- 69. LUST, Winter 01/02
-
- Fachtagung: Lesben und Schwule im Alter
Am Freitag, dem 26.10.01 fand von 10
16 Uhr im hessischen Sozialministerium eine Fachtagung zum o.a.
Thema statt.
- Als Eingansthesen wurden genannt: Ab wann
ist Mann/Frau alt? (heute eher ab 59 aufgrund gesellschaftlicher
Rahmenbedingung), Bruch ist, wenn man aufhört zu arbeiten.
Altersgefühl von Schwulen unter Schwulen (lt. Dannecker
beginnt Altwerden schon mit 35/40), Altersgefühl von Schwulen
unter Heten (wirkt verjüngend, als werden beginnt später)
vergleichbar mit Lesben. Tabu Alter: Alte Lesben und Schwule
sind weniger Sichtbar als vergleichsweise Heteras und Heteros.
- Es kamen ca. 40 Personen aus ganz Hessen
zusammen, die alle nicht den jüngeren Jahrgängen angehörten,
incl. der ReferentInnen und MinisteriumsmitarbeiterInnen. Also
war das Interesse an dieser Versanstaltung eher mäßig.
-
- Zu dem Treffen hatte auf Vorschlag der Runden
Tisches der Leiter des für die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher
Lebensweisen zuständigen Referats, Ulrich Bachmann, Vertreterinnen
und Vertreter der hessischen Lesben- und Schwulengruppen und
anderer Einrichtungen und Verbände begrüßen konnte.
-
- Bachmann erläuterte eingangs, dass der
Anteil älterer Menschen in der Gesellschaft kontinuierlich
steige und nach Schätzungen des Bundesfamilienministeriums
im Jahr 2050 bei zirka 36% Prozent der Gesamtbevölkerung
liegen werde.
-
- Fünf bis zehn Prozent davon seien Lesben
und Schwule. Erstmals werde aber eine Generation von Lesben und
Schwulen sichtbar, die ihre sexuelle Orientierung nicht mehr
verbergen und ihr Alter offen und aktiv gestalten wolle. Ihre
psychosexuelle Identität spiele dabei eine bedeutende Rolle.
- Ulrike Habert von der Konferenz der hessischen
Lesben- und Schwulengruppen (KhLS) forderte in ihrem Grundsatzreferat
die Schaffung lesben- und schwulenspezifischer Projekte in den
Bereichen Wohnen und Pflege sowie die Unterstützung bestehender
lesbischer und schwuler Ansätze der Altenarbeit. Gleichzeitig
unterstrich sie die Notwendigkeit, die bestehenden Einrichtungen
der Altenarbeit für die Probleme älterer Homosexueller
zu sensibilisieren. Man müsse ein Umfeld schaffen, in dem
Homosexualität nicht mehr versteckt werden müsse. Sie
betonte, dass das Lebensalter kein Maßstab für Bedürfnisse
sei.
- Walter Paul von dem Frankfurter Projekt Altenpflegayheim,
selbst Leiter eines Altenpflegeheimes, plädierte für
den Aufbau einer lesbisch-schwulen Altenpolitik und Altenarbeit.
Er forderte eine solidarische Gemeinschaft der Homosexuellen,
die sich in Ergänzung zu professionellen Hilfesystemen eigene
Selbsthilfestrukturen und Betreuungs- und Pflegesysteme schaffen
müsse, und verdeutlichte, dass dies gerade im Bereich Pflege
dringend geschehen müsse.
-
- Nur so könne verhindert werden, dass
ältere Lesben und Schwule im Übergang zur Pflegebedürftigkeit
einen schwerwiegenden Bruch erlebten. Dies sei aber dann der
Fall, wenn sie aus ihrer gewohnten Umgebung, die oftmals homosexuell
geprägt sei, plötzlich in ein heterosexuelles Umfeld
kämen, in dem auf ihre psychosexuelle Identität nicht
eingegangen werde bzw. sie sogar Ausgrenzungen ausgesetzt seien.
-
- Er forderte Solidarität der jüngeren
mit den älteren Schwulen. Obwohl das Thema Pflege längst
nicht
alle Lesben und Schwulen beträfe,
weil die meisten älteren Menschen jedenfalls in den ersten
15 bis 20 Jahren nach Ausscheiden aus dem Berufsleben nicht auf
Pflege bzw. Hilfe angewiesen seien, wurde auf der Veranstaltung
deutlich, dass dieses Thema angstbesetzt sei, zeige es doch die
Grenzen erwünschter Unabhängigkeit und Selbständigkeit
auf. Die Pflegebedürftigkeit steige mit dem Alter: So seien
knapp ein Fünftel der 80 bis 85jährigen, aber schon
ein Drittel der 85 bis 90jährigen pflegebedürftig.
-
- Constance Ohms, externe Beraterin des hessischen
Referats für die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen
des Hessischen Sozialministeriums, wies darauf hin, dass Altwerden
ein Prozess sei und es im Kern darum gehen müsse, eine lesbische
und schwule Kultur des Altwerdens zu entwickeln. Dies beinhalte
besonders die Bereiche Wohnen und Pflege, aber auch eine Reflexion
des in Lesben- und Schwulenkreisen gepflegten Jugendkults und
eigene Vorstellungen von Gesundheit.
-
- Heutzutage hätten Alte mehr Geld zur
Verfügung als früher. Der Jugendkult in der Gesellschaft
ändere sich bereits, er beginne abzunehmen.
In einer Aussprache zu den beiden einführenden
Referaten wurde betont, dass das Thema der Alterssexualität
in der Gesellschaft sehr umstritten sei. Die Pflegesituation
sei generell katastrophal. H. Stehling kritisierte den Appell
Walter Pauls nach Solidarität der jungen Schwulen mit älteren
Schwulen und erinnerte daran, dass es bei Jugendlichen auch die
Erfahrung sexueller Übergriffe durch Ältere gebe.
-
- Paul stellte klar, dass es hier um die Solidarität
der Community gehe, um institutionelle und finanzielle Solidarität.
Es sei auch an der Tatsache, dass an dieser Tagung keine Jungen
Menschen anwesend seien, zu erkennen, dass sich verschiedene
Lebenswelten herausgebildet haben. Auch auf die Anmerkungen von
C. Ohm wurde Bezug genommen.
-
- In Hinblick auf den finanziellen Spielraum
alter Menschen sei zu befürchten, dass deren Lage sich wieder
verschlechtere, was der stattfindende Sozialabbau vorausahnen
lasse. Die neoliberale Auffassung dieser Gesellschaft fördere
indes den Jugendkult.
- Mir ging bei den Stichwörtern Jugendkult
und Sexuelle Übergriffe durch Älterer an Jugendlichen
durch den Kopf, dass es hier eine Menge von Vorurteilen zu bereinigen
gibt. Übergriffe auf Jugendliche (also nach unserer Gesetzgebunbg
ungefähr 14 - 18jährige) finden in der Regel durch
ca. 20 bis 35jährige statt, wie aus Statistiken zu entnehmen
ist. (Siehe Kleine Helden in Not, von Dieter Schnack und Reiner
Neutzling, Rowohlt 1990; Jos van Brock: Verschwiegene Not, sexueller
Missbrauch an Jungen, Kreuz Verlag, Zürich 1993; Sexueller
Missbrauch an Jungen, Ron van Outsem, Verlag DonaVita 1993; Pädophile
Erlebnisse, Holzmeyer verlag 1986).
-
- Natürlich gibt es auch Übergriffe
zwischen anderen Altersgruppen. Dieses Phänomen nun in eine
Debatte zu führen, wo der Jugendkult der Szene kritisch
gesehen wird und es um Pflegefälle geht, zeugt doch von
sehr großen Vorurteilen, denn es legt nahe, dass den Alten
zumindest eine Mitschuld an ihrer Diskriminierung gegeben wird.
In Wirklichkeit erleben wir doch in der Szene ständig, dass
manche Jugendliche es schon als Beleidigung ansehen, wenn Ältere
überhaupt anwesend sind oder sogar um Kontakte werben, was
natürlich das Recht von allen ist.
-
- Es wurden nun Projekte dargestellt, in denen
Lesben und Schwule schon eigen Institutionen eingerichtet haben
oder einrichten. Auf der Veranstaltung wurden neben dem Projekt
AltenpfleGayheim, das eine Altenpflegeeinrichtung
für ältere homosexuelle Menschen in Frankfurt/Main
plant, mehrere lesbische bzw. schwule Projekte vorgestellt, so
das bundesweite Lesbenprojekt SAFIA - Lesben gestalten
ihr Alter und das schwul-lesbische Berliner Wohnprojekt
VILLAGE - Projekte, in denen Ansätze einer lesben-
bzw. schwulenspezifischen Altenarbeit umgesetzt werden. Beide
Projekte planen, durch Angliederung von ambulanter Pflege den
Übergang vom Wohnen zur Pflege so problemlos wie möglich
zu gestalten.
-
- Anke Schäfer stellte SAFIA vor. Hier
werde nicht vom Gedanken der Pflege her argumentiert, sondern
dem, das Leben im Alter zu gestalten. Über 400 Frauen über
40 Jahre haben sich hier zusammengefunden, organisiert in Regionalgruppen.
Das Netzwerk wird weiter Ausgebaut. Es gibt auch schon eigenen
Immobilienbesitz und Wohnprojekte. Anfänglich sei man davon
ausgegangen, lesbische Frauen könnten zusammenwohnen, weil
sie lesbisch sind. Das wurde schrecklich.
-
- Lesben sind eben unterschiedlich und manche
haben auch Schwierigkeiten, in einer WG zu leben. Dem wird bei
zukünftigen Wohnprojekten Rechnung getragen. Es gibt auch
Arbeitsgruppen, zum Beispiel die Granatapfelgruppe, die sich
mit Tod und Sterben sowie mit Ritualen beschäftigt. Neuerdings
gebe es z.B. Silberdistel für Lesben ab 60. Das sei toll,
weil sie nun nicht mehr die Musik hören müsse, die
die Jungen (Frauen über 40) ständig hören, meinte
Anke.
-
- Im Projekt Safia versuche man, alles aus
eigenen Kräften auf die Beine zu stellen. Konzessionen,
um an öffentliche Mittel zu kommen, wolle man nicht machen.
Deshalb war die Stiftung Sapho nötig, in die lesbische Frauen
zum Beispiel ihr Erbe einbringen können, damit es nicht
an Verwandte falle, sondern in Lesbenhand bleibt. Nun gebe es
Überlegungen, ein Hospiz zu schaffen, das als Pflegeheim
fungieren solle. Kompetente Frauen, um die zu planen und zu führen
seien genügend vorhanden.
-
- Walter Paul stellte das Altenpflegayheim
vor. Man setze bewusst bei der Pflege an, weil man den Lesben
und Schwulen nicht noch einmal zumuten wolle, dass sie aus den
Zusammenhängen noch einmal raus müssten, in denen sie
ihr Leben als Alte gestalten, wenn sie in Pflege kommen müssten.
Das Altenpflegayheim sei für Lesben und Schwule aus dem
ganzen Rhein-Main-Gebiet. Man setze ganz auf öffentliche
Mittel und die Integration in die Strukturen, die es für
alte Menschen ohnehin gebe.
-
- Bei Treffen mit VertreterInnen der Parteien
habe man überall, auch bei der Oberbürgermeisterin,
offene Ohren und die Zustimmung (auch die finanzielle Zustimmung)
für dieses Projekt gefunden. Die Stadt wolle ein bestehendes
Objekt, das müsse keine Alteneinrichtung sein, dem Verein
übereignen. Ob es eine kompakte Einrichtung werde oder ein
Kleeblatt kleiner Einrichtungen sei noch unklar. Gedacht ist
daran, dieses Heim fest in das Netzwerk der Community einzufügen,
um jüngere Menschen aus der Szene anzusprechen, beispielweise
durch Veranstaltungen, um die Isolation der Alten zu verhindern.
Zuerst ginge es nun um die Bedarfsprüfung, dies wolle man
durch einen Fragebogen ermitteln. Mitmachen könne man dort
ab 45 Jahren.
-
- Heiko Gerlach stellte das New Yorker Altenprojekt
SAGE - Senior Action in Gay Environment vor. Hier
arbeit fst nur ehrenamtliche HelferInnen mit, nur 25 festangestellte
SozialarbeiterInnen gebe es. Städtische Unterstützun
sei leider zurückgenommen worden und deshalb sei man von
Sponsorengeldern abhängig. Es hat ein breit gefächertes
psychotherapeutisches und soziales Angebot für für
Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und FreundInnen. So
gebe es Gesprächsgruppen zu vielfältigen Themen, Freizeitangebote
im kulturellen Bereich und soziale Dienste wie das Friendly
Visiting. Hier wird geplant, ein SeniorInnenheim zu erbauen.
Man führt auch nationale und internationale Konferenzen
durch. Ähnliche Ansätze gibt es auch anderen Staaten,
zum Beispiel in Berlin.
-
- BALSAM, der Berliner Arbeitskreis lesbischer
und schwuler alter Menschen, ist ein Netzwerk verschiedener Berliner
Selbsthilfegruppen und Institutionen, das sich zur Aufgabe gemacht
hat, das Thema Lesben und Schwule im Alter auf politischer Ebene
sichtbar zu machen sowie Selbsthilfestrukturen zu fördern
und eine möglichst breite Versorgung zu erreichen, indem
beispielsweise Pflegedienstleitungen geschult werden.
Ute Rabe vom RuT (Rat und Tat) für Frauen, die alt und/oder
behindert sind. Es gibt hier Arbeitsgruppen, z.B. über Wohnen
im Alter. Man arbeite auch politisch z.B. in Form von Anfragen
an den Senat über Lesben und Schwule im Alter. Das habe
wenig Resonanz gehabt, nur Abwehr in großer Bandbreite.
Bei den wenigen Antworten sei teilweise auf Projekte verwiesen
worden wie das RuT. Es soll Tagung zum Thema Pflege stattfinden,
um die bestehenden Einrichtungen für das Thema zu sensibilisieren.
Der Berliner Arbeitskreis lesbischer und schwuler Menschen (BALSAM)
sei dabei, eine Onfokartei über bestehende Projekte einzurichten.
Man bemühe sich, Aufklärungsarbeit besonders in der
Ausbildung und Fortbildung für Pflegekräfte zu leisten
und die SeniorInnenzeitungen und Einrichtungen mit Info-Material
zu versorgen.
-
- Henning Haupt stellte Village
(Dorf) in Berlin vor, das von Dorf als ideale Wohnform steht
als Gedanke hinter diesem Projekt. Kommunikation sei das oberste
Ziel für diese geplante Alteneinrichtung für Lesben
und Schwule, deshalb solle da Haus auch für Anderes dienen,
z.B. einen Mittagstisch, um anderes leben in das Haus zu bringen.
Der Gesundheitsdienst in Haus solle auch für Leute von außerhalb
zugänglich sein. Außerdem ist eine Kneipe angedacht
und Projekte sollen durchgeführt werden, in denen man generationenübergreifend
arbeiten könne, z.B. auch Maßnahmen zur Akzeptanz
in der Nachbarschaft. Es soll ein Wohnprojekt für alle Einkommensstufen
sein. Das Village-Projekt solle im schwul-lesbischen Kiez angesiedelt
sein.
-
- In der abschließenden Diskussion wurde
auf die Notwendigkeit hingewiesen, das Thema Homosexualität
in das Curriculum Altenpflege zu integrieren und auf die Kommunen
und Wohlfahrtsverbände einzuwirken, dieses Thema nicht länger
zu tabuisieren. Veranstaltung dieser Art sind wertvoll und wichtig.
Deshalb wurde beschlossen, auch im nächsten Jahr eine Fachtagung
im Rahmen des Referates für gleichgeschlechtliche Lebensweisen
(Hessisches Sozialministerium) durchzuführen. (js)
-
- Dein Kommentar zum Artikel: hier
-