73. LUST, Winter 02/03
Lusttötende Vertrautheit?
Vertrautheit wird zur Routine. Neues ist anregend. Vertrautheit führt zur Schauspielkunst. Stimmt das, oder ermöglicht Vertrautheit größeres Aufeinanderzugehen? Und Neues verlangt nur das Spielen von Rollen, Vertrautheit ermöglich mehr Ehrlichkeit?
 
Manche Singles sind dies aus Überzeugung, andere gegen ihren Willen.
Recht viele von ihnen haben gerade keine Partnerin oder keinen Partner, obwohl sie es gerne wollen. Doch auch Beziehungspartner treten recht oft bei Parties, in der Disco oder an anderen Plätzen auf, an denen man sich neu kennen lernt. Es scheint, als sehnen sie manchmal sich nach dem ungebundenen Zustand, als möchten sie wieder mal spüren, wie das ist, wenn man die ganze Welt voller Möglichkeiten vorfindet, als wollen sie immer mal das Gefühl der ungebundenen Freiheit genießen.

Im nachfolgenden Beitrag möchte ich mal die beiden Lebensstile miteinander vergleichen. Natürlich will ich nicht behaupten, dass Menschen in ihrer subjektiven Wahrnehmung diesen Auffassungen entsprechen, und was ihre sie nach außen vertreten richtet sich danach, wovon sie sich Erfolge versprechen. Als Startauffassung, sozusagen, meine ich, dass beide Zustände, den des Singles und den des Beziehungspartners, ihre angenehmen und unangenehmen Seiten haben.
 
Liebe und Verliebtheit
Beziehungen werden aus Liebe eingegangen, wird allgemein behauptet. Verliebtheit, das lustverursachte Strohfeuer und dann die ach so tiefe und nachhaltige Liebe, die angeblich daraus entsteht.

Sicher, man sehnt sich nach dem Menschen, in den man verliebt ist. Wenn man sehr jung ist, glaubt man, man könne ohne ihn/sie nicht leben. Man glaubt, wenn man sich nur genug anstrengt, kann man es auch schaffen, das geliebte Wesen für sich zu gewinnen. Man glaubt vielleicht auch noch, dass es so wie in Spielfilmen ist, nämlich dass Liebe Gegenliebe erzeugt. Und wenn man an das geliebte Wesen nicht rankommt, weil es vielleicht mit jemand anderes zusammenlebt, sieht man den Partner, die Partnerin des geliebten Wesens aus Feind und Gegner an. In Wirklichkeit müsste man vielleicht die Entscheidung des geliebten Wesens als wichtigen Hinweis ansehen, aber so kann man es nicht sehen. Oder das geliebte Wesen ist alleine, aber einfach nicht interessiert.

Auf jeden Fall glaubt man, daraus ein Recht ableiten zu können, dass man verliebt ist. Man glaubt, dass das geliebte Wesen sich irrt, auf den/die Falsche(n) hereingefallen ist, mit uns viel glücklicher werden könnte, wenn es nur endlich einmal uns in Erwägung ziehen würde, mit uns mal reden würde, mit uns mal in Urlaub fahren würde, mit uns mal ins Bett gehen würde usw.

Dass das ein großer Selbstbetrug ist, bemerkt man vielleicht dann, wenn ein geliebtes Wesen vielleicht einmal unseren Wünschen nachkommt, uns nicht wehtun möchte, wenn es sich auch auf uns einlässt, jedoch in den/die andere(n) verliebt ist. Wenn man das erlebt hat und das geliebte Wesen liebt und nicht nur egoistisch ist, wird man vielleicht gerade dadurch erkennen, dass man dem geliebten Wesen nur die Zeit stielt, die es vielleicht dann doch glücklicher verbringen könnte. Man beginnt sich vielleicht auch zu schämen, denn man möchte doch nicht aus Mitleid geliebt werden. Es wäre auch unwürdig. das aber kann wohl nicht jede(r) so sehen.

1. Das Gefühl der Liebe ist entweder ein rein egoistisches Gefühl der Liebe, besitzergreifen und rücksichtslos, was den selbständigen Willen des geliebten Wesens brechen möchte, und gleichzeitig möchte der Egoist oder die Egoistin noch bestätigt bekommen, dass dies nicht so sei. Zu dieser Haltung gehört, die Verbindungen des Partners oder der Partnerin zu seinen/ihren Bekannten zu kappen, ihn/sie möglichst rundum zu kontrollieren, seinen/ihren Willen und seine/ihre Neigungen soweit zu beeinflussen und zu verändern, bis sie den eigenen Interessen entsprechen. Man glaubt dann, das geschehe zum Besten des geliebten Wesens, denn man hält sich selbst für einen Glücksfall für jeden.

2. Oder das Gefühl der Liebe ist ein auf Gegenseitigkeit ausgerichtetes Gefühl, das beinhaltet, dass man dem geliebten Wesen alles Lebensglück und Zufriedenheit wünscht, auch wenn es dies zeitweilig mit anderen als uns zu erleben anstrebt. Dazu gehört, dass man sich gegenseitig auch mit seinen unterschiedlichen Interessen respektieren kann. Und so kann man mit Freude genießen, was der/die PartnerIn aus Lust und eigenem Wollen uns entgegenbringen will/kann und nicht, was wir ihm/ihr abnötigen.

”Bitte habe mich lieb!” ist ein Flehen, das eher in die erste Kategorie gehört, denn man bittet damit ein geliebtes Wesen, andere Sehnsüchte zu ignorieren und sich ganz und gar uns zuzuwenden. Kann man das wirklich wollen, wenn man das Glück eines anderen Menschens anstrebt? Die meisten Menschen werden ein Mischform von beiden anstreben und daher zumeist vorgehen wie in der Kategorie 1. beschrieben und sich sehen wie in der Kategorie 2 beschrieben.
Die Verliebtheit, aus der eine Liebe wachsen kann, ist etwas Gigantisches, Spekulatives, Flatterhaftes, Erregendes, Aufschäumendes, und sie fällt allzu oft wieder in sich zusammen, genau so schnell, wie sie entstanden ist. Liebe und Hass hängen sehr eng miteinander zusammen, während jemand, den wir nicht mögen und der uns gar nicht interessiert, uns völlig kalt lässt. Wenn eine große Liebe stirbt, wird oft Hass daraus. Ich glaube, das ist umso wahrscheinlicher, als man zum abrupten Ende einer Beziehung einen Abstand benötigt. In Beziehungsverbindungen kann es bisweilen vorkommen, dass man sich gegenseitig keine Privatsphäre gestattet, dass man immer stärker symbiotisch wird.

Wer dann älter ist, vielleicht sage ich lieber: wer gereifter ist, denn nicht jeder Ältere hat viel dazugelernt, der weiß unterdessen, dass sowohl die Verliebtheit wie auch die Liebe einseitige und im wesentlichen egoistische Gefühle sind. Man weiß, dass eine Gegenverliebtheit selten eintritt. Wer dies weiß und beginnt, sich zu verlieben, zensiert sich selbst, lernt, sich selbst zu bezwingen. Man nimmt sich selbst zurück, bevor die Gefühle in vollen Flammen stehen, denn es ist zu schmerzhaft und auch auf die Dauer zu kraftaufwendig, sich verliebt auf jemanden zuzubewegen, der nicht interessiert ist und mit dem man ins Leere läuft.
Dieses Verhalten ist nicht, wie junge Verliebte manchmal meinen, ein Zeichen dafür, dass man nicht richtig liebt, sondern wohl eher ein Zeichen dafür, dass man auf eine Weise lieben gelernt hat, die Raum für Gegenseitigkeit hat. Daraus kann gut eine Beziehung werden. Eine große Liebe entsteht aus dem Gefühl der Verbundenheit, und das Gefühl der Verbundenheit hat nicht immer eine Verliebtheit als Vorgeschichte.

Es gibt die große Liebe, die nicht aus der Verliebtheit entsteht, die aus vernünftigen Erwägungen entstanden ist, und später stellt sich dann eine enge Vertrautheit ein, die man nicht mehr missen möchte. Aus der Vertrautheit entsteht dann das große Gefühl der Verbundenheit. Das ist wohl die Grundlage der großen Liebe.

Lieb und Beziehung sind nicht identisch. Es gibt auch Beziehungen, die ohne Verliebtheit entstehen, eher aus vernünftigen Erwägungen, und später stellt sich dann eine enge Vertrautheit ein, die man nicht mehr missen möchte. Das ist wohl die Grundlage der meisten Beziehungen.

Beziehungsleben
Der Gast-Star in einer Folge der verrückten Anwalt-Serie Ally McBeal, Dame Edna, Sagt zu Ally: ”Liebe ist das einzige Spiel, das man verliert, wenn man nicht daran teilnimmt”. Mit Liebe meinte Dame Edna hier, das sich liebevoll auf einen Menschen Einlassen.

Liebe ist nicht der einzige Grund, eine Beziehung zu bilden. Für Menschen in Beziehung ist es ein offenes Geheimnis, dass der Beziehungspartner, die Beziehungspartnerin nicht unbedingt der Mensch ist, in den man verliebt ist.
Die Verliebtheit ist oft Anfang einer Beziehung, aber manchmal beginnt eine Beziehung auch ohne Verliebtheit.
 
Sicher, man sehnt sich nach dem Menschen, in den man verliebt ist. Doch in sehr vielen Fällen ist er/sie ein(e) Partner(in), gegen den/die man nichts einzuwenden hat, der/die also möglich ist, mit dem/der man infolgedessen immer vertrauter wird und diese Nähe nicht mehr missen mag. Da sich dies langsam aufbaut, ist eine solche Verbindung auch tragfähiger als das Strohfeuer der spontanen Verliebtheit. Es ist auch Vernunft mit im Spiel. Darauf kann man dann wohl bauen.

In einer Beziehung wird man sich gegenseitig beeinflussen und dadurch verändern. Falsch scheint mir die Auffassung zu sein, dass man sich hundertprozentig in einer Beziehung ergänzt. Gerade während ich das schreibe, höre ich mit einem Ohr eine Sendung in Sat1, wo es um Selbstbefriedigung in einer Beziehung geht. Und tatsächlich sagen dort einige Frauen, dass sie beim Erwischen ihres Mannes sich vielleicht zurückziehen würden, dann sei aber ein ernstes Gespräch nötig, zum Beispiel darüber, ob sie ihm nicht mehr gut genug sei und an wen er dabei gedacht habe. Ist das nicht furchtbar? Eigene Schuldgefühle dafür, dass der Partner möglicherweise auch andere Sehnsüchte hat?
 
Es müssen ja nicht Sehnsüchte nach anderen Personen sein (aber warum denn nicht?), es können ja auch Sehnsüchte nach anderen Sexformen sein, die sich in der Beziehung nicht machen lassen, nach anderen Gesprächen als sie in der Beziehung möglich sind, nach anderen Wünschen, die Freizeit zu gestalten, um Sehnsucht, überhaupt Freizeit zu haben. Und dann: Eifersuchtskontrolle gegen eine Phantasie? Wie unangenehm besitzergreifend ist dies doch. Ist man sich denn in einer Partnerschaft mit seiner gesamten Körperlichkeit und erotischen Phantasie gegenseitig vollkommen ausgeliefert?
 
Es ist leicht vorstellbar, dass unter solchen Umständen, unter denen es keine gegenseitig respektierte Privatsphäre gibt, diese Selbstaufgabe in Hass Umschlagen muss, um sich wieder eine Haut um die eigene Seele bilden zu können.

Dass ein Mensch seit der Trennung zwischen Kirche und Staat, seit der Abschaffung der Sklaverei und der Leibeigenschaft als selbständiges Wesen anerkannt ist, kann auch für Liebe und Beziehung bedeutungsvoll sein.
 
Gerade wenn ein unabhängiges Individuum einen Teil seiner psychischen und/oder körperlichen Empfindungen mit uns zusammen verbringen möchte, einen Teil seiner Zeit gerne mit uns verbringt, ist dies eine große und genussvolle Erfüllung. Ganz anders verhält es sich, wenn sogenannte ”eheliche Pflichten” oder ähnliches vollzogen werden, also wenn jemand dies als Pflicht empfindet. Das würde den ganzen oben beschriebenen Genuss wegnehmen.

Wenn dann alle gewohnten physischen Abwicklungen miteinander lustvoll erlebt sind, beginnt vielleicht die Phase, wo man sich beim Sex mehr gehen lässt, wo man aufhört die üblichen Vorsichten walten zu lassen. Dann kann es vorkommen, dass die Partner sexuell derart miteinander vertraut werden, dass sie sich animalisch gehen lassen können, ohne mehr die anerzogenen Barrieren zu berücksichtigen.
 
Dieses Ausleben der tabulosen Sexualität wird allgemein als eine hohe Steigerung, schließlich dann als die einzige wirklich zufriedenstellende sexuelle Erfüllung empfunden. Das Befriedigungsgefühl ist nicht mehr zu überbieten. Das geht nur in einer Beziehung. Ein solches tabuloses Ausleben der Lust kann bei one-night-stands nicht entstehen, weil man dort immer in dem Stadium ist, sich gegenseitig gefallen zu wollen, alle Rollen zu spielen hat.

Nach einiger Zeit stellt sich dann ein, dass die sexuellen Begegnungen schrittweise seltener werden. Auch die Tabulosigkeit wird dann zur Routine. Das Ausbleiben zur Routine gewordener sexueller Begegnungen ist dann wie eine Erholung und wird erst irgendwann als Mangel empfunden, wenn eine längere Zeit jegliche Sexualität ausbleibt.

Auch wenn die Sexualität zwischen PartnerInnen eingeschlafen ist, möchte man sich nicht unbedingt trennen. Die erlebte Vertrautheit verbindet über die sexuelle Brisanz hinaus. Und so gibt es besonders in der schwulen Szene Paare, die sich nicht mehr brisant sexuell begehren, die aber zusammenbleiben wollen. Sie gehen dann zusammen Cruisen und wollen einen Partner für beide oder mehrere Partner dazu holen, ohne sich zu trennen. Unter Lesben gibt es dieses Modell seltener, weil für sie meistens Sexualität und Beziehung derart konsequent zusammengehören, dass dies tragische Folgen für eine Beziehung haben kann, wenn die sexuelle Lust weniger wichtig wurde.
 
Das lustige Singel-Dasein
”Es ist tragisch, wenn man nicht hat, was man liebt. Aber tragischer ist es, wenn man hat, was man nicht mehr liebt,” sagte John in der ausgeflippten Anwalt-Serie Ally McBeal zu Ally, und unterstellte ihr, das sei ihre Haltung, die sie daran hindere, einen Mann zu finden. Sie habe einen Traum von einem Mann, aber Männer der Realität seien eben immer ein Kompromiss gegenüber diesem Traum und deshalb könne sie niemanden richtig lieben und daher habe Ally Angst, dass sie mit jemanden zusammen komme, den sie nicht lieben könne, weil er auf Dauer dem Traum nicht entspreche. Und deshalb bleibe sie lieber alleine.

Der Single ist nicht wirklich alleine. Er kennt in der Regel einen Kreis von Freundinnen und Freunden und ist außerdem ständig auf der Suche, schärft seinen Jagdinstinkt und breitet sich gut auf die Gelegenheiten vor. Gleichzeitig behauptet er, dass er das nicht tut, alles habe sich zufällig ergeben. Das Cruisen ist ein scheinbar lustiges Spiel, denn nur wer lustig und sympathisch wirkt, hat Chancen, anzukommen. Und daher sieht das Single-Leben lustig aus. Die Umschwärmten der Singles erleben tatsächlich diese lustige Welt, denn die Nicht-Umschwärmten bemühen sich, eine oder einen der Umschwärmten zu ergattern, und je weniger umschwärmt jemand ist, desto größer sind seine Aufwendungen und Bemühungen.

Aufwendungen? Nun, das wären die Ausgaben für Mode, Friseur, Kosmetik, Duftwässer usw. Dann die Ausgaben in den Fitnessstudios. Schließlich die Kosten, die es macht, seine allabendliche Runde zu machen. Überall mindestens einen Drink, denn man braucht ja eine gewisse Zeit, die jeweilige Lage zu sondieren.

Natürlich gibt es Umschwärmte, denen das alles in den Schoß fällt, und andere, die eher große Aufwendungen haben, um in Erwägung gezogen zu werden, umschwärmt werden sie nicht. Und dann gibt es einige, die keine Chance haben, weil sie in ihrem Outfit zu weit entfernt sind, von den Leitbildern, die wir überall in den Medien und in der Werbung vorfinden. Und wenn sie das dann nicht mit Jugend oder Geld ausgleichen können, ist absolut Essig. Für die meistens sind dann große Aufwendungen nötig.

Und am Feierabend hält einem nichts mehr zu Hause. Man hat nach einigen Bemühungen, sich vorzeigbar zu gestalten, die heißen Klamotten an und macht sich auf, das Glück zumindest für eine Nacht zu finden. An den bekannten Plätzen begrüßt man sich, sondiert die Lage, stellt sich in Positur. Es kommt natürlich auf einen guten Platz an, und dort ist manchmal schon jemand. Da finden bisweilen kleine Platzkämpfe statt.

Es kommt darauf an, die/den Ausgeguckte(n) positiv auf sich aufmerksam zu machen. Außerdem, wenn die Gefahr besteht, dass er/sie Interesse auch an jemand anderes haben könnte, den/die andere alt aussehen zu lassen, wie das so schön heißt, und hier gelten keine Regeln. Der Erfolg alleine zählt. Nun ist nicht jeder so clever oder der Traummensch für diesen Abend ist nicht da, also kommt man an diesem Abend einfach nicht zum Zuge. Pech. Nun, für diesen Fall gibts zuhause die Filmchen und Mittelchen. Es ist aber nicht gesagt, dass Beziehungsmenschen keine Lust an den entsprechenden Dingen haben.

Aber nehmen wir an, der Single-Mensch wird fündig. Wo geht man hin? ”Gehen wir zu Dir oder zu mir?” Da kann man nie sicher sein, auf was man sich einlässt. man könnte in er eigenen Wohnung überfallen und ausgeplündert werden. man könnte andererseits es dem Gast schön machen, was neue Begegnungen einleiten würde. Und geht man zu ihr/ihm? Dann weiß man nicht, worauf man sich einlässt. Könnte sein, dass man sich in völlig fremdem Terrain gar nicht wohl fühlt. Könnte sein, man bekommt es ganz nett gemacht.

Man muss auch in dieser Situation selbst was darstellen. Es geht zumeist nicht um große Liebe, und daher kann man eine gefühlsmäßige Bindung nicht erwarten. Also könnte man es mit schnellen verächtlichen Urteilen zu tun bekommen. Man kann sich nicht gehen lassen, weil man sich ja noch nicht kennt und daher eine Rolle zu spielen hat.
 
Es kann himmlisch werden, es kann enttäuschend werden. Im Film ”Taxi zum Klo” von Frank Ripploh tritt eine ältere Lehrerin auf, die als Single lebt. Sie meint, dass sie sich freut, wenn sie zu einem Wochenende Besuch von einem Bekannten bekommt. Am ersten Tag freue sie sich dann, wenn sie stolz wie all die anderen Frauen mit ihrem männlichen Partner spazieren gehen könne. Am zweiten Tag erlebe sie ihn dann in ihrer Wohnung wie einen Ehepartner. Und wenn er dann wieder gegangen wäre, sei sie eigentlich froh, die Wohnung nun wieder ganz für sich zu haben.
 
Sexualität
Es ist noch gar nicht so lange her, dass man Sexualität nur in einer heterosexuellen Ehe leben durfte, alles andere war staatlich verboten. Es sei denn, man nahm es als Sexualität gar nicht zur Kenntnis wie Sex zwischen Frauen.
 
Sex zwischen Männer war verboten, aber auch das Ermöglichen außerehelicher sexueller Handlung war durch den sogenannten Kuppeleiparagraphen verboten, was für Jugendliche quälend war. Also war die Moral: erst einmal heiraten, dann ist Sex erlaubt, zum Beispiel um Kinder zu zeugen.

Heutzutage ist kaum mehr etwas verboten, und was noch verboten ist, scheint mir zurecht verboten zu sein, zum Beispiel Sex zwischen Erwachsenen mit Kindern.

Also, dass es sexuell nicht ausreichend klappt, hat nichts mehr mit staatlichen Verboten zu tun. Es klappt offensichtlich nicht, denn sonst würden nicht so viele Bereiche mit Ersatzsexualität wirtschaftlich derart gut florieren. Von den Stöhntelefonnummern bis hin zum Internet, wo ein großer Teil der gewinnbringenden Angebote im Bereich Sex arbeiten.

Sex findet innerhalb von Beziehungen und außerhalb von Beziehungen statt, und die Diskussion des Sexualitätsverbotes außerhalb von Beziehungen führt in Diskussionsrunden zwischen Leuten, die sich auskennen, eigentlich nur zu brüllenden Gelächter. Die breite Prostitutionsszene (und nicht nur die) belegt das Verhalten von Ehepartnern.

Die Menschen masturbieren bei Betrachten von Filmen, vor dem Internet-Bildschirmen, vor der web-cam usw. Jeder weiß es und niemand findet etwas dabei. Die Menschen begegnen sich in den Diskotheken und an anderen Plätzen und es gibt nicht nur die/den PartnerIn der Nacht, sondern auch Affären, es finden Blind-Dates statt, usw. Ich meine, die sexuelle Zufriedenheit ist aus mehreren Gründen nicht erfüllt, und das macht die Probleme.

1. In den kommerziellen Angeboten werden Frauen mit den größten Busen, muskelbetonte Männer mit den längsten immer stehenden Schwänzen dargestellt, Sexkätzchen rekeln sich lüstern zwischen ihren Kissen.
 
Und so hat jeder mögliche Sexpartner an irgendeiner Stelle gegenüber diesen Abbildungen einen Makel, man bleibt also auch schon daher immer etwas unbefriedigt. Das Gefühl der Unzufriedenheit soll sich dann für die Anbieter der Porno-Seiten lohnend auswirken und das tut es ja auch.

2. Menschen wollen, dass ihnen Lustvolles getan wird, aber dabei sind sie eigentlich oftmals nicht bereit, den PartnerInnen ihre ganzen Wünsche zu erfüllen. Es ist dies die Mentalität des Bedientwerdens. das findet bei Singles wie auch in Beziehungen statt.

3. Menschen können sich in der Sexualität nicht gehen lassen, sind also dann bei sexuellen Handlungen gehemmt. Das hat etwas damit zu tun, dass sie auch beim Sex Haltung bewahren wollen, Eindruck machen, Würde bewahren usw. Sie können sich nicht gehen lassen. Das führt dazu, dass auch bei genussreichen Erlebnissen ein unerfüllter Rest bleibt.

4. Menschen akzeptieren in der Sexualität nicht immer, dass ihr/e jeweilige/r Sexpartner/in manche erwünschten sexuelle Handlungen nicht mag. Sie meinen, weil sie treu sind, muss ihnen dies geboten werden. Manche Menschen übergehen gewisse Ablehnungen nicht nur in einer Beziehung, sondern auch bei gelegentlichen Kontakten. Andere versuchen durch Nörgeln, Psychodruck und Ähnliches oder Verführung, den/die PartnerIn dennoch zu ungeliebte sexuelle Handlungen zu nötigen.

5. Menschen erlauben oft ihrer/ihrem PartnerIn nicht, sich solche sexuellen Genüsse außerhalb der Beziehung zu verschaffen, die innerhalb der bestehenden Bindung nicht möglich sind.

6. Menschen erlauben oft ihrer/ihrem PartnerIn nicht, sich überhaupt sexuelle Genüsse außerhalb der Beziehung zu verschaffen, wenn innerhalb der bestehenden Bindung die sexuell Brisanz nachlässt.

7. Menschen, die als sexuell unattraktiv gelten, haben nicht nur Schwierigkeiten, eine/n Partner/in für eine erotische Dauerbeziehung zu finden, sondern natürlich auch für spontane Single-Kontakte.

Für die meisten dieser Probleme ist es unbedeutend, ob man als Single oder in einer Dauerbeziehung nicht genügend Erfüllung bekommt. Auf jeden Fall sind die schnellen Patentlösungen und die einfachen Rezepte aus Kirche und Moralecke nicht geeignet, uns zu einem zufriedeneren Leben zu verhelfen. Zudem sind Pauschalrezepte ohnehin nicht geeignet, Fragen der individuellen Liebens- und Lebensgestaltung zu beantworten.
 
Machbare Wege
Ich finde, dass es gut ist, wenn man von Menschen umgeben ist, die für einander Interesse haben, die sich umeinander sorgen, denen es auffällt, wenn man Sorgen hat oder eine Zeitlang nicht da ist. Schön ist es, wenn man Sex haben kann mit einen oder auch mehreren Menschen, dem/denen man nichts vormachen muss, bei dem/denen man sich gehen lassen kann.
 
Wie es wirklich kommt, kann man sich nicht immer aussuchen, aber man kann sich aus nahezu jeder Situation auch etwas Angenehmes für sich ableiten. Nach etwas mehr Einsamkeit sehnt sich manchmal der Beziehungsmensch, nach etwas mehr Bindung vielleicht der Single. Natürlich, Superlösungen sind das nicht. Aber für Superlösungen sind auch die Verhältnisse nicht so.
 
Und bis wir mal den Jugendkult besiegt haben könnten, bis man es geschafft hat, dass Menschen, die dem Schönheitsideal nicht entsprechen und deshalb weniger Chancen haben, doch Chancen bekommen werden, auch wenn sie nicht über viel Geld verfügen, wird wohl noch so viel Zeit vergehen, dass wir auf jeden Fall davon nicht mehr profitieren werden.

Ich komme auf meine alte These zurück, die auf jeden Fall immer Gültigkeit hat: an Sexualität haben wir alle so viel, dass sie niemanden zur Not werden sollte. (js)
 
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