, unerfüllte
und erfüllte. Und da identifizieren sich manche Lesben mit
einem Mann und schmachten nach einer femininen Frau, die sich
ihnen hingibt und sie liebt. Da identifizieren sich feminine
Schwule mit Frauen und lassen sich von den Helden erobern. Oder
Macho-Schwule identifizieren sich mit dem männlichen Helden
und, wenn es im Fernsehen gebracht wird, gehen sie bei deren
Liebesszenen mit den weiblichen Schauspielerinnen auf die Toilette,
wie andere bei der ungeliebten Werbung oder bei anderen uninteressanten
Szenen.
Lesben und Schwule gehen ins Theater, auf Konzerte, in Museen
und ignorieren ganz einfach, dass alles nur hetig ist. Schließlich
waren wir ja auch im Prinzip hetig, vor unserem Coming-out, und
eine solche Erfahrung schreckt uns nicht, interessiert uns eben
nicht mehr besonders. Wir haben Besseres kennen gelernt, oder
genauer: uns Angemesseneres. Um es also zusammenzufassen, die
Kontaktscheu haben im wesentlichen die Heten, sie bauen die Mauern
um uns.
In der großen Literatur, da ist es deshalb teilweise anders,
weil dort eben auch männliches und weibliches Homosexuelles
auftaucht. Die lateinamerikanische Literatur zum Beispiel ist
voll von homosexuellen Anteilen. Eigentlich die gesamte mediterrane
Literatur. Nein, nicht als spezielle Literatur, sondern als Teil
des Lebens. Aber auch in Teilen der deutschen Literatur finden
wir das, in der französischen, in der anglo-amerkanischen.
Denken wir nur an die Manns, was die deutsche Literatur betrifft,
Christa Reinig oder Hubert Fichte, Hans Henny Jahnn und andere.
Homosexualität ist hier nicht eine Angelegenheit fremder
Leute, sondern ist Teil des Lebens, hier und da zumindest. Viele
große literarische Werke wurden von Menschen geschrieben,
die überwiegend oder ausschließlich homosexuell verkehrten.
Ein erkennbarer Lesbenroman, ein Schwulenroman aus unserer Szene
wird kaum zur großen Literatur werden können. Solche
Werke unsrer Szene der leichten Muse befriedigen Trivialeres
einschließlich dem Tragischen, und sind sie weniger trivial,
dann finden sie keinen Markt. Zu wenige werden es mögen.
So ist das.
Es gibt in der großen Literatur nur einen akzeptablen Weg,
auf dem wir uns auch ansatzweise wiederfinden können, indem
die Trennung nicht vorkommt, vielleicht auch aufgehoben wird,
wo es Not tut, und ein Mensch nicht kategorisch dieses oder jenes
ist, ein für allemal.
Und siehe da, etwas Neues eröffnet sich uns. Wenn wir die
Sexualität nicht notgedrungen auch aufteilen, sondern von
der einen menschlichen Sexualität ausgehen, die viele Facetten
hat und ganz unterschiedlich ausgelebt wird, ist es vielleicht
möglich, nicht die Homosexuellen sondern die Ausgrenzenden
zu isolieren, die zum Beispiel die selbstverantwortete Sexualität
abwehren und das Ausleben der Sexualität in feste Strukturen
einsperren wollen, die Abweichler der unterschiedlichsten Kategorisierungen.
Und so ist das auch in der Literatur. Die gedankliche Vielfalt
in der großen Literatur macht sie doch erst lesens- und
miterlebenswert. Meiner Meinung nach gibt es nicht unsere
Literatur und die andere Literatur, sondern eine große
Literatur, die nur durch solche Leute gestört wird, die
aus- und abgrenzen wollen.
Die Sappho, Simone de Beauvoir, Audre Lorde, Adrienne Rich, Virginia
Woolf, Sandro Penna, Pier Paolo Pasolini, Jean Genet, Jean Cocteau,
yves Navarre, Jamen Baldwin, William S. Burroughs, und wie sie
auch sonst heißen sind Teil der Weltliteratur und zwischen
ihnen und den trivialen Medien auch unserer Szene gibt es kaum
Brücken.
Sappho, die adlige Dame im vorübergehenden Exil, lebte dort
ohne ihren Mann (ja, sie hatte einen Ehemann) und leitete eine
Schule höherer Mädchen. Die jungen Mädchen wurden
dort auf ihre Aufgaben in der Ehe vorbereitet. Ihre romantischen
Liebesgedichte an einige ihrer Schülerinnen gehören
zur großen Literatur und die Insel Lesbos wurde zur Namensgeberin
der Liebe zwischen Frauen. Die heutigen lesbischen Frauen würden
sicherlich die pädophilen Neigungen dieser adligen Frau
gegenüber ihren abhängigen Schutzbefohlenen nicht billigen
können.
Pier Paolo Pasolini, der katholische Kommunist und Liebhaber
junger Männer hat erotische Filme, überwiegend heterosexuelle,
gedreht, die ein Magnet für heterosexuelle BesucherInnen
waren, und auch in den heterosexuellen Liebesszenen erkannten
sich Schwule wieder. In seinem Roman Der Atem Indiens
zum Beispiel erleben wir mit ihm einen Blick in die heiße
Nacht einer Stadt Indiens, den heterosexuelle Frauen und Männer
sehen und entdecken können und den schwule Männer,
obwohl davon nicht die Rede ist, als schwulen Blick nachfühlen
können.
-
- Der spezielle Blick
Nun gibt es den hetigen Blick auf die Welt, verursacht aus dem
heterosexuellen Bezugsrahmen, und eben auch den anderen Blick,
wiederum verursacht aus dem Bezugsrahmen, der für lesbische
Frauen oder schwule Männer in einer heterosexuell dominierten
Welt eben existiert. Am Blick erkennen wir uns und dieser Blick
auf die Welt ist auch überall in der großen Dichtung
zu entdecken, die nie in irgendeiner Weise mit Homosexualität
in Verbindung gebracht wurde und wird. Eine Abteilung der Universität
Gesamthochschule Siegen unter Professor Wolfgang Popp, Professor
Dr. Gerhard Härle und Dr. Marita Karlson-Lauritz und anderen
gibt unregelmäßig das Forum Homosexualität
und Literatur heraus, das in wissenschaftlichen Beiträgen
in der Literatur diesen Blick aufspürt.
So schreibt in der Ausgabe 40/2002 Anette Runte: Die Geometrie
des adligen Geschlechtertausches. Vormoderne Travestie im höfischen
Raum des französischen Absolutismus am Beispiel des Abbé
de Choisy. Claudia Berger: LudwigsLust. Räume un/möglichen
Königsbegehren. Dirck Linck: Hinter schwarzen Schotten.
Notizen zur literarischen Existenz schwuler Städtebewohner.
Astrid-Elke Kurth: Heterot(r)opos closet. Eine Analyse am Beispiel
von Mario Wirz Es ist spät, ich kann nicht atmen.
Wolfram Setz: Antonio Roccos Der Schüler Alkibiades.
Ein Buch und seine Leser. (Dieses Buch, von Wolfram Setz überstzt,
rezensierten wir in der 71. LUST) Wolfgang von Wangenheim: Erschütterungen,
Erinnerung, Gesittung. Nachleser zur Thoma-Mann-Biografik. Natürlich
noch andere Beiträge.
Diese Auflistung soll hier nur den Forschungsansatz aufzeigen.
Gibt es also den lesbischen Blick, den männlich heterosexuellen
und den weiblich heterosexuellen, den schwulen Blick? Ich meine
ja.
Dieser Blick ist Ausdruck einer Identität, die sich aus
den Reibungen mit den gesellschaftlichen Strukturen, der geschlechtlichen
und der sexuellen Identität ergibt. Und genau deshalb kann
es den lesbischen oder schwulen Blick, erkennbar durch die Jahrhunderte,
wahrscheinlich eher nicht geben, da die gesellschaftliche Wirklichkeit
der betreffenden Menschen sich wandelte und weiter wandelt.
In Ansätzen nachweisbar ist dieser Blick aber wohl schon,
ableitbar aus den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen.
Als kategorisches Erkennungszeichen ist er teilweise wohl auch
vorhanden, weil die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bezüglich
der Geschlechter und sexuellen Verhältnisse sich so schnell
nicht ändern und geändert haben.
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- Aber als absolute Aussage kann es dies nicht
geben. Lesben und Schwule, also Menschen, die ein entsprechende
Identität haben, gibt es noch nicht so lange. Ausgelebte
oder unterdrückte Homosexualität wohl schon immer.
Aber die betreffenden Menschen hatten sicher eine jeweils andere
Identität, zum Beispiel die des verworfenen Sünders
oder die des genießenden Philosophen, der seinen Freiraum
nutzte.
Es gibt also in der Literatur und nicht nur dort den speziellen
Blick, aber es ist absolut unwahrscheinlich, dass dieser Blick
ein literarisches Genre begründet. (js)
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