72. LUST, Herbst 02, September/Oktober/November
 
„Verheiratet und bi nein danke“
Kategorien bei der PartnerInnenwahl
„Die Wirklichkeit sieht aber anders aus, bitte hören Sie mal her ...“ sang die Leander über ihren „Waldemar“, der in keine der gewünschten Kategorien passte. Woher entstehen die Kategorien, die wir z.B. in den Kontaktanzeigen lesen können, und halten wir uns dran?
 
Im Hetenbereich ist lt. Frankfurter Rundschau nach dem Arbeitsplatz und der Party das Internet der Beziehungsstifter Nummer 3.

Eine vergleichbare Untersuchung im Lesben- oder im Schwulenbereich liegt noch nicht vor. Ich untersuche in dieser Arbeit die Kategorien der Partnerinnensuche und Partnersuche hauptsächlich am Beispiel der Kontaktanzeigen. Dies will ich in den entsprechenden öffentlich zugänglichen Medien durchführen. Hier sind die Kategorien jedoch erst einmal, sofern eine Unterteilung vorliegt, von den MedienmacherInnen vorgegeben.
 
In der LUST zum Beispiel unterscheiden wir zwischen ”suche sie” und ”suche ihn”, “Mixed” und “Kommerzielles”. Wir haben also die Kategorien nach dem Gesichtspunkt ausgewählt, wen oder was die/der Suchende sucht. Dabei kann es vorkommen, dass auch eine Frau einen Mann sucht oder umgekehrt. Das findet in unserem Medium eher selten statt, wenn zum Beispiel ein schwuler Mann als Samenspender gesucht wird, oder wenn aus unterschiedlichen Gründen eine Lesbe einen Schwulen oder umgekehrt heiraten möchte. In anderen Printmedien finden wir zum Beispiel ”sie sucht sie” oder ”er sucht ihn”.

Nehmen wir zum Beispiel das verbreitetste Blatt, die Queer. Die Kontaktanzeigen sind im überregionalen Teil zu finden. Dort finden wir ”Gay & Gray”, wobei man hier auch die Suchanzeigen älterer vorfindet, die was Junges suchen. Unter ”Binats” finden wir auch die Heiratwünsche von Männern an Frauen und umgekehrt. ”Frau sucht Frau” hat den Untertitel ”Herzschmerz”, genau wie auch ”Mann sucht Mann”.
 
Dann gibt es die Rubrik ”Bisexuell”, in der wir auch Transvestitenanzeigen fanden. Unter ”Lust & Spiele” gibt es die Rubriken ”Frau sucht Frau” und ”Mann sucht Mann”. Dann gibt es ”Fetisch” und die ”Harte Welle” wieder für Frauen und Männer. Schließlich die Sexdienste. In allen Kategorien finden wir Beratungsstellen, kommerzielle Angebote usw. zwischen den Kontaktanzeigen. Die Inserenten haben die Möglichkeit, die Kategorien selbst durch Ankreuzen auszuwählen. Da die Kontaktanzeigen bundesweit gesammelt werden, ist ihre Anzahl insgesamt eher recht klein.

In der GAB, die im Rhein-Main-Gebiet kostenlos ausliegt, finden wir ”Er sucht Ihn - iebe”, dann ”Er sucht Ihn - Triebe”, dann ”Er sucht ihn - Freunde”. Dann ”Sie such Sie - Liebe” und ”Sie sucht Sie - Freundinnen”, keine Triebe bei den Frauen. Oft findet man hier die gleiche Kontaktanzeige in einer Ausgabe und Rubrik mehrfach.

Meistens halten sich die Leute an diese Einteilungen, denn was sollen sie auch sonst machen. Aber innerhalb dieser Vorgaben durch die Verlage oder Betreiber ergeben sich nun neue Kategorisierungen, die von den Suchenden entweder aus den Beispielen übernommen werden oder selbst erfunden werden.
 
In der GAB habe ich bei den Liebeswünschen mehrfach ”heterolike” gelesen. Das soll wohl heißen, dass der Partner keine Tunte sein soll oder auf andere Weise als Schwuler erkannt werden, sondern auch als Hete durchgehen kann. Hier sind die Kategorien der Kontaktsuchenden hinter den Realitäten zurück, denn es gibt genügend Heten, die weit tuntiger aussehen als so mancher Schwule.
 
Es hat sich etwas geändert, denn die Partner suchen nicht nur jünger und noch jünger (dies macht immer noch die Mehrzahl aus), sondern es gibt auch das Gegenteil, allerdings weit seltener und offensichtlich bis zur Grenze 40. Das Alter 40 ist hier wohl irgendwie eine wichtige Obergrenze, die in diesem Medium oft auftaucht.

In der Lespress findet frau eine Art Wühltisch von unsortierten Anzeigen, gemischt mit Initiativen oder Firmen, die ihre Aktivitäten bezw. Angebote vorstellen. Eine Sortierung lässt sich nicht erkennen, wohl aber Orientierungdhilfen in Form kommentierender Übertschriften. Es ist immer noch so, dass bei den Lesbenanzeigen wie auch in den Anzeigen älterer Männer, die recht junge Männer suchen, die Suchenden sich umfangreicher erklären und anbieten, oft mit dem Zusatz versehen, dass es ihnen eher peinlich ist, sich anzupreisen.

Diese Kombination mit Gruppen und Initiativen und kommerziellen Angeboten zwischen den Kontaktanzeigen, die ich im Grunde in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften gefunden habe, deutet auf das Problem der ZeitungsmacherInnen hin, dass die bei den LeserInnen als Lesestoff beliebten Kontaktanzeigen in den Print-Medien von den Anzeigen-AufgeberInnen immer weniger genutzt werden.
 
Es ist auch so, dass es zunehmend weniger Rückläufer auf Kontaktanzeigen gibt, schließlich auch, dass, so wurde uns versichert, auf Rückläufer immer seltener Resonanz erfolgt. Was ist da los? Grundsätzlich sind wohl Kontaktanzeigen in Printmedien Auslaufmodelle. Eine ganze Reihe von Zeitschriften haben daraus ihre Schlüsse gezogen und diesen Bereich gänzlich eingestellt.

Wo aber finden die Lesbe und der Schwule eigentlich noch ihre/seinen PartnerIn? Der Arbeitsplatz, die Nummer 1 bei den Heten, scheidet bei uns nahezu aus. Dort jemanden zu suchen ist ehr riskant, weil man beim Versuch einer Kontaktaufnahme sich offenbaren muss, was unter Kollegen auch zu Schwierigkeiten führen kann. Man begibt sich zumindest in Abhängigkeit, was in der Konkurrenz am Arbeitsplatz zumindest ein Schwächung darstellt.
 
Auch anbaggernde Heten schwächen sich bei ihrem Versuch am Arbeitsplatz, denn der oder die Anbaggernde zeigt gegenüber einem anderen Menschen eine Schwäche. Diese Schwäche ist aber besonders bei homosexuellen Kontaktversuchen gegeben. Und beim Code in Arbeitszeugnissen ist der Hinweis ”Für die Belange der Belegschaft bewies es (sie) stets Einfühlungsvermögen” der Hinweis auf Sexkontaktsuche. ”Für die Belange der Belegschaft bewies es (sie) stets ein umfassendes Einfühlungsvermögen” ist der Hinweis auf homosexuelle Kontaktsuche. Schaut mal nach, ob Ihr so was in Euren Zeugnissen findet und wenn ja, verlangt Ihr die Neuausstellung des Zeugnisses unter Streichung des entsprechenden Hinweises.

Bei den unterschiedlichen Internet-AnbieterInnen finden wir einen so großen und reichhaltigen Kontaktmarkt, dass man annehmen muss, dass dieser die Print-Kontaktanzeigen abgelöst hat. Der Vorteil: sie funktionieren schneller. Oft sind Homepages (also umfassende Selbstdarstellungen als Internet-Präsentationen) in den Anzeigen zu finden und die Kontaktaufnahme findet über das dortige Gästebuch statt, wo man sich selbst, seine eigene Homepage und seine E-Mail-Adresse angeben kann, oder eben direkt über E-Mail.

Man braucht also keinen Brief zu schreiben (keine Fotos zu machen, das hat man alles auf dem Rechner und kann es von Fall zu Fall einsetzen). Natürlich gibt es hier wie bei den Print-Kontaktanzeigen auch Falschspieler. Da muss man schon etwas vorsichtig sein.
Dann gibt es bei vielen Anbietern Chat-Angebote, wo man mit ”Freunden” sofort Kontakt aufnehmen kann. Man kann dort ganze Dialoge ”texten” und sich verständigen, Treffen absprechen usw. Auch hier kann man bei unterschiedlichen AnbieterInnen den Versuch der Kategorisierung erkennen.

Die Kategorien sind im Grunde der Tod der Kontaktanzeigen. Je enger sie gezogen sind, je vielfältiger sie erscheinen, um so weniger lesen die BesucherInnen alle Anzeigen, sondern eben nur noch ”ihre” Kategorie. Besonders, wenn die Kategorisierung nicht vorrangig in Richtung der/des Gesuchten geht, sondern des/der Suchenden, ist die Kategorisierung mehr als eine Suchhilfe, sie ist eine Ausgrenzungshilfe.

Wenn Kontaktanzeigen in den Printmedien oder im Internet irgend einen Sinn haben sollen, dann müssen die LeserInnen eine Vielfalt von unterschiedlichen Angeboten und Personen mit ganz unterschiedlichen persönlichen Eigenschaften vorfinden, um sich lustvoll fragen zu können, ob ihnen auch dieser Mensch mit diesen Eigenschaften und Wunschvorstellungen eventuell zusagen könnte.

Je weniger die Menschen in Kategorien festgelegt werden, um so mehr kann man sie noch als Mensch wahrnehmen. Wenn zum Beispiel die Kontaktanzeigen nach Altersgruppen sortiert werden, dann sucht jeder in der von ihm bevorzugten Altersgruppe nach und alle anderen Eigenschaften der betreffenden Menschen werden zweitrangig.
 
Selbst wenn es lediglich um Äußerlichkeiten geht, kann man die anderen Äußerlichkeiten, jenseits der Fragestellung des kalendarischen Alters, überhaupt nicht mehr finden, wenn sie bei Menschen eines anderen als des gesuchten Alters auftreten, weil dies niemand zur Kenntnis nimmt. Das ist eigentlich absurd.

In Chat-Lines, in denen überhaupt keine Sortierung zwischen den Gays vorgenommen werden, bei denen es den Suchenden freigestellt wird, was sie in ihre Selbstbeschreibung eintragen können, habe ich bisher am besten Kontakte knüpfen können, die zu Treffen führten, und dies, obwohl ich mein höheres Alter in meiner Page nicht verschweige und auch schon im Namen verkünde, dass ich ein älterer schwuler Mann bin.
 
Und ich entdecke hier Partner, die zum Beispiel in (heterosexuellen) Beziehungen leben und solche Verbindungen suchen. Wo zum Beispiel das Alter eingegeben werden muss und dann der Sortierung dient, hat man natürlich die Möglichkeit zu lügen und die meisten tun es ja auch. Dies führt aber zu Kategorisierungen, die mögliche PartnerInnen davon abhalten, sich füreinander zu interessieren.

Ich gehe mit zwei unterschiedlichen ”Identitäten” und den entsprechenden Angeboten auf Partnersuche. Da ist eine, in der ich mit eigenem Namen und wahrheitsgemäßen Lebensbeschreibungen im Chat mitdiskutiere. Auch mein Passbild, das Ihr aus der LUST kennt, ist hier zu sehen. Hierauf gibt es nahezu überhaupt keine Resonanz.

Eine zweite eher sexuell drastische Page hat viel Resonanz, auch von Männern, von denen ich eher erwartet hätte, dass sie auf die andere Page reagieren würden. Obwohl hier eigentlich nur einige Zentimeter von mir immer wieder in vielfältiger Ansicht abgebildet sind, entdecken die Männer unterschiedlichen Alters bei der eher sexuellen Page Eigenschaften an mir, die mit keiner Silbe irgendwo beschrieben sind. Sie meinen, dass ich vertrauenswürdig sei, dass sie mir alles anvertrauen können, dass ich liebenswerte Eigenschaften hätte, und zwar in Fragen Beziehung und Partnerschaft, und dass sie sich in mich verliebt hätten. Also: zumindest Männer reagieren am stärksten und über alle Kategorisierungen hinaus auf direkte sexuelle Ansprache. So ist das eben bei uns Männern (Bei dir natürlich nicht!).

Also, das Erfolgsrezept ist einfach. Man arbeitet mit direkter sexueller Ansprache, und zwar so drastisch es geht und kritisiert dabei, dass es den anderen immer nur um Sex geht. So macht man sich zum besseren Menschen. Ansonsten kann man ja noch ein bisschen was hinschreiben. Aber was da dann noch steht, darauf kommt es wohl nicht so sehr an. (js)
 
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