73. LUST, Winter 02/03
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- Bildzeitung
- Dass gerade die Bildzeitung zu der am
meisten von Lesben und Schwulen gelesene Informationsquelle gehört,
hat etwas mit ihrer riesigen Auflage zu tun. Jede Bevölkerungsgruppe
in unserer Gesellschaft hat die Bildzeitung als wichtigste Print-Informationsquelle.
Als überwiegende Männerzeitung, die oftmals recht frauenfeindliche
Töne anschlägt, hat Bild auch mehr Leserinnen als irgendein
anderes Print-Medium.
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- Selbst bei nationalen Minderheiten, die auch
zu den Aggressionsobjekten von Bild gehören, hat Bild eine
starke Stellung. Zwar wird Bild besonders von Arbeitnehmern gekauft
und dort besonders von den schlecht Ausgebildeten und den Niedrigverdienenden,
aber wegen der hohen Auflage erreicht Bild mehr Besserverdienende,
Manager und Unternehmer als irgendein anderes Print-Medium.
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- Bild richtet sich zwar besonders an Menschen
mit geringer Schulbildung, aber auch unter Abiturienten ist Bild
wegen der gewaltigen Verbreitung die meistgelesenste Zeitung
unseres Landes. Bild ist vor allem eine Zweitzeitung und ergänzt
oder korrigiert Eindrücke aus anderen Print-Medien und natürlich
auch dem Fernsehen.
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- Zum Medium selbst
Aus der vermeintlichen Sicht zu kurz Gekommener zelebriert Bild
Bewunderung für die wirtschaftlichen Sieger in der Gesellschaft.
Der Millionär ist wie der Filmschauspieler oder Monarch
ein Klatschobjekt und nicht die Ursache der Armut großer
Gruppen der Bevölkerung.
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- Man möchte so sein wie er und die Möglichkeiten
von ihm haben, man liebt und leidet mit ihm und verachtet alle,
die dem Millionär das Geldmachen gefährden könnten:
selbstbewusste Untergebene, Gewerkschaften, solche politische
Parteien, denen es um eine strukturelle Verbesserung der Lebensbedingungen
kleiner Leute geht usw.
Bild arbeitet mit Feindbildern, mit Neid- und Hasskampagnen,
mit einem Gemeinsamkeitsgefühl der ständig zu kurz
Gekommenen. Das faule teure Leben der Oberen Zehntausend
wird nicht kritisiert, sondern bewundernd umschrieben.
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- Bild beschwört Gefahren durch Fremdes
und Fremde und durch solche Menschen, die als Arbeitnehmer nicht
genügend arbeiten, die arbeitslos und/oder abhängig
von Sozialhilfe sind. Dies geschieht aber nicht aufdringlich,
sondern eher immer aus gegebenen Anlass, also in
Form von kommentierenden Artikeln über tatsächliche
oder erfundene Ereignisse.
Selbst krasse aufdringliche Fälschungen wie bei dem Foto
über den Umweltminister Trittin scheinen die Bild-LeserInnen
an ihrer Verbundenheit mit diesem Medium nicht zu irritieren.
Man sagt, dass man nicht alles glaube, was dort veröffentlicht
wird, doch man ist mit der Tendenz der Berichterstattung
im Grunde einverstanden.
Von der Couleur her ist Bild rechts. Das Blatt ist seit Jahrzehnten
eines der gefährlichsten Manipulationsinstrumente. Man könnte
darüber diskutieren, warum von diesem Blatt immer nur anti-emanzipatorische
und anti-soziale Tendenzen vertreten werden, warum ständig
Volkszorn gegen soziale Einrichtungen, sozial engagierte
Politiker usw. gelenkt wird.
Bild hätte seine Marktführerschaft nicht erreichen
können, wenn eine andere Couleur in diesem Print-Medium
zum Ausdruck käme. Der wirtschaftliche Erfolg von Print-Medien
ist von Werbeschaltungen abhängig, die ihrerseits wegen
der hohen Auflage auch die Garantie bieten, dass die Werbebotschaft
viele Menschen erreicht.
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- Und die hohe Auflage ist von KäuferInnen
abhängig, die dem Vertrieb und den Verkaufsstellen genügend
Einnahmen bringen. Für diesen Kaufwunsch arbeiten sogenannten
Journalisten, die gut bezahlt werden können, weil die hohen
Werbeeinnahmen dies ermöglichen. Diese Spezialisten haben
die Aufgabe, den Bild-LeserInnen zu suggerieren, es ginge um
ihre Interessen. Verlosungen und die Kampagne Bild hilft
tragen dazu bei. Kleine aufklärende Artikel über Dinge
des Alltags helfen auch mit, und weil die überwiegend stimmen,
stimmen die politischen Einschätzungen natürlich auch.
Es gibt hier im eigentlichen Sinne keine klassische Berichte
und Kommentare, auch keine Trennung zwischen ihnen, sondern es
geht um News-Entertainement, um die Unterhaltung mittels Nachrichten
oder Kommentare. Die Unterhaltung hat Vorrang vor der Glaubwürdigkeit.
Dieses Ziel erreicht Bild hervorragend. Man liest oder überfliegt
die Artikel, freut sich über die kleinen pornographischen
oder diskriminierenden Assoziationen und hat das zufriedenstellende
Gefühl der bestätigten Vorurteile.
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- Analyse
Analysieren wir mal eine zufällige Seite aus einer zufälligen
Ausgabe dieses Blattes. Ich nehme die Seite 9 der Bildzeitung
vom 24. Oktober 2002, die die Seitenüberschrift Bild
Frankfurt trägt.
- Zuerst die Beschreibung
Die untere Hälfte des Blattes besteht aus zwei farbigen
Anzeigen von je ¼ Seite: Die amerikanische Kinderspielzeug-Ladenkette
Toys R US macht Werbung für einen Rechner mit
Monitor, Scanner und Tintenstrahldrucker für 1.299 Euro.
Links daneben macht DELL Werbung für einen Rechner
zu 1.555 Euro und ein Notebook zu 2.199 Euro. Vielleicht schon
für das Weihnachtsgeschäft, denn am 1. oder am 15.
November bekommen die das 13. Monatsgehalt oder Weihnachtsgeld,
die es noch bekommen.
Oben Quer auf der Seite in Fettschrift weiß auf rot: Fünf
Stunden nach der Geburt und weiß auf schwarz Mutter
flüchtet ohne Baby aus der Klinik! Aus dem in der
Wortwahl relativ sachlich gehaltenen Artikel geht hervor, dass
die Frau wahrscheinlich aus Polen stammt. Ein Foto, das von einer
Krankenschwester gemacht worden sei, verwischt etwas den Eindruck,
dass es sich um einen Steckbrief handelt. Doch der letzte Satz
des Artikels heißt: Die Polizei erbittet Hinweise.
Links darunter in großer Aufmachung Das Superhirn
aus dem Gallus, Samstag will er den Weltrekord. Als Sensation
aufgemachte Werbung für eine Sendung im Fernsehen, wobei
der Kandidat herausgestellt wird. Über der Werbung auf der
rechten Seite findet sich der Artikel Ich bin eine Sozial-Schnorrerin!
Und ich bin stolz drauf.
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- Der Artikel beginnt mit folgender Aussage:
Sie kosten den braven Steuerzahler Milliarden: die Sozialschnorrer.
Also werden hier wohl alle Sozialhilfeempfänger als Sozialschnorrer
bezeichnet, denn die Frau alleine, von der hier geredet wird,
kostet ja wohl kaum Milliarden, beim besten Willen nicht. Es
gibt auch ein Foto von Michaela H. (25) bei dem das
Gesicht unkenntlich gemacht wurde. Und die junge Frau sagt angeblich
zu Bild, dass sie mit 18 Jahren 2.800 Euro Möbelgeld beantragt
und erhalten habe, obwohl ihre Bude schön eingerichtet sei,
denn das hätte sie sich von ihrem Freund geschnorrt.
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- Zur Sozialhilfe verdiene sie 600 Euro im
Monat schwarz hinzu. Dann habe sie im Amt erzählt, dass
ihr Bett beim Sex kaputt gegangen sei, dafür habe sie 200
Euro erhalten. Doch nicht immer will sie den Staat ausnehmen,
lese ich da, wenn ich einen reichen Mann kennen lerne,
nehme ich den aus. Dieses Zitat verwischt den Eindruck,
dass man hier die Sozialhilfeempfänger diskriminieren will,
sondern nur Menschen mit einem schmarotzenden Charakter.
In der Mitte des Blattes, direkt neben dem Fake 13-Jährige
überfiel Bank, um Zirkus zu helfen als Platzschließer
finden sich drei Kanzlerwitze. Der Witz im ersten
Witz liegt darin, dass Schröder nichts zur Arbeitslosigkeit
in den neuen Ländern gesagt habe. Im zweiten Witz wird ausgesagt,
dass ein Hummer beim Abkochen rot werde, der Kanzler jedoch nicht
(????).
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- Im dritten Witz telefoniert Schröder
mit seiner Mutter und erzählt ihr, dass er weitere 4 Jahre
den Dienstwagen behalten dürfe und nach der nächsten
Diäten-Erhöhung könne er sich eine Motoryacht
leisten. Seine Mutter meint, er solle aufpassen, dass ihm die
Sozis das nicht wegnehmen.
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- Und nun die Auswertung
Polnische Rabenmutter wird von der Polizei gesucht. Das ist der
wesentliche Inhalt dieses Beitrages. Welches Gefühl wird
hier bedient? Warum soll sie gefunden werden? Weil sie das Kind
wieder annehmen soll? Oder weil sie die Krankenhauskosten bezahlen
soll? Vielleicht auch nur, weil solch eine Rabenmutter bestraft
gehört?
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- Wahrscheinlich aus Sicht der LeserInnen überwiegend
wegen der letzten Fragestellung. Wird möglicherweise eine
Art Mitgefühl mit einer Frau intendiert, die in einer solchen
Lage ist, ihr Kind abzugeben? Nein, im Gegenteil. Jede Art von
Mitgefühl mit dieser Frau ist bei dieser Beschreibung ausgeschlossen.
Zur Not gibt es Mitgefühl mit dem Kind. Hier etwas speziell
Frauenfeindliches oder speziell anti-Polnisches zu belegen, wäre
zu weit hergeholt, denn beides ist nur als Hauch vorhanden. Derartige
Stimmungen entstehen aus einer großen Summe solcher winzig
kleiner Informationen. Direkt aus diesem Beitrag
kann man diese Stimmungen nicht ableiten.
Jeder hat eine Chance im Leben, und wenn es im Lotto oder bei
einer Fernsehshow ist. Und da ist er nun, der es wagt: das Superhirn
aus dem Gallus-Viertel in Frankfurt, ein Mann also wie du und
ich, der keine Sozialhilfe vom Staat schnorren will, sondern
als Held sein Glück anstrebt. Er trainiert seit Jahren,
wie man liest, weil er sich früher nichts merken konnte,
er will nun das große Glück am Samstag Abend erreichen.
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- Und seine 14 Jahre jüngere Schwester
schlägt ihn dennoch beim Memory, ist also diese Fähigkeit
vielleicht angeboren? Wie es auch sei, man muss was daraus machen.
Und die Leser dieser Ausgabe der Bildzeitung sind nun sicher
neugierig genug, sich die ARD-Sendung anzusehen. Vor allen Dingen
aber können sie mit ihm leiden oder sich freuen, egal wie
es ausgeht, denn er gibt ihnen das Gefühl, dass jeder eine
Chance hat, und wenn nicht, ist er selbst schuld, weil er nicht
genug geackert hat.
Die Sozialschnorrerin, die dem Staat, also uns SteuerzahlerInnen,
Milliarden kostet und dann einen reichen Mann angeln will, heißt
nicht von Thurn und Taxis oder so ähnlich, sondern
Michaela H., ist auch ein Mensch wie du und ich und
unter diesen Umständen ist ihr Verhalten natürlich
besonders verwerflich. Schließlich ist die Bild-Zielgruppe
ständig in Gefahr, in eine Lage zu kommen, auf Sozialhilfe
angewiesen zu sein, aber man macht das unter Schuldgefühlen,
wenn es dann sein soll.
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- Und natürlich, wenn man die Gelegenheit
hätte, noch Schwarzgeld zu verdienen, nun der Leser dieses
Blattes würde das auch nur unter Schuldgefühlen tun,
wenn er es täte, um 600 Euro dazu zu verdienen. Und wenn
er es dann nicht täte, dann wäre er natürlich
besonders sauer auf die, die es tun. Was steht noch in dem Artikel?
Dass sie mal 2.800 Euro Möbelgeld erhalten habe, und dass
in einer Zeit von 7 Jahren, und dann noch einmal 200 Euro fürs
Bett. Das macht natürlich zusammen Milliarden aus.
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- Dass das Bett angeblich beim Sex und nicht
beim Pflegen der armen kranken Mutter zu Bruch ging, wird den
Zorn aller Männer (und Frauen) noch erhöhen, denen
sexuelle Gelegenheiten fehlen. Ausgerechnet so eine
kann und gerade ich nicht, meint wohl der Leser oder die Leserin.
Und sie will einen reichen Mann ausnehmen, sagt sie angeblich,
was den Zorn aller Ehemänner noch verstärkt, deren
Gattin, sofern vorhanden, nach 35 Jahren Ehe-Sex endlich Migräne
hat, und sie dürfen nicht fremd gehen, sicherlich auch,
damit das Geld zusammengehalten wird.

Man kann aufgrund dieser Beispiele sagen, dass die Artikel ihre
frauenfeindliche reaktionäre Gesinnung nur in kleinen Spuren
aufzeigen, im letzten Artikel etwas deutlicher, dass es aber
diese Melange von kleinen Impulsen ausmacht, was man an Meinung
bei den Lesern erzeugen will.
Mit dem Vorschlaghammer geht es aber gegen den sozialdemokratischen
Kanzler, der offensichtlich mit dieser Witze-Serie, die fortgesetzt
wird, zum Watschenmann der Nation gemacht werden soll. Er belüge
die Leute ohne rot zu werden und tue nichts für sie, denn
die Sozis nehmen es den Leuten noch weg.
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- Der Bild-Leser liest vergnügt, dass
die Mutter des Kanzlers offenbar derart bescheuert ist, dass
sie nicht einmal weiß, dass ihr Sohn selbst ein Sozi ist.
Der angebliche Stolz des Kanzlers auf Dienstwagen und hohes Gehalt
ist eine Mischung von Sozialneid und gleichzeitig Arroganz über
einen kleinen Mann, der als Kanzler auftritt, denn
zur Bild-Moral gehört auch: Schuster, bleib bei deinem
Leisten. Oben sein dürfen nur Leute, die nach oben
gehören: die Adligen, die Millionäre und in der Politik
eben die CDU.
Nachtrag: Und wenns passt, einige Tage später, geht
es um Diebstahl im Palast. Und da sind es
auch wieder die Schwulen, die man hier einer verklemmt
lüsternen Meute vorwirft. Das eine Bild legt nahe, dass
Charles selbst schwul sein könnte, mit dem Diener dich hinter
ihm stehend. Dann die armen gefährdeten Söhne von Charles.
Es ist dies eben immer noch nichts anderes als ein rechtes Hetzblatt.
(js)
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