72. LUST, Herbst 02, September/Oktober/November
 
Outside Cruising
Die ritualisierte PartnerInnenwahl in unserer kommerzialisierten und kultivierten Szene kann nicht alle Bedürfnisse befriedigen. Unser Ausweg: das Outside Cruising. Die Problemstellung ist klar. In den Lokalen und anderen Einrichtungen unserer Szene drängen sich die Männer, die einen Mann suchen.

Viele Gäste beklagen, dass sie keinen Freund haben oder dass sie schon seit Monaten oder gar Jahren keinen zufriedenstellenden Sex hatten. Auch im Chat geht es nur um Partnersuche. Offensichtlich gibt es einen große Menge von Partnersuchenden und einen großen Mangel an Partnern.

Nun mag mancher Leser, manche Leserin dieses Beitrages sagen, dass dies doch eigentlich absurd ist. Dann sollen doch die einen Suchenden andere Suchende nehmen, möchte man meinen. Aber da liegt der Hase im Pfeffer: Die anwesenden Suchenden gefallen den anderen anwesenden Suchenden nicht. Rein rechnerisch müsste es schon klappen, aber wir Menschen sind offensichtlich dann doch anders als eine Rechenaufgabe, die aufgeht.

Also sind wir bei unserer Partnersuche auch auf immer andere, neue Plätze angewiesen, wo wir den Partner, den Traumpartner zu finden hoffen, den wir die ganze Zeit suchen. Wie muss er sein? Nun, da haben wir ja schon ganz genaue Vorstellungen.

Um mit ihm vollends zufrieden sein zu können, muss er von allen Partnern, die wir schon gehabt haben, einen Teil haben, den jeweils liebenswerten, und andere Teile eben nicht, nämlich die unangenehmen Eigenschaften, die hassenswerten. Oh ja, wir setzen uns dann den Traummann zusammen.
 
1. Beispiel:
Er muss einen haarigen massigen Körper haben, stark und potent. Er muss hart zupacken können und auch Zärtlichkeiten von uns genießen können. Er muss sich für unsere Tagesereignisse interessieren und uns große Aufmerksamkeit schenken. Er muss fühlen können, was wir jetzt so brauchen. Er muss wie ein Bulle bumsen können, ausdauernd dann, wenn wir es brauchen, schnell fertig werden, wenn wir es nicht mehr brauchen.
 
Er muss sich leicht von uns am Nasenring führen lassen und darf keine eigenen Ansprüche und Forderungen haben, die letztlich ja die Harmonie stören würden. Und wenn er eigene Ansprüche hat, müssen die wie ein Deckel zum Topf genau als Ergänzung zu unseren heimlichen Wünschen passen, und er muss besser Sehnsüchte bei uns aufspüren und befriedigen können, als wir sie uns eingestehen wollen.
 
2. Beispiel:
Oder er muss so anschmiegsam sein, wie der junge Typ damals, mit dem es sexuell zwar nicht so sehr geklappt hat, der aber an dem einen Tag, an dem wir ihn trafen, verträumt und anschmiegsam war. Und er muss sexuell derart verwegen und eigentlich versaut sein, ie der eher ältere Kerl, mit dem wir uns dann doch nicht so sehr trauten, alles genüsslich auszuleben, da er eben doch ein wenig zu alt war, anders, als der Traumprinz war.
 
Er muss vor allen Dingen ausschließlich nur Sex mit uns und niemand anderen machen, damit wir auf den lästigen Pariser verzichten können, während er selbst keine Angst hat, uzulassen, dass wir auch mal mit einem anderen Sex haben. Er muss dann Lust haben, wenn wir Sex wollen, während er nicht sauer ist, wenn wir mal nicht so drauf sind und ihn abweisen. Sein Schwanz muss sehr Groß sein, wenn wir ihn anscheuen oder in den Mund nehmen wollen, aber nicht so groß sein, wenn er dann bumst, damit es im Rachen nicht würgt.
 
Sein Körper muss schon was hermachen, flacher Bauch natürlich, und uns selbst liebt er natürlich so, wie wir nun mal aussehen. Also ehrlich: so wie wir selbst aussehen, darf er nicht aussehen. Mit dem würden wir dann nichts anfangen können und wollen.
 
3. Beispiel:
Dieses Beispiel gilt für Suchende im Alter von ca. 25 Jahren. Er muss etwa gleichaltrig sein, was konkret bedeutet, so ungefähr 5 Jahre jünger als man selbst, aber uns auch als Gleichaltrigen und absolut gleichwertig ansehen, was konkret bedeutet, dass er sich an uns orientiert.
 
Dabei ist wichtig, dass er wie wir selbst modisch gekleidet ist, möglichste einen Waschbrettbauch hat, Ganzkörperrasur, dass er die selbe Musik und die selben Musikgruppen mag wie wir. Er hat die Haarfarbe, auf die wir stehen und vor allem sucht er uns wie wir ihn als Dauerpartner, den wir heiraten möchten und der uns heiraten will. Ein kleines individuell geflochtenes Bärtchen gefällt uns genau so wie eine modische Frisur.
 
Er mag wie wir Reisen, Tennis, Reiten und Disco. Er ist jung aber trotzdem schon in einer wirtschaftlichen Führungsposition oder selbständig mit gehobenen Einnahmen, wie wir selbst auch. In sexuellen Fragen muss er genau wissen, was wir mögen und er muss mögen, was wir wollen. Er ist uns treu und wir sind ihm treu, und wenn uns mal ein Seitensprung passiert, dann hat er Verständnis. Er hat auch Verständnis dafür, dass wir einen Seitensprung von ihm nicht akzeptieren werden.
 
4. und 5. Beispiel ist Euch überlassen
Diesen einen, den wir seit Jahren suchen, finden wir also seit Jahren nicht in den einschlägigen Lokalen. Und glauben wir, dass wir ihn gefunden haben, dann stellt sich heraus, dass er nicht genau so ist, wie wir es nun brauchen. Die Szene taugt nichts. Und wenn dann die letzen Gäste, bevor das Lokal schließt, frustriert an ihrem Bier nuckeln oder gar schon in ihr Bierglas gefallen sind, dann gehen sie uns so richtig auf die Nerven.
 
Das sind keine Partner, die unsere Wünsche und Träume befriedigen. Alleine nach Hause gehen? Einen Film auflegen? Also mal wieder vor den Realitäten kapitulieren und das tun, was wir dann immer in Begleitung des entsprechenden Filmes tun?

Auf dem Weg nach Hause sehen wir die Heten, die von außen ganz genauso aussehen, wie der Traumprinz, aber völlig idiotisch mit irgendeiner Frau rumknutschen. „Und so was küsst Du?“, fragt man sich irritiert. Und man sieht gut aussehende Heten, die frustriert durch die Nacht stapfen, uns aber keines Blickes würdigen oder gar in ihrer Clique über uns lästern, weil wir sie interessiert gemustert hatten. Und auch hässliche und besoffene Heten sieht man, und man wechselt die Straßenseite. Sicher ist sicher.

Schauen wir doch mal im „Park“ vorbei, sagen wir uns so, mal sehen, vielleicht läuft uns da ja der Tramprinz über den Weg. Angeregt und neugierig gehen wir die dunklen Wege entlang, vorbei an Leuten, denen wir lieber nicht alleine begegnen wollen, ins immer Dunklere. Wir kommen vorbei an Paaren und Gruppen, die sich sexuell aneinander zu schaffen machen. Jeder weiß ja, dass Geilheit ansteckend ist. Aber mit denen? Na ja, da hätte ich vielleicht doch lieber den Typ im Lokal genommen, denk man sich, wenn man das so sieht. Weit weit entfernt ist nun der Traumboy, undenkbar.
 
Und das Suchen lässt den Jagdinstinkt wach werden. Es ist dunkel, man kann gar nicht so genau erkennen, wie der Typ dort aussieht. Auch beim Näherkommen bleibt das Gesicht im Dunkeln. Nur die Konturen lassen Vielversprechendes ahnen. Man ist ohnehin schon etwas erregt, muss wohl am warmen Wetter liegen, und eigentlich ist jetzt auch schon alles egal.

Ganz im Dunklen tastet man nach dem Gegenüber, natürlich nicht nach dem Gesicht, und bekommt etwas angenehm festes Fleischiges zu fassen, das fühlt sich noch erregender und noch geiler an. Der andere hat längst seine Hose auf und wartete auf irgend jemanden und lässt es sich gerne gefallen, was wir an ihm tun. Seine Hände öffnen nun auch den Reißverschluss des Suchenden, aöso von uns, und graben sich durch die Unterwäsche dorthin, wo etwas sehr Strammes nach Befreiung drängt.
 
Die Hände und der Mund wechseln wechselseitig ab, etwas warmes Klebriges fließt über seine Hand, was ihn ganz und gar in Extasse versetzt. Der andere hat den Anstand, ihn nicht hängen zu lassen. Das ist mehr, als man erwarten kann. Dann dreht er sich wortlos weg. Und im blassen Widerschein einer entfernten Laterne erkennt der Suchende, er war ganz und gar nicht der Traumprinz, er war eher das Gegenteil. Die Anonymität machte es möglich, trotz des unrealistischen Traumbildes im Kopf eine schnelle sexuelle Begegnung zu erleben. Der Abend war also nicht verloren.
 
Selbsthass nach einer solchen Begegnung
Nun kann es sein, dass man den anderen dafür hasst, dass es nicht der Traumprinz war, und sich selbst, dass er nicht der Traumprinz war und dass man sich auf ihn eingelassen hat. Die Moral der heterosexuellen Ehe sitzt uns da im Genick, verstärkt durch die neue Moral der neuen Homo-Ehe. Man wollte doch sein erträumtes Schäfchen ins Trockene führen, wie es so schön heißt. Und man hasst die, die sich immer nachts in den Parks rumtreiben, denn wenn sie nicht da gewesen wären, dann wäre es ja dazu gar nicht gekommen.

Es gibt auch welche, die hassen sich selbst dafür, dass sie mal wieder schwach geworden sind und sich “unter Wert”, wie sie meinen, verkauft haben. Der andere hat unsere Geilheit ausgenutzt, um uns rumzukriegen, obwohl wir doch mit so einem eigentlich nicht wollten. Das ist uns eben nur hinterher, nach der Entspannung aufgefallen.

Das alles kan uns auch tagsüber passieren nicht gerade im Stadtpark aber vielleicht auf der besagten Autobahnraststätte, genauer gesagt neben der Autobahngaststätte, im Wald und Gestrüpp. Zwar ist man dort nicht im gleichen Maße anonym wie im Stadtpark, aber wenn man dann mittels eines winkenden Ständers eigefangen wurde, ist der Rest auch egal. Man kann sich dann ja im Auto so richtig ekelhaft finden, weil man sich wieder mal gehen ließ, oder besser noch: den anderen, weil er sich derart gehen ließ, dass man sich selbst gehen ließ.

Ach wie schade. Wenn man doch einfach anerkennen könnte, dass das, was man im Park, auf der Klappe, im Gebüsch an den Autobahnraststätten machen kann und macht, ein zu akzeptierender Teil unseres Lebens ist. Vielleicht nicht einer ersehnten Romantik entsprechend, die ihre Quelle in irgendwelchen heterosexuellen Schmachtstreifen hat, vielleicht auch nicht unseren geheimen Wünschen entsprechend, vielleicht nicht einmal unseren erotischen Leitbildern erntsprechend, aber doch immerhin möglich, im Gegensatz zu den unerfüllbaren Träumen.

Da sind wir ja fein in einer Zwickmühle. Einerseits bläst man uns in Filmen und Romanen, in anderen Medien und in der zwischenmenschlichen Kommunikation über das angeblich Selbstverständliche Leitbilder ins Gemüt, die sich auch nicht für die Heten erfüllen, die aber aus den Normierungsstrukturen der Heten stammen und deren Mann-Frau-Spiel, andererseits findet sich keine Gelegenheit und Szene, wo sich diese Sehnsüchte erfüllen. Und für unsere Auswege sollen wir uns schuldig fühlen, weil sie nicht dem Ehe-Ideal entsprechen.
 
Analverkehr und andere Gefahren
Zumeist verkehr man ja zwischen den Büschen im Park mittels Handreichungen. Das ist am praktischsten und unverfänglichsten, jedoch leider nur zu vertraut, man könnte es jetzt auch zu Hause alleine auf gleiche Art machen. Zwar ohne die Spannung des Jagdgefühles, dafür mit schöneren Bildern, mit solchen die besser passen (man hat sie selber ausgesucht) und die dem Traum mehr entsprechen. Also gegenseitige Handreichungen sind nicht immer ausreichend überzeugend.

Gibt’s ja noch den Mund. Aber im Park, jenseits aller Duschen und andere kultivierteren Angewohnheiten, hat man dann doch sehr oft Angst vor einem strengen Geruch oder Geschmack, vor möglichen gesundheitlichen Gefahren ganz zu schweigen. Dergleichen ließe sich zu Hause unter der Dusche usw. doch besser gestalten. Andere haben sich auf kleinere Geschmackszugaben schon eingestellt, es ist ihnen das Gewürz nächtlicher Gaumenfreuden. Das ist dann wirklich Geschmackssache, wie es so schön heißt. Und schließlich kennt man das Gegenüber so wenig, dass man nicht absehen kann, ob es im entscheidenden Moment zur Vernunft in der Lage ist oder alles so kommt, wie es natürlich kommen muss. Nichts gegen den bitter-salzigen Geschmack, der ja nicht unangenehm ist, wenn man ihn kennen gelernt hat und uns das anfängliche Fremdheitsgefühl im Laufe der Jahre vertraut geworden ist. Eher im Gegenteil.

Und auch noch andere sexuell genießbare Öffnungen, auf der genauen Gegenseite des Körpers als dem Mund gelegen, gibt es, wie ja jeder weiß. Diese sind mit den Händen, dem Mund und dem Schwanz zu genießen. Auch hier gibt es das bekannte Hygieneproblem, so fern jeder Dusche. Und die Bumserei zwischen den Büschen erfreute sich schon immer recht großer Beliebtheit. Aber seit der großen Verbreitung von Aids in unserer Szene kann man auch hier nur eingeschränkt genießen. Pariser und Gleitcreme in Cruising-Packs sind angesagt, und am nächsten Morgen liegen sie eben verräterisch rum, die Zeugen der nächtlichen Begierden aus Latex und auch die Reste des Abputzens.

Um nicht missverstanden zu werden: dem HIV-Virus ist es egal, ob es im Bett oder im Park, in einer festen oder einer flüchtigen Beziehungsstruktur übertragen wird. Aber an Orten, wo die Anonymität nicht aufrechterhalten wird, lässt sich besser über gemeinsamen Schutz kommunizieren. Angesichts der staatlichen Verfolgung homosexueller Sexkontakte bis hin zur Todesstrafe in vielen Teilen der Welt entstand die Frage: “Bist du bereit, eventuell für deine sexuelle Freiheit zu sterben?” Die gleiche Frage ist heutzutage zu stellen, wenn man auf Vorbeugung verzichten will.
 
Überfälle und Übergriffe
Gut, wir sind da vernünftig und spielen nicht mit dem Leben und wollen ja auch noch öfter mal sexuelles Glück erleben. Also lernen wir von den Aidshilfen, was zu tun ist, helfen uns auch gegenseitig in unseren vielfältigen Begegnungen, innere Vorbehalte zu überwinden. Wir sind ja schließlich keine Gegner sondern Partner, wenn wir es miteinander treiben. Oder?

Nun ja, Gegner treiben sich schon in den Parks und an den Cruising Plätzen herum, an den wir nach Partner suchen. Sie treten als potenzielle Partner auf, eine Zeitlang, und dann rufen sie ihre Freunde und sagen: „Das schwule Schwein da hat mich angemacht!“ Und dann lassen sie allen Frust, den ihnen die Welt beigebracht hat, an dem Kontaktsuchenden aus: keine angemessene Arbeit oder genauer kein angemessener Verdienst, keine Freundin, die ihnen ihre geheimen Wünsche erfüllt, zu wenig Anerkennung im Kameradenkreis usw. Sie tun es für die schweigende Mehrheit, glauben sie selbst.
 
Sie haben die normale Gesellschaft im Auge, werden sie vor Gericht aussagen, falls sie erwischt werden, was aber selten der Fall ist. Im Park zusammengeschlagen werden, von sogenannten „Schwulenklatscher”, das ist eines der Risiken, die Mann eingeht, für ein bisschen anonymen Sex. Hinzu kommen gelegentliche polizeiliche Kontrollen. In manchen Städten gibt es die Zusammenarbeit von engagierten schwulen Gruppen mit der Polizei, falls die dort einen Schwulenbeauftragten haben und nicht uns als Gegner der öffentlichen Ordnung ansehen. In der Nachkriegszeit, in der mehr schwule Männer verhaftet wurden als in der Nazizeit, (CDU/CSU/FDP-Regierung), gab es auch den polizeilichen „Agent provokateur”, also Polizisten, die sich erst einen blasen ließen und dann ihren Partner verhafteten, so erzählte man sich in unserer Szene jedenfalls. Vor Gericht streiten dies die Polizisten dann ab und bekommen dies dann auch geglaubt.

Agent provokateur, Lockspitzel; jemand, der einen anderen zur Begehung einer Straftat provoziert, um ihn dann zu einem bestimmten Verhalten zu nötigen oder zum Zweck der Strafverfolgung überführen zu können. Der A. p. bleibt im deutschen Recht straffrei, sofern er es nicht zur Vollendung der Tat kommen lassen will. (Mayers großes Taschchenlexikon in 24 Bänden)
Kleinkriminalität
In Bayern gibt es für homosexuell Handelnde, die in Klappen und Parks erwische werden, von den städtischen Behörden Klappenverbot oder Parkverbot. Uns liegen entsprechende Informationen aus München und Nürnberg dazu vor. Kann sein, dass es das auch in anderen Ländern gibt, jedoch liegen uns keine aktuellen Informationen darüber vor.

Man kann im Park auch seine Papiere und seinen Wohnungsschlüssel geklaut bekommen. Und welches der Opfer geht schon zur Polizei und zeigt sich erst einmal selbst für den nächtlichen Parkbesuch an, um jemand anderen anzuzeigen. Ganz besonders gefährlich ist es auch, jemanden aus dem Park mit nach Hause zu nehmen. Abgesehen davon, dass einem auch zu Hause die Wohnungsschlüssel geklaut werden können, kann man auch gleich an Ort und Stelle um seine Ersparnisse oder anderes gebracht werden.
Die Opfer solcher krimineller Handlungen genießen in der Szene oftmals wenig Achtung, da man hier heuchlerisch und doppelmoralisch das Opfer für selbst schuld hält, sich einer solchen Lage ausgesetzt zu haben.
 
Unser schwules Leben also
Unsere Medien, selbst die angeblich linken unter ihnen, sind doppelmoralisch und heuchlerisch geworden. So schrieb der schwule taz-Redakteur Jan Feddersen in einem Artikel gegen den um die schwule Sache seit vielen Jahren verdienten Sexualwissenschaftler Martin Dannecker eine Polemik, weil dieser auch das Recht auf Partnersuche in Klappen und Parks betont, eine boshafte Polemik. Parks und Klappen seien angesichts der Homo-Ehe und längerer Beziehungen sowie Saunen und Bordellen überflüssig geworden. (Genauer Wortlaut siehe 67. LUST Seite 20).

Wie wenig Feddersen vom schwulen Leben versteht, wie sehr er den verunsicherten Moral-Schwulen nach dem Munde redet, wie sehr er die verklemmte linke Szene bedient, wie sehr er die spießige Ehe-Fassade den Parkbesuchern um die Ohren schlägt, ist alleine aus der Tatsache zu erkennen, dass schwule Männer in Beziehung auch zu den Partnersuchenden gehören, die Lokale und danach Parks und Klappen aufsuchen.

Was schon für die Heten-Ehe nicht klappt, die durch massenhafte Prostitution ergänzt wird, und eigentlich nur von der katholischen Moraltheologie gefordert und nie eingehalten wird, nämlich die lebenslange Monogamie, kann auch in unserer Szene nicht klappen, da Sexualität so nicht funktioniert. Die katholische Kirche erntet immerhin dafür Schuldgefühle, Beichten und Spenden, die Doppelmoralapostel in unseren Reihen ernten dabei fragwürdigen Applaus bei unseren GegnerInnen, die ihre wie auch immer geartete Moral für das Maß aller Dinge halten und die im Grunde ihre schwulen Speichellecker auch nur so lange tolerieren, wie sie müssen.

Richtig, das muss noch gesagt werden: die Anhänger der Doppelmoral in unseren Reihen ernten für die verkündete Doppelmoral in unserer Szene bisweilen auch Anerkennung, und zwar bei den verunsicherten Lesben und Schwulen, die sich heute unter zunehmend konservativer werdender Ideologie orientieren müssen. Ihre Orientierungshilfe ist eben so, wie die schwule Szene heutzutage ist.

Ein (neues) Zeitalter der Aufklärung lässt noch auf sich warten, denn die zunehmenden Widersprüche sind durch elementarere Probleme derzeit überlagert. Man tröstet sich da lieber mit Illusionen von der bunten schönen Welt, wie sie sei. (js)

(Die Bilder sind deshalb so dunkel, weils im Wald nachts eben dunkel ist)
 
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