67. LUST, August/September 01
 
Schäumendes Wutgekeife gegen immer noch richtige Erkenntnisse
Jan Feddersen interviewte im taz-Magazin Martin Dannecker. Es ist dies aber nicht ein Interview, bei dem man dem Interviewten Gelegenheit gibt, seine Gedanken darzustellen, sondern eher ein Fingehakeln. Die Sprunghaftigkeit bei den Themen, die Ihr vielleicht in der Zusammenfassung unten vorfindet, ergibt sich aus der Sprunghaftigkeit und Polemik von Feddersen, der immer rhetorisch weggesprungen ist, statt an einer interessanten Stelle zu verweilen. Und so hat er eine Palette verkürzter Aussagen provoziert.
 
Hier die Zussammenfassung von Danneckers Aussagen:
Auf die Frage, ob ihn die Homoehe froh mache, antwortet Dannecker, dass eher an der Homoehe etwas faul sei. Man könne auch notarielle Partnerschaftsverträge abschließen und ein Testament, dass den Partner nicht ausschließe. Obwohl die Ehe angeblich so gut sei, gebe es immer mehr heterosexuelle Paare, die ohne Ehe zusammenleben würden.
 
Als Feddersen meint, diese Sachen seien durch die Homo-Ehe alle zusammen geregelt, erwidert Dannecker, dann solle man doch gleich zugeben, dass es nicht um Bürgerrechte, sondern um eine ökonomische Fragestellung gehe. Da die Ehe heute weniger Wert sei als früher, würde man sie nun auch den Homosexuellen anbieten.
 
Auch wenn die Ehequote nicht sinken würde, bedeute das nicht, dass die Ehe eine Institution sei, die Würde verleihe. Doch für binationale Partnerschaften sei die Homo-Ehe dennoch eine Errungenschaft. Der Angriff der Union sei für diese Partei aus internen Gründen nötig, er spreche hier von der gewandelten gesellschaftlichen Bedeutung der Ehe, die alle Parteien beeinflusse.

Auf die Anmerkung von Feddersen, man verspreche sich davon mehr Normalität, äußert Dannecker, dass die Hoffnungen gehörig enttäuscht werden. Im übrigen sei es früher nie ein Bewegungsziel gewesen, für Normalität einzutreten. Normalität sei doch nicht so attraktiv. Er selbst könne die Sehnsucht nach ihr nicht verstehen. Es gehe nicht nur um gesetzliche Rahmenbedingungen, sondern um die Sehnsucht nach Anerkennung.
 
Die sei nicht zu befriedigen, und sei Teil eines anthropologischen Sogs, um am Ende eingemeindet zu werden. Es sei aber für alle Minderheiten eine Gefahr, die kritische Distanz gegenüber den gesellschaftlichen Gebilden, die sie umgeben, zu verlieren. Der Sog zur Anpassung sei deshalb gefährlich, weil der kritische Blick für die Abgründe, die hinter dem Angepassten stehen, eingetrübt wird.
 
Ohne Anpassung gehe es oft nicht, aber sie müsse unter Beibehaltung des kritischen Blickes geschehen. Es werde nach der Homo-Ehe lange Zeit keinen Spielraum mehr für Schwulenpolitik geben. Der früheren Schwulenpolitik lagen gesamtgesellschaftliche Vorstellungen zugrunde. „Wir leben immer noch nicht in der besten aller Welten.“ Der heutige Ökonomismus sei furchtbar.

Vieles vom angeblichen Entscheidungsraum des einzelnen sei nur Garnitur. Ethische und rechtliche Überlegungen würden am Ökonomismus scheitern, wie man z.B. an der Diskussion über die Bio-Ethik sehe. „Offenkundig setzt sich der Ökonomismus brutal durch. Wir haben auf der anderen Seite eine Kultur, die den schönen Schein erweckt, als ob vieles andere so ungeheuer bedeutsam wäre. Diese ganzen Debatten über Lebensstile, Lebenswelten und die Änderbarkeit der Subjekte. Das Kapital dominiert; die Interessen der Subjekte sind marginal.”

Zum offenen schwule Oberbürgermeister: „War das nicht wunderbar? Da könnte man sagen: Jetzt kann man mit Homopolitik aufhören. Outing kann kein Thema mehr sein: Öffentliches Schwulsein ist nicht mehr ehrabschneidend. Leider schwang bei Wowereit auch ein `Kein Problem mehr´ mit. Illusorisch.”

Die Gewalt gegen Schwule werde erst aufhören, wenn es eine andere Form der Männlichkeit gebe. Schwierigkeiten in Coming-out, hätten nicht nur etwas mit dem Alter und den Generationen zu tun. Auch heute noch gebe es junge Schwule, die hier Schwierigkeiten hätten. Das habe damit zu tun, dass Heterosexuelle doch nicht so genau wissen wollen, wie wir leben. Andererseits würden uns Klappen, Park-Treffs usw. weggenommen, ohne dass sich eine Schwulenbewegung nennenswert dagegen wehre. Das sei die Normalisierung der Schwulen.

LeserInnenbriefe zu den Aussagen des Interviews in der Internet-taz:
Diesen Text mailte Gindorf auch unserer Redaktion zu, so dass wir auf diesen Vorgang aufmerksam wurden und das Thema aufarbeiteten:
 
Jens Feddersens Interview mit Martin Danncker 28.07.01 17:12
Jens Feddersen und der taz ist ein journalistischer scoop gelungen: die Ausgrabung und Vorfuehrung eines lebenden Fossils. Eines Fossils, das seine ideologischen Fundamente in fast vierzig Jahren nicht veraendert hat. Fuer Martin Dannecker (und seinen kryptoschwulen Doktorvater Volkmar Sigusch) war schon immer alles klar: „Es gibt nichts Richtiges im Falschen“ (Adorno) heisst, erst muss der der Kapitalismus (oder das Buergerliche, der Liberalismus, die Aufklaerung, der Kritische Rationalismus usw.) TOTAL abgeschafft sein, ehe man RICHTIG schwul/lesbisch/bi/trans* usw. sein KANN und DARF. (Und dann tragischerweise schon wieder nicht mehr MUSS ...)

Aus Martin Danneckers Haltung springt uns seine Wut und Trauer foermlich an: darueber,
- dass ihm alles weggenommen wird,
- dass (ueberfluessig gewordene?) Klappen abgerissen werden,
- dass keine Schwulenbewegung mehr dagegen aufbegehrt,
- dass das homosexuelle Begehren normalisiert wird,
- dass es seine Hass, Gewalt und Brechreiz ausloesende Wirkung verliert,
- dass die Vergoetzung der vorgeblichen Differenz negiert wird,
- dass der Sog der Normalisierung seine gute alte Zeit bedroht,
- dass ihm liebgewonnen Feindbilder abhanden kommen (trotz Geis & Co.),
- dass Schwulsein normal wird,
- dass er - peinlich fuer einen gelernten Soziologen - die sich wandelnde Gesellschaft nicht mehr versteht.

Da bekommt dann auch der bayerische Schwulenfresser Edmund Stoiber den Bruderkuss, und die christkonservative Abdraengung in die Notariate erhaelt unversehens sexualwissenschaftliche Weihen - ganz nach dem bewaehrten Drehbuch „Wie man Aussenseiter draussen haelt“.

Das lieben wir doch so am Freudo-Marxismus Frankfurter Provenienz! Wer nur erklaert seinen in die Jahre gekommenen und darueber einsam und sauertoepfisch gewordenen Helden, dass der Fortschritt in aller Regel eine Schnecke ist? Und man sich trotzdem schon hier und heute an ihm freuen darf?

Rolf Gindorf, Klinischer Sexologe, Leiter der Schwulenberatung im DGSS-Institut Vizepraesident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung (DGSS)Gerresheimer Str. 20, 40211 Düsseldorf
 
Zu diesem Text von Gindorf gab es folgende Kommentare:
Frankfurter Schule Klaus Baum 28.07.01 21:00
Sehr geehrter Herr Gindorf,
Ihre Seitenhiebe gegen Adorno halte ich für überflüssig. Wenn man von etwas keine fundierten Kenntnisse hat, sollte man, mit Wittgenstein gesprochen, davon lieber schweigen.
Grüße
Klaus Baum

au weia 28.07.01 19:11
armes Gindorf...
bischen weniger Eigenwerbung in Deinem Beitrag hätts auch getan!
Herbert Rusche
Und nun muss schließlich noch unser Kommentar zu Gindorfs Angriffen und die Kommentare von Baum und Rusche folgen, um das ganze rund zu machen.
1. Zu Gindorfs Angriffen:
Offensichtlich hat Gindorf nicht nur inhaltliche wissenschftliche Differenzen mit Dannecker, sondern ist auch ein engagierter politischer Gegner. Er muss aber auch persönlichen Hass empfinden, denn sonst wären die unqualifizierten Angriffe nicht erklärbar.

Aber nun der Reihe nach. Wo steht denn dass Dannecker die Aufklärung und den kritischen Rationalismus abschaffen wolle? Sogar total abschaffen will? Das Gegenteil ist doch der Fall. Ihm geht es ja nachgerade um Aufklärung und kritischen Rationalismus, der der gegenwärtigen Szene zugunsten der Anpassung und Normalisierung abhanden gekommen ist.
 
Und wenn schon vor 40 Jahren richtig analysiert wurde, dass zum Nutzen der wirtschaftlichen Interessen einer kleinen elitären Oberschicht letztlich bessere Lebensbedingungen verhindert werden, dann kann und muss man diese Behauptung so lange aufrechterhalten wie diese Bedingungen existieren.
 
Und sie haben sich ja noch ausgeweitet und verstärkt. Im Grunde wirft Gindorf Dannecker vor, dass er seine kritische Distanz gegenüber dieser ungerechten Wirtschaftsordnung noch hat, im Gegensatz wohl zu Gindorf, der wohl auch hier angepasst mitschwimmt. Natürlich ist es heutzutage für Viele modisch geworden, mit dem Zeitgeist mitzuschwappen und auf solche Geister einzuschlagen, die noch nicht gleichgeschaltet sind, z.B. 68er, die ihr Gehirn über ihren Geldbeutel stellen.

Sind z.B. gut frequentierte Klappen deshalb überflüssig geworden, weil die Ordnungsämter sie schließen? Der Hinweis von Feddersen auf existierende Saunen verändert doch nicht die Anzahl der Besucher auf den wenigen noch existierenden Klappen?
 
Löst homosexuelles Begehren Hass, Verfolgung und Brechreiz aus? Ist es nicht in Wirklichkeit die antihomosexuelle Demagogie, die dies vollbringt? Empfindet Gindorf Brechreiz vor unangepasster (nicht-normalisierter) Homosexualität? Das wäre freilich ein homophobes Bekenntnis. Ist die Normalisierung und Angepasstheit von homosexuellen Menschen eine Garantie für glückliches und zukünftig ungefährdetes homosexuelles Leben?
 
Gibt es keine Differenzen im Wahrnehmen und Leben zwischen heterosexuellen und homosexuellen Menschen? Und bedeutet es ein Armutszeugnis für einen Wissenschaftler, wenn er bestimmten populären Zeitgeistströmungen nicht folgen mag? Die oben stehende zornwütige Kritik an Dannecker ist schlicht aus einem völlig anderen Weltbild heraus geschrieben worden.
 
Gindorf wertet die Zeiterscheinungen nur völlig anders als Dannecker, ärgert sich über die (noch)Existenz dieser ihm fremden Wertung und widerlegt die Aussagen Danneckers überhaupt nicht.

2. Zu Klaus Baum
Seltsam der Kommentar von einem Klaus Baum, der meint, Adorno vor Gindorf schützen zu müssen und offensichtlich nicht erkennt, dass Gindorf sich u.a. auch gegen die kritischen Distanz eines Adornos wehrt, indem er auf Dannecker losgeht. Und mehr hast du nicht zu kritisieren, Klaus?
 
3. Herbert Rusche
Und Herbert Rusche stört nur Gindorfs Selbstprofilierung, ihn stören nicht die Inhalte der Kritik? Armes Rusche. Sollen wir Dich zum Trost in der LUST ein wenig aufwerten? Da könnten wir dann allerdings von Vielem berichten, lieber Herbert.
 
Also?
Der notwendige wissenschftliche und gesellschaftliche Diskurs über diese Frage der Folgen der Anpassung einer Minderheit an die gesellschaftliche Normalität scheint mir aber leider immer noch nicht endlich entbrannt zu sein.

Es geht hier wohl tatsächlich darum, dass die momentanen Sieger und Mitläufer der letztlich dominanten Anpassungspolitik ihren Triumph auskosten wollen, in dem sie den ihrer Meinung nach besiegten und überwundenen kritischen Positionen noch einmal kräftig hinterher treten.

Habt Ihr denn so etwas wirklich nötig? Vielleicht ahnt Ihr schon, dass Eure Position sich als ein tragischer Irrtum heraustellen könnte. (js)
 
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