- 67. LUST, August/September
01
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- Tourismus und sexuelle
Abenteuerlust
Es soll in diesem Referat um Fernweh gehen, um projizierte Sehnsüchte,
Freiheitssuche und auch um Ausbeutung. Die ,,schönsten Wochen
des Jahres sind etwas, auf das sich der/die Berufstätige
freut. Hier hofft man, das zu erleben, was man in den Zwängen
des Arbeitsalltags schmerzlich vermisst. Der Urlaub ist mit vielen
Gefühlen besetzt. Und immer dann, wenn viele Gefühle
im Spiel sind, wird die nüchterne Analyse als störend
empfunden. Das Traum-Wunschbild hat schließlich über
viele alltägliche Widerwärtigkeiten hinweggetröstet.
In diesem Referat beschreibe ich zuerst die Sehnsüchte,
dann dazu Beispiele aus der Literatur und schließlich auch
die Gegenseite, die Seite der schönen jungen Menschen
mit dem natürlichen Charme und der unbekümmerten Lust
an der Sexualität, den glutbraunen Augen unter rauschenden
Palmen und der Romantik der untergehenden Sonne über dem
Meer.
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- 1. Fernweh
In unserer Arbeitswelt ist, wie aus den Medien erkannt werden
kann, die Sehnsucht nach dem Ausbruch schon formuliert und definiert.
Der Ausbruch wird zur Urlaubsreise definiert. Sie hilft, die
Widerwärtigkeiten des Alltags zu ertragen, denn der Urlaub
ist die Belohnung für die erlittenen Entsagungen. Die Urlaubsreise
hat für den Zufriedenheitsstatus des Menschen, der sich
festen Regeln unterwerfen muss, eine feste Funktion.
Ein ,,normaler Mensch würde zum Beispiel dann ins
Bett gehen, wenn er dazu Lust verspürt, und dann aufstehen,
wenn er nicht mehr müde ist. Im Urlaub, so hofft der Arbeitnehmer
(die Arbeitnehmerin), steht er wirklich dann auf, wenn er will.
Leider wird er dann aber ständig zu der Zeit wach, zu der
er das Aufstehen gewöhnt ist. Er will essen, was er in der
Kantine immer vermisst hat. Nach dem ersten Durchfall bleibt
er dann doch bei Schnitzel mit Pommes. Und natürlich will
er dort Menschen treffen, nach denen er sich hier immer gesehnt
hat. Und diese Menschen werden ihm genau die Träume erfüllen,
die seine Einsamkeit (auch in Beziehungen) immer begleiten.
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- Denn diese Leute da,
das hofft der Arbeitnehmer (die Arbeitnehmerin), diese sind anders,
ursprünglicher, natürlicher, spontaner. Und genau deshalb
wollen sie uns das geben, was wir entbehren, hoffen die UrlauberInnen.
Ein Mann rennt durch die Wüste und begegnet dort einem anderen
Mann, der ihm entgegenkommt. ,,Ich hau ab, ruft der
eine, ,,ich auch, ruft der andere und beide bleiben irritiert
stehen. Kann man seine Sehnsucht dort erfüllt bekommen,
wo andere aus dem gleichen Grund oder anderen noch schlimmeren
Gründen das Land verlassen? ,
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- ,Warum reisen wir?
fragt Max Frisch in ,,Du sollst Dir kein Bildnis machen
aus seinem Roman ,,Andorra und antwortet: ,,Auch dies,
damit wir Menschen begegnen, die nicht meinen, dass sie uns kennen,
ein für allemal; damit wir noch einmal erfahren, was uns
in diesem Leben möglich sei - Es ist ohnehin schon wenig
genug. Frisch geht so weit, dass er meint, nicht nur die
Arbeitswelt mit ihren Zwängen fesselt uns, sondern auch
die Auffassung eines Freundes, einer Freundin, der/die meint,
dass er/sie uns kenne und somit in Verhaltensrollen binden.
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- Das Lieblose ist für
ihn, wenn unser Bild von dem/der anderen fertig ist. Dann sei
man fertig mit ihm/ihr und beklage, dass der/die andere nicht
so sei, wofür man ihn/sie gehalten habe. Jemanden kennen
und erkennen zu wollen, sei das Lieblose, was den anderen fesselt,
weil man ihm die Kraft des Lebendigen entziehe, weil man ihrer
müde geworden sei, weil man den/die andere(n) nicht (mehr)
liebe.
Wie dem auch sei, Reisen ist Flucht vor den alltäglichen
Zwängen in der Arbeitswelt und in auch in der Szene, deren
Möglichkeitsgrenzen wir auch schon längst erreicht
haben. Eine Reise ist also der Versuch, vorübergehend aus
dem ,,Bildnis befreit zu sein. Ohne die Vertröstung
auf den Urlaub wäre die Trostlosigkeit der Lebensrealität
kaum zu ertragen.
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- 2. Sehnsuchts-Literatur
Die Formulierung der Sehnsucht nach den ursprünglichen,
glücklichen und glücklich machenden Menschen ist ja
auch in der entsprechenden Literatur wiederzufinden.
Sehr oft sind die Autoren der Männer-Sehnsüchte von
der politischen Einstellung her utopische Sozialisten oder Anarchisten
und von der sexuellen Identität her doch recht oft schwul.
Sie schreiben die romantischsten (heterosexuellen) Liebesgeschichten,
bisweilen auch aus weiblicher Sicht.
Während in der für Frauen (zumeist von Frauen) geschriebenen
Literatur sich die Sehnsucht nach anderen Menschen und Verhältnissen
durch den blonden Chefarzt, den Graf von Schloss Adelstein oder
den jungen Oberförster erfüllen, verlagern Männer
die Befriedigung ihrer Sehnsüchte lieber ins Ausland.
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- Frauen suchen irgendwo
in der Stadt oder in den Verhaltensweisen den jungen aber vom
Leben weise gewordenen, wohlhabenden aber doch freigiebigen,
von allen Frauen umschwärmten aber doch treuen Mann, das,
was sich in ihrem täglichen Leben nicht erfüllt. Aber
für Frauen gibt auch im Urlaub genau solche Bekanntschaften,
glaubt man der Literatur, und neuerdings sucht die erfolgreiche
Unabhängige auch den ursprünglichen Mann,
den edlen Wilden, männlich imponierend aber jung und anpassungsfähig,
der sich liebevoll aufopfert und sich nur um sie kümmert.
Aus der zeitgenössischen lesbischen Literatur ist mir die
Formulierung solcher Sehnsüchte und sind mir solchen Erfüllungsversprechungen
nicht bekannt, wohl aber gibt es Ähnliches in der lesbischen
Literatur der Weimarer Republik.
Und in der Literatur für Schwule?
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- Der junge ursprüngliche
Hirte in Arkadien taucht in der Literatur der Gründerjahre
auf, während im späten Kaiserreich und der Weimarer
Republik die geilen edlen Wilden eher auf den Trobiander-lnseln,
also in der Südsee, vermutet werden. Dass gerade die Indianer
(ohne genauere Angabe, bei welcher Indianernation es so sein
soll oder so war) solche Wünsche erfüllen könnten,
wird heutzutage vermutet.
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- Die Reisen gehen indes
nach Thailand, auch wenn es anrüchig wurde, darüber
zu berichten. Die utopischen Völker mit ihren ,,natürlichen
Verhaltensweisen sind immer sehr weit entfernt angesiedelt. So
verlegen englische Schriftsteller, die die Realität in den
Kolonien besser kennen, den ,,natürlichen ursprünglichen
Menschen in noch weitere Ferne, in die Arbeiterklasse,
wo sie solche ,,ursprünglichen Tugenden erhoffen,
die der Aristokrat entbehrt. Viele kennen z.B. den Roman Maurice
von Forster, er ist ein Beispiel aus einer ganzen Reihe solcher
literarischer Erzeugnisse.
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- 3. Realitäten
Ein spanischer Freund, kennen gelernt in dem Touristen-Silo Playa
del Ingles, beschrieb mir seine Lage so, dass er Angst habe,
sich in einen der deutschen Touristen zu verlieben Nach 14 Tagen
sei der wieder weg. Es blieben vielleicht Briefe, deren Inhalt
man schlecht verstehen könne, oder Anrufe: Hola Joacimo!
und dann ,,Hallo, Nico! Vielleicht käme es auch einmal
zu einem Besuch in Deutschland. Dann sei der Freund aber ganz
anders.
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- Er habe keine Zeit,
müsse ständig zur Arbeit und sei überhaupt nicht
mehr so freigiebig. Und falls sich die beiden im nächsten
Jahr tatsächlich wieder begegnen sollten, dann habe sich
in dem Jahr so viel verändert, dass man sich gegenseitig
als fremd empfinde. Der Freund hatte ja in der Erinnerung weitergelebt,
hatte in den Gedanken ein Eigenleben geführt. Und nun sitzt
mir dieser Mensch gegenüber, der so ähnlich aussieht,
wie der Partner von früher und der Träume, der aber
doch ein ganz anderer Mensch ist als der meiner Träume und
der, den ich erwartet habe.
Vielleicht sucht der Besucher gar nicht die Wahrheit im Reiseland,
sondern die Bestätigung seiner Illusion? Klar, die jungen
Männer in den Tourismus-Hochburgen sehen zum Teil so aus,
wie die Traumprinzen der einsamen Nächte. Es gibt hier auch
Palmen, eine Sonne, die nie aufhört, zu lächeln oder
zu lachen. Die hellen schwulen Lokale, die Promenaden, die schönen
gebräunten Körper, die Offenheit uns gegenüber.
Und die jungen Leute geben und nehmen die Sexualität sichtlich
gerne.
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- Sie wissen genau,
wovon ihre Kunden träumen: dass sie nicht so deutlich spüren,
Kunden zu sein, sondern dass sie glauben, sie, die Touristen,
seien großzügige Freunde aus dem wohlhabenden Ausland.
Und diese jungen Leute haben es ja auch wirklich in ihrer Heimat
gar nicht so gut. Und da sie so nett sind, hilft man schon gerne,
besonders im Urlaub, auf den man sich das ganze Jahr gefreut
hat und wo man nicht knauserig sein will.
In den Urlaubs-Hochburgen der schwulen Touristen beschenken die
Armut des Landes, die Sozialstruktur und/oder der Umgang mit
den einheimischen Schwulen dort die Touristen mit einer größeren
Menge schwuler Menschen. In den Ländern mit schwulenfeindlichen
Strukturen stellen die Touristen oft die einzige Möglichkeit
dar, dass Homosexualität, leider dort nur für die jüngeren
einheimischen Schwulen, ohne größere Risiken ausgelebt
werden kann.
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- Je weniger die Schwulen
dort im Lande verfolgt werden, um so häufiger stehen den
Schwulen lediglich Sexkontakte aus wirtschaftlichen Erwägungen
zur Verfügung, denn den Menschen der Länder mit den
Tourismus-Hochburgen geht es meistens wirtschaftlich nicht besonders
gut. Das ist ja der Grund, warum die Touristen dort so gerne
hinfahren: alles ist so preiswert, mit der DM kann man dort König,
also auch Profitierender an der Not sein.
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- 4. Prostitution
Ersparen möchte ich mir hier eine moralische Diskussion
über Prostitution. Für Menschen, die so konditioniert
sind,
-dass Sexualität etwas mit Nachwuchs zu tun hat und deshalb
in eine geschützte Dauerbeziehung gehört,
-dass Sexualität in eine gewisse Sentimentalität, Verliebtheit
genannt, eingebunden gehört,
-dass um Sexualität die Aura einer besonderen Erfüllung
in einer exklusiven Situation geflochten werden muss, damit die
Partnerin geneigt dazu ist,
-dass eine Beziehung einen Anspruch auf ausschließlichen
sexuellen Besitz über den Körper des Partners, der
Partnerin begründet,
-dass spontane sexuelle Lustbefriedigung mit dem Ziel, einfach
miteinander mehr oder weniger Spaß zu haben, wie es eben
klappt, abzulehnen sei, da dies unmoralisch, triebhaft, tierisch
sei und/oder andere Sehnsüchte nach Bindung nicht mitliefere
und deshalb zu wenig sei,
für solche Menschen eben ist Prostitution aus den oben genannten
Gründen logischerweise unmoralisch, was sie nicht an der
Nutzung der Einrichtungen der Prostitution hindert.
MoralistInnen finden nämlich für ihr eigenes Verhalten
immer entschuldigende Gründe. Doch es bleibt ihnen ein schales
Gefühl dabei, vielleicht. Sie finden bei spontaner Lust
eben nicht das Umfeld, was sie als notwendig für ihre Sexualität
erachten, bei der sie ein gutes Gewissen haben können.
Für mich ist Prostitution in einem anderen Zusammenhang
problematisch. Zum Beispiel macht mir große sexuelle Lust,
wenn der andere an und mit mir sexuelle Lust verspürt. Es
ist für mich schon weniger schön, wenn der andere es
nur aus einer gewissen Verlegenheit heraus tut, also ihm nichts
oder niemand anderes dazu eingefallen ist. Aber das hat er mit
sich selbst auszumachen. Wenn ich aber vermuten kann, dass ihn
wirtschaftliche Not zwingt, sich auf mich einzulassen, hat sich
meine Möglichkeit, Lust zu empfinden, gegen Null bewegt.
Dann komme ich mir im Gegenteil schuldhaft vor wie ein Ausbeuter
einer Notlage, was für mich äußerst unerotisch
ist. Vielleicht könnte ich zu meinen Gunsten annehmen, dass
Sex für ihn ohnehin eine relativ unbedeutende oberflächliche
und kurzfristige Sache ist, damit ich nicht annehmen muss, er
leide auch noch darunter.
Aber ich hatte auch schon unangenehme Gefühle bei der Sexualität
mit Partnern aus den mir üblichen Zusammenhängen, und
ich habe auch schon Rückmeldungen (meist über Dritte)
von ehemaligen Sexpartnern gehört, die das Vorgefallene
nachträglich eher negativ einstufen, was mich dann irritierte
und beschämte. Missverständnisse und Widersprüche
kann es immer geben, auch ohne Existenz der Prostitution.
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- Aber ich kann für
meinen Teil ganz gut damit leben, dass z.B. manche sexuellen
Begegnungen von mir aus eigentlich nicht so direkt angestrebt
waren und ich sozusagen rumgekriegt wurde, oder dass eine sexuelle
Begegnung für mich unter dem Strich weniger befriedigend
verlief, denn meine Wertung des Vorgefallenen hat eben im wesentlichen
etwas mit meinen Vorurteilen zu tun, für die meine Partner
nichts können, und so meine ich, ihre Wertungen hängen
mit ihren Vorurteilen zusammen, für die ich nichts kann.
Ich möchte nicht missverstanden werden und betone deshalb
hier noch einmal ausdrücklich, dass ich Menschen, die dem
Beruf der Prostitution nachgehen, in keiner Weise zu kritisieren
habe.
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- Es handelt sich um
einen Dienstleistungsberuf, darauf kann man sich heutzutage sicher
verständigen. Und mir scheint, auch andere Berufe verlangen
vom Berufstätigen einen hohen körperlichen und psychischen
Einsatz aus dem Zwang heraus, dass sie Geld verdienen müssen,
und nicht deshalb, weil sie diese Tätigkeit so gerne verrichten.
Machen sie ihre Berufsarbeit aber gerne, um so besser. Von Moralisten
werden Prostituierte bemitleidet, weil diese gezwungen seien,
die Moral der Moralisten dem Broterwerb zu opfern, dies besonders
bei Strichern.
-
- Und sie werden von
den Moralisten gehasst, weil diese ,,Unmoral ermöglichen,
weil diese den Beruf vielleicht sogar mit eigenen Lustgefühlen
ausüben, was besonders schlimm und unmoralisch sei und ihnen
den Anspruch auf Mitleid oder gar menschlichen Umgang nimmt,
dies besonders bei Huren. Dass gerade die Moralisten zu den häufigsten
Kunden der Huren und Stricher gehören, wird dabei übersehen.
Prostitution ist eine Berufstätigkeit und die kann nur nach
den Arbeitsbedingungen bewertet werden, die erträglich sind
oder unter denen der/die Berufstätige leidet. Kinderarbeit
ist aus meiner Sicht generell abzulehnen, bei bestimmten Arbeiten
aber ganz besonders. Niemand würde schon aus körperlichen
Erwägungen heraus mit gutem Gewissen Kinder schwere Zementsäcke
schleppen lassen. Ich meine, dass dies schon aus körperlichen
Gründen bei der Prostitution von Kindern zu berücksichtigen
wäre.
Es gibt aber auch Berufstätigkeiten, die von den Arbeitnehmern
nur schwer psychisch zu bewältigen sind. Auch dies trifft
für die Prostitution zu, besonders für Menschen, denen
man bestimmte moralische Normen und Werte beigebracht hat, und
die sie verinnerlicht haben. Doch bei Kindern unterstelle ich,
dass der wirtschaftliche Zwang, anderen Menschen Zugriff auf
deren Körper gewähren zu müssen, schwer psychisch
verarbeitet werden kann.
Kinderarbeit lehne ich aber auch für alle Berufe aus dem
Grund ab. dass sie nicht in der Lage sind, wirkungsvoll für
eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen einzutreten. Und dies
gelingt ja auch hier erwachsenen Arbeitnehmerlnnen nur unter
ganz bestimmten Umständen. Wie viel mehr ist dies in den
Ländern der Fall, wo die soziale Not größer ist
und die Persönlichkeitsrechte noch eingeschränkter
sind. Pädophile Sextouristen sollten daher in Rechnung stellen,
dass die Inanspruchnahme von Kinderprostitution nicht unbedingt
ein Beleg dafür ist, dass die Kinder die sexuellen Handlungen
mit ihnen wirklich wollen, wie oft argumentiert wird. Aber auch
bei jugendlichen und erwachsenen Prostituierten muss doch das
Gefühl, der oder die andere macht dies nur wegen des Geldes,
das Gefühl der Lusterfüllung beeinträchtigen.
Jugendliche begegnen ihren älteren Partnern (und auch Freiern)
oft auch lustvoll wegen ihrer jugendlichen Geilheit, was Moralapostel
gerne verhindern möchten. Ich finde Begegnungen aus Geilheit
aber in Ordnung. Ich wurde als Kind und Jugendlicher sehr moralisch
erzogen, und es war eine riesige Strapaze für mich, Selbstzweifel,
Schuldgefühle und Schuldzuweisungen zu überwinden.
-
- Die ,,Schuld
für die (homo)sexuelle Handlung hat nicht der andere, auch
wenn nach dem Abspritzen die Moral wieder angekrochen kommt und
nach Entschuldigungen sucht. Es wurde nicht meine ,,Notlage
durch den anderen ausgenutzt. Im Moment der Geilheit wollte ich
es, auch wenn ich im Dienst der Moral in mir später den
anderen beschuldigte, mich verführt zu haben.
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- Es ist ein langer
Weg, bis man sich erlaubt, ohne Schuldgefühle Lust zu genießen,
besonders, wenn im Umfeld moralischer Druck existiert, wie das
heutzutage wieder in Mode kommt. Dieser moralische Druck geschieht
aber nicht, wie es früher war, deutlich erkennbar durch
konservative Parteien und die Kirche, sondern durch die konservative
Wende in der Jugendszene selbst. Und Führer
können zur Zeit sogar in schwulen Jugendgruppen Anhänger
finden, wenn sie mit moralischen Verurteilungen ihrer vermeintlicher
Gegner um sich schlagen.
-
- Dies belegt zwar nur
ihre Doppelmoral und populistische Machtgier, aber es kommt an,
besonders bei Schwulen im Coming-out, die noch voller Selbstzweifel
sind und die auch in ihren Ängsten und Schuldzuweisungen
Bestätigungen erhalten wollen. Das Coming-out ist aber erst
dann vollständig geglückt, wenn man sich von konservativen
Ordnungsmodellen und Fesseln befreien kann und keine Schuldgefühle
für seine sexuelle Lust mehr verspürt und keine Schuldzuweisungen
mehr nötig hat. Das aber schaffen auch viele Erwachsene
nicht.
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- 4. Schlussfolgerung
Ich behaupte, dass es sinnlos ist, nach dem Land zu suchen, in
dem die Menschen ohne wirtschaftlichen Zwang einfach auf uns
warten, weil sie auf uns Touristen so geil sind, und das, weil
sie so natürlich sind. Es gibt dieses Land aber vielleicht
doch, und zwar zum Beispiel hier, und natürlich überall
auf der Welt, wo sich Menschen von den andressierten und verinnerlichten
sexuellen Schuldgefühlen lösen konnten.
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- Bei diesen Loslösungsprozessen
können wir ja auf lustvolle und emanzipatorische Art sehr
hilfreich sein. Und die Grenzen, die uns an der Erfüllung
unserer zwischenmenschlichen Bedürfnissen hindern, sind
keine Staatsgrenzen, sondern sie sind überwiegend zwischen
und in uns selbst angelegt worden. Der Urlaub löst auch
nicht die Probleme, die durch die Arbeitswelt entstehen. Auch
hier ist es nötig, für eine Verbesserung und nicht
für eine Verschlechterung der Verhältnisse einzutreten,
nur weil die Nutznießer der Verhältnisse ihre Medienmacht
nutzen, uns Verzicht ins Ohr zu blasen und uns mit dem möglichen
Verlust des Arbeitsplatzes erpressen, damit es ihnen noch besser
geht.
-
- Besonders ist die
Ausbeuterideologie zu bekämpfen, nach der sich für
uns irgend etwas dadurch löst, dass wir unsere Probleme
an Schwächere in den armen Ländern weitergeben. Wer
nicht hier einigermaßen Selbstbewusst und zufrieden leben
kann, wie soll der das woanders können? Und Urlaub ist nur
eine kurze Zeit, das wirkliche Leben, das wir in der viel längeren
Zeit zwischen den Urlauben verbringen, muss lebenswert werden.
Natürlich haben Reisen, die unternommen werden, um ein Stück
Welt kennen zu lernen, nichts mit dem allen zu tun, was ich hier
beschrieben habe. Dieser Text richtet sich auch nicht generell
gegen das Reisen.
Arkadien, das wilde Leben ungebundener Menschen, alles das müssen
wir dort erreichen, wo wir leben, indem wir es vorleben, sooft
wir nur können, und indem wir es von unseren Freunden und
Freundinnen erwarten, anstatt mit den konservativen Wölfen
zu heulen und sie so in einem unglücklichen Zustand fesseln.
Dass es so bleiben muss, wie es andere aus Eigennutz für
uns so angelegt haben oder noch anstreben, ist kein Naturgesetz.
Demokratie bedeutet doch wohl, dass wir da auch noch ein Wörtchen
mitzureden haben. (js)
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- 6. Nachtrag
Bis hierher war das ein älteres Referat von mir, dass schon
einmal in der 37. Lust: Aug./Sept. 1996 von mir veröffentlicht
wurde. Damals, so kann ich mich erinnern, war ich etwas beunruhigt,
denn ich hörte drohende Untertöne von der Frauenbeauftragten
der Stadt Wiesbaden, man müsse etwas gegen mich unternehmen,
wegen dieses Artikels, der gehe doch zu weit. Natürlich
folgte nichts. Warum auch? Auch nach heutigen Vorstellungen ist
er immer noch politisch korrekt, wie es so schön
heißt, von irgendeiner Strafbarkeit ganz zu schweigen.
Was mich aber nun zu einem Nachtrag bewegt, ist die Tatsache,
dass sowohl Urlaubwünsche als auch Urlaubsorte im Bewusstsein
der TouristInnen problematischer geworden sind. Man weiß
wohl nun, dass man keinen edlen Wilden begegnet,
sondern einer Industrie, deren Zweck es ist, dem Touristen sein
Geld abzunehmen, während die Einheimischen oftmals gar nichts
davon haben. Oder man fürchtet sich vor den bösen
Wilden.
Man weiß von den umweltzerstörenden Touristenanlagen,
den wirtschaftszerstörenden Eingriffen durch die Tourismusindustrie.
Was die sexuellen Ausbruchswunschträume betrifft, weiß
man unterdessen, das es bestenfalls um Prostitution geht, schlimmstenfalls
um Aids und für die Touristen um die Möglichkeit, ausgeraubt
zu werden. Und wenn man sich der Hochburgen nicht bedienen möchte,
mehr Ursprünglichkeit weiter weg sucht, dann fürchtet
man sich davor, dass man entführt, als Geisel genommen wird.
Die Verhältnisse auf der Welt scheinen sich verschärft
zu haben. Die Sonne lächelt nicht mehr über den Palmen,
sondern sie brennt vom Himmel, man muss sich vor haukrebs schützen.
Die strahlenden Augen jugendlicher Schönheiten betteln um
Geld oder, in fortgeschrittenerem Stadium, betteln sie um eine
Rolex. Die Unschuld ist längst auch im Bewusstsein der TouristInnen
aus dem Gewerbe verschwunden. Und auch unseren Touristen sitzt
das Geld nicht mehr so locker in den Taschen.
Bei diesen Aussichten orientiert sich wohl so mancher um. Statt
des Palmenstrandes, wo man die Schönheiten betrachten und
später dann auch anfassen kann, genießt man den Wellenschlag
in einem Hallenbad, pardon in einem Center-Park. Wenn das Wetter
es zulässt ist auch Bayern ganz nett geworden, oder die
Ostseeküste lockt mit großen touristisch erschlossenen
Inseln und dem Kreidefelsen. Mallorca und Ballermann, Handtücher
besetzen Liegestühle, das alles interessiert nicht mehr
so recht und erfüllt die Sehnsucht nach Fleisch auch nicht.
Da der edle Wilde nicht existiert, entdecken sich
die Touristen gegenseitig. Das kann man allerdings auch zu Hause
haben. Und hier gibt es auch genügend Menschen, die exotisch
aussehen, ihre wirtschaftliche Lage ist auch hier problematisch.
Und um ausgeraubt zu werden braucht man eigentlich heutzutage
auch nicht mehr in den Urlaub zu fahren.
Da sitzen neuerdings die UrlauberInnen an den Rechnern und finden
nach kurzem Suchen genau die Leute, die so aussehen, wie man
es in seinen Träumen schon erlebte. Man kommt zwar nun noch
weniger an sie ran, aber man holt sich dabei kein Aids, wird
nur schleichend ausgeraubt. Wenn sich die Spannung gelöst
hat, verschwindet vielleicht auch die Sehnsucht nach der im Winde
wippenden Palme, dem Sandstrand und den schmachtenden Blicken
der süßesten PartnerInnen über unsere dicken
Bäuche hinweg. (js)
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