- 72. LUST, Herbst 02, September/Oktober/November
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- CSD 2002 in Frankfurt
- Nach einem für uns eher enttäuschenden
Wiesbadener 10. CSD hatten wir dann unseren
Infostand beim Frankfurter CSD, der uns entschädigte.
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- Vielleicht haben wir als ehemalige CSD-VeranstalterInnen
in Wiesbaden zu viel erwartet, nämlich dass die neuen BetreiberInnen
unsere 6 CSDs mit einbeziehen und den Wiesbadener CSD als eine
gemeinsame Sache ansehen würden.
Der 10. Frankfurter CSD hatte ein politisches Motto: "Wir
habe unsere Geschichte nicht vergessen!"
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- Das war nun wirklich prima, weil es den verschiedenen
Gruppen immerhin die Möglichkeit gab, dem politischen Anspruch
des CSDs zu entsprechen und in
Wahlkampfjahr
vielleicht der Leiden homosexueller Menschen in Deutschland im
allgemeinen und homosexueller Männer in Deutschland unter
dem § 175 im besonderen zu gedenken.
Und das geschah ja auch. Immerhin hat das lesbisch-schwule Kulturzentrum
auf ihrem Wagen große Gitterstäbe gehabt und überall
auf dem Wagen war § 175 zu lesen. Schließlich gab
es noch in der Bundesrepublik unter der CDU/CSU/FDP-Regierung
der 50er und frühen 60er Jahre mehr Verurteilungen nach
dem von den Nazis verschärften § 175 als in der Nazizeit
selbst. Und daran kann man sich ja auch erinnern, besonders wenn
es eine Partei-Initiative der Union gibt, die LSU, die beim CSD
dazu aufforderte, die Union zu wählen.
In der bundesweiten CSD-Broschüre, die in diesem Jahr die
Familie zum Hauptthema hatte, dem bundesweiten lesbisch-schwulen
CSD-Familien-Magazin also, war bei
Frankfurt
nur etwas über die Erinnerung an die Ereignisse 69 in Christopher
Street in New Yorck zu lesen, sonst nix.
Also haben wir uns auf die Frankfurter Broschüre gefreut,
den wenn der Frankfurter CSD unter diesem Motto steht, wird sicherlich
dort etwas über unsere Geschichte in Deutschland etwas zu
lesen sein. Im Intro ist von Rainer (Gütlich) zu lesen,
dass Frankfurt seinen 10. CSD feiert.
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- Hier beklagt er im Zusammenhang mit dem Polit-Zelt
auch, dass die Gruppen so schwer zur Teilnahme zu motivieren
seien. Da kann ich nur ergänzen. es ist für die Gruppen
auch schwer, Leute zur Teilnahme zu bewegen, für die Teilnahme
an Inhalten über das Abtanzen hinaus.
Nachdem unter dem Motto als Überschrift an den CSD erinnert
wird, dass über 30 Jahre
lang
dieser Tag begannen wird, kann man dann Folgendes lesen.
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- Wir haben unsere Geschichte nicht vergessen
heißt auch, schreibt Käthe Fleckenstein (auch AutorIn
des Textes der bundesweiten Gesamtbroschüre), wir haben
all jene nicht vergessen, die unsere Geschichte mit-geschrieben,
mit-gestaltet haben, die dafür sorgten, dass wir eine Geschichte
haben und die sich vehement dagegen zur Wehr setzten, sich unsichtbar
machen, sich marginalisieren zu lassen... Na ja, ist das
alles bei solche einem Motto? Auf Seite 8 lesen wir dann noch,
dass Homolulu der Vorläufer des CSD sei. Da
wurde unsere Geschichte wohl schon etwas vergessen, zumindest
durcheinander gebracht.
Ach ja, bei der Parade las ich noch Wir haben unsere lesbische
Geschichte nicht vergessen und darüber 10 Jahre LIBS.
Ne kurze lesbische Geschichte also.
Leider wurde ich von FreundInnen aus der Gruppe alleine gelassen,
im Politikzelt einige
Texte zum Motto-Thema
vorzulesen, alle bekamen kalte Füße. Und wenn ich
alles alleine lese, dann hört mir keiner zu, befürchtete
ich. Aber es nahte Rettung. Alexandra und Michael aus Saarbrücken,
zwei FreundInnen der LUST-Gemeinschaft (AbonnentInnen), kamen
extra aus Saarbrücken angefahren, um uns zu helfen, und
unser Thema war gerettet.
O Wunder, das Zelt war zu unserem Thema voll. Joachim stellte
die Frage, was denn überhaupt ein 175er ist und einige konnten
auch richtig antworten. Dann verlas er den Text zum 175er (Siehe
71. LUST auf S. 23).
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- Danach verlas Michael den Text zur Leidensgeschichte,
die wir in unserer Geschichte mit der CDU/CSU machen mussten
(Siehe Die Lesben und Schwulen in der Union (LSU),
im Wahlkampf in der 70. LUST
auf
Seite 11). Und die Reaktion auf die beiden verlesenen Texte war
gut, die Aussprache danach interessant und freundlich und es
gab auch ein größeres Interesse, als ich dann dazu
eingeladen habe, mit uns zusammen am Thema weiter zu arbeiten.
Hinterher kamen nette Leute aus dem Zelt vorbei und ließen
sich unsere Adresse geben, um bei der Gruppe mitzumachen. Leider
ist allerdings niemand von ihnen bisher hier aufgetaucht. Kommt
vielleicht ja noch.
Ich weiß, liebe LeserInnen, für Euch bedeutet CSD
noch anderes, als ich hier beschreibe, nämlich ein alljährlich
wiederkehrendes Gemeinsamkeitsgefühl. Aber für solche
Fossile der Bewegung, wie wir es sind, und für uns immer
noch Aktivisten, ist der CSD eben dann gut, wenn er so
verläuft. Na? Lust bekommen, aktiv mitzumachen? (js)
- Kommentar zum Frankfurter CSD

Rainer Gütlich spricht in der CSD-Broschüre an, dass
es vielleicht sinnvoll sei, auch wenn keine Bundestagswahl vor
der Türe steht, ein Politikzelt aufzustellen, um ein Forum
für wichtige Themen zu haben. Dies ist absolut richtig und
durchaus unterstützenswert. Es gibt für uns und in
unserer Szene doch eine ganze Reihe von Themen, zu denen sowohl
Informationen verbreitet werden müssten oder die kontrovers
zu diskutieren sind. Nirgends findet man eine solch große
Gruppe auch interessierter Leute wie beim jährlichen CSD.
Der CSD Frankfurt ist für das ganze Rhein-Main-Gebiet und
darüber hinaus von großer Bedeutung. Manche Leute
trifft man nur einmal im Jahr, eben zum Frankfurter CSD. Viele
Absprachen können nur hier
getroffen werden. Auch für uns als Zeitschrift und politische
Gruppe ist dies so. Zwar ist es richtig, dass die meisten Leute
nur kommen, um sich zu vergnügen. Aber was heißt
denn hier nur. Das ist doch schon mal was. Und wer
sagt denn, dass das Aufgreifen wichtiger Themen dem Vergnügen
abträglich ist und beim Vergnügen solche Themen gänzlich
ignoriert werden? Immerhin, auch wer Politik machen oder zeigen
will, kommt hier her. Nach unserer Auffassung hat der Frankfurter
CSD durchaus die richtige Mischung von Forum und Vergnügen,
wer an Politik teinehmen wollte, fand hier Möglichkeiten.
Wem zu wenig Politik vorhanden ist, muss welche machen und nicht
lamentieren, dass nichts da sei.
Dass wir ein politisches Motto hatten, war nicht nur den Behörden
gegenüber wichtig, sondern eben auch der Szene gegenüber,
die ja an und für sich recht unpolitisch ist. Die Wagen
bei der Parade bekamen die Auflage, das Motto gut sichtbar anzubringen.
Manche taten dies nicht nur widerwillig,
einige haben durchaus darin einen gesellschaftspolitischen Sinn
erkannt, was man an den Wagen erkennen konnte. Wenn wir nicht
die gesellschaftspolitische Dimension solcher Ereignisse am Leben
erhalten, sind bald nur noch die Hetzschriften von Psychosekten
und religiösen Lesben- und Schwulenfeinden die einzigen
inhaltlichen Aussagen solcher Ereignisse.
Rainer Gütlich meinte in der CSD-Broschüre, dass das
Politzelt der nächsten Jahre vielleicht so etwas wie ein
Kabarett-Zelt sein könnte. Aber da gilt es, zu bedenken,
dass Initiativen unserer Szene, die meinen, dass sie uns etwas
zu sagen oder anzubieten haben, mit zu professionellen Kabarett-Angeboten
nicht mithalten können. Bei der Mischung des Programmes
sollte man nicht demotivierend wirken.
Unsere Szene zeichnet sich durch
ihre bunte Vielfalt an Lebensformen, Identitäten und auch
politischen Auffassungen aus, und es gibt hier auch Anhänger
von durchaus lesben- und schwulenfeindlichen Organisationen.
Auch ein Richtungsstreit oder, wie es früher genannt wurde,
ein Tuntenstreit über die richtigen emanzipatorischen Schritte
gehört dann dazu. Man kann nicht nur die heile Welt unserer
Szene nach außen vertreten. Das wäre auch deshalb
unsinnig, weil die unlesbische und unschwule Außenwelt
ihrerseits durchaus Einfluss auf die Meinungsbildung in unserer
Szene nimmt. Das war besonders an Ständen solcher politischer
Parteien zu erkennen, deren Ziele nicht unbedingt zu unseren
Gunsten sind. Lesben und Schwule, die dennoch da mitmachen, finden
sich immer. Die Verfassungsklage des Landes Bayern gegen das
Lebenspartnerschaftsgesetz wurde nicht zurückgezogen. Doch
gab es Lesben und Schwule, die für die Kandidatur des Bayerischen
Ministerpräsidenten warben, obwohl sie selbst sich nach
dem
Lebensparnerschaftsgesetz, das
ihre politischen Gegner gegen ihre eigene Partei durchgesetzt
hatten, verpartnert haben. Dass nun andere dagegen Stellung beziehen,
ist mindestens genau so legitim wie die Provokation, auf einem
Lesben- und Schwulenfest ausgerechnet für Stoiber zu werben.
Dennoch zeigt sich die Stärke unserer Szene gerade da durch,
dass man nicht mit Machtmitteln gegen solche Leute und Strömungen
vorgeht, sondern seine gegensätzliche Meinung eben auch
zu Gehör bringen kann. Und genau dies ist bei einem CSD
in einem angemessenen Rahmen möglich. Zur Kunst (eigentlich
zur Verantwortung), einen CSD zu veranstalten, gehört es,
einen solchen Rahmen zu schaffen, wo dies alles möglich
ist. Dies scheint in Frankfurt zu klappen. Man kann nicht nur
beklagen, dass die Leute feiern wollen und kein Interesse haben,
sich hier oder dort zu engagieren. Sie
machen
damit nämlich nichts Unvernünftiges. Das Engagement
wird allzuoft nur verheizt. Das Vergnügen hat man schon
einmal. Diese Klage über andere ist im Grunde eine Ausrede,
selbst nichts zu tun.
Auf unserer (ROSA LÜSTE) Veranstaltung gegen Stoiber und
die kuriose LSU trat ein Freund auf, der die Gelegenheit nutzen
wollte, berechtigte Kritik an der Regierungsarbeit von SPD und
Grüne zu leisten. In einer Auseinandersetzung über
Soiber ja oder nein, geht das dann in die falschce Richtung,
nämlich den wollen wir schon gar nicht. Wenn man einen Stoiber
nicht will, muss man doch nicht eine miese Politik der Regierung
verteidigen. Wenn die Wiedergutmachungsfrage an homosexuellen
KZ-Häftlingen zur Bereicherung einen regierungsparteinahen
Verbandes genutzt werden soll, dann ist dies ein Skandal. Andererseits
kann das Wiedergutmachungsthema unter einer Stoiber-Regierung
schwerlich behandelt werden. Also 1. Stoiber verhindern, 2. Die
Regierungspolitik von Rot-Grün kritisieren. Oder? 
Und die Organisationen, die den LSVD wegen dieser Bereicherung
kritisieren, sind nicht gegen diese Bereicherung an sich, sondern
nur deshalb sauer, dass sie selbst nichts abbekommen sollen.
Ich hätte gerne mit ihm eine zusätzliche aber andere
Veranstaltung zu diesem Thema gemacht. So, wie es nun abgelaufen
ist, konnten wir (ROSA LÜSTE) besser darstellen, dass wir
nicht auf einem Auge blind sind, wenn wir gegen Stoiber sind.
Ging auch so.
Ihr sehrt also, es gibt Anlässe für Debatten und Veranstaltungen
auch in diesem Rahmen und auch, wenn grade kein Wahlkampf ist.
Alles in allem war es ein gelungener CSD, gerade deshalb, weil
er die Möglichkeit zumPolitisieren gab und weil dies überhaupt
nicht im Gegensatz zum Vergnügen stand.
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- Ohne Vergnügen taugt nämlich die
ganze Politik unserer Szene nichts. Es muss auch Spaß machen.
Wofür tun wird das denn sonst?
Hoffen wir, dass es im nächsten Jahr auch wieder eine Sommerschwüle
in Mainz gibt. (RoLü)
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