- 68. LUST, Oktober/November 01
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- STOPPT DEN KRIEG IN AFGHANISTAN!
Anmerkungen der DFG-VK Marburg zu den
fortlaufenden Bombardements
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- Seit dem 7. Oktober bombardieren US-amerikanische
und zum Teil britische Streitkräfte Städte und militärische
Einrichtungen in Afghanistan. Offiziell geht es bei dieser Militäraktion
darum, den für die Massaker in New York und Arlington verantwortlich
gemachten Usama Bin Ladin zu fassen und das ihn unterstützende
Taliban-Regime in Kabul zu stürzen.
Daran, daß die Hintermänner der barbarischen Anschläge
in den USA vom 11. September 2001 zur Rechenschaft zu ziehen
sind, besteht kein Zweifel. Wohl aber daran, dass dies mit kriegerischen
Mitteln, mit Bombardements zu bewerkstelligen sein wird. Denn
dagegen spricht die Erfahrung. Weder ist es den alliierten Truppen
1991 während des Golfkrieges gelungen, den zum Hitler der
90er Jahre deklarierten irakischen Staatschef Hussein zu töten,
noch konnte man bisher auf dem Balkan einer nennenswerten Zahl
von Kriegsverbrechern und Leuten, die die Nato dazu erklärt
hat, habhaft werden. Und so macht die US-amerikanische Kampagne
bisher auch einen eher hilflosen Eindruck:
Als in der ersten Woche der Angriffe eine 2000-Pfund schwere
Hightech-Bombe ihren Bestimmungsort um mehrere Hundert Meter
verfehlte und in ein Wohngebiet krachte, erwähnte das US-Verteidigungsministerium
nebenbei, dass das eigentliche Ziel ein einzelner (!) Hubschrauber
auf dem Kabuler Flughafen gewesen sei. Man könnte das auch
nennen: mit Kanonen auf Spatzen schießen. Ein solches Vorgehen
nimmt zweifellos jede Menge ziviler Kollateralschäden
in Kauf.
Zumal ein ausreichender Druck auf das gegnerische Regime nur
auszuüben ist - das zeigt das Beispiel Kosovo-Krieg 1999
- , wenn auch zivile Infrastrukturen angegriffen werden: Verkehrsknotenpunkte,
Brücken, Fabriken, kulturelle Einrichtungen, Fernseh- und
Radiostationen. All dies wurde bisher bereits bombardiert oder
mit Bomben bedroht. Der bisherigen US-Kriegsführung liegt
nach aller Erfahrung ein Eskalationsmechanismus zugrunde, der,
je länger und entschiedener die Gegenwehr des Taliban-Regimes
sich organisiert, desto stärker versucht, militärischen
Druck zu entfalten. Der dürfte sich aber vor allem gegen
die verbliebene zivile Infrastruktur zunehmend richten, da militärische
Ziele nach einiger Zeit kaum noch vorhanden sein dürften.
Dann wird die Kriegspropaganda der USA mehr und mehr zivile Einrichtungen
in Afghanistan zu militärisch bedeutsamen Objekten umdefinieren.
Natürlich stellen viele eine Frage an die Friedensbewegung:
Wie sehen denn eure Vorschläge aus, um die Verantwortlichen
der Anschläge zu bestrafen? Eine Antwort wird sicherlich
für viele unbefriedigend bleiben, denn der Hinweis auf Auslieferungsverfahren
nach internationalem Recht, auf die Möglichkeit, internationale
Gerichtshöfe und UN-Gremien einzuschalten, bleibt für
diejenigen zu vage, die nun auf schnelle Ergebnisse hoffen. Schnelle
Ergebnisse zeitigen allerdings jetzt schon die Bombardierungen
Afghanistans, dessen militärische und zivile Infrastruktur
erheblich in Mitleidenschaft gezogen wurde. Über sieben
Millionen Flüchtlinge sind davon beredtes Zeugnis. Hingegen
wird ein Resultat der laufenden Militäraktionen in Zukunft
sicherlich nicht zu verzeichnen sein: Dass einzelne für
die Anschläge vom September verantwortliche Täter gefasst
werden.
Wenn die Chancen, die Urheber des Terrors auf der Grundlage internationalen
Rechtes vor ein Gericht zu stellen, zur Zeit relativ gering sind,
dann liegt das auch daran, dass nach wie vor nur dürftige
Beweise gegen die Hintermänner vorliegen. Jedenfalls soweit
sie öffentlich bekannt sind. Mit Sicherheit kann Usama Bin
Ladin als Anstifter zu den Attentaten gelten (denn er hat immerhin
zu solchen Anschlägen aufgerufen), aber der Dokumentation
der britischen Regierung zur angeblichen Beweiskette (F.A.Z.
vom 9.10.2001) gelingt es nicht, seine Urheberschaft nachzuweisen.
Als Anklageschrift vor einem ordentlichen Gericht könne
das Papier nicht dienen, geben die Autoren selbst zu. Insofern
kann also die US-amerikanische Regierung dem Regime in Kabul
keine ausreichenden Beweise vorgelegt haben, denn sie sind schlicht
nicht vorhanden.
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- Was auch daran liegt, dass die britische
Dokumentation nicht klar machen kann, welchen Charakter die Organisation
Al Qaida überhaupt besitzt. Handelt es sich um eine straff
organisierte Gruppe, in der das Befehl-und Gehorsam-Prinzip herrscht?
Dies wäre eine Voraussetzung dafür, Bin Ladin überhaupt
als Haupttäter dingfest machen zu können. Oder handelt
es sich nur um eine lose Vereinigung weitgehend autonom agierender
Zellen? Die Briten versuchen, das Phänomen so zu fassen:
Usama Bin Ladin steht an der Spitze des Al-Qaida-Netzes.
Ein Netz, das eine Spitze besitzt! Schwierig, sich vorzustellen,
was das überhaupt sein soll. Daher bleibt nach wie vor die
Forderung nach Offenlegung der Beweise gegen Usama Bin Ladin
und das Al-Qaida-Netz aktuell und richtig. Mehr noch:
sie wird immer aktueller. Denn seit dem 7. Oktober ist es in
bemerkenswerter Weise still geworden um mögliche weitere
Details der Beweiskette.
Der laufende Krieg ist allerdings auch deshalb keine Möglichkeit
zur Bekämpfung des Terrorismus, weil sich aus politischen
Gründen die USA mit Gruppen und Staaten verbünden müssen,
die in der Vergangenheit terroristischen Aktivitäten nicht
unbedingt ablehnend gegenüberstanden. So finanzierte Saudi-Arabien
bewaffnete muslimische Gruppen in Afghanistan, Tschetschenien,
Bosnien und auf den Philippinen. Pakistan gelang es nur mit knapper
Not, den Status eines Schurkenstaates abzustreifen.
Und von der Nordallianz darf man, sollte sie an einer
Nachfolgeregierung in Kabul beteiligt werden, realistischerweise
das erneute Anzetteln eines Bürgerkrieges erwarten. Krieg
löst keine Probleme, sondern Krieg verursacht sie.
Deshalb ist es richtig, auf die Straße zu gehen und gegen
den Krieg zu demonstrieren. Dabei darf die Friedensbewegung freilich
nicht vergessen, dass die bedeutendste Ursache der derzeitigen
Luftschläge die Massaker in den USA gewesen sind. Allzu
leichtfertig wurden diese manchmal als mehr oder weniger absehbares,
vielleicht sogar zwangsläufiges Ergebnis einer sich nicht
nur ökonomisch globalisierenden Welt erklärt, in der
Menschen massenhaft in sozialem Elend und extremer wirtschaftlicher
Not leben müssen.
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- Gegenüber einer solchen Interpretation
ist jedoch strikt darauf zu beharren, dass alleine aufgrund sozialer
Verelendung solche terroristischen Anschläge weder zu erklären
noch zu begreifen sind. Denn an vielen Orten der Welt haben soziale
und politische Bewegungen auf Unterdrückung, Besatzung und
wirtschaftliche Ausbeutung manchmal mit gewaltfreien Mitteln
(wie auch heute noch in Indien oder in Lateinamerika), manchmal
mit militärischen Mitteln reagiert.
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- Nie aber bisher mit solchen einen unbedingten
Vernichtungswillen dokumentierenden Terrorakten wie denen in
den USA. Auch die Verdammten dieser Erde haben eine
Wahl. Darauf muss die Friedensbewegung deutlich hinweisen. (Weshalb
auch zur Zeit Religionskritik, insbesondere die Kritik des Islam,
in dessen religiösen Grundsätzen letztlich auch einige
Partikel zur Erklärung der Massaker zu finden sind, auf
der friedensbewegten Tagesordnung stehen muss.)
Und die Friedensbewegung sollte es freilich lassen, in deutschtümelnder
Manier von der Berliner Regierung ein irgendwie geartetes mäßigendes
Einwirken auf die Politik der USA und Großbritanniens zu
erwarten. Schröder, Fischer und Co. verfolgen allein deutsche
Interessen. Ihnen geht es nicht um Moral, Ethik, Gerechtigkeit
oder was auch immer einem da so einfallen mag.
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- Vielleicht bremst die deutsche Regierung
bei militärischen Aktionen, um sich ihre Geschäfte
mit dem Iran und die guten Kontakte zur arabischen Welt nicht
zu versauen. Vielleicht drängt sie aber auch gegen den Willen
der USA darauf, an Militäraktionen teilzunehmen, um nach
dem Krieg in Zentralasien bessere Karten in der Hand zu haben,
wenn diese neu gemischt worden sind.
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- Egal welche Option die Bundesregierung zur
Zeit tatsächlich verfolgt (falls ihr das überhaupt
selbst schon klar ist, denn wohlmöglich ist zur Zeit noch
nicht ausreichend sicher abzuschätzen, welche der beiden
Alternativen für die Geschäfte des deutschen Kapitals
einträglicher sein könnte), um ideelle Werte geht es
ihr mit Sicherheit nicht. Appelle, die anderes unterstellen,
sind mithin doch sehr fehl am Platz.
F.-J. Murau
DFG-VK Marburg
Postfach 1246
35002 Marburg
dfgvk@lahn.net, http://www.lahn.net/dfgvk
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