- 66. LUST, Juni/Juli 01
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- Das bemerkenswerte Festival:
Die RECHTS schaffende MITTE
Zum 27. Mal fand auf der Mainzer Zitadelle
das OPEN-OHR-Festival statt und zum 27. Mal ist es den VeranstalterInnen
gelungen, ein dem Zeitgeeist entsprechendes Thema zu wählen
und dies mit geeigneten Veranstaltungen zu hinterfragen, denn
das war die Absicht der VeranstalterInnen.
- Aus der Programmzeitschrift:
Die Zeit der Gnadenhaltung ist vorbei. Vor dem Hintergrund
der multimedial aufgezäumten, wortstarken Reaktionen auf
fremdenfeindlich motivierte Übergriffe und rechte Gewalttaten
will das OPEN-OHR-Festival Ursachenforschung betreiben, um den
Blick in die Zukunft wagen zu
können. Welche gesellschaftlichen Strukturen, welche politischen
Tendenzen der scheinbar unverdächtigen Mitte ermöglichen
die Entwicklung rechter und rechtsextremistischer Ideologien?
Deutsachland ist längstens eine Einwanderungsgesellschaft
und Zuwanderung ist nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten
unabdingbar.
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- Der interkulturelle Transfer hebt auf gegenseitige
Bereicherung ab, beschleunigt notwendige gesellschaftliche Entwicklungs-
und Erneuerungsprozesse. Eine Gesellschaft, die ihr Heil in kultureller
Autarkie sucht, stagniert. Dauerhafte Bekämpfung von Rechtsextremismus
und Rassismus erfordert den öffentlichen, demonstrativen
Respekt für das Fremde und die Einbeziehung des Anderen,
auch wenn dieser ein Anrerer bleiben will. Ja zur Toleranz
fordert Jürgen Habermas in seinen Anmerkungen zum neuen
Extremismus der Mitte. Das Fundament von Demokratie und Weltoffenheit
ist die Anerkennung des Rechts auf eigenen Kultur, die moralische
Haltung der gegenseitigen Achtung und der Willen zur Kommunikation.
Die Zeit der Gnadenhaltung ist abgelaufen, meint
der Philosoph Hans Saner. Wir auch.
- Unter der Überschrift Der Extremismus
der Mitte finden wir die Formulierung Rechtsextremismus
ist keineswegs ein Randphänomen, so der Soziologe
Butterwege, sondern kann sich nur entfalten, wenn die selbsternannte
politische Mitte der Volksparteien und staatlichen
Institutionen ihm nicht konsequent entgegentritt oder ihn
beispielsweise durch die Übernahme seiner Forderungen wie
Begrenzung der Zuwanderung oder Beschränkung demokratischer
Grundrechte sogar unterstützt. Dieser
Position können wir uns, die ROSA LÜSTE, unbedingt
anschließen. Das deckt sich mit unseren Analysen. Und so
hatten wir mit unseren Infostand dieses mal größere
Resonanz als selbst. Einen lesbisch-schwulen
Infostand, das hatte man schon immer mal gesehen. Aber Lesben
und Schwule, die eine Kampagne Was tun gegen rechts
durchführen und zum Mitmachen aufrufen, das war ihnen wohl
neu. So fanden sich viele FestivalbesucherInnen an unserem Infostand
ein und füllten eifrig unseren Fragebogen aus, diskutierten
über bestimmte Thesen, es war also was los bei uns.
Die CDU hat ihre Teilnahme an allen Diskussionsrunden abgesagt,
wegen des Mottos, das gegen sie gerichtet sei, wie die VeranstalterInnen
anmerkten. Da kann man nur sagen: Getroffener Hund bellt.
Im Gegenteil wurde angedroht, dass dieses Festival das letzte
sein solle, dafür wolle man sich einsetzen. Deshalb lag
auch ein Unterschriftenbogen (auch an unserem Stand) aus, wo
die TeilnehmerInnen sich mit dem Festival solidarisieren konnten.
Leider haben die VeranstalterInnen nicht dafür gesorgt,
dass das schöne warme Wetter vergangener Wochen auf Pfingsten
ausgedehnt worden ist, aber sonst war alles routiniert organisiert.
Selbst das Ausweichen und Verschieben verschiedener Veranstaltungen
wegen heftigen Regens klappte, so die Eingangsdiskussion:
- Der Aufstand der Anständigen
zwischen dem Reinland-Pfälzischen Ministerpräsidenten
Beck, Claudia Roth, die grüne Bundesvorsitzende, Petra Pau,
die stellvertretende PDS-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Edward
Seidel, der Ressortleiter Inland der taz und der Moderator Eric
Friedler, ein SWR-Redakteur. Die
fand
nicht auf dem verregneten Drususstein statt, sondern im großen
Zelt. Was wurde gesagt? Hier fasse ich schnell mitgeschriebenen
Aussagen zusammen.
Petra Pau: Die Mitte muss sich verantwortlicher verhalten.
Den Rassismus bekämpfen, das geht nur mit den Kräften
der Gesellschaft.
Claudia Roth: Man muss sich schon fragen, was los ist
mit einer Gesellschaft, in der Leute Angst haben müssen
vor Gewalt. Man muss sich fragen, wie dieses Land demokratischer
gestaltet werden kann.
Kurt Beck: Rechtsschaffende Mitte eine
These zu benutzen, die ausgrenzen soll, das ist ein Fehler. Wir
können uns nur erfolgreich wehren, wenn wir Menschen aller
Schichten überzeugen können. Ausgrenzung führt
zu Schuldzuweisungen. Wie weit ist der Bogen spannbar? Man kann
zwar eine parlamentarische Mehrheit haben, aber keine mehr in
der Gesellschaft.
Edward Seidel: Ich komme ja aus Berlin, also kann ich
bestätigen, dass sich im Westen
ein
Szenario entfalten konnte, das sich unter den besonderen Bedingungen
im Osten dann dort ausbreiten konnte. Und "der Aufstand
der Anständigen" ist eine zahnlose Angelegenheit, wenn
z.B. Schilly als Innenminister mit Äußerungen wie
Das Boot ist voll gleichzeitig Wasser auf die Mühlen
der Rechten gibt.
Kurt Beck: OK. Journalisten müssen warnende Positionen
einnehmen. Ein Politiker muss jedoch das aufnehmen, was sich
im Lande tut. Er muss an den Chancen und nicht an den Menschenrechtsdebatten
ansetzen. Er hat nicht die Aufgabe, dies dem akademisch gebildeten
Teil der Bevölkerung zu vermitteln, sondern den im gesellschaftlichen
Alltag stehenden Menschen und den Medien. Die politischen Thesen
müssen dem Alltag standhalten, die Diskussion so heruntergebrochen
werden, dass sie an den
Stammtischen verstanden werden. Und gegen die Auswüchse
der Gewalt muss der handelnde Politiker mit den repressiven Mitteln
des Staates vorgehen.
Claudia Roth: Es geht um die Standortsicherheit
der Demokratie. Der Aufstand der Anständigen
muss eher zum Anstand der Zuständigen werden.
Wir haben zu fragen, wo werden durch das Verhalten von Politikern
und Behörden Zustände geschaffen, die Ängste schüren.
Pastor Hinze hat von der Parteizentrale aus bis in die Gemeinde
eine ganz bestimmte fremdenfeindliche Politik durchgesetzt. Das
eskalierte bis zu den Kommentaren der Zustände in Rostock,
was zur Einschränkung des Rechtes auf Asyl führte.
Es geht auch gegen das Menschenrecht auf eine eigene Kultur.
Die Union bezieht sich immer häufiger auf das christliche
Abendland. Man kann aber den Rassismus nicht mit weniger, sondern
mit mehr Menschenrechten führen.
Petra Pau: Es kann keinen Schutz demokratischer Grundrechte
durch ihre Einschränkung geben. Im Gegenteil muss der Opferschutz
ausgeweitet werden. Durch die Art die Abschottung von Ausländern
aus Mozambique und Vietnam wurde der Nährboden für
den heutigen Rechtsradikalismus geschaffen. Sie signalisierte
der Bevölkerung, dass die Menschen aus diesen Ländern
nicht die gleichen Rechte haben.
Eric Friedler: Die CDU hat die Abschottungsrhetorik, aber
in ihrer Regierungszeit sind mehr Menschen eingewandert wie nie
zuvor. Die SPD ist jedoch die Abschottungspartei schlechthin.
Aus dem Publikum: Will die SPD auch sortieren zwischen
guten und nützlichen Einwanderern und den anderen, wie Herr
Beckstein CSU, formulierte: die uns nutzen und die uns ausnutzen?
Man spricht nicht über konkrete Zahlen. Warum wird für
die Integration nichts getan? Was will die SPD? Hat die SPD Angst
vor dem Koch-Rezept?
Kurt Beck: Es ist nicht unschicklich, zu fragen, welche
Politik machbar ist. Wer das nicht
erkennt,
wird Beifall in dieser Runde bekommen aber andere machen die
Politik. Machen wir uns nichts vor. Die nächste Bundestagswahl
wird auf der Kippe stehen, wenn es zur gesellschaftlichen Konfrontation
kommt.
- Jedes Volk hat das Recht, seine eigenen Interessen
zu wahren. Daran ist nichts Schlimmes. Es ist unsinnig, zu behaupten,
es würde zu Integration nichts getan. Vielleicht noch zu
wenig, aber ich kann ihnen eine Unzahl von Projekten nennen ...
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- Es ist im übrigen nicht gegen die Menschenrechte,
wenn man verhindern will, dass nationalistische Demonstranten
das Brandenburger Tor zu ihrem Symbol uminterpretieren, man stelle
sich das bei der Hambacher Feste vor, der Wiege unserer Demokratie.
Ich meine auch, die Diskussion über ein Demonstrationsverbot
und ein Verbot der NPD muss geführt werden. Demokratie hat
auch die Aufgabe, Grenzen zu definieren und zu setzen.
Da ich den Eindruck hatte, dass sich das Gespräch
im Kreise drehte, verließ ich das Zelt, zumal ich die Renate
nicht so lange alleine am Stand stehen lassen wollte. (Ich erhebe
keinen Anspruch auf die Richtigkeit der Wortwahl der Beiträge,
da sie handschriftlich mitnotiert und nicht mit dem Mikro aufgenommen
wurden. Aber sinngemäß sind die Beiträge richtig
wiedergegeben worden.)
- Viele befreundete StandbetreiberInnen treffen
wir hier in jedem Jahr. Da ist die Antifa-Gruppe Nierstein. Neben
uns (nicht zum ersten Mal) stand der Motorradclub Kuhle Wampe.
Da ich Fieber hatte, Renate fühlte sich auch nicht gut,
hat sie doch gerade eine fieberhafte Erkältung überstanden,
da der Wind nicht auszuhalten war, ließen wir den Stand
am Sonntag zu und blieben zu Hause. Ich schwitzte mir das Fieber
weg. Am Montag ging es dann wieder besser. Die befreundeten StandbetreiberInnen
versprachen uns, auf unseren geschlossenen Stand aufzupassen.
- Bine, die Bisexuellengruppe, war da, auf
der anderen Seite von uns war die Aidshilfe, dann gegenüber
der Flüchtlingsrat Wiesbaden, die Medien-Initiative Radio
Pierre, nein, pardon, Radio Quer, die Kriegsdienstverweigerer,
der DFG v.K., die Bauwagenleute vom Haus Meinusch, die FlughafenausbaugegnerInnen.
Viele von ihnen nahmen Anteil an unserem erbärmlichen Gesundheitszustand
und dem Malheur, dass der Stand vom Wind angehoben und umgeworfen
wurde. Man hat das Gefühl, dass da so etwas wie Familienbande
entstanden sind.
- Wann hört die Erinnerung auf?
Diese Frage stllten sich Sylke Kirschnick (Kulturwisssenschaftlerin,
Berlin) und Dr. Ulrich Schneider, Bundessprecher des VVN (Verein
der Verfolgten des Nazi-Regimes - Bund der Antifaschisten).
Die Diskussion wurde mit der Frage nach den Ursachen des zunehmenden
Rechtsradikalismus angeregt und der Frage, warum wir nicht aus
schlimmen Erfahrungen lernen.
Sylke Kirschnick: Das deutsche
Volk speist sich aus ganz unterschiedlichen Herkünften und
Kulturen. Von 1933 bis 1945 gab es den Versuch, eine homogene
deutsche Kultur darzustellen und nach 1945 wurde es von den Machthabern
verabsäumt, klar zu stellen, dass in Deutschland die Menschen
aus unterschiedlichen Kulturen stammen.
Dr. Ulrich Schneider: Als die Gastarbeiter kamen, vielleicht
sagen wir besser Arbeitsimigranten, wurde selektiert zwischen
den guten Ausländern, die uns nützen und den schlechten
Ausländern, die uns ausnützen. Die Kategoriesierung
erfolgte nach dem Nützlichkeitsprinzip und nicht nach dem
Menschlichkeitsprinzip.
Sylke Kirschnick: In Leipzig gab es ein Treffen zwischen
Schülern aus Ost und West. Der Tenor der Ostschüler
war: schickt doch die Ausländer nach Hause, jetzt habt ihr
uns doch. Die Rolle der Politik ist es, dass sie die Stichworte
liefert. Die Ausländerfeindlichkeit ist nicht dort am größten,
wo die meisten Ausländer leben, sondern dort, wo die Politik
Ausländer zum Problem macht. Der Westen hat dem Osten etwas
voraus: die 68er Revolte. Im Osten wurde dagegen verkündet,
wenn die ökonomische Seite geklärt sei, seien auch
die Probleme geklärt.
Dr. Ulrich Schneider: Wir dürfen nicht vergessen,
dass wir zwischen 66 und 68 die erste Wirtschaftskrise
im Westen hatten und die Gründung der NPD, die offen rassistisch
auftrat und offen Ausländer raus forderte. Rassismus
ist zumindest im Westen nicht aufgearbeitet worden. Dann auch
die problematische Herangehensweise an den Antisemitismus. Einerseits
die Annäherung an den Staat Israel, andererseits keine Abkehr
vom Antisemitismus, sondern nur eine Verdrängung durch eine
Art Philosemitismus.
Sylke Kirschnick: In der Bundesrepublik gab es immerhin
auch unter widrigsten Umständen immer eine Gegenöffentlichkeit
im Gegensatz zur DDR. Bubis sagte auf die Frage des Vergessens,
die Juden dürfen vergessen, wichtig sei, dass die Deutschen
nicht vergessen.
Dr. Ulrich Schneider: Gegenöffentlichkeit ermöglicht
eine Erinnerungskultur.
Sylke Kirschnick: Es gibt einen Wandel unter den Rechtsradikalen.
Bis vor wenigen Jahren leugnete man den Holocaust und nun findet
man ihn gut. Das ist der Schulterschluss zu den Großeltern.
Mit Informationsarbeit ist es da nicht allein getan. Vielleicht
Empathie, der Perspektivwechsel hin zu den Opfern. Nicht Identifikation
mit den Opfern, sondern Empathie mit den Opfern.
Dr. Ulrich Schneider: In den neuen Ländern fand bei
den Jugendlichen ein Bruch mit den Biographien der Eltern statt,
die mit der DDR identifiziert werden, daher der Schulterschluss
mit den Großeltern: meine Großeltern waren keine
Verbrecher. Aus den Tätern des Dritten Reiches werden so
Opfer gemacht. Die Eltern werden nun als Schwächlinge empfunden.
Sylke Kirschnick: Aber wer ist denn eigentlich schwach
und wer ist stark? Die Naziorganisationen in den neuen Ländern
vergleiche ich mit einer Zwiebel. Der Kern ist die Kameradschaft.
Um sie herum Anhänger, die das Potential an gewaltbereiten
Tätern darstellen. Diese wiederum befinden sich in einem
Umfeld im Outfit und im Denken. Als damals (Name) der Algerier
von Jugendlichen zu Tode gehetzt wurde, war der eigentliche Anlass
ein Streit in einer Diskothek. Sofort wurden mit dem Handy AnhängerInnen
mobilisiert und die strömten in allen Stadtteilen durch
die Straßen und verprügelten bzw. verfolgten alle
Menschen mit dunkler Hautfarbe, die sie zu sehen bekamen. Und
dort herein ist der Algerier (Name) völlig unbeteiligt geraten.
Es existieren Jugendkulturen, Minikulturen, die schon manifest
sind, das rechte Umfeld ist zur Alltagskultur geworden.
Dr. Ulrich Schneider: In den alten Bundesländern
kann man auch von einer Zwiebel sprechen. Der Kern ist meistens
bekannt. Es sind keine Jugendlichen, sondern er erfasst auch
die Alten. Dann gibt es einen Grauzonenbereich mit den etablierten
Parteien, Ideologiezirkel, Vordenker.
Sylke Kirschnick: Ich muss Einspruch erheben. Die rechte
Szene ist keine Jugendkultur, sondern sie hat Unterstützung
von zahlreichen Erwachsenen.
Als ich vom kleinen Zelt aus in Richtung auf unseren Infostand
sah, beobachtete ich gerade, wie der sich hob und nach hinten
überkippte. Sofort rannte ich quer über den Platz,
um der armen Renate zu helfen. Aber es halfen schon verschiedene
Leute, während andere so gespannt ihre Fragebogen ausfüllten,
dass sie nur die notwendigsten Bewegungen machten, um nicht von
flatternden Zeltbahnen getroffen zu werden. Leider ist am Stand
durch das Umfallen Schaden entstanden, wir wissen noch nicht,
ob es überhaupt noch Ersatzteile dafür gibt.
Gerne würde ich noch von anderen Diskussionsthemen, den
Theater- und Kabarettgruppen, den ganzen auftretenden Rock- Hophop-
und anderen Musikgruppen, den vorgerführten Spielfilmen
usw. berichten, aber ich benutze den Platz lieber noch für
ein paar Fotos. Trotz so manchen Maleurs war dies doch mal wieder
so ein richtig rundes OPEN-OHR-Festival und im nächsten
Jahr kommen wie wieder.
Das nächste Mal brauchen wir einfach mehr HelferInnen, dann
klappt alles besser. (js)
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