- 67. LUST, August/September 01
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- Ehemoral auf dem Vormarsch
Im Lesbenring-Info Juli 2001 entdeckte
Renate eine Nachricht, die von übergeordneter Bedeutung
ist, weshalb wir meinen, sie hier aufgreifen zu müssen.
Ich teile diesen Beitrag in 3 Bereiche:
1. Die Nachricht
2. Kommentar zur Ehemoral
3. Kommentar zu den Führungsstrukturen in der Szene
- 1. Der sächsische
CSD 2001 ist deutsch
Im Entwurf zu den Forderungen des sächsischen CSD 2001 hieß
es: Alle Menschen sollen das Recht haben, sich zu Lebenspartnerschaften
entschließen zu können, die gesundheitlich-, adoptions-,
steuer-, erb- und mietrechtlich gleich behandelt werden. Solche
Lebensgemeinschaften, ob von Homo- oder Heterosexuellen, ob mono-
oder polygam, sollen in allen Bundesländern gleich vor dem
Standesamt geschlossen werden können ...´
Auf Antrag eines VK-Mitgliedes und eines weiteren Mannes aus
dem CSD-Team wurden die polygamen Beziehungen aus dem Text gestrichen.
(Eine Gegenstimme und eine Enthaltung.)
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- Begründung: Dieses Überbleibsel
aus den 68ern wäre angeblich nicht mehr aktuell, ein Tabubruch,
politisch nicht machbar (Hinweise auf den PDS-Entwurf zur Gleichstellung
aller Lebensweisen wurden unter den Tisch gekehrt), beträfe
angeblich nur eine kleine Minderheit und entspreche nicht der
deutschen Kultur. Schließlich sei dies ein deutscher und
kein polynesischer CSD. Einwände gegen diese Forderungskürzungen
wurden ausschließlich auf den sexuellen Bereich reduziert
und den KritikerInnen ein Zwang zum Up-to-date-sein-wollen unterstellt.
Aber eigentlich logisch: Man stelle sich vor, wie viel Kapital
aus Männerhand verschwindet, wenn eine polygame Frauenbeziehung
erbrechtlich gleichgestellt wird. Solche Forderungen haben demzufolge
auf einer schwulen Gewerbemesse nichts zu suchen. Passend dazu
wurde ein Workshop zu feministischer Ökonomie aus dem Programm
gestrichen mit der Begründung, dieser Workshop wende sich
in erster Linie an Frauen und sozial Schwächere und wäre
daher zu elitär.
Sylvia, Mitfrau des CSD-Orga-Teams des sächsischen CSD
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- 2. Kommentar zur Ehe-Moral
Die Homo-Ehe ist noch gar nicht in Kraft, Umsetzung des Gesetzes
ist in den einzelnen Bundesländern noch teilweise überhaupt
nicht gesichert oder findet nur sehr unbefriedigend statt, da
sind die deutschtümelnden Saubermänner und sicher auch
Sauberfrauen unserer Szene schon einen Schritt weiter und versuchen,
die entsprechende Ehe-Moral im vorauseilenden Gehorsam in unserer
Szene durchzusetzen.
Diese unemanziperten Moralisten in unseren Reihen wollen die
vorhandenen Gesetze nutzen, um Macht über andere zu bekommen,
denn das ist schon immer der gesellschaftliche Hintergrund des
Moralismus.
Wenn man schon für die (Homo)-Ehe eintritt und für
ihre Umsetzung kämpft, dann muss natürlich auch die
entsprechende Ehe-Moral Einzug halten. Die entsprechenden Scheidungsverhandlungen
wegen Untreue werden hier schon vorweggenommen. Ein
heterosexueller Richter oder eine Richterin wird den einen Partner
für schuldig sprechen, weil er auf einer Klappe gewesen
sei, in einem Darkroom oder an einem FKK-Strand.
Vorbei die Zeit, in der man in Deutschland den § 175 StGB
(den es ja nun nicht mehr gibt) gegen homosexuelle Männer
mit dem Schutz der Ehe begründete. Vorbei die Zeit, in der
die Schwulengruppen freudig die sexuelle Befreiung der 68er Revolte
aufgriffen: Kampf der spießigen Ehe-Moral, für sexuelle
Freiheit. Genauer: für die persönliche Entscheidungsfreiheit
des mündigen Menschens in sexuellen Fragen.
Das alles braucht nun nicht mehr zu gelten. Man wird zunehmend
integrierter, angepasster und übernimmt nun auch die heterosexuelle
Doppelmoral. Gleichstellung allerorten. Ein Mann und ein anderer
Mann leben moralisch in einer auf Dauer angelegten Beziehung,
eine Frau und eine weitere Frau ebenso, alles andere ist irgendwie
undeutsch. Freiheit, egal in welchem Bereich, scheint überhaupt
undeutsch zu sein, folgt man dieser Logik weiter.
Offensichtlich müssen manche unemanzipierten Leute sich
immer noch oder schon wieder immer mehr gegenüber den spießigen
Moralisten rechtfertigen.
Falsch scheint es indes zu sein, das ganze als einen Beleg für
den noch immer existierenden Mann-Frau-Konflikt zu sehen, wie
dies im Lesben-Ring-Info geschieht. Für die Ehe und Moral
setzen sich real in unserer Szene Männer und Frauen ein,
gegen die Homo-Ehe-Moral streiten ebenfalls Männer und Frauen.
Und die heterosexuellen Ehe-Monogamie-Strukturen werden millionenfach
von heterosexuellen wie homosexuellen Männern und Frauen
täglich moralisch vorgetragen und gerechtfertigt und gleichzeitig
ständig durchbrochen, freilich als anrüchiger Seitensprung
und nicht einfach deshalb ehrlich, weil sich menschliche Sexualität
eben anders abspielt.
Und da irren sich die Lesbenring-Frauen auch, wenn sie meinen,
Männer seien moralischer als Frauen. Den Frauen kommt noch
immer die gesellschaftlich zugeordnete Rolle der Tugendwächterin
zu, auch gelegentlich in unserer Szene.
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- 3. Führungsstruktur in unserer Szene
Als wir noch frech gegen die Moralisten und Spießer vorgingen,
war keiner der vornehmen homophilen Damen und Herren aus den
Führungsetagen der Gesellschaft in unseren Reihen zu sehen,
denn das hätte ja ihre bürgerlichen Karrieren gefährdet.
Wohl aber wussten sie durchaus, die von uns erstrittenen Freiräume
für sich privat zu nutzen.
Nun, da Homosexualität an sich nicht mehr derart anrüchig
ist, und weil man ja moralisch und treu lesbisch und schwul auftreten
kann, wird es sicher zunehmend möglich, die auf Dauer gebundene
lesbische Frau (den auf Dauer gebundenen schwulen Mann) auf einem
besseren Bankett vorzuzeigen. Voraussetzung ist aber, dass man
dies nicht mit Unmoral und lustvoller Triebbefriedigung in Verbindung
bringt, sondern mit gegenseitiger Pflichterfüllung, Treue
und Verantwortung.
Während sich früher freche unmoralische
SprecherInnen öffentlich äußerten, (die in Gesellschaft
und Wirtschaft führenden Damen und Herren blieben lieber
im Hintergrund), während sie so den Homo-Feinden den Spiegel
ihrer doppelmoralischen Spießigkeit vorhielten, schieben
sich eben die führenden Damen und Herren nun auch in die
Schlüsselpositionen unserer Szene, denn Führen ist
ja auch in der Gesellschaft ihr Geschäft.
Da aber in unserer Gesellschaft noch immer zahlenmäßig
mehr Männer als Frauen in Führungspositionen sind,
zeigen sich also noch immer mehr Männer als Frauen auch
unserer Szene in der Öffentlichkeit, die Moralisches verkünden
und nun gemäß ihrer Karriereinteressen Moralisches
von uns allen verlangen. Das ungleiche Zahlenverhältnis
in unserer Szene wird sich ändern, wenn mehr Frauen in unserer
Gesellschaft Macht- und Schlüsselpositionen erringen. Dann
wird es auch mehr Frauen als bisher ein Anliegen sein, sich auch
in unserer Szene für Moral und Ehe einzusetzen. (ROSA LÜSTE)
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