- 69. LUST, Winter 01/02
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- Entstehung lesbisch-schwuler Altenarbeit-
und -politik in Hessen
- Altenpolitik, Altenarbeit im Sinne von
oder für Lesben und Schwule in Hessen ist ein zartes Pflänzchen
und aus meiner Erfahrung bislang noch viel zu schwach reflektiert,
von der Gesellschaft, der lesbisch-schwulen Community und vor
allem von den Betroffenen selbst. Dieser Umstand, des Tabus,
des Verdrängens, des aussperren Wollens aus dem Bewusstsein,
ist aber nicht ungewöhnlich! Er ist auch nicht Homosexuellen
spezifisch. Das Verdrängen wollen des Alterns
ist in der Hetero-Gesellschaft ebenso problematisch akut wie
bei uns Lesben und Schwulen.
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- Das, was in Hessen an Projekten existiert,
werden wir später im einzelnen besprechen und vorgestellt
bekommen, darauf will ich hier jetzt um die Spannung zu erhalten
nicht näher eingehen. Aus meiner Sicht befinden sich die
Fragen nach altenpolitischen Strukturen, die dann im Ergebnis
auch zu konkreten Projekten und deren Unterstützung durch
Bund, Land und Kommune führen muss, erst ganz am Beginn
eines Bewusstwerdungsprozesses. Worum es im Kern geht, hat Ulli
Habert ja im wesentlichen bereits skizziert. Ich will es aber
aus meiner Sicht heraus kurz noch ein wenig präzisieren.
Ich will aber zunächst kurz einige Allgemeinplätze
streifen, um den Zusammenhang zur gesamt gesellschaftlichen Altenhilfe-
Systemproblematik nicht aus dem Auge zu verlieren. Da wir gerne
in Zusammenhang mit unseren Freizeitstrukturen von der Community
reden, wäre mir sehr daran gelegen, diesen Begriff in dem
Sinn einer wirklichen solidarischen Gemeinschaft zu sehen. Einer
Gemeinschaft, die Selbsthilfestrukturen schafft, ohne die wir
alle in Zukunft nicht mehr auskommen werden, die eine notwendige
Ergänzung der professionellen Hilfesysteme sein werden und
sein müssen. Auch hier werden wir nach der Mittagspause
Ideen vorgestellt bekommen.
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- Altenpolitisch ist die Bundesrepublik ein
Entwicklungsland. Auch dass wir uns - viel zu spät - eine
Pflegeversicherung leisten, über deren zweifelhaften Erfolg
ich hier jetzt auch nicht referieren kann, weil allein dieses
Thema jeglichen Rahmen heute sprengen würde, hat daran nicht
viel geändert.
Wir führen im Augenblick in Deutschland eine entscheidende
altenpolitische Diskussion, die die Weichen stellt. Entweder:
Für eine Altenpoltik für die, die sich eine gute Betreuung
leisten können oder für eine Altenpolitik, die den
Bedürfnissen der Menschen im Rahmen des Normalen gerecht
wird. An diesem Scheideweg der politischen Auseinandersetzung
befinden wir uns zur Zeit generell. Lesbische und schwule Altenpolitik
wird hier eins von vielen Elementen sein.
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- Also ist auch Hessen in der Hinsicht ein
Entwicklungsland, gleichwohl es hier schon deutliche Ansätze
einer eigenen lesbisch-schwulen Altenpolitik gibt, die dringend
weiter ausgebaut und fortgeschrieben werden müssen. Nicht
zuletzt sitzen wir aber doch auch aus diesem Grunde heute hier.
Aus meiner Sicht hervorzuheben sind (hier kann ich auch nur über
die politischen Initiativen reden, die mir vertraut sind oder
an denen ich selbst beteiligt war wie): Der 4. und der 5. Runde
Tisch hier im Wiesbadener Sozialministerium mit den Themenschwerpunkten
Alter und Perspektiven und Altenpflege als Modelfall für
die Bewegung im Staat uns gegenüber. Die Arbeit am Curriculum
für die Hess. Altenpflegeausbildung. Hier wurden Themen
für Unterrichtseinheiten an den Hessischen Altenpflegeschulen
erarbeitet wie: Tabuisierung von Homosexualität und Diskriminierung,
Identitätsbildung bei lesbischen Frauen und schwulen Männern
sowie Sexualität, Liebe und Partnerschaft von homosexuellen
Menschen.
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- Den Besuch mit Frankfurter KommunalpolitikerInnen
auf Einladung verschiedener Frankfurter Gruppen in der lesbisch-
schwulen Szene mit vorhergehender Diskussion zum Thema Lebenssituation
von älteren Lesben und Schwulen in Frankfurt im LIBS. Die
im Juli diesen Jahres von 40plus Lesben und Schwule sowie AltenpfleGayheim
gemeinsam veranstaltete Podiumsdiskussion im LSKH mit dem Thema:
Älterwerden ist nicht schwer, älter sein dagegen sehr.
Was die Diskussion zeigte war, dass sich Lesben und Schwule selbst
darüber klar werden müssen, welches Selbstverständnis
sie über Älterwerden und Alter haben, wie sie von der
Politik behandelt werden wollen (oder auch nicht) und welche
Lebensentwürfe und Strukturen für sie für das
Alter in Frage kommen. Auch die Diskriminierung der älteren
Lesben und Schwulen nach innen, also durch die jüngere Homosexuelle
und ihre Verdrängung aus der Szene muss thematisiert werden.
Ein eigener emanzipatorischer Prozess der Alten ist im entstehen.
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- Die neuen Generationen von älteren und
alt werdenden Lesben und Schwulen bringen eine andere Sozialisation
mit. Der Dialog mit Seniorenorganisationen der Heteros muss gesucht
werden. Verschiedene Info-Veranstaltungen zum Thema Pflegebedürftigkeit,
in denen es in Frankfurt zumeist darum ging, das Altenpflegesystem
zu erklären und deutlich zu machen, welches im Augenblick
die Probleme sind. Die Arbeit an der Implementierung eines Runden
Tisches aller Lesben und Schwulengruppen in Frankfurt auch mit
dem Fragenkomplex betreffend die älteren Lesben und Schwule.
KHLS und Hessisch lesbisch widmeten sich dem Thema Alter in verschiedenen
Veranstaltungen. Dies alles zeigt meiner Ansicht nach, dass das
Thema Älterwerden bei uns angekommen ist und dass eine lesbisch-schwule
Altenpolitik und Altenarbeit formuliert und aufgebaut werden
muss.
Und wenn wir an diesem Punkt über Realisierbarkeit und Finanzierbarkeit,
Schaffung von altenpolitischen Strukturen und mögliche Zukunftsaussichten
für eine lesbisch-schwule Altenarbeit reden, muss verstanden
werden, dass diese in Zukunft ein Netzwerk sein muss, ein in
sich verbundenes System. Altenpolitik hat hierfür die Rahmenbedingungen
zu schaffen. Die erforderliche Palette von Angeboten für
alte Menschen muss schon weit vor Pflegebedürftigkeit greifen.
Altenarbeit muss als soziale Arbeit im besten Sinne es Wortes
verstanden sein. Ich sehe lesbisch-schwule Altenarbeit in dem
Gesamtkontext der Altenarbeit insgesamt.
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- Gerne orientiere ich mich hier an dem in
Frankfurt praktizierten und bundesweit einmaligen Netzwerk des
Frankfurter Forums für Altenpflege, in dem alle 38 Altenpflegeheime
der Stadt und alle wichtigen Mitspieler frei zusammengeschlossen
sind. Hier gehören wir auf dieser städtischen Ebene
dazu. Förderung von Freizeit- und Selbst- und Integrationshilfestrukturen
ist ein Arbeitsauftrag an eine künftige hessische Altenpolitik
für Lesben und Schwule ebenso wie Information:
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- Wo bekomme ich welche Hilfe, welches Angebot
her? Eine verbesserte Diagnostik altersbedingter Erkrankungen,
alternative Formen von Wohn,- Betreuung- und Pflegesystemen bis
hin zur stationären Versorgung müssen gefördert
werden. Alle diese Elemente können nur Angebote sein, für
die sich der einzelne individuell entscheiden muss. Dogmatismus
in dieser Frage schafft starre Systeme, so wie wir sie jetzt
für die breite Masse der pflegebedürftigen Menschen
haben. Ein besser miteinander vernetztes System von Altenarbeit
soll dazu dienen, harte bruchartige Übergänge von
heute auf morgen ins Pflegeheim zu vermeiden. Allgemeingültige
Rezepte, wie wir uns des Problems der Alten entledigen können,
wird und darf es nicht geben.
Der Bezug zum einzelnen Menschen muss gewahrt bleiben, die Vertrautheit,
sich kennen, die Lebens und/oder Krankheitsgeschichte im Auge
behaltend. Im Juli diesen Jahres forderten eine Reihe von universitären
Pflegeexperten in einem offenen Brief an die Bundestagsabgeordneten
die radikale Umkehr in der Betreuung alter und kranker Menschen.
Ihr Brief stand unter der Überschrift: Das Heimsystem ist
ein Auslaufmodell!
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- Ich warne in diesem Zusammenhang vor einer
zu sehr abgehobenen Diskussion, die den Anschein erwecken will,
als kämen wir in Zukunft ohne stationäre Altenhilfe-Einrichtungen
aus, weil das System marode ist und weil es uns vielleicht an
der Kreativität und Lust zu dieser Kreativität fehlt,
die Strukturen zu ändern. Ich kann mich gut verbünden
mit der Forderung nach einer Abschaffung des Anstaltscharakters
von vollstationären Pflegeeinrichtungen, aber brauchen werden
wir sie immer.
Wir stehen nicht unter Zeitdruck. Aber die Fragen rund um unser
auch eigenes Alter beschäftigen uns zunehmend. In Hessen
wäre sicherlich eine Bestandsaufnahme der Lebenssituation
von älteren Lesben und Schwulen eine hilfreiche Sache. Anknüpfen
könnte man hier gut an die im Sommer nächsten Jahres
zu erwartenden Ergebnisse der momentan laufenden Bedarfsbefragung
des Altenpflegayheim e.V., zu der ich am Nachmittag noch
was sagen werde.
Lesbische und schwule Fachleute gehören in die bestehenden
Strukturen der Hessischen Altenarbeit, in den Städten und
Kommunen genauso wie auf Landesebene mit Sitz und Stimme hinein.
Wir wollen für uns keine Sonderrolle, keinen Sonderweg.
Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass wir Lesben und Schwule
Altenarbeit und Altenpolitik in Hessen mit gestalten, aber genauso
ist es wichtig, dass wir für uns klären und formulieren,
was wir uns im Alter denn wert sind. Und hier komme ich noch
einmal auf mein Verständnis von Community zurück und
setze mich vehement für die Solidarität der jungen
mit den alten Schwulen und Lesben ein. Sicher haben wir da im
Verhältnis der Generationen einiges aufzuarbeiten, aber
ohne diese Solidarität wird es nicht gelingen.
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