70. LUST, März/April/Mai 02
 
CSD 2002
Niemandem ist sicherlich entgangen, dass der CSD eigentlich einen politischen Hintergrund hatte, einen Hintergrund in den USA.
Der Christopher-Street-Day (CSD), der schwul-lesbische Freiheitstag, hatte Polizeirazzien in den Szenelokalen in New Yorck zum Hintergrund. Auslöser der Straßenkämpfe in der Christopher Street war an 26. Juni 1969 eine Razzia im Stonewall Inn, bei der sich Drag Queens und Queers (Transen und Tunten) gegen die Schikanen der Polizei wehrten. Es war für Männer nämlich verboten, weibliche Kleidungsstücke anzuziehen, was dort auf entwürdigende Weise kontrolliert wurde, und es war verboten, alkoholische Getränke an ”Homosexuelle” zu verkaufen, was sich gegen die Szenekneipen richtete. Viele der Drag Queens verdien(t)en ihren Lebensunterhalt durch Prostitution. Sie erhielten bei ihrem Widerstand gegen die Polizeischikanen Unterstützung durch Stricher und Huren, sie erhielten auch Unterstützung durch engagierte Lesben und Schwule aus den politischen Gruppen. Die bunte Gay-Szene meldete sich hier also zu Wort, und dieser Begriff ”Gay” umfasste die Drag Queens, die weiblichen und männlichen Prostituierten und die engagierten Teile der Lesben und Schwule. ”Gay-Pride” war der Stolz dieser Szene der Unanständigen und Unangepassten, die hier mit Recht ihren Mut und ihre Entschlossenheit feierte, sich nicht mehr anpassen zu lassen.

Ein Teil unserer Geschichte und deshalb nicht vergessen ist der Streit innerhalb diverser CSD-Vereine, diesen Tag auf die eine oder andere Weise zu begehen. Die einen sagten, das Politische dieser Veranstaltungen sei lediglich das massenhafte Auftreten von Lesben und Schwulen. Das sei dann auch Politik genug. Die anderen wollten politische Forderungen in den Paraden mitführen, an den Disco-Abenden einen politischen Programmteil durchführen und dann das Feiern auch nicht vergessen. Aber an den Forderungen entzündete sich dann Streit, denn man war nicht immer bereit, die Vielfalt der Ansichten zu akzeptieren. Den Höhepunkt stellte in diesem Streit die von der CSD-Leitung herbeigerufene Polizei dar, um missliebige Wagen bei der Parade abzudrängen und auszuschließen. So gab es in Bremen einen vom CSD-Verein veranlassten Polizeieinsatz gegen einen Wagen von Unangepassten und Unanständigen und in Berlin gab es in einem Jahr sogar zwei CSD-Paraden, eine politische von einigen hundert Leuten und eine unpolitische von einigen zehntausend Leuten, denn letztere hatten eigenes Geld, öffentliche Mittel und das kommunikative Netzwerk der Szene, während die Szene in ihrer Breite eigentlich nie besonders politisch war. Man kann also sagen, dass sich die eher angepassten und auf Gleichstellung bedachten Kräfte unserer Szene längst durchgesetzt haben.
 
Neue Entwicklung?
In Köln hat der neue Oberbürgermeister (CDU) ein Tabu gebrochen und sich anfangs sehr ablehnend gegen den CSD ausgesprochen. Andererseits versuchte eine Bürgerinitiative, den CSD, der in diesem Jahr Europride sein soll, mit der Begründung der Ruhestörung zu verhindern. Beim Rosenmontagszug kann der Verein keine Ruhestörung erkennen.

In Mannheim hat nun die Stadtverwaltung dem CSD aberkannt, eine politische Veranstaltung zu sein. Es sei nicht zu erkennen, wo die politischen Inhalte zum Ausdruck kämen, und solch eine Veranstaltung als politisch zu definieren, würde die politische Arbeit nur beschädigen und behindern. Das ist allerdings tragisch für die kommerziellen Veranstalter, denn wenn es eine kommerzielle Veranstaltung ist, dann müssen die Veranstalter die Straßenreinigung und den Polizeieinsatz selbst bezahlen.

In Frankfurt versucht die CSD-Veranstaltungs-Unternehmung vorauseilend nun gar keine Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass es sich beim CSD um eine politische Veranstaltung handelt. Es war ein Motto in Diskussion, was der Opfer des § 175 StGB gedenkt. Da es ein Wahlkampf-Jahr ist und überall in Europa ein Rechtsrutsch zu verzeichnen ist und auch hier eine eher rechtspopulistisch operierende Union droht, die Regierung zu stellen, würde sich das Thema anbieten.
 
Den § 175 gab es noch bis 1994 und er fiel erst gänzlich im Zuge der Rechtsangleichung zwischen Bundesrepublik und der DDR, wo es ihn nicht mehr gab. Das Gedenken der Opfer hätte es also ermöglicht, besonders die Repression durch die CDU aufzuzeigen, die es im wesentlichen verschuldet hat, dass der von den Nazis verschärfte § 175 StGB nach dem Ende der 1000jährigen Reiches weitergalt und dass in der Bundesrepublik mehr homosexuelle Männer verhaftet wurden als in der Nazizeit, wenn auch mit anderen Konsequenzen.

Immerhin bedeutete eine Verhaftung die Vernichtung der bürgerlichen Existenz und eine Demütigung, für seine Liebe und Sexualität bestraft zu werden. Erpressungsstraftaten waren die Folge, Denunziation und auch Selbstmorde. Die Tatsache des Verbotes homosexueller Handlungen führte auch zum Verbot, für Straftaten Propaganda zu machen. Dafür haben sich die CDU/CSU und die FDP noch nicht bei den Schwulen entschuldigt, und die Tiraden des rechtspolitischen Sprechers der CSU lässt Schlimmes befürchten, falls diese Partei die Regierung stellen wird. Die Tatsache, dass es Schwule gibt, die ohne Vorbedingung und mit ihrer LSU (Lesben und Schwule in der Union) für ein schwules Leben in der Union werben, ist ein Kapitel für sich. So leicht dürfen wir die Union nicht davonkommen lassen.

Wir (ROSA LÜSTE/LUST) waren zum ersten Mal beim Vorbereitungstreffen, und wir hatten tatsächlich das Anliegen, dem Frankfurter CSD das Motto des Andenkens der Opfer des § 175 StGB vorzuschlagen. Wir rechneten mit vehementen Widerstand durch die LSU, vielleicht auch der Jugendorganisation. Die war aber überhaupt nicht anwesend. Und als der Tagesordnungspunkt kam, verließen viele Anwesende das LSKH (Lesbisch-schwules Kulturhaus), denen es nur um ihren Standplatz ging, so dass nur noch ein kleines Grüppchen übrig war, was nun das Frankfurter CSD-Motto zu beschließen hatte.

Den anderen, darunter auch die Jugendgruppe, war das offensichtlich völlig egal, was für ein Motto gekürt wird. Das von der Rainer Gütlich und von uns vorgeschlagene Thema führte aber zum Widerspruch einer Lesbensprecherin, da in diesem Thema die Lesben nicht mitgenannt würden.

Klar, der § 175 StGB galt nicht für Lesben, aber wir sind doch eine Szene, da kann es den Lesben doch wie den jungen Schwulen auch zuzumuten sein, der Opfer des § 175 zu gedenken, argumentierten wir von der (ROSA LÜSTE/LUST). Dies bestritt die Lesbensprecherin und sie meinte noch, dass dadurch der Eindruck entstehen könnte, Lesben seien im 3. Reich nicht verfolgt worden.
Muss man denn als Gruppe im 3. Reich besonders verfolgt worden sein?
 
Das klingt ja beinahe wie: ich will auch im 3. Reich verfolgt worden sein! Das war für uns Lesben und Schwulen in der ROSA LÜSTE nicht mehr nachvollziehbar, aber dann kam der andere Vorschlag, der nun das Motto wird: ”Wir haben unsere Geschichte nicht vergessen”. Ein gutes Motto, wenn es mit Inhalt gefüllt wird. Auch wir haben uns angemeldet, um an unserem Infostand und im vorhandenen Politzelt für 45 Minuten mit dem Motto-Thema eine Politveranstaltung beim Frankfurter CSD durchzuführen, bei dem wir besonders die Lage der Opfer des § 175 RStGB und StGB herausstellen wollen. Dabei hoffen wir auf Unterstützung durch den Veranstalter, die CSD-Firma. Und wir hoffen auf rege Teilnahme durch Euch, LeserInnen der LUST.

Aber das Thema über die Solidarität mit den Opfern antihomosexueller Gesetze muss noch ausgetragen werden. So wie dies hier vorgetragen wurde, kann das nicht stehen bleiben. Es kann nicht durch Lesben verhindert werden, der Männer mit dem Rosa Winkel zu gedenken und der anderen verurteilten homosexuellen Männer in der Adenauerzeit, auch wenn Lesben eben nicht dabei waren.

Lesben wie Schwule traf es außerdem in der Zeit des 1000jährigen Reiches, wenn sie unter anderen Begründungen als den § 175 StGB verurteilt wurden, als Menschen jüdischer Religion (gekennzeichnet mit dem gelben Stern) und eben auch als Assoziale (gekennzeichnet mit dem schwarzen Winkel), was solche Frauen treffen konnte, die sich der Aufgaben der Frauen entzogen, darunter eben auch Lesben, oder Arbeiter und Arbeiterinnen, die ”arbeitsscheu” waren. Aber das hat nun nichts mit der ca. 125jährigen Geschichte des § 175 StGB und seiner ausschließlich männlichen Opfer zu tun. Das Tausendjährige Reich dauerte nämlich nur 12 Jahre.

Kurios ist es, dass aus wirtschaftlichem Interesse die unpolitischen Unternehmen sich genötigt sehen, politisches Profil zu zeigen. Nutzen wir die Situation doch, zumal es ein Wahlkampf-CSD ist. Unser Vorschlag an die CSD-Unternehmen: Lastwagen oder Gruppen von Menschen mit Darstellungen aus der Geschichte homosexueller Menschen. (RoLü)
 
CSD-Motti
Was jede Stadt so als Motto gewählt hat, ist natürlich immer im Fluss, weil kaum jemand davon Notiz nimmt. Teilweise wissen wir es auch noch nicht und zu diesem Zeitpunkt hat sich sicherlich auch schon wieder was geändert. jedenfalls zeigt sich hier doch der politische Charakter:
 
CSD Scheswig-Holstein in Kiel, 01.06.02: „Wir sind unter Euch - Lesben und Schwule in S.-H.“ Vielleicht ist es iden Veranstaltern selbst aufgefallen, dass Gays nicht „unter“ den Heten stehen, sondern gleichrangig sind, denn jetzt heißt er lt. Fax vom 14.03.: „Wir gehören dazu - wie die schwarzbunte Kuh! Lesben und Schwule - ein Teil von Schleswig-Holstein!“
Hamburg 07. - 09.06. wohl ohne Motto,
Berlin, 22.06.: Wir machen Berlin anders - weltoffen, tolerant, queer.
CSD-Oldenburg 22.06. „Ein wenig ist nicht genug“.
CSD Lübeck 29.06. „Lübeck zeigt Flagge und Du?“
Köln 05. - 07.07.: „Köln feiert Vielfalt - Machen wir aus Europa einen Platz für uns alle.“
CSD München 12. und 13.07. wohl ohne Motto
CSD Rostock 13.07.: „Liebt wie Ihr Euch fühlt“.
CSD Frankfurt 19. -21.07.: „Wir haben unsere Geschichte nicht vergessen“
CSD Lüneburg 20.07. „Die Heide blüht - wir sind das Salz in der Suppe“
CSD Saar 26. - 28.07. noch ohne Motto, wird wohl was mit Ehe sein.
Braunschweig 27.07. das Sommerlochfestival (?)
CSD Stuttgart 03.08. - 04.08. „Warm mit Charme“
CSD Mannheim 04.08. „Mannheim, öffne Deinen Trausaal“.

Aus Wiesbaden hörten wir, der CSD sei wegen des Mottos „Tanzen - Ficken - Feiern“ geplatzt, aber der CSD am 29.06. findet in Wirklichkeit ohne Motto statt, und zwar auf dem Kranzplatz und nicht, wie letztes Jahr, auf dem Dernschen Gelände, und außerdem am 13.07. Es ist übrigens der 10. in Wiesbaden.
 
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