- 72. LUST, Herbst 02, September/Oktober/November
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- Geschlechterrollen, Soldatentum und Pazifismus
Der Mann ist für den Krieg, die Frau
ist das Opfer des Krieges? Oder: Lesben wollen sich als Mann
beweisen und Soldatin werden, schwule Männer sind keine
richtigen Männer und deshalb keine Soldaten? Oder: Schwule
zeigen deutlicher als Heten, dass sie männlich
sind. Krieg, und Soldaten auch aus unserer Szene? Über ein
leider aktuell gewordenes Thema.
- Die Bundestagswahl ist zu Ende und der
Einsatz von SoldatInnen irgendwo in der Welt ist weiterhin wahrscheinlich
geblieben. Was ist aus der Debatte über Pazifismus in unsrer
Szene geworden?
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- Einleitung
Wie unsere Szene mit Soldatentum und Militarismus umgeht, war
lange Zeit eine akademische Frage, denn man kam selbst nicht
so sehr in die Lage, dazu eine tragfähige Position zu erarbeiten.
Welche Positionen in Einzelfällen entstanden, war ein Reagieren
darauf, wie der Staat, wie das Militär mit uns umging. Und
schließlich, unabhängig von diesen Diskussionen, war
nicht ernsthaft in Erwägung gezogen worden, mit der Bundeswehr
irgendwann einmal in einen militärischen Einsatz zu ziehen,
schließlich war sie ja ein Verteidigungsarmee, wie der
Name Wehr selbst schon sagt. Genau das hat sich nun
aber grundlegend geändert.
Frauen wurden ja sozusagen aus biologischen Gründen vom
Militär ferngehalten, mit Ausnahme von der Küche, als
Helferin des Kantinenpächters und gelegentlich im Verwaltungs-
und kaufmännischen Bereich. Die fürsorgliche Rolle,
für den Helden und für das Pflegen der Opfer da zu
sein wie für die Aufzucht seiner Kinder, entsprach eher
der Rolle der Frauen als das Kämpfen. Es ist noch nicht
so lange her, dass man es so gesehen hat, und erst die rotgrüne
Bundesregierung hat da Schritte unternommen, die darauf hinauslaufen,
dass Frauen, wenn auch nur freiwillig, soldatische Karrieren
machen dürfen. Und erst unter der rotgrünen
Bundesregierung war die sexuelle Neigung für die Bundeswehr
kein Thema mehr.
Vorher gab es zahlreiche Entlassungen von Offizieren, wenn ihre
gelebte Homosexualität bekannt wurde. Es gab auch Verweigerungsstrategien
in Zeiten, als es noch nicht so viele Arbeitslose gab. Man musste
als besonders tuntiger Schwuler zur Bundeswehr gehen und sofort
alle anbaggern, dann war man für die Bundeswehr untragbar,
auch in den unteren Dienstgraden.
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- Männer müssen zur Bundeswehr,
wir nicht war auf einem grellen Plakat, meines Wissens
aus Freiburg, zu lesen und abgebildet waren ein paar grelle Schwestern
im Fummel. Die angebliche Diskriminierung, kein richtiger Mann
zu sein, wurde einfach ins Lächerliche verstärkt.
Später nahmen Schwule zu, die beweisen wollten, dass sie
als Schwule auch richtige Männer seien, also
fähig zu leiden und zu töten, und schwule Offiziere
ließen sich nicht so einfach rausschmeißen, sondern
klagten und bekamen sogar Recht, zum Beispiel vor dem europäischen
Gerichtshof, denn dort war der heterosexistische Mief Deutschlands
nicht mehr in dieser Form anzutreffen.
Und so tauchte plötzlich die Frage auf, ob wir denn in allen
Fragen gleichgestellt sein wollen, und dass die uns zugeschriebenen
Schwächen uns ja auch Freiheiten ermöglichten.
Aber der Zug war schon abgefahren, hinein in die Normalität.
Und was sich nun als Schwulenbewegung stark machte (und macht),
war und ist überall in der Gesellschaft auf der Suche nach
Bereichen, wo wir nicht gleich behandelt wurden (und werden),
und man präsentierte sich hier in Kampagnen gegen diese
Ungerechtigkeit, zum Beispiel nicht beim Militär Karriere
machen zu dürfen usw.
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- Männlichkeit
In der Heten-Szene tat sich unterdessen auch was. Die Heten-Frauenbewegung
war insofern etwas erfolgreich, dass der Mann in seiner Ausprägung
des Kaiserreiches oder der Hitlerzeit infrage gestellt wurde:
Der gefühllose Held, der hart gegen sich und andere ist.
Klar, ein solcher Held ist noch immer der Siegertyp, aber er
benötigt als Ergänzung das anschmiegsame Frauchen,
das dem Helden die Pantoffeln hinterher trägt, ihn alle
lästigen Arbeiten (Haushalt) abnimmt, sich für ihn
schön macht, wenn er mal will, und seine Kinder aufzieht
usw.
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- Die Frauen verweigerten zunehmend im täglichen
Leben die Vergötterung des Helden, setzten sich im Beruf
mit Karriereabsichten auch für sich selbst ein. Sie kamen
zum Feierabend ebenfalls müde nach Hause. Für Frauen
war es daher nicht mehr einsehbar, die Familienarbeit alleine
machen zu müssen. So wurde der Mann vieler seiner aufgeblasenen
Männlichkeitsattribute entkleidet und zurück blieb
ein Mann, der sich Gefühle eingesteht, murrend den Mülleimer
runterträgt und auch mal den Kinderwagen schiebt. Ist das
ein nachhaltiger Sieg der Frauenbewegung?
Es ist dies eine Änderung des Männerbildes, die einhergeht
und einhergehen muss mit der Änderung des Frauenbildes.
Besonders junge Frauen fahren in schnellen Wagen genauso aggressiv
wie Männer, rempeln sich wie Männer durch die Fußgängerzone,
lassen sich in vielen Bereichen einfach nicht zur Seite schieben,
wie es manche Männer vielleicht noch erhoffen.
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- Junge Männer heute scheinen das nun
zunehmend für selbstverständlich zu halten. Nur junge
Männer aus Immigrantenfamilien aus Ländern, in denen
dieser emanzipatorische Schritt nicht vollzogen wurde, haben
hier noch Schwierigkeiten. Dass Frauen Soldatinnen sind und sein
können, dass sie kämpfen, töten und im Kampf sterben
können, was bisher als eine männliche Eigenschaft angesehen
wurde, ist auch in den Medien für Jugendliche nachzufühlen,
die möglicherweise auf Jugendliche einen größeren
Einfluss haben und anders prägen als das Vorbild der Eltern
und Großeltern.
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- Kämpfende Frauen prügeln sich durch
viele Serien. Dadurch wird die Welt nicht anders, nicht gerechter
oder besser, nur das Verhältnis der Geschlechter hat sich
im Ansatz etwas geändert. Die angstvoll kreischende Frau
wartet nicht mehr auf ihren Erretter, sondern die Frau kämpft
selber genauso brutal wie ihre männlichen Vorbilder. Frauen
erhalten die gleichen Möglichkeiten wie Männer, besser:
nehmen sich zunehmend die gleichen Rechte.
Und junge Männer ihrerseits achten auf ihr Äußeres,
haben Verhaltensweisen drauf, für die sie noch vor einigen
Jahren als Schwule oder Tunten beschimpft
worden wären. Sie sind auf ihren knackigen Po stolz, benutzen
Gels und gewisse kosmetische Mittel, um in der Disco Chancen
zu haben. Männer die diesen Leitbildern, die die Mode vorgibt,
nicht entsprechen, leiden unter ihrem Äußeren, wie
das vorher nur bei Frauen beobachtet wurde. Sie müssen sich
auch nicht mehr so stark von Schwulen distanzieren wie früher,
wohl damals aus Angst, für unmännliche gehalten zu
werden.
Aus Osteuropa, dem Orient und anderen Teilen der Welt kommende
Jugendliche, in denen die klare Rollentrennung zwischen den Geschlechtern
noch gesellschaftlich bestätigt wird und das Schimpfwort
Tunte oder Schwuler als Disziplinierungsmittel
Jugendlicher noch eine Bedeutung hat. Sie fühlen sich den
hier lebenden Jugendlichen überlegen (weil angeblich männlicher)
und lassen es die noch Jüngeren in der Gesellschaft spüren.
Soldaten sind also bei uns etwas anders geworden als sie einst
waren, und dass schwule Soldaten da irgendwie anders wären,
fällt nur noch wenigen ein. Höchstens dass sie angemacht
werden könnten, wird geargwöhnt, aber da Schwule heutzutage
auch einen festen Partner anstreben und heiraten, beruhigt da
die Soldaten. Und Schwule bei der Bundeswehr verhalten sich so
wie die Heten, zeigen also kein offenes Interesse auf den Buden
und versuchen so, nicht anzuecken. Vorbei die schwule Zeit des
lustvollen Provozierens, was ja wohl ohnehin bei der Bundeswehr
selbst auch früher kaum stattfand und sicherlich sehr gefährlich
gewesen wäre.
Soldaten und Soldatinnen auch aus unserem Land werden nun in
aller Welt stationiert, im Moment noch, um überall mit Waffengewalt
den Frieden zu sichern. Aber es ist sicherlich nur
eine Frage der Zeit, bis die dann doch hier und da stattfindenden
Kampfhandlungen und die zurückkehrenden Verwundeten und
Toten den Trend in umgekehrter Richtung beeinflussen lassen:
schluss mit lustig. Wenn dann wieder richtige Helden
gebraucht werden, wird auch wieder das traditionelle Männerbild
verstärkt werden, wird auch wieder Homosexualität als
negatives Disziplinierungsmittel benötigt werden, wird an
den Schwulen wieder entsetzt entdeckt werden, dass sie sexuelle
Wesen sind.
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- Weiblichkeit
Die traditionelle Weiblichkeit ist, wie ich obern dargestellt
habe, in Verruf gekommen. Sich hinter den Herd jagen zu lassen,
das fällt den jungen selbstbewussten Frauen gar nicht mehr
ein. Vielleicht höchstens mal vorübergehend. Sie denken
an ihre eigen Interessen und ihr eigenes Fortkommen, und dass
kaum noch als Diva. Die Diva ließ es sich im Hause ihres
erfolgreichen Geschäftsmannes gut gehen, rekelte sich auf
dem Wasserbett und kritisierte, dass ihr Mann nicht genug nach
Hause brachte.
Aber das ist z.B. kein Feminismus, der hier in Erscheinung tritt.
Und viele junge Frauen haben auch gar kein Problem damit, das
Girly zu spielen, nicht als durchgängiges Modell, wohl auch
nur zeitweilig. Feministinnen stehen oftmals ratlos vor Argumenten,
die aus den Zeiten des schlimmsten Patriarchates zu kommen scheinen,
die hier selbstbewusst vorgebracht werden und deutlich machen,
dass das neue Frauenbild nicht das feministische Frauenbild ist.
Junge Frauen erkennen nur die Möglichkeiten, die sich für
sie durch dieses Rollenspiel auftun, was Feministinnen angewidert
ablehnen.
Frauen wissen heutzutage, dass sie in allen gesellschaftlichen
Bereichen erfolgreich sein können, dass sie nur noch von
manchen Männern daran gehindert werden. Da gibt es Berichte
über weibliche Mobbing-Opfer bei der Polizei, über
Vergewaltigungen in der US-Army, die so aussehen wie gewaltsame
Versuche, dadurch die alte Ordnung herzustellen,
wo die Frau noch die Dienerin des Helden zu sein hatte. Manche
Männer aus Ländern, wo Frauen noch Dienerinnen sind,
finden Anhänger auch bei arbeitslosen jungen Männern
hier. Die meinen, dass sie Arbeit hätten, wenn Frauen wieder
dazu da wären, im Hause zu bleiben.
Es gibt Frauen, die sich ganz bewusst freiwillig in die Bundeswehr
begeben (eine Wehrpflicht auch für Frauen ist nicht angestrebt),
es gibt Frauen, die bei der Polizei arbeiten. Das ist nicht nur
die Wahl eines Berufes wie jeder andere, sondern eben auch ein
Gefühl der Stärke und des Selbstbewusstseins. Im Grunde
hat sich das Rollenbild geändert, das man früher für
selbstverständlich hielt.
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- Pazifismus
Bei den Beratungsstellen für Kriegsdienstverweigerer melden
sich nun wieder mehr Männer. Nicht, dass sie pazifistischer
wären, dass sie grundsätzlich gegen das Töten
wären oder so. Eher ist es so, dass sie mit der Möglichkeit
rechnen, bei einem Auslandseinsatz verletzt oder getötet
zu werden. Mann möchte sich also da raushalten.
Die Nichtmänner, die Schwulen also, die man früher
für zu weibisch hielt, Soldaten zu sein, die sind nicht
von Natur aus Pazifisten. Sicher, es wäre besser für
uns alle, wenn die soldatischen Tugenden nicht mehr das Männerbild
beeinflussen und prägen würden, damit Männer sich
also erlauben könnten, mehr Mensch zu sein. Die Männer
und Frauen aus ihren zementierten Grenzen der gesellschaftlichen
Männer- und Frauenrollen zu befreien, müsste ein erklärtes
Ziel von Lesben und Schwulen sein, um letztlich dann selber besser
leben zu können.
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- Aber die schwulen Uniformliebhaber, die muskelbetonten
Leitbilder in den Magazinen, die Bären und die Ledermänner
entscheiden sich eher für die übertriebene Ausfüllung
des Männerbildes, zumindest nach außen. Auch die schwulen
Jugendgruppen sind hier durchaus trendbildend, und zu den Feinden
aus der Schwulenszene gehören für sie außer den
älteren Jugendliebhabern eben auch die Tunten. Die feminine
Tunte im Fummel ist recht selten geworden in unserer Szene. Auch
sexuell passive oder devote Typen sehen von außen durchaus
männlich aus, kurze Haare, rasiert usw., wie
eben die Szenenmode jetzt ist. Ist es eine Selbstverständlichkeit
oder eben auch eine Anpassung, um Schwierigkeiten und Diskriminierungen
zu vermeiden?
Pazifismus ist auch für die Lesben- und Schwulenszene eine
Ideologie, eine von mehreren Möglichkeiten, die Welt zu
sehen. Und da man nahezu die Gleichstellung erreicht hat, sieht
man gar keinen Grund, sich anders zu verhalten als andere. Warum
soll ein Schwuler denn kein Held sein, und natürlich, warum
sollen denn auch Frauen keine Heldinnen sein, und natürlich
auch lesbische Frauen? Solche Möglichkeiten verstärken
eher das Selbstwertgefühl. Lesben und Schwule lehnen eben
auch weibische Männer, Memmen usw. ab. Sie sind gleichgestellt
und denken nicht anders als Heten.
Wirklich? Naja, für andere Interpretationen gibt es gar
keine VerstärkerInnen mehr, zumindest in den Medien der
Szene und in der Welt der Verbände nicht mehr, die unterdessen
auch unpolitisch wurden. Gruppen oder Verbände sind überhaupt
nur noch interessant, wenn sie der eigenen Karriere dienen oder
der Möglichkeit, jemanden abzuschleppen.
Pazifismus ist ein Sicht der Welt, die jene Lesben und Schwule,
die so denken, noch in Zusammenarbeit mit den wenigen heterosexuellen
PazifistInnen besprechen können. In unserer Szene ist diese
Weltsicht unterdedssen genauso wenig anzutreffen wie in der Welt
der Heten. Es gibt sie nicht, die Szene, die aufgrund eigenen
Erlebens von der schleichend sich immer breiter machenden Kriegspropaganda
erfolgreich verschont werden kann. Höchstens nach einem
Krieg und wenn man geschlagen wurde. Die in den Medien vorgestellten
terroristischen Übergriffe überzeugen nahezu alle,
dass man dagegen nur bewaffnet etwas unternehmen kann.
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- Perspektivisches
Da die Notwendigkeit von Militär und militärischen
Einsatz durchaus in der Bevölkerung verständlich gemacht
werden kann, da die heutigen Jugendlichen von 14 bis vielleicht
18 den Weg der Emanzipation auch nicht bewusst mitgemacht haben,
hört man gerade dort wieder deutliche Hinwendungen zu den
traditionellen Rollenbildern, verknüpft mit Aggression gegen
Andersartiges. Die anpassungsfähige Frau ist hier noch nicht
deutlich durchgebrochen, wohl aber der männliche Held, der
männliche Chauvinist. Und da nimmt es nicht Wunder, dass
auch wieder der Hass auf Schwule deutlich zunimmt, besonders
bei männlichen Jugendlichen, wie neuere Umfragen belegen
(Siehe 71. LUST Seite 13).
Krieg ist nicht gewaltsam über uns gekommen, sondern er
schleicht sich in die Gesellschaft ein. Und so ändert sich
schrittweise Einges in der Gesellschaft. Wir werden nicht davon
verschont. Mit Sicherheit nicht. Genau wie Lesben und Schwule
normal werden, wird auch der Krieg zunerhmend als normal empfunden
werden. Normalisierung bedeutet auch Normierung, das wissen wir
doch alle. Und viele finden das auch gar nicht schlecht und verstehen
gar nicht mehr, was man dagegen haben könnte. (js)
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