- 70. LUST, März/April/Mai 02
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- Sexuelle LUST: Ernst oder Spaß?
Ist Sexualität unbeschwerte Freude,
macht man es aus Spaß oder zum Spaß? Oder wird es
ernst, wenn es sexuell wird? Gibt es in diesem Zusammenhang einen
Unterschied zwischen lesbischem oder schwulem Sex, zwischen männlichen
oder weiblich heterosexuellem Sex?
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- Ein Besucher einer unserer Veranstaltungen
meinte einmal zu mir, so wie ich es mache, könne man keine
Artikel schreiben.
Die eigene Person habe außen vor zu bleiben. Es ging um
ein gehaltenes Referat, das später zum Artikel für
die Zeitschrift LUST werden sollte. Ich unterstelle ihm, dass
er seine Subjektivität als Objektivität interpretiert.
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- Aber im Ernst: Nachrichten und Berichte müssen
ohne kommentierende Anmerkungen veröffentlicht werden, Kommentare
müssen als solche erkannt werden. Und wenn jemand zum Beispiel
Lesben lobt oder Schwule, um sie dann auf hinterhältige
Weise in eine diskriminierende Sackgasse zu komplimentieren,
dann kann man das nicht so stehen lassen, da auch Lesben und
Schwule auf diesen Hinterhalt reinfallen können, wenn sie
diese Nachrichten lesen und im Durchschauen der knallharten Intrigen
z.B. konservativer Politiker ungeübt sind.
Es ist wahr, wir wollen in einem heterosexuellen Umfeld Unmögliches:
wir wollen so, wie wir sind, mit unseren Besonderheiten und Unterschieden,
geliebt werden. Was wir erreichen können, ist vielleicht,
geachtet zu werden.
In unserer Szene geht es oft auch um sehr Persönliches.
Im Persönlichen des einen erkennen sich die anderen ielleicht.
Dem müssten unsere Medien Rechnung tragen. Es geht um Menschen
in den unterschiedlichen Etappen ihrer Selbstbehauptung. Und
ist denn nicht das real persönlich Erlebte oftmals erhellender
als das Objektivierte?
Dieser Beitrag ist sehr persönlich. Aber ich kann über
bestimmte Zusammenhänge nicht gut reflektieren, wenn ich
mich nicht mit einbringe, wenn ich nicht mich selbst mit meinen
Empfindungen immer wieder hinterfrage und dies in Bezug zu den
erfahrenen Informationen anderer setze. Ob es mir gelingt, daraus
allgemeine Lehren abzuleiten, weiß ich am Beginn meiner
Arbeit daran noch nicht. Ich weiß auch nicht, ob ich das
Thema hinreichend reflektieren kann.
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- Da mich das Thema bewegt, das im Titel angegeben
ist, will ich es dennoch versuchen. Wem sehr persönliche
Reflektionen eines anderen Menschen unangenehm sind, der soll
das Weiterlesen lieber lassen. Ich will also versuchen, mich
dem Thema persönlich anzunähern. Dabei geht es hier
nur um die schwule Sicht der Dinge, genauer: um meine schwule
Sicht der Dinge, denn es gibt selbstverständlich auch unter
uns viele unterschiedliche Sichtweisen. Je persönlicher
ich werde, um so weniger kann ich zum Beispiel lesbische Lebenserfahrung
mit berücksichtigen, die in der Literatur auftaucht. Überhaupt
kann man nicht gleichzeitig persönlich sein und für
andere mitsprechen, man kann höchstens Gemeinsamkeiten vermuten.
Völlig überraschte mich, dass die Anzeigenzeitung Queer
dieses Thema, wie es in der Überschrift formuliert wurde,
so verstand, dass ich hier im folgenden Referat über Sexsucht
reflektieren wolle. Dann wäre es der Tagestipp
in der entsprechenden Regionalausgabe geworden. Aber so wurde
es dort weniger wichtig. Auch gut.
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- Gedankenspiel
Als Jugendlicher, der sich damals als heterosexuell empfand und
unbewusst bisexuell lebte, machte ich die Beobachtung, dass die
erotischen Spielereien mit anderen männlichen Partnern im
Bereich der Spielereien blieben, dass der Spaß an der Lust
nicht aufhörte, einschließlich dem Orgasmus, der sich
eben dabei gelegentlich einstellte.
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- Es war, wie ich später in der sogenannten
Männerbewegungsliteratur las, kein zielgerichteter Vollzug,
auch wenn sich sogenannte lusttechnische Abläufe ab einem
bestimmten Punkt der Entwicklung einfach einstellten, wieder
in den Worten der sogenannten Männerbewegung ausgedrückt.
Es handelte sich tatsächlich im wesentlichen um Verspieltes,
Lustvolles und auch Belangloses, so flüchtig wie das Sperma.
Das Spiel ging einfach weiter. Es gab keinen Einschnitt, keinen
definierbaren Übergang von der verspielten Albernheit zum
richtigen Sex.
Bei meinen sexuellen Erlebnissen mit Frauen war es anders. Ich
erlebte erstaunt, wie das humorvolle und lachende Gesicht meiner
jeweiligen Partnerin plötzlich, an einer Stelle der Entwicklung
der erotischen Handlungen, ernst wurde. Das war so, als signalisierte
mir das Gesicht: Vorsicht, jetzt wird es ernst! Und es ist wahr,
es wurde dadurch etwas Anderes, etwas Bewussteres. Das war, so
empfand ich es, der Ernst in der Lust.
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- Die Sexualität verlor ihre Unbekümmertheit
und Unschuld und wurde etwas, das es zu kultivieren galt. Mir
machte die Spaßlust mit den jungen Kerlen mehr
Spaß als die Ernstlust mit den Frauen. Nur
fand man nicht immer die männlichen Partner, wenn man hauptsächlich
in der linken Szene verkehrte und nicht in der schwulen Szene,
die mir damals noch fremd war. Also dann damals doch oft mit
Frauen.
Was die Ernstlust mit den Frauen noch verstärkte,
waren die Sprüche zwischen uns Gleichaltrigen in der Schule
und Berufsschule und es war überhaupt das gesellschaftspolitische
Umfeld. Im heterosexuellen Bereich war alles schon irgendwie
vorgegeben, nämlich wie eine Heten-Beziehung abzulaufen
hat, welche Rollen jeder der beiden zu spielen hat usw. Da gab
es die sogenannte Treue, das miteinander Gehen, das dann nicht
fremd gehen Dürfen, als bereite man sich schon
auf den Lebensabend vor.
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- Dann das nach außen Repräsentieren,
denn als Man wurde ja von anderen Männern und auch Frauen
danach beurteilt, mit welcher Frau man auftauchte, und Frauen
danach, welchen Mann sie sich geangelt hatten. Ich
erinnere mich noch, dass mein Vater einmal stinksauer war, als
er hörte, wie meine Großmutter meiner Mutter vorwarf,
sie habe ja den ersten Besten genommen. Und im Bett
gab es akzeptierte sexuelle Stellungen und weniger akzeptierte,
Vorgaben also ohne Ende.
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- Und bis man dann endlich miteinander Sex
haben konnte, musste vorher drum herum so viel Anpassungsarbeit
geleistet werden, dass man die sexuelle Erregtheit dabei schon
fast aus dem Auge verlor, wenn nicht der Anpassungszwang ohnehin
schon als absolut lusttötend empfunden wurde. Und überhaupt,
das sexuelle Ziel wurde dadurch überhaupt erst zu einem.
Das alles war einfach weniger interessant und überhaupt
nicht spannend.
Das Ernste zeigte ja auch in den sexuellen Bedürfnissen
der PartnerInnen, die befriedigen zu können den Mann ausmache,
wie man so lernte. Amüsiert lauschte ich den Berichten,
dass Männer ihre Frauen fragten War ich gut?,
als ob ein Mann eine Frau zu bedienen habe und das Spiel nicht
zweiseitig ist. Manche Frauen (und wohl deren Männer auch)
empfanden als Sexualität nur den Koitus, der dem sogenannten
Vorspiels zu folgen hatte. Man musste ihr gefallen, zu gefallen
sein, sich Mühe geben, das war gar kein gegenseitiges Geben
und Nehmen. Und erstaunt bemerkte ich, dass manche Frauen meine
Bemühungen, es ihnen recht zu machen, für selbstverständlich
hielten, während sie eigentlich nie versuchten, es mir recht
zu machen. Im Gegenteil waren sie nur anspruchsvoll mir gegenüber.
Das war nicht erfüllend. Ich hatte es meistens mit Frauen
zu tun, damals.
Viele erotische Spielereien wurden von ihnen eher als Perversion
und unlustvoll empfunden, zumindest als nicht normal, und ich
hielt mich dran, man wollte ja als normaler guter Liebhaber gelten.
Petting war damals das Modewort, was von den amerikanischen
Jugendlichen zu uns rüber kam, und pet, das
ist ja das Haustier. Petting war im Grunde alles ohne den Koitus,
und das alles war also offensichtlich kein Sex, sondern nur
Vorspiel. Alles war eingeteilt und wertig, höherwertig und
weniger wert.
Weil man in den USA keinen Platz im elterlichen Haus hatte, es
zu tun, waren die Möglichkeiten, was man tat, von der Bauweise
der Autos abhängig. Wer als Jugendlicher Geld hatte, konnte
sich z.B. Liegesitze und ein Autoradio leisten, später kam
auch eine kleine Bar hinzu.
In Deutschland hatten die Jugendlichen ein Moped oder eine Vespa,
doch das Wort Petting war buchstäblich in aller
Munde. Vielleicht war es die mitgenommene Wolldecke im Wald,
wo dann die unehelichen Kinder gezeugt wurden, die zur Heirat
zwangen, denn nicht jeder hatte Pariser im Picknickkorb. Sie
zu kaufen war auch nicht immer einfach, denn in den Toiletten
hingen sie noch nicht überall rum. Man ging in eine Apotheke
oder Drogerie und musste benennen, was man kaufen wollte. Eben,
das war es. Für eine Frau war sie tatsächlich etwas
sehr Ernstes, die Sexualität. Sie war eine Hingabe, beinahe
eine Auslieferung.
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- Es hätte ein Kind entstehen können,
und die Verhütung sowie die Folgen einer Schwangerschaft
waren gesellschaftlich vorrangig den Frauen aufgebürdet.
Und ein Kind hatte für sie die Veränderung des ganzen
Lebens zur Folge. Natürlich musste sie das Embryo austragen,
zum Kind werden lassen. Natürlich war damals Sex nur in
einer Ehe legitim. Und die Kirche sowie die CDU taten das Ihrige.
Es gab ja noch den Kuppelei-Paragraphen, nach dem z.B. die Eltern
bestraft wurden, wenn sie ihrem unverheirateten Nachwuchs in
der Wohnung Gelegenheit gewährten. Das alles war also fest
eingebunden, einschließlich dem Ehezwang. Heterosexualität
war eben der absolute Ernst bei der Lust. Und da mir Lust bereitete,
wenn jemand an mir Lust empfindet, konnte ich den Vorwurf nicht
verstehen, dass es Männern nur um ihre eigene Lust gehe.
Anders war es bei mannmännlichem Homosex. Der war zwar illegal
und wurde generell als niedrig und Ausrutscher angesehen, aber
dadurch wurden viele Partner auch Verschworene. Und da es keine
gesellschaftspolitische Eingebundenheit der Homosexualität
gab, brauchte es auch nie ernst zu werden. Schwangerschaft drohte
auch nicht. Es gab keine Verpflichtung, keine negative Konsequenzen
der Sexualität, nur schiere Lust. Das war es. Besonders
im Zusammenhang mit der 68er Revolte kam noch was Revolutionäres
zur Sexualität, das bedeutete: etwas Befreiendes.
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- Und mit der befreienden subversiven Tätigkeit
gegen Staat und Gesellschaft wurde auch sie, die Sexualität
befreiter. Das einzige Problem war immer, jemanden zu finden,
der das auch so erleben konnte. Jemanden Passendes zu finden,
das ist ja immerhin auch heute noch schwierig genug, allerdings
aus anderen Gründen. Denn weil es nicht um Ehe oder Dauerbeziehung
ging, hatten viele an bestimmten Plätzen ihre Chance für
spontane Begegnungen. Die Schönheitsschwellen und die Begegnungshemmungen
waren einfach niedriger. Es ging unverstellter um Geilheit, und
zwar von allen Beteiligten. Es konnte alles auf der Ebene des
Spaßes bleiben. Warum ich in Vergangenheitsform schreibe?
So war das vor Aids, Homo-Ehe und der Generationstrennung unserer
Szene mittels der sogenannten Jugendgruppen. Jugendliche wehrten
sich gegen die (homo)sexfeindliche Außenwelt, indem sie
sich in die Szene einflochten und hier persönliche Bestätigung,
Auftrieb, Beistand und Rückenwind erhielten, meist verknüpft
mit sexueller Lust. Und in manchen Klappen und Parks hatten viele
ihre ersten Erlebnisse, hier gab es manchmal ganze miteinander
spielende Menschentrauben. Das sah man damals als selbstverständlich
an und nicht als Problem. Heute werden die Jugendlichen vor der
Szene geschützt, um ein ungestörtes Coming-out
direkt hinein in die altersgleiche Homo-Ehe erleben zu können.
Na ja, mogeln wir mal nicht. Es gab die staatliche Verfolgung
im Hintergrund, und es gab viel Einsamkeit und Verzweiflung bei
denen, die keinen Zugang zu ganz bestimmten Sex-Szenen hatten.
Es gab vielfach Erpressung. Es gab Menschen, die aufgrund von
Erpressung und Verhaftung ihre bürgerliche Existenz, auch
ihre Freiheit verloren. Das alles empfand man aber als Folge
der staatlichen Repression und nicht als Umfeld oder Kultivierung
unserer Sexualität. Diese entwickelte sich zwischen uns
anarchistisch frei, außerhalb von Normen und Vorgaben,
ganz wie sie uns jeweils grade beliebte. So war es in der frühen
68er Gay-Szene.
Heute gibts die spontanen Begegnungen nicht mehr so einfach,
ich bin aber auch älter geworden. Dennoch höre ich
von Jugendlichen eigentlich oft, dass sie den Freund fürs
Leben suchen, und bis dahin Verzicht üben. Nur die verhältnismäßig
kleinere Gruppe der Jungen, die ältere Partner sucht, scheint
sich noch ausleben zu können, mit Älteren, die das
auch noch können, während die Jugendlichen, die mit
Gleichaltrigen spontane Begegnungen suchen, oft auf die Ehemoral
treffen. Wenn der potenzielle geil aussehende Partner nicht vorzeigbar
erscheint, verzichtet man oft.
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- Parallelitäten
Ich erinnere mich, dass ich als Kind offensichtlich eine körperliche
Unbekümmertheit hatte. Das verdanke ich wohl meiner Mutter,
die aus der Enge ihrer eigenen Erziehung heraus einen gewissen
Trotz entwickelte und uns Kindern (Ich habe eine 4 Jahre jüngere
Schwester) dies nicht antun wollte. Dass Körperlichkeit
in irgendeiner Weise etwas Besonderes sei, was zu verbergen sei,
wofür man sich gar zu schämen habe (man sprach damals
vom natürlichen Schamgefühl), lernte ich
selbst durch meine Großmutter.
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- Sie wies mich einmal auf (m)eine Erektion
hin, die aus der damals so unpraktischen Kinder-Unterhose mit
Schlitz hervorstand, ohne dass mir irgendwas bewusst war. Sie
schimpfte mich dafür, als ich in der Küche stand und
mich wusch (die einzige Wasserstelle in unserer Wohnung), und
ich verstand erst gar nicht, was sie wollte.
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- Offensichtlich musste ich wohl was Böses
gemacht haben, meinte sie, oder etwas Böses gedacht haben.
Jedenfalls war von diesem Augenblick für mich eine Erektion
etwas, das es besonders zu beachten galt, was man wohl zu verbergen
hat, um das sich etwas Böses rankte. Das war
das gleiche Gefühl (zumindest nach meiner Empfindung), wie
der Wechsel zwischen der Spaßlust und der Ernstlust,
den ich später kennen lernte. Auch hier hatte ich damals
meine Unschuld verloren.
Die Aids-Katastrophe war ein neuer Einschnitt. Ich hatte das
Gefühl, dass ich nun denken und sortieren muss, mich nicht
mehr lustvoll gehen lassen kann, denn mit unbekümmertem
sexuellen Ausleben könnte ich mich infizieren und dann danach
die Krankheit weitergeben. Auch hier das, was mir Lust nimmt:
die Ernstlust, denn manche sexuelle Handlung geht
nur mit Pariser, was einen Einschnitt bedeutet. Und es gab noch
einen weiteren Einbruch dieser Art, der mit Verleumdungen in
der eigenen Szene zu tun hat und mich persönlich mehr angeschlagen
hat, als ich zugeben wollte, bei dem ich das spürte, was
ich bei den anderen Einschnitten erlebt hatte, nur hier noch
stärker.
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- Ernstlust heute
Einen Partner hatte ich unter anderen mal kennen gelernt, und
wir hatten häufig unseren Spaß miteinander. Dann blieb
er weg, weil er an seinem Wohnort in einer Beziehung gebunden
war. Nach ca. 3 oder 4 Jahren Pause tauchte er wieder auf, lustvoller
als vorher, während seine Beziehung zu Hause weiter lebte,
und ich genoss das Sexuelle der Begegnungen mit ihm. Aber es
war doch anders geworden.
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- Ich lebte (und lebe) nicht beziehungslos,
sondern in einer selbstgewählten sehr engen Partnerschaftsform,
die sexuell weniger bedeutend ist, was in der Literatur als eine
offene Beziehung definiert wurde. Und er lebte und lebt auch
in einer engen monogamen Beziehung, die aber von seinem Partner
her nicht offen ist. Das machte die Sache komplizierter, denn
die Verantwortung für den Bestand seiner Beziehung mit seinem
Freund lastete zusätzlich auf ihm.
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- Neben seiner engen Beziehung kam er, wenn
es ihm Lust machte und ich Zeit hatte, mehr als 6 Jahre lang
zu mir, nahezu wöchentlich. Und gleichzeitig wollte er,
wenn er da war, mit mir auch eine gesellschaftliche Zweierbeziehung,
nicht im Bett, das ergab sich ja zu zweit, sondern eben auch
sozial. Sex hatte sich für ihn also unterdessen so sozialisiert,
dass sie in eine enge Struktur gehört, selbst wenn dies
wegen seiner Beziehungsbindung gar nicht möglich war.
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- Und seine Maßnahmen, diese soziale
Zweierbeziehung mit mir schleichend zu erreichen, belastete auch
mein Umfeld, meine Wahlfamilie, und das führte schließlich
auch zu seiner Enttäuschung über mich, als ihm dann
klar werden musste, dass er damit nicht wesentlich weiterkommen
kann. Ich war erleichtert, als wir uns nicht mehr trafen, obwohl
es sexuell für mich einen Verlust darstellte. Bei ihm empfand
ich schleichend immer mehr Ernstlust, beinahe sogar
Sexzwang. Von seiner Seite aus war es wohl auch so etwas, denn
mich verwunderte immer sein Ernst, mit der er an sexuelle Handlungen
ging, auch wenn er dabei seine Lust auslebte. Ich hatte das Gefühl,
für ihn ist es eher zwanghaft. Für mich im Grunde Spaßlust,
für ihn nicht? Gibt es das heutzutage noch, die spontane
Spaßlust? Ich glaube, dass es dafür derzeit kaum noch
eine Szene gibt.
Heute erzählen mir die Leute stolz, dass sie ihr Schäfchen
nach Hause geholt haben, wie ich das in den späten 50er
Jahren in der Heterosexualität gelernt hatte. In aller Unschuld
sagen sie mir: was soll ich machen, ich bin eben eifersüchtig,
und rechtfertigen damit die Bevormundung eines Menschen auf vielen
Ebenen als ihre Form der Liebe.
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- Man leitet sich damit das Recht ab, zwischenmenschlich
grausam zu sein, so, als sei es ein Naturgesetzt, einen anderen
Menschen, mit dem man zusammen lebt oder Sex hat, bevormunden
zu müssen. Offensichtlich hat man da wohl keinen eigenen
Willen? Damit machen sie es sich aber sehr leicht, mit ihrer
Verantwortung. Sie haben feste Kategorien, die ihnen heute wichtiger
erscheinen als das Abenteuer der befreienden Begegnung und der
grenzenlosen sexuellen Zufriedenheit. Sie geben sich lieber mit
dem Erringen eines partnerschaftlichen Status´ zufrieden
statt grenzenlose sexuelle Lusterfüllung zu erstreben.
Müsste ich da nicht einen sexuell erfüllenden Bettpartner,
falls ich wieder mal einen erwischen sollte, auch in einer Eifersuchtsbeziehung
festzuhalten versuchen? Da bin ich ratlos. Das kann ich aber
schlecht. Ich glaube, dazu bin ich gar nicht gut geeignet. Ich
kann doch einem Menschen nicht vorschreiben, wie er sich fühlt,
ich kann doch keine emotionale Zufriedenheit empfinden, wenn
jemand z.B. bei mir ist, weil er sich dazu genötigt fühlt.
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- Und ich bin überhaupt gar nicht zufrieden
zu stellen, wenn jemand mir bei jeder sexuellen Begegnung seine
große Liebe beteuern muss, was klingt wie in einem Spielfilm.
Das wäre doch auch Selbstbetrug. Lieber ist mir schon der
lustvolle Schritt eines Anderen auf mich zu, oder eben ansonsten
dann der Traum von einem solchen Schritt auf mich zu.
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- Spaßlust heute
Eine Zeitlang oder länger Lust miteinander teilen zu wollen,
ohne in dieser Zeit mit anderen Menschen zu verkehren, kann ich
mir durchaus vorstellen, durchlebte ich ja auch dann und wann,
und dies könnte heutzutage eine Voraussetzung sein, unter
den Bedingungen von Aids grenzenlose Lust erleben zu können,
also auch ohne die Grenzziehung des Parisereinsatzes.
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- Und dann lauert eben im Hintergrund der Ernst
einer Beziehung mit all den Ansprüchen, die in der Gesellschaft
damit transportiert werden, und den Ansprüchen, die sich
aus einer Beziehung ergeben werden, einschließlich des
Rechtes des Beziehungspartners, heute mal keine oder nur wenig
Lust zu haben oder eben sich vorübergehend auch mal in jemand
Anderes zu verlieben. Und hier kommen wir dann zu dem Problem,
dass man sich eigentlich nie absolut sicher sein kann, ob der
Partner tatsächlich bei seinen Seitensprüngen immer
safe arbeitet und gearbeitet hat. Man legt sein Leben
und seine Gesundheit in einem solchen Arrangement in die Ehrlichkeit
und Selbst-Ehrlichkeit des Partners, wo es einem doch selbst
schwer fällt, immer safer Sex einzuhalten.
Heutzutage unter den Bedingungen von Aids ist es eben kein kalkulierbares
Risiko mehr, grenzenlose Lust zu erleben, das Risiko ist unkalkulierbar
groß geworden, beinahe größer als in der Zeit,
wo man vom Partner oder Dritten an die Behörden verraten
werden konnte. Hier geht es nicht um solchen Verrat, sondern
um das Risiko, ein unheilbare und tödlich verlaufende Krankheit
durch die unbekümmerte Lust zu bekommen und/oder weiterzugeben.
Lust kann also bestraft werden, hat also per se kaum noch etwas
Befreiendes mehr. Sagen wir einfach, wie es ist, die Zeit für
grenzenlose Lust scheint erst einmal vorbei zu sein. Ich weiß,
das ist beinahe wie eine Kastration.
Man muss also Kompromisse schließen, und das in Fragen
der Lust, die man vorher nicht für möglich gehalten
hat. In wirklich monogamen Verbindungen in unserer Szene, die
es auch vielleicht tatsächlich gibt, kann es für eine
Zeit ein grenzenloses Ausleben der Sexualität zu zweit geben,
eben nur zu zweit. In der freien Lust-Beziehung ist die Sexualität
derart zu kultivieren, dass das Infektionsrisiko vermindert wird.
Scheußlich aber wahr.
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- Das hat unangenehme Auswirkungen auf die
Art, wie wir zusammenleben, auf den Umgang in der Szene, dem
Umgang im Bett miteinander und dem Gefühl der Lust, der
sexuellen Erfüllung, vielleicht auch, welche Bedeutung man
der gelebten Sexualität beimisst. Es ist bei der nachwachsenden
Generation längst schon so, dass für sie die kultivierte
Sexualität und mehr noch die Ersatzsexualität einen
höheren Stellenwert hat als die grenzenlose Spaßlust.
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- Zurück zum Sex beim Thema Sex
Also, ob es diese grenzenlose Spaßlust in der konkreten
erlebbaren Sexualität überhaupt gibt? Herlinde Koelbl
hat in ihrem Bildband Männer erotische Männerakte
vorgestellt. Diskutieren muss man in diesem Text nun nicht, warum
das Buch 1984 ein solcher Renner wurde, wo es doch weit raffinierter
inszenierte und ins Bild gesetzte Männerakte gibt. Das war
wohl, weil auch mal eine Frau Männerakte machte. Für
die Heten-Männer war es möglich, diese Bilder zu betrachten,
ohne Angst haben zu müssen, schwul zu werden oder für
schwul gehalten zu werden. Feministische Frauen konnte sich Männerschwänze
ansehen, ohne an Folter zu denken. Aber ich sehe in ihrer Arbeit
etwas anderes Bemerkenswertes.
Sie hat auch Männergesichter beim Orgasmus fotografiert.
Und im höchsten Punkt des Orgasmus ist eine eher schmerzhafte
Anspannung in den Gesichtern zu lesen, danach wohl ein Gefühl
des zufriedenen entspannt Seins. Also Schmerz und Lust, diese
beiden Gefühle lassen sich wohl in der Sexualität kaum
auseinanderhalten, und die besonders starke sexuelle Reizung
ist eigentlich schon schmerzhaft oder nahezu schmerzhaft, führt
aber dann zur besonders intensiven Entspannung. Die Entspannung
nach der besonders hohen Spannung ist also der Lusteffekt, so
scheint es. Entspannung kann es eben nur nach vorheriger Anspannung
geben und Lust nach Schmerz. Ohne Lustschmerz ist die Lust eben
geringer, vielleicht gar nicht vorhanden. Aber kann man aus dieser
Tatsache irgendetwas Gesellschaftliches beziehungsweise Allgemeines
ableiten?
Ich glaube, es geht um zwei Bereiche. Der eine Bereich ist das
Lustgefühl im Kopf, das nicht nur vom gegenseitigen Verhältnis
zwischen den Menschen geprägt ist, die daran beteiligt sind.
Da kommen nämlich noch verinnerlichte Normen, Erfahrungen,
Sehnsüchte, Enttäuschungen usw. hinzu. Das ist der
bewusste Kopfbereich und der unbewusste Bereich, der nicht kontrolliert
wird, sondern oft ideologisch gerechtfertigt wird. Über
diese Zusammenhänge im Wechselspiel mit ihren Auswirkungen
auf sexuelle Lusterfüllung habe ich offensichtlich im ersten
Teil dieses Textes reflektiert. Dann gibt es den 2. Bereich,
den Bereich der körperlichen Prozesse selbst, über
den ich hier gerade berichte.
Ich habe an mir etwas beobachtet, was vielleicht im Zusammenhang
mit dem Thema steht. Die mich ohnehin nicht leiden können,
sollen jetzt einfach nicht weiterlesen. Beim Orgasmus, eher unmittelbar
hinterher bin ich früher gerne in ein von mir als befreiend
empfundenes Gelächter ausgebrochen, was meine damaligen
Sexpartner häufig irritierte.
Geräusche beim Orgasmus? Nun gut, sie mögen etwas ausdrücken,
wenn sie unwillkürlich entstehen. Ja, im Internet findet
man auf einigen Pages Kurzfilme, in denen sich Männer beim
Orgasmus mit ihrer Webcam selbst aufgenommen haben. Hier sind
die Geräusche oft übertrieben laut, deutlich ins Mikro
gestöhnt, wie ich sie in der Realität höchstens
als demonstratives Verhalten im Darkromm und in einer Sauna erlebt
habe, damit die anderen auch was mitkriegen.
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- Es ist dies also demonstratives Verhalten.
Andererseits könnten die verschiedenen Formen des Stöhnens
auch mit dem Grad der körperlichen Entspannung zu tun haben,
dem Lösen der Spannung. Auf jeden Fall habe ich bei den
wilden und sehr intensiven sexuellen Erlebnissen mit dem oben
beschriebenen Partner eher gestöhnt und nicht gelacht. Die
Spannung vorher war also derart intensiv, dass der Orgasmus beinahe
quälend intensiv war, was mit seinen mich sexuell sehr vereinnehmenden
Techniken zu tun hatte. Ich lache wahrscheinlich nun nicht mehr,
sondern fühle mich körperlich zum Stöhnen hingezogen.
Ist das ein Beleg, dass der Spaß dem Ernst gewichen ist?
Das würde ja bedeuten, dass zielgerichtete sehr aufreizende
und große Spannung erzeugende Sexualität etwas Ernstes
ist, dass die Spaßsexualität weniger vereinnahmend
ist. Ist das richtig? Ich weiß es nicht. Möglicherweise.
Und wie sich meine Sexualität gegenwärtig zeigt, ist
sie der Ernstlust ziemlich nahe, weil gegenwärtig die Gelegenheiten
eher seltener sind, Spaßlust zu erleben. Dadurch wird sie
wichtiger, vielleicht zu wichtig. Und bei belanglosen Spielen
bleibt nun zusätzlich auch die ungestillte Sehnsucht nach
der intensiveren sexuellen Vereinnahmung zurück, die eine
ganz andere Luststeigerung und quälende Anspannung erzeugte,
so dass die befreiende Entspannung größer ist. Ich
glaube nun, wenn man älter ist, braucht man eine größere
Reizung, um sich lustvoll erfüllen zu können. Aber
ob das etwas mit unserem Thema zu tun hat? Vielleicht. Denn ich
habe, mag sein, meine sexuelle Unbekümmertheit schließlich
wohl doch verloren, vielleicht aber auch nur, weil es gegenwärtig
niemanden gibt, mit dem ich sie leben könnte, die sexuellen
Erlebnisse mit anderen erlebe ich derzeit eher als ernst.
Gibt es in diesem Zusammenhang einen Unterschied zwischen lesbischem
oder schwulem Sex, zwischen männlichen oder weiblichen heterosexuellem
Sex?
Ich kann erst einmal darauf nur antworten, ich habe ihn wahrgenommen.
Aber er zeigte sich mir als ein solcher Unterschied deshalb,
weil an die unterschiedlichen Personen, die ich hier als Repräsentanten
einer sexuellen Ausprägung gewertet habe, unterschiedliche
gesellschaftliche und geschlechtliche Rollenverhalten und Rollenerwartungen
angekoppelt sind und waren.
Genauer analysiert habe ich den Ernst und die fehlende Unbekümmertheit
an der gesellschaftlichen Vereinnahmung wahrgenommen, in die
der Sexpartner seine Sexualität einzubetten trachtete, nicht
eigentlich an den Geschlechtsrollen oder den Geschlechtern. Also
ist die Frage zwar richtig gestellt, weil sie Beobachtungen wiedergibt,
die Antworten dürfen aber der Frage nicht auf den Leim gehen,
damit nicht eine Deutung aus den gesellschaftlich Zwängen
heraus erfolg, sie aber berücksichtigt.
An die Rolle schwuler Sexualität waren keine positiven gesellschaftlichen
Erwartungen gebunden, weil man Homosexualität überhaupt
nicht nirgendwo positiv aufnehmen wollte. Und das schuf uns dann
die Möglichkeit, diese Leere mit befreienden Inhalten zu
besetzen. Diesen Freiraum konnten wir genießen, wenn wir
unsere Zuweisung ins Nichts als eine gesellschaftliche Unterdrückung
verstanden und nicht die eigene Lage als Resultat persönlicher
Schuld ansahen.
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- Wir waren also gezwungen, sowohl die Geschlechtsrollen
als auch die Sexualitätsvorgaben in Frage zu stellen, um
eine Selbstachtung erwerben zu können. Und nur unter den
ganz besonderen Bedingungen der 68er Jugendrevolte und der Sexrevolte,
in der sich viele alte Bindungen auflösten, konnte uns dieser
Kraftakt gelingen. Wir befanden uns in einem politischen Umfeld,
das ebenfalls vorherrschende Rollen und Vorgaben in Frage stellte,
jedoch nicht derart grundlegend wie wir. Wir empfanden dieses
Vorgehen also als legitim, die Diskriminierung als nicht legitim.
Das wirkte sich auch im sexuellen Verhalten unter uns aus.
Frauen emanzipierten sich aus der verordneten Rolle der 50er
Jahre, ursächlich auch, weil man sie als Arbeitnehmerinnen
benötigte, was ihnen eine eigenständige wirtschaftliche
Grundlage verschaffte. Aber die Frauenbewegung der 68er bekam
ihre eigenständige Stoßkraft ja auch aus der wachsenden
Distanz gegenüber den eigenen Genossen, die manche liebgewordene
patriarchalische Gewohnheiten nicht aufgeben wollten, einschließlich
der antihomosexuellen Heldenpose, gewürzt mit einer Prise
Toleranz, die mancher homosexuelle Genosse als repressive Toleranz
empfand.
Jetzt, wo die ideologischen und gesellschaftlichen Grundlagen
einer schwulen sexuellen Zweckbindung entstehen, ist hier eben
auch mit größeren zwischenmenschlichen Bindungen als
Kontext für Sexualität zu rechnen. Und weil man nicht
die Kraft hat, mit allen Menschen dieser Szene diese tiefere
Bindung zu empfinden, wird natürlich die Abgrenzung, die
Eifersucht usw. zunehmen. Solidarität in der Szene wird
durch Eifersucht unterlaufen. Es wird dann auch zu Beziehungstragödien
kommen, die aus enger Bindung und gegenseitiger psychischer Abhängigkeit
entstehen können.
Lesbische Sexualität spielt sich in ihrer Praxis zumeist
in Bindungen ab. Ich kenne nur wenige Beispiele in der Literatur,
wo das nicht so war oder ist. Also kann, nach meiner bisherigen
Wahrnehmung und meinen Schlüssen, die ich daraus ziehe,
lesbischer Sex relativ selten frei vom Ernst der Beziehungsverantwortung
sein. Lesbischer Sex ist Frauensex, allerdings ohne die sexuelle
Präsenz eines körperlichen Mannes. Das ist aber nicht
gleichbedeutend, dass es Sexualität ohne Dominanz ist, könnte
es aber sein.
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- Bei der Einbindung der Frau in die Gesellschaft,
die sich ja nicht nur in den real nachweisbaren Strukturen zeigt,
sondern auch mit der weiblichen Identität erworben wurde,
kann ich mir eine unbekümmerte Spaßlust nur teilweise
vorstellen. Es kommt wohl auch hier darauf an, wie viele verinnerlichte
Hemmungen und Weichenstellungen das Geschehen tangieren. Wäre
es anders, gäbe es die unbekümmerte freie Sexualität
der Frauen, könnte man kaum mehr an die Existenz der psychischen
Unterdrückung der Frau durch den Mann glauben.
Vielleicht geht unbekümmerter grenzenloser lustvoller Sex
gerade nur im lesbischen Schutzraum ohne männliche Rollendominanz?
Das wäre sicherlich zu platt. Es gibt auch eine weibliche
Rollendominanz in sexuellen Verbindungen zwischen Frauen und
Männern, und diese Dominanz kann es auch gegenüber
einer anderen Frau geben. Und ansonsten kann eine Frau auch ganz
gut das als männlich definierte Verhalten an den Tag legen.
So also nicht. Vielleicht gelingt es uns ja einmal, einen eigenständigen
lesbischen Beitrag zu dieser Fragestellung anzuregen. Ich als
schwuler Mann kann ja hier von Erfahrenem nicht berichten.
Ist die grenzenlose unbekümmerte Lust in heterosexuellen
Verbindungen denkbar? Nun, als Mann habe ich sie in heterosexuellen
Mann-Frau-Beziehungen nicht erfahren können. Im Gegenteil
wurde ja ständig Verantwortlichkeit usw. von mir verlangt.
Aus gutem Grund, denn es können ja Kinder entstehen und
dann auch, weil ich es erlebte, dass sich eine Frau völlig
unterwarf. Hier wurde ich in die Rolle des Verantwortlichen gezwungen.
Auch in unserem Sex-Fragebogen bestätigte sich unser Bild,
dass sehr viel gegenseitige Verantwortlichkeit im Frau-Mann oder
Mann-Frau-Spiel hier eine große fesselnde Rolle spielt.
Das wäre ja auch verwunderlich, wenn es anders wäre,
da ja die heterosexuelle Beziehung derart bis in die kleinste
Verästelung in einen gesellschaftlichen Überbau eingebettet
ist, der vieles als Selbstverständlich vorgibt. Vielleicht
in jugendlicher Unbekümmertheit jedoch mit einschneidenden
Folgen?
Männer konnten wohl noch vor Jahren hier unbekümmerter
vorgehen, weil eine Schwangerschaft oft nur von Frauen zu tragen
war. Und vor der Scheidungsreform konnten ältere Männer
noch unter dem Mief der Adenauer-Jahre ihre ältere Frau
und manchmal auch die Kinder einfach verlassen und sich was junges
Hübsches suchen, während die Frauen über andere
Probleme hinaus in soziale Not verfielen, da sie als Hausfrau
nichts Eigenes aufgebaut hatten, keine eigene Rente erworben
hatte usw.
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- Dieses chauvinistische männliche Verhalten
werte ich aber nicht als Unbekümmertheit, sondern schlicht
als brutale Verantwortungslosigkeit. Wenn man vorher Abhängigkeiten
erschaffen hat, wenn nun also Abhängigkeiten bestehen, dann
muss man sie auch in einer solchen Weise akzeptieren, dass sie
nicht gegen die Interessen der Abhängigen gerichtet wird.
Aber soziale Verantwortung füreinander bedeutet natürlich
nicht, dass daraus ein gegenseitiger Anspruch auf den Körper
des Partners entsteht. Entweder man erlaubt sich gegenseitig,
sexuelle Erfüllung auch außerhalb zu suchen, oder
man muss sie sich gegenseitig verschaffen, auch wenn es keine
Lust (mehr) macht.
Der kleine freiheitliche Spielraum, den wir schwulen Männer
zwischen revoltenhaften Aufbruch und Integration hatten, erlaubte
uns eine Form gegenseitigen Liebens und Auslebens, ohne dass
es ernst werden musste. Das ändert sich nun. Und wenn das
alle für selbstverständlich halten, kann auch irgend
wann kein Mangel daran entdeckt werden.
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- Was soll es?
Ich weiß ja auch nicht. Bei meinen Gesprächen in Vorbereitung
auf diesen Beitrag erfuhr ich von GesprächspartnerInnen
zuweilen Unverständnis. Manche verstanden gar nicht, wo
ich die Trennung zwischen Spaßlust und Ernstlust überhaupt
sehe. Und da bringen sie mich in die Verlegenheit, dass ich eine
feste verifizierbare Grenze definieren soll. Aber erstens gibt
es sie wohl nicht an einer festen Stelle und außerdem sträubt
sich alles in mir, hier irgendwo eine Grenze einziehen zu müssen.
Das bedeutet aber nicht, dass es diese beiden unterschiedlichen
Lusterlebnisse nicht gibt, denn man kann sie wahrnehmen, oder
vielleicht auch nur: ich nehme sie wahr. (js)
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