69. LUST, Winter 01/02
 
Die „Sozial“versicherungen
Es ist bei all den Diskussionen um die „Riester-Rente“ vielleicht ganz aus dem Auge verloren worden, dass auch in Zukunft die gesetzliche Rentenversicherung der Eckpfeiler unserer zukünftigen Rente sein wird. Ungefähr 67 % unseres vorherigen Lohnes werden wir als Rente von ihr erhalten, vorausgesetzt, wir haben jedes Jahr entsprechende Rentenentgeltpunkte sammeln können. Einen Punkt bekommt man im Jahr (1998) für ein durchschnittliches Gehalt von 45.000 DM im Jahr (Brutto) einschl. Weihnacht- und Urlaubsgeld. Hat man weniger, gibt es vielleicht 0,9 Punkte, hat man mehr, erhält man vielleicht 1,3 Punkte.
 
Die gesammelten Punkte werden im Rentenfall mal dem aktuellen Rentenwert genommen, das war 1998 immerhin 49,47 DM. Und diese Summe macht dann die Monatsrente aus. Davon gehen aber noch Krankenkasse und Pflegeversicherung ab. Voraussetzung: man arbeitet bis zum 65. Lebensjahr. Hört man freiwillig früher auf, werden pro Monat 0,3% von der schon geringeren Summe abgezogen. Im Jahr also 3,6%, und wenn man z.B. mit 60 in Rente will um 18%. Dann hat man nicht 67% seines vorherigen Lohnes, sondern vielleicht nur 50%. Außerdem ist ja nicht gesagt, dass man alle Jahre Rentenentgeltpunkte einzahlen kann.

Diese Versucherungslücken soll man nun durch eine private Zusatzversicherung schließen können, nämlich durch die sogenannte Riester-Rente. Und schon stürzten sich viele Spekulanten und Versicherungsmanager über diese zu erwartenden Einnahmen, denn im Unterschied zur gesetzlichen Versicherung (wo man keine Gewinne machen kann) geht es ja hier um Gewinn, dem Treibstoff des wirtschaftlichen Handelns in der Marktwirtschaft.
 
Besonders, dass am Ende auch eine regelmäßige Rente ausgezahlt werden soll, wie es im Riester-Gesetz vorgeschrieben ist, erbost die Manager und Spekulanten. Und so behaupten sie schon frech, dass sich aufgrund dieses Zwanges das Verichern gar nicht rentiere. Denn die Rendite ist ihnen ja wichtiger als die Rente der Versicherten, die das ja schließlich bezahlen. Und so tun sie, als seien sie die reinsten Wohltäter und vergessen zu erwähnen, dass der Service der privaten Versicherungen, zu dem ja der Gewinn der Unternehmer gehört, ca. zwei Jahreseinzahlungen kostet, wenn nicht mehr.

In einem telefonischen Streitgespräch mit einem der vielen Berater, die uns alle kostenlose Artikel für die Lust anbieten, wurde mir gesagt, dass das Geld, anders angelegt, sich besser verzinsen würde. Nur der Rentenzahlungszwang sei dem im Wege. Aber, um was geht es denn, wenn man für eine Rente spart? Und dann: muss man denn eine Managerausbildung gemacht haben, um zu wissen, wo das Geld nun in diesem Jahr am besten angelegt werden kann, damit es sich günstig verzinst? Am besten ist, man gibt seinen Beruf auf und kümmert sich nur noch um solche cleveren Geschäftsideen. Dann kann man sicher sein, eine gute Rendite zu bekommen, für sein „Kapital“.

Jeder weiß doch, dass der Gewinn des einen der Verlust des anderen ist. Und die Rendite für investiertes Kapital ist z.B. dann am höchsten, wenn z.B. die Lohnkosten am niedrigsten sind. Und nun stehen wir vor dem Problem, am besten bei unserer täglichen Berufsarbeit wenig zu verdienen, damit die Rendite der Aktionäre besonders hoch ist. Und dann könnte es sein, dass die Verzinsung unseres dort eingezahlten Kapitals ganz gut aussieht. Da wir aber täglich arbeiten müssen, um unsere Miete zahlen zu können, sind wir auch nicht in der Lage, erfolgreich zu spekulieren und unser Geld mal da und mal dort anzulegen. Und möglicherweise es auch zu verlieren.
 
Aber da kommen dann die Kapital- und RentenberaterInnen ins Spiel, die wir ja dann auch noch bezahlen müssen, die machen das dann für uns. Ist das nicht prima? Oder wir sparen uns das Geld und versuchen es selbst. Dieses clevere marktwirschaftliche Denken müssen wir ja auch schon beim Strompreis an den Tag legen, und bei den Handy-Tarifen. An fast allen Bereichen unseres Lebens muss es wohl Möglichkeiten geben, wo spekuliert werden kann, wo Gewinne abgeschöpft werden können und wo Lohnkosten eingespart werden können. Vielleicht auch bald beim Trinkwasser oder anderen Bereichen unseres Lebens, die zunehmend privatisiert werden, was zu Entlassungen führt.

Denn für den öffentlichen Dienst gibt/gab es ja eine Zusatzversorgungskasse des Bundes und der Länder. Die funktionierte nahezu wie die gesetzlichen Kassen und schloss einfach die Versicherungslücken der gesetzlichen Rentenversicherung, egal wie lange man eingezahlt hatte. Viele öffentliche ArbeitgeberInnen sind aber nun privatisiert worden, was zur Konsequenz hat, dass von dort keine Einzahlungen in die Zusatzversorgungskasse kommen. Andererseits bestehen ja die Ansprüche weiter. Das führte zur beinahe-Pleite dieser Versicherungsanstalt.

Und die ArbeitnehmerInnen des noch bestehenden öffentlichen Dienstes zahlen nun in die gesetzliche Rentenversicherung ein, dann in die Versorgungskasse des Bundes und der Länder, und schließlich „dürfen“ sie sich noch privat versichern und erhalten dafür auch die Riester-Förderung. Also auch sie müssen nun zu Spekulanten werden. Aber das macht doch Spaß und wenn man clever ist...

Machen wir uns nichts vor. Viele gewinnen viel dadurch und wir verlieren dabei. Letztlich geht es ja nur darum, dass wir einerseits täglich arbeiten und Werte schaffen, die dann andere einstreichen. Und wir sind dankbar, dass wir es überhaupt dürfen, das Arbeiten. Und auf das Geld, was wir nach vielen Abzügen dafür erhalten, lauern immer mehr Leute.

Bei einer der Talkshows kritisierten Leute aus der Wirtschaft die Gewerkschaften, sie seien schuld daran, dass die Wirtschaft nicht genug Auftrieb habe, wegen der fehlenden Binnennachfrage nämlich. Die Gewerkschaften hätten für höhere Löhne sorgen müssen, dann wäre auch genug Kaufkraft vorhanden. Vielleicht sind es die gleichen Manager aus der Wirtschaft, die jetzt die Krokodilstränen weinen, weil die IG-Metall die anstehende Tarifrunde mit einer Forderungsvorgabe von 6,5 % einleitet. Das sei viel zu hoch und würde Arbeitsplätze kosten. Bei größerer Lohnzurückhaltung, so hatten sie all die Jahre schon verkündet, werde man neue Arbeitsplätze schaffen. Aber da wurde ja nichts draus, weil die Binnennachfrage abgenommen habe.

Ob das alles logisch ist, was man den Leuten hier zumutet, die täglich ihrer Arbeit nachgehen, ist zweitrangig. Hauptsache überall kann man gute Gewinne machen. Und es ist ja auch wahr. Es gibt Schichten in unserer Bevölkerung, die zahlen keine Miete, die lassen zahlen, und die sparen nicht für Rente, die verdienen daran. Und denen geht es so gut wie nie zuvor. Und die wollen auch öffentliche Mittel für ihre Vorhaben, wo es was gibt, da sind sie auch. Unter denen gibt es natürlich auch Lesben und Schwule. Und durch die Arbeit der Bewegung sind sie in die angenehme Lage versetzt, dass sie zunehmend offen lesbisch und schwul sind. Und deshalb geben ihre Interessen jetzt bei uns in der Szene den Ton an.

Die werden im Alter sich ein Appartement in einer gut geführten Betreuungsstätte kaufen und daran verdienen, dass es irgendwo auch lesbische und schwule ArbeitnehmerInnen gibt, die sich abrackern und so die Rendite vermehren. Und wenn die dann alt sind oder gar zu Pflegefällen werden, kommt von den Sozialversicherungen so wenig, dass die Rente nicht ausreicht, die Pflegesätze zu bezahlen.

So geht es einen 85jährigen Mann aus unserer Gay-Bekanntschaft in dem Pflegeheim, und seine Rente von über 3.000 DM reicht nicht aus für die Pflegekosten und die Heimunterbringung. Seine Ersparnisse werden nun verbraucht und er hat für Seife und Geränke im Heim 190 DM Taschengeld im Monat übrig, so dass ein Telefon unbezahlbar ist. (js)
 
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