69. LUST, Winter 01/02
 
Zwischen den Beinen
Frauen hätten am ganzen Körper erogene Zonen, die Männer nicht genügend beachten würden, während Männer sich nur um ihre eine Zone kümmern. Es gibt eine erogene Zone, die von Männern und Frauen selten genossen wird, weil verschiedene Tabus damit verknüpft sind.
 
1. Einordnung der Sexualität
Sexualität, völlig losgelöst von gesellschaftlichen Bindungen, einfach nur zum Zweck der Lusterfüllung, ist die erstrebenswert? Dass es das gibt, ist ja allgemein bekannt. Und dass es Leute gibt, die das heimlich ersehnen, in ihrer ein wenig müde gewordenen Beziehung, ist auch bekannt. Und dass es sich natürlich gehört, so etwas zu verurteilen, das wissen wir auch, denn Sexualität erfülle sich (natürlich) erst so richtig zufriedenstellend in der sogenannten Leib-Seele-Einheit, hat man uns gelehrt. Und bindungsloser Sex? Wenn das alle täten, gäbe es schließlich keine Ehe mehr, keine Verantwortung und keinen Ernst. Wo kämen wir denn dann hin, wenn alle nur schiere Lust erleben würden?
 
Gesellschaftlich geachtete Sexualität wird heutzutage zumeist als Erweiterung sentimentaler Gefühle akzeptiert. Das war früher nicht so, da sie nur in ihrer Funktion der Zeugung und nur in der Bindung der Ehe als nicht sündhaft angesehen wurde. Immerhin ein kleiner Fortschritt.
 
Heutzutage kann es auch eine irgendwie andere monogame Beziehung sein. Sie soll aber Teil der Liebe, der Bindung, der gegenseitigen Erfüllung sein. Insofern hat sie eine gesellschaftliche Funktion über den reinen Lustgewinn hinaus. Und genau dieser Zusammenhang erschwert die Fragestellung: ob Menschen, die sich gegenseitig sehr sympathisch sind und dabei erotisch faszinieren, was man als Liebe definiert, sich auch eine ausreichende sexuelle Erfüllung geben können.
 
Wenn ich jemanden liebe, bedeutet das dann, dass dieser Mensch dann sexuell auch zu meiner Erfüllung wird und ich es für ihn werde? Dies wird dann als selbstverständlich vorausgesetzt. Es wäre ja auch lieblos, gegenüber dem geliebten Partner oder der Partnerin, ihnen mitzuteilen, dass man zwar in diesem gegenseitigen Arrangement Befriedigung erfährt, aber nicht immer die ganze Erfüllung, die man ersehnt. Aus Liebe verzichtet man lieber auf das, was man ganz gerne auch noch erleben würde, was der Partner aber nicht so recht mag.
 
Prostituierte Frauen in den Hurenverbänden sagen öffentlich im Fernsehen, was sie ihr Geld verdienen lässt: dass Ehemänner sexuelle Sehsüchte haben, von denen sie wissen, dass ihre Frauen daran oftmals keinen oder nicht ausreichenden Genuss haben. Die Befriedigung dieser Sehnsüchte verschaffen sich die Ehemänner eben über den Sex-Markt. Und Prostitution konkurriert nicht mit der Ehe (oder einer engen Dauerbeziehung), da das Verhältnis ”Sex gegen Geld” den Gegensatz zu einer freundschaftlichen menschlichen Bindung darstellt, daher eben keine konkurrierende Nebenbeziehung ist. Dies ist Voraussetzung, wenn die eigentliche Bindung nicht gefährdet werden soll. Ich weiß, ich rede hier nur von den unbefriedigten Gefühlen der (heterosexuellen) Männer. Auf die Gefühle der Frauen komme ich noch zu sprechen.
 
Eine schwule Beziehung ist, wenn die erste Verliebtheit nachlässt, meist auch schon vorbei. Da kommt das Gefühl nicht auf, dass innerhalb der Beziehung in der sexuellen Erfüllung ein Mangel existiert. Je kürzer die Beziehungen sind, um so weniger kann natürlich ein solches Gefühl des Mangels aufkommen, weil eine Verliebtheit den Verzicht auf Unerfüllbares erträglich macht. Und in der schwulen Szene kann man ja auch immer wieder Partner finden, auch wenn es nur für eine Nacht reicht. Eigentlich ist die Szene in vielen Bereichen auf One-Night-Stands aufgebaut: Ich nenne hier nur den Dark-Room und die Gay-Sauna, den Park und die Klappe sowie das Wäldchen neben dem Autobahnparkplatz.
 
Und weil man an den Orten anonymer Begegnung nicht nach den Beziehungsattributen suchen muss, benötigt man einige übliche Überlegungen über die Beziehungsfähigkeit nicht. Es reicht, wenn es aktuell lustvoll sein könnte. Allerdings benötigt man andere Hinweise.
 
Die in dieser Frage ehrlichste Szene ist die Lederszene. Und dort werden dann durch einen Tücher-Code Hinweise gegeben, welche sexuelle Neigungen man hat. Es geht also auf dem ersten Blick nicht um die gesellschaftliche Einbindung der Sexualität, sondern ”nur” um sexuelle Erfüllung, dies aber immerhin. Dass diese Form der Sexualität manchmal als lustvoller empfunden wird, hat es was mit der möglichen Tabulosigkeit im beziehungsfreien Bereich zu tun. Aber die Leder-Szene selbst stellt durchaus auch eine soziale Gemeinschaft dar, wenn die entsprechenden Club- oder andere Veranstaltungen stattfinden. Trotzdem, die sexuellen Handlungen selbst finden nicht in festen Beziehungsstrukturen statt, wohl aber oftmals auch in ritualisierten Formen.
 
Da gibt es nun diesen Tücher-Code der Aufschluss gibt: Tuch in der linken Gesäßtasche heißt aktiv, in der rechten passiv. Die Fraben drücken die verschiedenen neigungen aus, vonder gegenseitigen Masturbation über Oralverkehr zum Analverkehr, aber auch Fisting, golden Shower und Kotspiele. Einerseits ist es ehrlich, die Neigung offen zu tragen. Man kann einerseits häufiger erwarten, einen Partner für gemeinsam Erwünschtes zu finden. Zum anderen können ja die sexuellen Neigungen je nach Partner variieren und sind nicht ein-für-alle-Mal bei einer Person festgeschrieben.
 
Also mich stört es teilweise, mit einigen Tüchern rumzulaufen, die mich z.B. als aktiven Analpartner sowie als aktiven und passiven Oralpartner kennzeichnen. Ich bin damit festgelegt. Und in der Verbindung mit einem Mann kann es ja durchaus vorkommen, dass ich Lust auf das eine oder andere bekomme und das Gezeigte hier vermeiden möchte. Manchmal bin ich so drauf, dass ich ein ganzes Bündel von Tüchern bei mir haben müsste. Immerhin, die Lederszene ist in diesen Fragen die ehrlichste und auch irgendwie die praktischste Szene.
 
Was die Jugendkultszene betrifft, da glaubt man noch an ewige Liebe und der geile Mann da, mit dem man zwar durchaus Lust für einen Nacht oder öfter erleben möchte, könnte man diesen auch der Mutter als Beziehungspartner vorstellen? Unvorstellbar, zumeist jedenfalls. Je geiler der Typ um so schwierig ist er zu rechtfertigen. Also ist die Suche hier schwieriger, sind die Mauern zwischen den Menschen höher und die Gelegenheiten, bei denen man eben völlig unbefriedigt nach Hause geht, sind hier am häufigsten. Und wird man fündig, dann voller Schuldgefühle, nicht mehr wegen der Homosexualität, wie das früher vor dem selbstbewussten Coming-out war, sondern weil das die schiere Lust ist, die nicht zu einer Partnerschaft führt. Deshalb!
 
Am aller unbefriedigsten sind die älteren männlichen Jugendliebhaber, die ihre große Sehnsucht beinahe nie erfüllt bekommen, und wird sie erfüllt, ist sie schon vorbei, bevor sie eigentlich eine Chance bekam, sich zu entfalten. Sie träumen dann von der einen großen verklärten Liebe, die einen jungen Mann an sie bindet und ihnen alle Träume erfüllen lässt. Insofern sind sie als Dichter für Sehnsuchtsgedichte und entsprechenden Geschichten geeignet. Dies also zu den Männern, den unbefriedigten. ”I can get no Satisfaction”.
 
Frauen, so liest man in der älteren Frauenliteratur, sind oft von den Erlebnismöglichkeiten mit ihren (heterosexuellen) Partnern nicht ausreichend begeistert. Aber suchen sie sich deshalb andere Partner oder Partnerinnen? Nein. In den 70er Jahren war in der feministischen Literatur zu lesen, dass Frauen während der hier und da auch lustvollen sexuellen Handlungen ihrer Partner an ihnen einfach die Augen zumachen würden, während sie sich etwas Anderes, Neues, Besseres vorstellen. Und Frauen hätten nur Verachtung für die Pornographie, denn den Männern fehle es einfach an Phantasie.
 
Und heute? Da ist nichts mehr über unbefriedigte Sexualität in der hetischen oder lesbischen Frauenliteratur zu lesen. Im Gegenteil.
In der lesbischen Literatur haben Bücher mit Ratschlägen für größeren Lustgewinn durch bessere Sextechniken derzeit Konjunktur. Das zeigt, dass dort auch etwas in Bewegung gekommen ist, hoffentlich auch in Richtung auf größere Selbsterkenntnis, Selbstbehauptung und Selbsterfüllung. Es ist nämlich gar nicht denkbar, dass alleine aus der Tatsache der gegenseitigen Verliebtheit heraus, wenn diese denn tatsächlich der Fall ist, auch alle Fragen des sexuellen Begehrens mit gelöst sind.
 
Zu viel Märchen, Mythen und Ideologien, patriarchalische wie auch feministische, stehen dieser Sache im Wege. Denken wir doch nur an die Zeit, in der behauptet wurde, dass es keinen vaginalen Orgasmus gäbe, nur einen klitoralen, dass also ein Schwanz oder ein anderes längliches Utensil nicht notwendig sei, dass also Männer nun schon gar nicht notwendig seien. Und dann kam die Theorie von G-Punkt auf, der zwar nicht genau lokalisiert werden konnte aber irgendwo in der Vagina sitzen würde. Neuerdings sitzt er irgendwo zwischen Klitoris und Harnröhre.
 
Was soll das? Brauchen wir einen Atlas? Ist nicht gerade diese ganze Region absolut lustempfänglich? Kann man da, je nach Ideologie, irgendwelche Schranken einbauen oder Richtlinien geben? Hinter solchen Verkehrsregeln siedeln sich dann selbsternannte oder offizielle ZöllnerInnen an Schranken an, um zu kassieren: Einfluss oder direkt Geld. Wer kennt nicht die Gespräche hinter hervorgehaltener Hand, die sich letztlich als moralisierende Ideologien auswirken. Dabei die hechelnden Damen (und auch ihre schwulen Freunde) aber in guter Gesellschaft: Die Kirchen halten traditionellerweise dort die Hand vor und die andere Hand auf.
 
Frauen, besonders heterosexuellen Frauen sagt man nach, dass sie richtigen deftigen Sex gar nicht ausleben wollen, sondern eher kuscheln wollen, stundenlang durch ihren Liebhaber gestreichelt werden wollen. Und zwar dies nicht als sogenanntes Vorspiel, sondern anstatt. Unbefriedigte Männer sagen dies Frauen nach, und diese beschimpfen ihre Männer, denen ginge es nur um rein-raus-fertig. Alle sind also irgendwie unbefriedigt, auch dann, wenn sie vorübergehend eine/n PartnerIn haben.
 
2. Ausleben der Sexualität
”Wie alt bist du denn?” ist die wichtigste Frage im schwulen Gay-Chat. Und dann: worauf stehst du? Und in der Anonymität dieses Mediums schreiben dann die Chat-Partner: ”Ich will, dass Du mich so richtig rannimmst. Ich möchte an Deinem Schwanz saugen und Dein Sperma schlucken. (Ich führe es vielleicht hier nicht weiter aus. Oder? Neugierig? Außerdem, wo bleibt safer Sex in den Phantasien?) Da ich nun nicht der jüngste mehr bin, und dies auch im Chat nicht verschweige, werden einige chat-Partner negativ ausfallend und andere nehmen die o.a. Rolle an.
 
Wie alt die Gesprächspartner nun wirklich sind, weiß ich nicht, die meisten geben an, so von 16 bis 28 zu sein. Insofern ist es lächerlich, nach dem Alter zu fragen. Aber man erfährt hier von sexuellen Sehnsüchten, die hier in der Anonymität ausgesprochen werden können. Sadistische, aber viel öfter masochistische Bedürfnisse tauchen hier häufiger auf, aber auch andere intensive Neigungen. Ich interpretiere sie als Sehnsucht nach dem Sich-fallen-Lassen beziehungsweise sich-sexuell-gehen-lassen-Dürfen.
 
Vielleicht projiziere ich aber auch nur. Sehr häufig geht es um das Eier-Lecken, das Lecken zwischen den Beinen einschließlich des Schließmuskels. Dazu gehört noch das Unterbauch-Streicheln und das Lecken des Unterbauches. Von den Häufigkeiten der Beschreibungen her meine ich, dass es hier eine einzige hocherotische Zone gibt, die vom Unterbauch zwischen die Beine bis einschließlich dem Schließmuskel geht.
 
Frauen haben den ganzen Körper als erogene Zone, Männer haben nur eine erogene Zone, die Eichel? Diese Aussage kann ich nicht bestätigen. Es mag vielleicht in Beziehungen beim lieblos gewordenen Gewohnheits-Sex so ablaufen. Und die in den Medien ritualisierten Sexualhandlungen nehmen die große vielfältige Sexualität nur partiell wahr, eben nur das, was sich als Stellung abgrenzen lässt. Lächerlich das ganze.
 
Es ist genussvoll, am ganzen Körper gestreichelt und liebkost zu werden und den/die Partner/in zu liebkosen, und es ist sehr erotisch, sich gegenseitige zum Beispiel mit dem Mund in der beschrieben Region zu erforschen und zu genießen. Diese Region ist von vielen sensiblen Nerven durchzogen, die in enger Verbindung mit der Klitoris bzw. der Eichel sind, und Vibrationen, Wärme- und Feuchtigkeitsgefühle übertragen sich hier in der ganzen sensiblen Zone. Diese Region ist nicht so direkt sichtbar, man kann seine eigen Zone kaum ohne technische Hilfsmittel begutachten. Und in vielen Fällen wird das Bedienen dieser ganzen Region als Perversion, als schmutzig angesehen. Sehr schade. Und dann kommt dann noch der ideologische Überbau dazu.
 
Ob man sich hingibt oder ob man das Gefühl liebt, die vollkommene Hingabe des Partners/der Partnerin zu genießen, hängt mit solchen Vorlieben zusammen, die nicht unbedingt etwas mit dem gesellschaftlichen Oben und Unten zu tun haben. Ob man/frau es lieber zart oder hart mag? Es kommt im wesentlichen darauf an, ob die erotischen Reize derart stark sein sollen, dass sie für andere schmerzhaft wären, oder ob die sensibelsten Berührungen schon zur Lusterfüllung führen.
 
Das wird bei vielen Menschen irrtümlich nur in hierarchischen oder Geschlechtsrollenzuordnungen gesehen. Und schließlich kommt es noch darauf an, ob man vom Druck befreit und von Schuldgefühlen überwältigt danach schnell das Weite suchen möchte oder ob man hinterher, vielleicht aus den gleichen Gründen, durch Zärtlichkeit wieder neue Gemeinsamkeit erzeugen möchte, die während des Sexaktes ein ergänzendes Gegeneinander geworden war.
 
Das alles und vieles mehr kann nicht im voraus durch die Frage nach dem Alter und dem Traumtyp einsamer Nächte geklärt werden, sicherlich auch nicht in Fragen nach der Traumfrau. Es lässt sich kaum in Kontaktanzeigen darstellen. Es lässt sich allerdings beim anonymen Sex demonstrieren und in der Anonymität gegenseitig beschreiben. Ich habe indes nie erlebt, dass sich das Beschriebene auch in der Realität erfüllen ließ. Oft hatten die anonymen Kommunikationspartner während der Kommunikation ganz enge Vorstellungen, die zu einer schnellen selbst hervorgerufenen Entspannung führen sollten, was keine Realität zulässt.
 
3. Was können wir tun?
Mit den vorgefundenen Zuständen kann ich mich aber nicht zufrieden geben. Deshalb dieser Beitrag in der Zeitschrift LUST. Und mir fällt als Motivation ein, an einer Lösung zu arbeiten, dass wir ja so viel an sexueller Lust in uns tragen, dass wir dabei viele lustvolle Experimente genießen können, gegenseitige und tabulose Experimente. Man möchte doch auch etwas mehr davon haben, was man so anstrebt. Und deshalb habe ich mir ausgedacht, dass alle LUST-LeserInnen (und die Home-Page-BesucherInnen), sich angesprochen fühlen sollten, dies nicht nur als Artikel zu sehen, den man mit einer gewissen Wollust oder mit einem gewissen Schauder lesen kann.
 
Es ist dieser Artikel durchaus ein Aufruf, in 5 Bereichen zu arbeiten:
1. Propagandistischer Bereich
2. Gesellschaftspolitischer Bereich
3. Gesellschaftlicher Bereich
4. Zwischenmenschlicher Bereich
5. Persönlicher Bereich
 
3.1. Propagandistischer Bereich
Überall werden wir und alle anderen derzeit von der Liebe-Ehe-Propaganda belästigt, so dass viele Leute schon alles durcheinanderbringen. Wer in dieser Lebensform leben möchte, dem sei das gegönnt. Ich will hier nicht missverstanden werden. Aber das ist doch kein Grund, auf die Erfüllung sexueller Sehnsüchte zu verzichten, in dem einen Leben, das wir haben. Auf Lustbarkeiten, die in der Ehe nicht möglich oder nur unter dem Opfer des Partners möglich ist, der so etwas eigentlich nicht mag, soll man aus Liebe verzichten, das ist Teil der Ehe-Moral. Und die Liebes-Ehe wird als Eifersuchtsmodell dargestellt, in dem alles gegenseitig kontrolliert wird. So etwas wird als das Ziel aller Träume dargestellt. Das muss doch nicht notwendig so sein?
 
Und da setzt nun unsere Gegenpropaganda ein. Klar, die verfängt natürlich nicht bei Einsamen, die den Käfig der Zweierbeziehung oder Ehe haben wollen, um jemanden darin zu fangen, damit der/die nicht weglaufen kann. Sie wissen aber oft noch nicht, dass sie bei Erfolg in dem gleichen Käfig sitzen werden. Und dass die Verhältnisse in Gefangenschaft dann ganz anderen Gesetzen gehorchen, weiß man ja vielleicht aus diversen Knast-Filmen oder Ehe-Klamotten.
 
Wir dürfen nicht müde werden, immer und überall, besonders in den Medien, den Verzicht auch als Verzicht zu benennen und den Mangel als einen Mangel. Vielleicht gelingt uns das auch gegenüber unseren geliebten PartnerInnen, so dass diese dann irgendwie einsehen müssen, dass Abhilfe unser Recht und deshalb sinnvoll ist, schon zum Beispiel aus gegenseitiger Liebe heraus. Ob man eine Zeitlang zugunsten der/des Geliebten das tut, was man nicht so gerne mag, oder dem/der Partner(in) erlaubt, sich außerhalb der Beziehung auf diesem Felde auszuleben, und wenn niemand in Sicht ist, sich vielleicht sogar gegenseitig dabei hilft, führt ja zum gleichen Resultat: dem gegenseitigen Verstehen, der gegenseitigen Solidarität und der gegenseitigen Hilfe bei der Erfüllung der sexuellen Sehnsüchte, auch wenn man selbst sie nicht erfüllen kann oder mag. Es gibt da z.B. Paare, die zusammen cruisen gehen und sich gegenseitig unterstützen.
 
3.2 Gesellschaftspolitischer Bereich
In der Gesellschaftspolitik wird ausgelebte Sexualität und das sexuelle Verlangen in eine hierarchischen Ordnung gepresst. Einiges ist durch die Möglichkeit, dass ein Kind daraus entstehen kann, geadelt. Anderes wird allzu oft als eine Perversion abgewertet. Dies wird durch Gesetze und Bestimmungen abgesichert. Es wird aber auch durch die Rahmenbedingungen beeinflusst. Wenn es zum Beispiel keine Klappen mehr gibt, ist nicht nur dieser Treff anonymer und promiskuitiver Sexualität geschlossen worden, es sind auch die Orte der Promiskuität generell kanalisiert worden, denn in den Saunen gibt es bei den Besuchern keinen Zufall und auf den Autobahnrastplätzen können nur solche Menschen verkehren, die ein Auto haben.

Wir müssen auf Parteien und Verbände einwirken, dass jegliche Moralisierung zu unterbleiben hat, da dies mündige Menschen bevormundet und ihre Lebensqualität beschneidet, Schuldgefühle erzeugt, was zu Verzicht führen kann. Argumente, die Menschen wollen ja mehrheitlich nur monogame auf Dauer angelegte Beziehungen, setzen unsere Argumente ja gar nicht außer Kraft, denn frei ausgelebte Sexualität neben bestehenden Beziehungen hilft ja nur, dass die sexuellen Ansprüche nicht gegen die Lust der Partner gerichtet werden.
 
3.3. Gesellschaftlicher Bereich
Das gesellschaftliche Klima ist auch von den MeinungsmacherInnen, ihren Verdienstmöglichkeiten, aber auch den sie kontrollierenden oder von ihnen profitierenden TugendwächterInnen abhängig. Alle Religionen arbeiten z. B. mit Machtausübung über die Kontrolle der Sexualität, also die Kontrolle der Moral. Das geht so weit, dass sie auf die weltliche Gerichtsbarkeit und die Staatsmacht zurückgreifen wollen, um die religiöse Kontrolle über die Sexualität zu bekommen.
 
Das ist aber perfide, weil eben nahezu jeder Mensch in Wirklichkeit über Sexualität verfügt und über sexuelle Sehnsüchte, die alle nach Befriedigung drängen. Und die Sehnsucht nach Befriedigung wird nun auf Grund des Wirken der ReligionsverkünderInnen mit Schuldgefühlen verknüpft, so dass schon im Inneren des Menschen Barrieren vor dem Erleben der Sehnsüchte bestehen. Wenn Menschen es dennoch ausleben, werden sie danach mittels der Schuldgefühle noch enger in die Arme der entsprechenden Religionsgemeinschaften getrieben, hinterher Buße zu tun. Oder sie verzichten drauf. Dann wollen sie andere Menschen verfolgen, die ihre Neigungen ausleben wollen. Sie dürfen nicht, also sollen die anderen auch nicht.
 
Aber auch wir haben Möglichkeiten. Schließlich sind wir durch unser Handeln auch Vorbild. Und dabei haben wir mächtige Verbündete, sogar schon in den anderen Menschen drin, denn die haben ja auch Sexualität in sich, die nach Befriedigung drängt. Auch wenn unser Einfluss auf die Medien begrenzt ist, können wir immerhin besonders spießig vertretene Positionen am besten lächerlich machen.
 
3.4. Zwischenmenschlicher Bereich
In Soups, Schlagern usw. wird Sexualität außerhalb der monogamen Strukturen als der Bruch der monogamen Struktur angesehen. Es wird so getan, als sei ausgelebte Sexualität außerhalb einer Beziehung ein Verrat an der Beziehung, zumindest an dem/der PartnerIn. Das ist ja im Grunde recht merkwürdig und belegt, dass die Moralisierung bewirkt, dass die Sexualität zum wesentlichsten Baustein einer Beziehung wird. Geistige Übereinstimmungen mit Menschen außerhalb der Beziehung sind offensichtlich nicht das Problem, dürfen auch sein, sind vielleicht im Arbeitsleben auch unabdingbar.
 
Der eigentliche Verrat geschieht also scheinbar lediglich dadurch, dass sich die Haut von einem Menschen eine Zeitlang mit der Haut eines anderen Menschen reibt. Es ist also die Moralisierung selbst, die der Sexualität diese Wichtigkeit zuweist, während wir moralisch zum Sexverzicht genötigt werden. Und das ist doch tatsächlich perfide.

Also müssen wir eine andere zwischenmenschliche Normalität für selbstverständlich halten und dies sowohl in unserer eigenen Praxis als auch in unseren Verlautbarungen erkennen lassen.
 
3.5. Persönlicher Bereich
Hallo Du, wenn du nun doch lieber einen Partner oder eine Partnerin besitzen willst, indem Du auch solche Teile des Partners oder der Partnerin kontrollieren willst, die diese(r) nicht mit dir ausleben mag oder kann, dann wirst Du das, was ich hier schreibe, für unmoralisch halten, obwohl ich Dich für unmoralisch halte. Schließlich ist Dir die Verfügungsgewalt über die Lust eines anderen Menschen wichtiger als sein Lebensglück. Außerdem setzt Du Dich in das gleiche Gefängnis mit hinein, Du musst auch Verzicht üben. Aber Dein eigener Verzicht ist ja Deine Entscheidung.
 
Wenn Du aber eine/einer bist, die/der auch unerfüllte sexuelle Sehnsüchte hat, die er/sie ausleben will, dann kommt das Problem, andere zu finden, die das ebenso sehen und empfinden. Und da hat man so seine Schwierigkeiten. Die Leute in den einschlägigen Lokalen oder hinter den Kontaktanzeigen lassen ja von außen nicht so einfach erkennen, wonach ihnen ist, und unter gegenwärtigen gesellschaftlichen Strukturen schwingt das Ehe-Gebot beinahe überall schon mit, einschließlich all der unausgesprochenen ”Selbstverständlichkeiten”, was es unmöglich macht, dass man tabulos miteinander kommuniziert. Und das anonyme Internet?

Lesben finden nur wenige Chat-Angebote, in denen Lesben anonym und daher auch tabulos miteinander chatten können, weil überall heterosexuelle Männer sind, die sich hier als Frauen ausgeben oder in dreister Offenheit Lesben belästigen. Die sind eine wirkliche Plage, belegen aber nur, dass auch sie sexuell offensichtlich nicht zufriedengestellt sind. Wenn eine wirklich lesbische Lesben-Chat-Line geben sollte, die anonyme Kommunikation zulässt, dann teilt sie uns bitte mit, denn wir werden immer mal danach gefragt.
 
Im Schwulen-Chat ist man zwar sexuell offener, aber da man oft in den Altersangaben lügt, reicht es aus, sich im Gespräch selbst zu befriedigen, denn zu zufriedenstellenden Begegnungen, real-sex ganannt, kommt es höchst selten. Nun? Wie legen wir es an?
 
4. Ergo?
Schaffen wir uns die Ellenbogenfreiheit und die persönliche Voraussetzung für ein erfülltes Leben, denn es gibt nur dieses eine Leben und wenn man älter wird, dann wird es ohnehin nicht einfacher. Oder glauben wir den Moralaposteln und verzichten wir. (js)
 
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