67. LUST, August/September 01
 
Die männerbündlerische Sozialgruppierung und ein schwuler Mann
Die Bildzeitung hatte ihr Sommerlochthema und in der Szene raunte man sich das eine oder andere zu.

Die einen meinen, dass man beim Bundeskriminalamt als Schwuler auch nichts verloren habe, die anderen meinen, er sei auch ein seltsamer Mensch gewesen, wieder andere sagen, er hätte doch die Angebote annehmen sollen, die man ihm gemacht habe, andere prahlen, mit ihnen hätte man so etwas nicht machen können. Alle meinen also, er sei selbst schuld gewesen.

Das hat mich, gelinde gesprochen, doch sehr verblüfft. Überall ähnliche Töne über einen Mann, der Benzin über sich gegossen und sich dann angezündet hat. Ein furchtbarer und langsamer Tod.

Ein BKA-Kollege von ihm meinte zu uns, man habe ihm doch alles angeboten, sogar eine Versetzung, mit der er dann auch nicht zufrieden gewesen sei. Er sei seinen Kollegen einfach auf die Nerven gegangen. Sie hätten halt nichts mehr davon hören wollen, dass er schwul sei. Sie wollten mit diesem Thema in Ruhe gelassen werden.
 
Das könne man doch verstehen und das müsse man doch akzeptieren. Er habe sogar gekündigt und die Kündigung wieder zurückgenommen. Das gehe normalerweise gar nicht. Man habe es sich nicht leicht gemacht, mit diesem Mann.

Ein Exfreund des Mannes, der sich selbst verbrannt hat, meint zu diesem Thema, Peter sei auch ein schwieriger Mensch gewesen. Gerne habe er sich als ganzer Mann dargestellt, der mit allem alleine fertig werden würde.

Bei seinen FreundInnen vom Arbeitskreis Homosexueller Polizisten und Polizistinnen in Hessen e.V. ist die Betroffenheit groß. Man habe sich wohl nicht genug um ihn gekümmert, schreibt man in einem Nachruf selbstkritisch.

Schulden habe er gehabt, erfahre ich, und dass er sich die Versetzung gar nicht leisten konnte, weil er dann die Schulden nicht weiter abbezahlen gekonnt hätte, weil ihm nämlich dadurch die Zulagen verloren gingen. Deshalb wollte er nämlich auch die Versetzung rückgängig machen. Es sei wohl um eine Immobilie gegangen, höre ich.
 
Und auch, dass dies der Grund gewesen sei, dass er, nach dem er in seiner Erregung über einen Vorfall gekündigt habe, mit einem zeitlichen Abstand die Kündigung wieder zurücknahm, was möglich gewesen sei, weil eine Kündigung bei dieser Behörde ein längerer Verwaltungsakt sei und erst nach der Unterschrift eines Vorgesetzten rechtgültig gewesen sei. Die lag demnach noch nicht vor und so sei dieses möglich gewesen.

Mir wurde angeboten, mich noch an die Pressestelle des BKA und die Vertrauensfrau für homosexuelle Beamte zu wenden, zwecks weiterer Informationen. Davon machte ich nicht Gebrauch, weil die entsprechenden Antworten für uns, meine ich, von wenig Belang sind.
 
Die vielen einzelnen Details, wann wer was gesagt habe usw. helfen mir bei diesem Artikel gar nicht weiter. Selbstverständlich würde ich erfahren, dass Mobbing nicht eigentlich vorgelegen habe und dass sich alle um ihn bemüht hätten, man aber bemüht sei, alle Einzelheiten aufzuklären.

Mir geht es bei Bearbeitung dieses Vorganges um Grundsätzlicheres. Der Soziologie-Professor Schelsky prägte meines Wissens den im Titel verwendeten Begriff der männerbündlerischen Sozialgruppierung. Es handelt sich um die Männerbündelei, die in solchen Einrichtungen wie Militär und Polizei aber auch Fußballclubs usw. entstehen.
 
Die beruflich oder anders bedingte Nähe der Männer miteinander bewirke eine Mischung von antihomosexueller Aggression, gewürzt mit Frauenzoten. So könne eine solche Nähe zwischen den Männern entstehen, ohne dass homosexuelle Gefühle geweckt werden, was nötig sei, um die entsprechenden Aufgaben zu erfüllen. Es geht hier also um eine kollegiale Kameraderie.
 
Eine solche Kameraderie kann doch dann offene und vielleicht auch demonstrative Homosexualität genau so wenig vertragen, wie die Anwesenheit von Frauen, genauer, von Weiblichkeit. Zu den Vorwürfen, die dem Toten nachträglich gemacht wurden, gehört auch, dass er sich oftmals zu feminin gegeben habe.
 
Da spielen sich dann ihm gegenüber viele kleine Gesten, ungewollte Schroffheiten und kleine Bekundungen des Unverständnisses ab, die man schon zu spüren bekommt, die aber sehr schlecht festzumachen oder zu belegen sind.
 
Das sind wohl immer noch Risiken, die ein schwuler Mann auf sich nimmt, wenn er einen solchen Job hat und sich outet, obwohl zunehmend auch Frauen in diese Berufe drängen und es dann dort auch nicht gerade leicht haben (auch hier gibt es ja Selbstmorde und Berichte über zwischenmenschliches Fehlverhalten), aber dennoch das Klima langsam verändern.

Nehmen wir mal an, unter den Männern, die es mit ihm zu tun hatten, hätte sich noch ein weiterer schwuler Mann gefunden, vielleicht nicht geoutet, auf jeden Fall robuster und eher für verschiedene Kameraderien zu haben.

Könnte der nun seinem Kollegen beistehen, oder müsste er nun nicht seinen Kollegen gegenüber sein Unverständnis über den Mann bekunden, der sich in seiner Verzweiflung umgebracht hat? Er müsste vielleicht sogar versuchen, daran zu glauben, dass Peter in irgendeiner Weise selbst schuld gewesen sei, damit er selbst seinen Job noch machen kann und sich nicht fragen müsste, ob er selbst denn genügend getan hat.

Ich glaube aber auch nicht, dass dieser Vorfall ein polizeispezieller Vorfall ist. Ich denke, auch in anderen Berufen und an anderen Arbeitsstellen kann es vorkommen, dass schwule Männer und auch lesbische Frauen in solche ausweglose Lagen kommen. Und natürlich kann es mit anderen Vorzeichen auch heterosexuellen Menschen so gehen.

Es ist nämlich auch zu allem Überfluss noch der Zeitgeist, der Menschen dazu treibt, unsensibel mit anderen und sich selbst umzugehen. Jeder Mensch ist sich nur selbst der Nächste. Niemand will ein Weichei, ein Warmduscher usw. sein.
 
Und das Leiden von Menschen, die sich nicht mehr zu helfen wissen, will keiner mehr wahrhaben. Man ist froh, wenn es anderen geschieht. Man ist erleichtert, wenn in der Nähe kein solcher Verzweifelter ist, dem man sich dann nicht entziehen könnte. Dann kann man zur Tagesordnung übergehen und seiner Arbeit und danach seinen Vergnügungen nachgehen.

Fest steht, dass dieser Mann verzweifelt war, dass er Verschiedenes versucht hat und letztlich von der Vergeblichkeit seiner Bemühungen überzeugt war. Er hat Abschiedsbriefe geschrieben, einen an die Bildzeitung, er hat seinen Tod also sorgfältig geplant.

Er schreibt in seinem Abschiedsbrief an den Springer-Verlag (!): „Wenn Sie dieses Schreiben erhalten, werde ich entweder nicht mehr am Leben sein oder ich werde total entstellt sein...“.

Ich finde es traurig, dass dieser Mann in seinem Leben nicht lernen konnte, sich in seiner Not jemandem so richtig anzuvertrauen. Vielleicht hatte er keinen Grund dazu.
 
Was von Menschen heutzutage an Brutalität gegen sich selbst und andere erwartet wird, ist einfach furchtbar. (js)
 
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