- 66. LUST, Juni/Juli 01
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- Die Unterhaltungsbranche
Ist das lesbische und schwule Leben unserer
Zeit eine Inszenierung der Unterhaltungsbranche? Sind wir selbst
nur eine Erfindung dieser Branche? Die rührenden kleinen
Initiativen und die Projekte, die von engagierten Lesben und
Schwulen betrieben wurden, sind so erfolgreich geworden, dass
Großveranstalter zunehmend dies als rentabel ansehen, solche
Veranstaltungen zu inszenieren und die Gruppen verdrängen.
Was sind wier? Was ist die Unterhaltungsbranche, wie sind ihre
inneren Gesetze?
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- 1. Das Leben in unserer Szene
Irgendein Junge (ich hätte auch ein Mädchen nehmen
können, aber da ich ein Mann bin, liegt mir der Junge näher)
bemerkt bei seinen Pollutionsträumen, dass das geliebte
Gesicht männlich ist: ein Mitschüler, ein Lehrer, ein
Bekannter aus dem Umfeld seiner Familie, seines Hobbys, seiner
altergleichen Peer-Group, deren raue Spiele ihm nicht liegen,
zu der zu gehören er sich jedoch genötigt fühlt.
Und schon ist ihm die heimliche Frage auf die Stirne gebrannt:
bin ich etwa so einer, von denen man in letzter Zeit in den Medien
so viel liest und hört? Modisch gekleidete Männer,
in Diskotheken, auf Reisen und bei großen Festen, die schwul
sind, Aids bekommen, Männer lieben aber wohlhabend sind?
So einer, der schwul ist, soll ich sein? Man kennt die Witze
in der Peer-Group, die von den altersgleichen Freunden mehr oder
weniger gehässig erzählt werden. Du bist wohl
schwul, oder? verspotten sich die zu Rauheit getrimmten
Bürschlein gegenseitig, um sich gegenseitig die Sensibilität
auszutreiben. Das ist aus der Sicht konservativer Pädagogen
notwendig, da sie damit lebenstüchtig werde:
in der Wirtschaft und in der Gesellschaft. In den Witzen und
den Späßen verbirgt sich soziale Erziehung, soziale
Kontrolle. Sie schaffen Distanz gegenüber dem einen da,
der kein Mann ist, der schwul ist. Zwar könnte das Dazugehören,
zu dieser Szene schon auch irgendwie verlockend sein, sie kommt
ja so farbenprächtig daher, aber es gehört sich nicht,
dazu zu gehören.
Professor Gunter Schmitt aus Hamburg meint sinngemäß:
das selbstbewusste Auftreten von Lesben und Schwulen bewirke,
dass weniger Mädchen und Jungen (homo)sexuell experimentieren,
denn selbstverständlich sind sie gemäß ihrer
Sozialisation nicht homosexuell. Auch spätere Homosexuelle
tun sich schwer, sich mit einer offenen anderen Szene zu identifizieren.
Und die Jugendlichen befinden sich auf dem Weg in eine geordnete
und damit heterosexuelle Beziehung mit Treue und Eifersucht,
wie man sie in den Soups sieht, woran man sich unmerklich orientiert,
ohne sich dessen bewusst zu sein. Homosexuelle Menschen sind
dort zwar meist Menschen wie du und ich, aber auch irgendwie
tragisch.
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- So wie Leute, die normal sein wollen, es
aber eben nicht ganz schaffen. Man möchte nicht zu ihnen
gehören. In einer Gruppe Erwachsener beobachtete ich das
Buhlen eines aus Polen stammenden Schlesiers um Anerkennung,
ein Deutscher zu sein. Die einheimischen Deutschen empfanden
sein Buhlen als lästig, denn sie erkannten ihn nicht als
einen von ihnen an. Auch ein Nazi, der immer von den vertriebenen
Deutschen aus Polen sprach, machte Front gegen ihn.
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- Zu seiner Herkunft kam, dass er rechte Positionen
kritisierte. Dies erschwerte seine Integration. Ein offener Schwuler,
eine geoutete Lesbe in einer altersgleichen Gruppe machen auf
ihre Art ähnliche Erfahrungen. Sie können sich noch
so angepasst verhalten, man wird sie nicht als gleichartig sehen.
Sie können sich höchstens selber etwas vormachen. Der
Glaube an die individuelle Lösung ist ein solcher Irrglaube,
mit dem man sich und anderen gerne etwas vormacht(Bei meinem
Coming-out damals war das anders.
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- Das schwule Leben hatte etwas mit Selbstbehauptung
und lustvollen Widerstand gegen Spießer, Ehe-Apostel und
Moralapostel, gegen Kirche und CDU zu tun. Das imponierte damals
so manche Jugendliche. Vor dem Bewusstwerden der eigenen Homosexualität
gab es homosexuelle Spielereien zwischen Altersgleichen, in Toiletten
und an anderen Orten mit Männern unterschiedlichen Alters,
aber das hatte nichts mit dem Schwulsein zu tun,
wie man meinte. Es schien ein Teil der normalen sexuellen
Entwicklung zu sein. Sehr viele hatten damals solche Erlebnisse,
einige von ihnen letztlich einen solchen Einstieg ins Schwulsein.)
Wenn es heutzutage nicht brisant deutlich und unerträglich
wird, dann wird sich der jungen Mensch mehr denn je an heterosexuell
genormten Strukturen orientieren. Der Schritt, der hin zu experimentellen
homosexuellen Handlungen zu machen wäre, ist recht groß
geworden, weil es nicht um eine mehr oder weniger lustvolle Spielerei
geht, sondern weil vor ihm das Akzeptieren eines anderen Lebens
in der Szene der Gays steht, von der man in den Medien berichtet.
Größer, viel größer ist die Barriere also
geworden. Und würde er in die Szene der Gays eintreten,
dann würde er dort natürlich versuchen, so normal
wie möglich zu ein.
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- 1.1. Sogenannte Gruppen
Nehmen wir an, dass homosexuelle Verlangen wird deutlich. Nehmen
wir an, der Junge spricht mit seiner verständnisvollen Mutter
darüber. In ihrem Kopf befinden sich die möglichen
Gefahren, denen der Junge ausgesetzt ist: Aids, Drogen, Verführung
durch Ältere. Aber da gibt es ja staatlich anerkannte homosexuelle
Jugendgruppen, wo die jungen Menschen schonend auf ein anständiges
Leben in der homosexuellen Szene vorbereitet werden. Sie werden
dort aufgeklärt, wie man sich vor Aids schützt und
vor älteren Männern (Mädchen vor Frauen). Das
jedenfalls erfährt die Mutter in den Medien. Und sie kann
sich außerdem in einer Elterngruppe engagieren, die mit
Pro Familia zusammenarbeitet und die in der Räumen der Caritas
tagt. Ihr Sohn wird sich im geschützten Rahmen dieser Jugendgruppe
in einen sauberen und anständigen jungen Mann verlieben,
dann erst seine ersten sexuellen Erfahrungen machen, vielleicht
vorher noch, zumindest danach aber eine eingetragene Partnerschaft
eingehen und lernen, wie man Verantwortung für einen anderen
Menschen trägt. Der Unterschied zu meinem Leben ist
nicht so groß, meint die erleichterte Mutter, nur
Enkel werde ich keine bekommen. Es geht um ein möglichst
anständiges Leben. Es geht um kein lustvoll
freies Gegenmodell mehr, sondern um Integration.
Die Szene der Unanständigen, denen es nur um
ihre verantwortungslose Lust geht, bekommt keinen Nachwuchs mehr,
stirbt und trocknet aus. Die wenigen Unanständigen,
geraten in die Isolation, weil man nun mehr denn je in der Lage
ist, die Generationen zu trennen. Es geht um den Wandel einer
ganzen Szene, die sich bisher allen Moralisierungs- und Integrationsbemühungen
verschloss. Durch kleine Zugeständnisse auf der einen Seite
(es gibt keine Strafgesetze mehr, die Partnerschaften werden
akzeptiert aber damit auch steuerbar) schafft man es so, sie
von einer, die sexuell die Moral immer wieder unterlaufenden
Szene zu einem konstruktiven gesellschaftlichen Faktor zu machen
und so die Menschen in gesellschaftlich wünschenswerte Bahnen
zu integrieren.
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- 1.2. LSVD und seine Netzwerke
Längst geht es nicht mehr um den LSVD, wenn man von ihm
spricht. Es geht um ein halbstaatliches System in unserer Szene,
das sich immer weiter ausdehnt. Es gibt ein ganzes Netzwerk,
eine ganze Infrastruktur von Organisationen mit unterschiedlichen
Aufgabenfeldern. Teilweise sind sie in Personalunion mit dem
LSVD, teilweise konkurrierend aber im gleichen Boot sitzend mit
ihm. Nehmen wir zum Beispiel die binationalen Partnerschaften.
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- In vielen Städten ansässige Gruppen
kämpfen einerseits um das Bleiberecht ihrer PartnerInnen
mit der Forderung, dass der Staat die eingetragenen PartnerInnenschaften
in dieser Frage wie heterosexuelle Ehen anerkennt. Niemand wird
bestreiten, dass dies auch ein Problem der betroffenen Menschen
ist. Aus ihrer Notlage heraus ergeben sich Interessen, die sie
an die Ehe, staatliche Anerkennung und Integration in die Gesellschaft
fesseln. Mit der feministischen Umgestaltung der Gesellschaft,
dem freien sexuellen Leben der selbständigen Schwulen können
sie nichts anfangen.
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- Das feministische Bemühen nach einem
anderen Geschlechterverhältnis stört nur die Ordnungsstrukturen
der Ehe, ist bestenfalls Privatsache fossiler Reste unserer Szene.
Das feministische Thema ist für die StreiterInnen für
binationale PartnerInnenschaften eine Diskussion im akademischen
Rahmen, während sie selbst Basisarbeit leisten,
wie sie meinen. Sie benötigen dabei möglichst viel
Ehe, öffentliche Mittel für Beratungstätigkeiten,
Netzstrukturen zu JuristInnen, MitarbeiterInnen in vielfältigen
Stellen einschließlich der Kirchen.
Wer diese Anpassungsarbeit kritisiert, muss sich sagen lassen,
dass ihm am Wohl der betroffenen Menschen und Paaren nicht gelegen
ist. Oder hast Du eine andere Lösung? Wir müssen zugeben,
dass sich Vorstellungen nach einer anderen Form der Lösung
von Problemen binationaler Paare nicht zeigen oder völlig
utopisch sind, indem die Lösungen, die nun für sie
greifbar erscheinen, in weite Ferne gerückt würden.
Nehmen wir die Gay-Manager, Führungskräfte in Wirtschaft
und Politik und ihren sie bewundernden Anhang, denn nicht alle
führen dort. Bisher stand ihrer Karriere ihre Sexualität
im Wege. Entweder auf Karriere verzichten oder auf homosexuelle
Partnerschaften. Man konnte zwar nach Marokko fahren, konnte
sich im Lande aber nicht ungefährdet einen Hausburschen
halten. In den Managerkreisen gilt es als schicklicher, sich
mit einer Ehefrau zu bewaffnen und sie dort vorzuzeigen.
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- Na klar, die schickliche und anerkannte Ehe
für Lesben und Schwule, so hoffen sie, bringt ihr Privatleben
aus dem Bereich des karriereschädlichen Schmuddellebens
in den Bereich der anerkannten ehelichen Hierarchien. Das ist
übrigens einer der Gründe, warum unsere Lebensgemeinschaften
nie voll anerkannt werden. Man will weiterhin über uns stehen,
so unterwürfig wir uns auch verhalten. Natürlich sind
sie für die LSVD-Ehe-Initiative. Die Fahrt nach Marokko
wäre dann ihre Privatsache, für die sie sich nicht
zu rechtfertigen brauchen, wenn sie genug verdienen.
Die LSVD-Gruppen und die mit ihnen vernetzten Organisationen
übernehmen zunehmend die politischen und gesellschaftlichen
Infrastrukturen unserer Szene, verdrängen den ortsansässigen
Wildwuchs. Und die professionellen Coming-out-HelferInnen,
die Homosexualität aus der verachteten Schmuddelszene in
anständiges Fahrwasser geleiten, sofort, wenn sie auftritt,
tun ihr übriges. Hier gelingt es, eine ganze Generation
von homosexuellen Menschen in die vorhandenen gesellschaftlichen
Strukturen zu integrieren.
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- (Homo)Sexualität hört auf, spontane
Lust zu sein, sondern hat nun auch im homosexuellen Bereich einem
höheren Zweck zu dienen, wie das allgemein in
der Gesellschaft üblich ist: zur Stabilität einer auf
Dauer ausgerichteten PartnerInnenschaft. Dass diese Form des
Zusammenlebens dennoch teilweise sinnlos ist, nur die Zeiten
spontaner Verliebtheit überdauert, ist denen, die sie gerade
anstreben, ziemlich egal. Sie wollen, dass es die große
Liebe wirklich gibt, die ihren Höhepunkt in der Eheschließung
hat, und deshalb glauben sie daran.
Weil aus diesen Begegnungen keine Kinder als Kitt einer Beziehung
resultieren, werden sie nach Abflachen der Verliebtheit dann
schrittweise als lästig oder sinnlos empfunden. Es folgt
deshalb sicherlich die Forderung nach dem Adoptionsrecht. Bisher
müssen Haustiere für diesen Zweck herhalten. Für
uns ist die Ehe besonders dann relativ sinnlos, wenn
sexuelle Monogamie ihre Struktur auch noch nach der Zeit der
Verliebtheit absichern soll.
Doch da bietet die moderne Gesellschaft ja auch schon den heterosexuellen
PartnerInnen Strukturhilfen an: Telefone mit 0190er-Nummern,
Läden mit diversen Mittelchen und Bildchen, das Internet
und letztlich den beziehungsunschädlichen, weil mit Geld
statt mit Nähegefühlen verknüpften Seitensprung
in der Prostitution.
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- 1.3. Zahlenspiele
Einerseits die sozialpolitischen Netzwerke unserer Szene, von
denen ich unter 1.2. berichtet habe, anderereits ein an Werbung
interessierter Medienmarkt ist an Zahlen im Sinne von Masse interessiert.
Manch ein schwuler Coming-outler, eine lesbische Coming-outlerin
freuen sich über möglichst hohe Zahlen von Lesben und
Schwulen in der Gesellschaft. Genau wie bei berühmten Lesben
und Schwulen glauben sie so, mit den Problemen ihres Schrittes
in die schöne neue Welt leichter fertig werden
zu können. Dabei haben sie es allerdings im realen Leben
mit ihren MitschülerInnen und LehrerInnen, mit ArbeitskollegInnen
und Vorgesetzten, mit MitbewohnerInnen im Mietshaus und den HausbesitzerInnen
zu tun, wahrscheinlich aber mit den Menschen in ihrem Freizeitumfeld,
denen sie so zu imponieren hoffen.
Kommerzielle Betriebe und Organisationen, die von Märkten
sprechen, wollen einerseits die Märkte unter ihre Kontrolle
bringen, sie unter ihrer Kontrolle halten, sie andererseits nach
außen möglichst groß erscheinen lassen. Und
ein Markt ist unsere Szene unterdessen geworden. Und die Vernbands-sprecherInnen
sind sich der kommerziellen Kraft unserer Szene bewusst geworden.
Vorbei ist die Zeit, in der uns unsere GegnerInnen deshalb besonders
gut abmelken konnten, weil sie uns in einem ausgegrenztem Umfeld
ein Stückchen Lebensqualität nur zu einem hohen Preis
gewähren konnten.
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- Wir werden zunehmend von Betrieben gemolken,
die der eigenen Szene angehören. Damit meine ich nicht die
Kneipen an der Ecke, die auch oft nur mehr schlecht als recht
existieren, sondern ihre Konkurrenten, die GroßveranstalterInnen,
die teilweise kommerziell sind und teilweise aus den halbstaatlichen
Gruppen stammen.
Es wäre nun widersinnig, mit klassenkämpferischen Parolen
gegen die erfolgreichen kommerziellen Medien unserer Szene, kommerziellen
Treffpunkte und VeranstalterInnen, die kommerziellen Hilfmittelchenmärkte
(vom Ersatzbild-Hersteller über die Video-Produktion bis
zur Mode-Boutique, vom Penis-Vergrößerer bis zum Brust-Toupe´,
vom Produzenten zarter Romatik-Romane zur Krimi-Herausgeberin)
vorzugehen. Falls sie von einer (nicht vorhandenen) sozialrevolutionären
Szene besiegt würden, wäre dann die Marktwirtschaft
abgeschafft? Würden die Verhältnisse zwischen den Menschen
ihre Marktgesetze verlieren und echte Humanität einziehen?
In Wirklichkeit hätten wir gar nichts mehr, denn unsere
Szene organisert sich unter marktwirtschaftlichen Bedingungen
eben marktwirtschaftlich. Das ist alles.
Aber die Marktverhältnisse zwischen den Menschen, die den
kommerziellen Erfolg der entsprechenden Betriebe ermöglichen,
gaukeln uns eine Welt vor, die uns immer wieder neu in Situationen
bringt, in denen wir durch Konsum erträglich zu leben hoffen.
Es ginge uns besser, wenn viele von uns die Strukturen durchschauen,
denn nur dann haben wir eine Chance, nicht zu ihren Opfern zu
werden.
Nun versuchen die medialen Geschäftsleute immer mit möglichst
großen Zahlen rumzufuchteln, um suggerieren zu können,
dass Werbung bei ihnen einen großen potenziellen KundInnenkreis
erreichen kann. Da war es eine wirklich entsetzliche Situation
für die, die von 5% der Bevölkerung ausgehen, andere
10% und wieder andere schon 20%, dass der SPIEGEL in einem Artikel
behauptete, dass nur 1,8% der Bevölkerung homosexuell, also
lesbisch bzw. schwul sei. Sofort meldete sich eine wissenschaftliche
Stelle über E-Mails, dass man bei ihrer Studie, auf die
sich der SPIEGEL berief, überhaupt keine Aussagen über
den Anteil der Homosexuellen an der Gesamtbevölkerung machen
könne. Auch wir selbst haben ja Umfragen gemacht und können
ebenfalls bestätigen: es gibt keine derartigen wissenschaftlichen
Untersuchungen und es kann sie auch nicht geben.
Niemand, der für sich definiert, homosexuell zu sein, geht
zu irgendeiner Zählstelle und lässt sich dort registrieren.
Und wenn es dies gäbe, wäre er/sie dann automatisch
Teil eines bestimmten Kundenkreises? Und wann ist man denn zugehörig?
Wenn man Sehnsüchte hat aber sich nie traut, sie auszuleben?
Wenn man gelegentlich außerhalb der heterosexuellen Ehe
auf dem Prostitutionsmarkt Kunde/Kundin für homosexuelle
Spiele ist? Die Zahlenakrobaten sagen dann: ... dann ist er/sie
eben bisexuell. Schon hat man eine neue Kategorie mit klaren
Grenzen und Schubladen und möglichen Märkten mit Gewinnbeteiligung.
Besonders wer Märkte zusammenhalten will, ist an solchen
Zahlen und Abgrenzungen interessiert. Das Leben aber ist anders
als man darzustellen versucht.
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- 1.4. Das wahre Leben
Wahr ist allerdings, dass die GrenzgängerInnen nicht mehr
so einfach mit unserer Szene Kontakt aufnehmen. Mit zunehmender
Präsenz unserer Szene stellt sich die Frage, ob man zu ihr
gehört oder nicht. Wie eine Lesbe zu sein hat und deshalb
ist, wie ein Schwuler ist, wird nicht von uns gesteuert, sondern
von den Medien, die darüber berichten. Und wir halten uns
daran. Halten wir uns nicht daran, gelten wir auch in unserer
Szene als AußenseiterInnen und werden dafür abgestraft.
Um homosexuelle Erlebnisse über die Szene haben zu können,
muss man zunehmend Teil der lesbischen oder schwulen Szene sein,
die eine kommerzielle Szene ist.
-
- Um erfolgreich Kontakte bekommen zu können,
muss man einen schwierigen Hürdenlauf bestehen, und an jeder
Hürde steht jemand, der die Hand aufhält. An Sexualität
haben wir alle so viel, dass alle unproblematisch genug davon
erleben könnten. Stattdessen sind überall Mauern zwischen
den Menschen errichtet, so dass wir erst viele Bedingungen erfüllen
müssen, an ganz gewissen Türchen Eintritt zahlen müssen,
und das nutzt denen, die unser Leben strukturieren. Unser Leben
in der Szene ist von vielerlei Sachzwängen umstellt, so
dass der Traum vom freien ungezwungenen Leben in unserer Szene
in Vergessenheit geraten ist.
Die oder der Coming-outler(in) kommt nicht aus einer ihn belastenden
eng strukturierten heterosexuellen Gesellschaft in die Freiheit
des lesbischen und schwulen Lebens, sondern in neue Strukturen,
die oftmals noch enger und schwieriger sind, als das Leben vorher
war, wo man meinte, dass einem nur das eine fehlt.
Meiner Meinung nach ist die Szene, in die wir müssen, wenn
wir nicht alleine sein wollen, eine Inszenierung der Freizeitindustrie.
Und das zwischenmenschliche Leben, wie wir also dann miteinander
auskommen, wenn wir uns näher sind, gestaltet sich am Rande
dessen als immer problematischer. Das Leben als Wurmfortsatz
einer gut durchorganisierten Industrie mit einer sie flankierenden
Verwaltung hat immer weniger mit eigener Erfüllung zu tun.
Nur mittels Selbstbetrug kann man noch zufrieden sein. Aber es
nützt nichts. Um das eine zu erhalten, muss man vorher in
unserer Szene erst vielfach das andere tun. Und über diesen
Weg wird man schrittweise davon abgebracht, was man eigentlich
will, und da hingeführt, wo wir anderen Nutzen bringen.
-
- 2. Was ist in, was ist out?
Tunten zwecklos stand lange Zeit in den Kontaktanzeigen.
Man distanzierte sich also bei Strafe der Ausgrenzung und Einsamkeit
von solchen Männern, die einen femininen Habitus an den
Tag legten. In ähnlicher Absicht war eine Zeitlang in den
lesbischen Kontaktanzeigen zu lesen, dass man keine Emanzen
mochte. Was den SchreiberInnen der Anzeigen hier nicht auffällt,
ist, dass sie gar keinen Menschen suchen, sondern die Verpackung
eines Menschen, das Outfit.
-
- Man muss also mit seiner Freundin, seinen
Partner in der Öffentlichkeit was hermachen? Wo ist das
Menschliche? Wo ist das liebevolle? Bi zwecklos war
eine lange Zeit in lesbischen Kontaktanzeigen zu lesen. Frauen,
die sich nicht mit Haut und Haaren der Szene und der Partnerin
unterwerfen, sind also nicht gewünscht. Kein BBB
war eine Zeitlang der Trend in den männlichen Kontaktanzeigen:
kein Bart, Brille, Bauch. Wer also noch die Attribute der 68er
aufwies, der gemütliche, rotweintrinkende Stammtischphilosoph
war out.
Man zeigte sich eher rechts mit kurzen Haaren, elitärer
Kleidung und elitärem Gehabe. Die Gespräche über
ein anders organisiertes gesellschaftliches Leben wurde abgelöst
vom überheblichen Gerede über die Hungerleider
und Assoziale.
Ein Jugendlicher, der aus einer anderen Gruppe zu uns kam, berichtete,
dass in der Szene jemand (den wir kennen) rumläuft und gegen
uns Stimmung macht. Er erzählte, dass der behauptet, ich
sei ein Linker. Er war überrascht, dass mich das gar nicht
geärgert hat. Noch überraschter war er, als ich ihm
erklärte, dass es mich ärgern würde, wenn er sagen
würde, ich sei ein Konservativer oder ein Rechter. Das scheint
im Moment in der Szene nicht ebenso ehrenrührig zu sein
wie das Erscheinungsbild Linker.
-
- Wohl bemerkt, es geht hier gar nicht um echte
Inhalte, sondern um das Outfit und das Image. An einem Menschen
mit seinen Stärken und Schwächen, mit seinen inneren
Zweifeln und seinen Wandlungen ist man gar nicht interessiert.
Niemanden interessiert, dass Du zur Zeit einsam bist. Aber es
interessiert vielleicht, mit wem Du gerade zusammen bist. Manchmal
mit Verachtung, manchmal mit Neid.
Plötzlich kamen Kontaktanzeigen auf, bei denen im weinerlichen
Ton behauptet wurde, allen ginge es nur um Sex, ihr
(ihm) aber ginge es um eine wahre Beziehung. Und tatsächlich,
allen geht es plötzlich um wahre Beziehungen,
und man überbietet sich in der Szene mit der Beteuerung,
dass man da ganz anders sei als die anderen, die immer nur Sex
wollten. Und das offene Ansprechen sexueller Fragen, Absichten
oder Sehnsüchte löst nur noch ein Stirnrunzeln aus,
als mache man etwas völlig Unanständiges.
-
- Und wer offen über Sexualität redet,
hat Absichten, nämlich sexuelle. Und schiere sexuelle Absichten
zu haben, das gehört sich nicht in unserer neuen heilen
homosexuellen Welt. Man ist nicht die (der) Richtige,
wenn man sie offen zugibt und hat. Sexualität ist in unserer
Szene unanständig geworden, die gehört in eine auf
Dauer angelegte Partnerschaft, die Doppelmoral ist also auf dem
Vormarsch.
-
- 2.1. Meinungsführer- Innen
Jeder(r) von uns hat sicherlich schon erlebt, dass man in die
Schusslinie irgendwelcher männlichen oder weiblichen Tratschtanten
gerät und dann gelingt oftmals vieles überhaupt nicht
(mehr). Plötzlich wird man geschnitten, plötzlich redet
keiner mehr mit uns. Anstatt uns zu fragen, ob da tatsächlich
etwas dran sei, erzählt man lieber weiter, was man gehört
hat.
Für die/den, die/der manche Vorgehensweisen von Leuten,
die man als FreundIn betrachtet hat, völlig unverständlich
ist, bricht eine Welt zusammen. Nicht die blöden Tratschtanten
regen uns auf, sondern die enttäuschenden Reaktionen von
Menschen, die wir für FreundInnen hielten.
Es ist so, auch in unserer Szene, dass es MeinungsführerInnen
gibt, denen geglaubt wird. Sie machen sich damit wichtig. Je
primitivere Vorurteile sie strapazieren, desto erfolgreicher
sind sie. Kaum betritt jemand ein Lokal, schon be- und verurteilen
sie. Und das Seltsame ist: sie finden Publikum, das ihnen glaubt.
Auch ich bin hier und da ganz gegen meinen Willen Meinungsführer.
-
- Irgend ein Arbeitskollege sagt zu mir, er
habe sich jetzt auch einen solchen Wagen gekauft, den ich fahre.
Seltsam, mir ist die Marke ziemlich gleich. Aber ich nehme auch
immer noch an, dass es Menschen gibt, an deren Urteil viel Richtiges
ist, auf deren Urteil ich mehr gebe. Ich unterstelle denen ein
höheres Wissen, die sich in diesem Bereich Wissen angeeignet
haben, die zum Beispiel studiert haben. Aber unter ihnen gibt
es auch Idioten. Man kann vor Angebern nie sicher sein.
Das mit den MeinungsführerInnen scheint etwas Menschliches
zu sein, was von PolitikerInnen und Wirtschaftleuten auch ausgenutzt
wird. In der Werbebranche macht man sich dieses Phänomen
zunutze, und manche Kampagne ist auf die MeinungsführerInnen
ausgerichtet, nur merken wir es nicht so einfach.
Und hier muss nun die Erklärung kommen, woher die MeinungsführerInnen
ihre Meinung eigentlich beziehen. Das ist gar nicht so schwierig.
MeinungsführerInnen sind Leute, so habe ich oben geschrieben,
die ihren Gewinn daraus ziehen, dass sich Leute an ihnen orientieren.
In der Werbebranche macht man sich dieses Phänomen zunutze,
und manche Kampagne ist auf die MeinungsführerInnen ausgerichtet,
nur merken wir es nicht so einfach.
Und hier muss nun die Erklärung kommen, woher die MeinungsführerInnen
ihre Meinung eigentlich beziehen. Das ist gar nicht so schwierig.
MeinungsführerInnen sind Leute, so habe ich oben geschrieben,
die ihren Gewinn daraus ziehen, dass sich Leute ihnen anschließen,
dass sie ein von ihnen lenkbares Umfeld haben. An jeder Stelle,
wo Menschen zusammenkommen, gibt es sie, die informellen
FührerInnen. Um ihre Stellung zu halten und auszubauen,
müssen sie gut beobachten können, müssen die Bedürfnisse
und Sehnsüchte sowie Ängste und Aversionen ihrer AnhängerInnen
kennen und nutzen.
-
- Es geht ihnen nicht wirklich um eine Meinung,
sondern um das persönliche Ankommen. Seltsamerweise können
die platten Vorurteile mit einer Mischung an Aggressivität
gegenüber denen von außen, verknüpft mit gelegentlichen
Schmeicheleien gegenüber den AnhängerInnen, nicht platt
genug sein, denn diese Plattheit entspricht dem, was die kommerziell
erfolgreichen Medien uns vorgaukeln. Und wenn es alle sagen,
muss es doch stimmen.
Wer für eine Meinung eintritt, für diese auch MeitstreiterInnen
sucht, der ist kein Meinungsführer. Der muss sich auch sagen
lassen, dass er so manche Meinung (die zu ihm gegenteilige) nicht
gelten lasse. Ein Meinungsführer ist nämlich ein Meinungs-Oportunist.
Es geht ihn ums Führen und insofern Recht haben und nicht
um seine Meinug.
-
- 2.2. Medien
Für das Meinungsmachen wird viel Geld ausgegeben. Kaum passiert
was, sind auch schon die platten Sprüche vorhanden, die
ankommen und alles systemgerecht erklären.
Medien müssen sich kommerziell rechnen, und so kann ihr
Schulterschluss mit den GroßveranstalterInnen natürlich
auch zu den lukrativen Webeeinnahmen führen, zu großen
ganzseitigen Anzeigen. Wer eher die kleinen Szene- oder gar Bewegungsveranstaltungen
hofiert, wer auch noch Partei gegen das Schlucken der Szene durch
die Unterhaltungsbranche ergreift, der bleibt zwar irgendwie
sauber, aber er ist pleite.
Die Szene wird es gar nicht mitbekommen, weshalb da jemand aufgehört
hat, zu existieren, denn in sich auftuende Lücken dehnen
sich sofort die aus, die längst da sind und auf Gelegenheiten
lauern.
Als wir mit der NUMMER (Vorgänger der LUST) anfingen und
die in den Lokalen werbefinanziert verteilten, waren die Wirte
froh, dass ihre Anzeigen auf den Seiten Platz finden konnten.
Die Artikel waren für die Themen der Bewegung. Das änderte
sich dann, als kommerzielle Blätter dort Märkte sahen.
Während wir die Wirte als Partner der gleichen Szene ansahen
und mit einem Veranstaltungskalender auf sie zugingen, begannen
die kommerziellen Medien mit sogenannten Promotions-Texten (Texte,
die wegen der offenen oder versteckten Werbebotschaft geschrieben
werden).
-
- Fragestellungen aus der Bewegung fanden dort
nur gelegentlich aus Konkurrenzgründen Platz oder wenn man
nichts anderes hatte und die Seiten irgendwie zwischen den Werbeanzeigen
füllen musste.
Themen, die Lesben und Schwule im Leben bewegen, werden im wesentlichen
dann aufgegriffen, wenn die Lösung dieser Fragen etwas mit
dem Kauf von Gütern zu tun hat, was Werbung vom Einzelhandel
einbringt, mit Reisen oder Fitnessstudios, mit Modefragen oder
Frisuren usw. So entstand zunehmen ein Bild des konsumorientierten
Schwulen und der konsumorientierten Lesbe, was seinerseits dann
wieder Rückwirkungen auf die Szene hat, indem die Leute
naserümpfend verachtet werden, die nicht nach den neuesten
Modeschrei gekleidet sind. Ich erinnere in diesem Zusammenhang
an die MeinungsführerInnen in der Szene, die durch verächtlichmachende
Bemerkungen über unmodern gekleidete Menschen die Kontaktchancen
der BesucherInnen durchaus beeinträchtigen können.
Der schlanke und sonnengebräunte jugendliche Mensch ist
das Leitbild, dafür sorgen schon die Anzeigen und Promotionstexte
der Fitnessstudios mit ihren Bauchtrainern und Solarien. Und
die konsumkritischen Menschen in Nachfolge der 68er werden mit
BBB und altersfeindlichen Sprüchen lächerlich gemacht
und sind eben out. Wer nicht mitschwimmt, der wird bestraft.
Die kommerziellen Medien, die den Wildwuchs und die Meinungsvielfalt
aufgefressen haben, sorgen schon im Verein mit den profilsüchtigen
MeinungsführerInnen dafür, dass alles so funktioniert,
wie es dem Markt nutzt.
-
- 3. Kommerzielle Betriebe
Jeder hat das Recht, einen Betrieb zu gründen. Diese Gewerbefreiheit
ermöglichte eine Szene auch unter den Bedingungen der Illegalität.
Wenn man ein Kneipe eröffnen wollte, brauchte man die entsprechenden
Verträge mit der besitzenden Brauerei und dem Ordnungsamt,
und dann konnten die Gäste kommen. Und wenn diese Gäste
zufällig homosexuell wären, dafür konnte der Wirt
ja nichts. Die Gewerbefreiheit ermöglichte also trotz Homosexualitätsverbot
das Entstehen einer Szene. Die Wirte haben insofern Gründungsarbeit
für eine Szene geleistet.
-
- Natürlich ist eine solche Szene auf
die Kneipe und deren Wohlergehen angewiesen. Und der Wirt benötigte
zwischen seinen Gästen ganz bestimmte Umgangs- und Verkehrsformen,
damit sie dort zwar oft Getränke verzehren, ab nicht ständig
verhaftet und verurteilt würden. Was sich hier also als
Szene entwickelte, war abhängig von den Rahmenbedingungen,
um die sich die Szene entwickelte. Die polizeilichen Spitzel
und Tugendwächter tolerierten solche Treffpunkte, weil sie
ihnen den Überblick erleichterten. Was sexuelle Verhaltensweisen
betrifft, die waren dort natürlich unmöglich. Man gab
sich kulturell usw. und man pflegte andere gesellschaftliche
Ereignisse.
Martin Dannecker und Reimut Reiche haben 1974 in ihrer grundlegenden
Untersuchung der Schwulenkneipe, der Subkultur im
allgemeinen, bescheinigt, dass sie die Funktion der Wahlfamilie
hatte. Die familiären Umgangsformen zwischen
den Gästen untereinander, zwischen ihnen und den Wirten,
waren also die Grundlage eines Wir-Bewusstseins, einer Inszenierung
also, die ihrerseits das Leben von homosexuellen Männern
beeinflusste.
-
- Und diese Beeinflussung richtete dann auch
die in dieser Subkultur verkehrenden lesbischen Umgangsformen
aus. Man kann hier niemanden einen Vorwurf machen, dass diese
Szene so wurde, wie sie wurde. Die homosexuelle Subkultur ist
in Nieschen angesiedelt, die Umgangsformen waren Zerrissen, die
Homo-Sedxualität war etwas, worüber man weniger sprach,
sondern man vergötterte die höheren Werte und Gefühle,
die wahre Liebe und war kitschiger als heterosexuelle Schulmädchen.
-
- 3.1. Abgestützte Normen
Die Auffassung darüber, was die homosexuelle Identität
sein könnte, wird von den Sexualwissenschaftlern nur scheinbar
widersprüchlich beantwortet. Identität sei, was man
davon halte, sagt Martin Dannecker, die Erfindung der homosexuellen
Identität führt Gunter Schmitt auf Ulrichs zurück,
der in seinem Kampf gegen die Diskriminierung von Menschen mit
homosexueller Sehnsucht und Praxis daraus eine abgegrenzte Gruppe
von Menschen mit besonderne Eigenschaften machte. Aus dem Widerstand
gegen die Diskriminierung ist also die schwule Identität
entstanden? Vielleicht. Aus dem Einrichten (und nicht dem Widerstand)
im Nischenleben der Subkultur unter den Bedingungen der Illegalität
und Verfolgung ist die homophile Identität in der Szene
geworden. Zwei Identitäten gibt es also:
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- 3.1.1 Die homophile
Identität mit ihrem verkitschten kulturellen Ansatz und
der Angst, erkannt zu werden, mit dem Wunsch, so zu sein wie
die anderen, diese Identität wurde schon immer in der Linken
mildtätig toleriert. Es ist interessant, dass sich diese
Identität und ihre dazugehörige Politik bei den Grünen
durchsetzen konnte. Volker Becks Homo-Ehe, die Gay-Manager und
die gesellschaftlich anerkannten Jugendgruppen, die junge Schwule
vor älteren schützen wollen, sind heutige
Formen dieser Integrationspolitik, die letztlich auf gesellschaftliche
Anpassung herausläuft.
Die 68er Sudentenrevolte und die jugendliche Sexrevolte attackierten
die Spießer der Nach-Adenauer-Zeit mit deren Mythos von
der heiligen Ehe mit ihrem Schutz, dem Homosexualitätsverbot,
den dazugehörigen Seitensprung und den Ort des Sprunges,
die Prostitution. Als Slogans wie wer dreimal mit der selben
pennt gehört schon zum Establishment Furore machten,
Kommunen gegründet wurden usw. entstand auch eine dort angesiedelte
freche und laute Schwulenszene, die aber von den Homophilen in
den Lokalen bis hin zur Denunziation bekämpft wurde, weil
man Angst hatte, dass die doch nur die Aufmerksamkeit auf die
auf Anpassung bedachte Szene richten würde.
-
- 3.1.2. Diese
Schwulenszene benutzte das Schimpfwort schwul für
sich, trug offen den rosa Winkel als Solidaritätszeichen
mit den im KZ ermordeten Schwulen, provozierte mit Röcken
und hochhackigen Schuhen, wenn gesagt wurde, Schwule seien keine
richtigen Männer, machte aus dieser idiotischen
Aussage eine Tugend (Männer müssen zur Bundeswehr,
wir nicht!). Schwule würden die Ehe zersetzen? Die Ehe ist
doch ohnehin ein überholtes Fossil. Schwule würde die
Moral gefährden? Die Moral ist doch ohnehin eine heuchlerische
Doppelmoral. Schwule würden die Jugend sexuell gefährden?
Jugend hat doch selbst Sexualität und würde gerne mehr
Gebrauch davon machen, und zwar gerade mit uns. Sex ist Lebensqualität
und die Gefährdung der Jugend geschieht nicht durch die
Sexualität, sondern durch das Lehren der verklemmten Ehe-Moral.
Und je mehr Experimente, um so besser. Soweit, so gut.
Und dann kamen die vielen Irrtümer dieser Szene: die Lokale
sind doch nur Ausbeuter die Schwulen, die Partner suchen und
deshalb auf Lokale angewiesen sind. Man müsste also nichtkommerzielle
selbstverwaltete Zentren ausbauen. Über dieses Thema später
mehr.
Wir haben also zwei Identitäten mit unterschiedlicher Werten
und Normen entwickelt, jeweils vor dem Hintergrund ihrer Szene.
Beide hatten ihren erklärbaren Hintergrund, beide hatten
aus heutiger Sicht ihre Lächerlichkeiten und Irrtümer.
-
- Auf jeden Fall gab es einmal eine Schwulenszene,
die nicht eine Inszenierung der Unterhaltungsszene war und die
andere Werte und Normen vertrat, als die verschwitzte (Doppel)Moral
der späten 50er. Das hatte wohl auch etwas mit dem Eingreifen
der Sexualwissenschaftler zu tun, deren bahnbrechenden Veröffentlichungen
ihrer Analysen zur ideologischen Rechtfertigung einer sexuellen
Befreiung wurden.
-
- Die heterosexuellen 68er sahen sie nicht
gerne, kamen nicht gut damit zurecht, waren wohl auch der Meinung,
dass sie dafür ihre Sexrevolte nicht unternommen hatten.
Dass sich die bürgerliche Homophilenbewegung dann nach einiger
Zeit vorerst durchsetzen konnte, hatte teilweise auch damit zu
tun, dass die NachfolgerInnen der 68er ihnen gegenüber offener
waren, während ihnen die frechen linken Schwulen immer suspekt
blieben.
-
- 3.2. Halbstaatliche Initiativen
Während die Lokalszene, Subkultur genannt, Zulauf
aus der bürgerliche Mitte bekam, die eher konservativ war,
liefe nur ein kleiner Teil der jungen nachwachsenden Schwulen
den 68er Schwulen zu, den Homosexualität war auch unter
den Linken suspekt. Der Jugendkult war hier auch nicht weniger
vorhanden und die älter werdenden Revoluzzer fanden sich
dann doch in den plüschigen Etablissements den einen oder
anderen Partner, der ihnen in der 68er Szene versagt blieb.
Einige, die sich an den Marsch durch die Institutionen
anschlossen, versuchten, nichtkommerzielle Schwulenzentren einzurichten
und, um diese finanzieren zu können, dafür öffentliche
Mittel zu erhalten. Dies gelang auch gelegentlich und im Laufe
der Jahre zunehmend.
Nun sind die öffentlich geförderten Schwulenzentren
und andere Projekte nicht ganz problemlos. Zwar zahlen Lesben
und Schwule genauso Steuern wie Heten, die ja auch für ihre
Volksbelustigungen, Trachtenvereine usw. öffentliche Gelder
erhalten. Oft fanden in den Zentren oder von der mit öffentlichen
Mitteln geförderten Szene große Veranstaltungen statt,
die in der kommerziellen Szene schon gespürt wurden.
Gähnende Leere am Samstag in den Lokalen, wenn z.B. im näheren
Umkreis eine Disco stattfand, in öffentlichen Räumen,
für die von der veranstaltenden Gruppe nichts gezahlt werden
musste, während die Wirte, falls sie selbst eine größere
Veranstaltung vorhatten, Räume teuer anmieten mussten. Zum
andern fand hier auch eine Selbstzensur statt.
-
- Die Arbeiten konnten, je erfolgreicher man
war, nicht mehr von den nach dem Lustprinzip handelnden Laien
bewältigt werden, und die dort dann angestellten MitarbeiterInnen
mussten ja um den Bestand ihrer Arbeitsplätze besorgt sein.
Sie selbst sorgten dafür, ebenso wie die Wirte in den Betrieben,
dass allzu provozierende und gesellschaftskritischen Aktivitäten
in Schranken gehalten wurden. Der Höhepunkt dieser Entwicklung
zeigte sich in einem CSD in Bremen, wo der CSD-Verein, bestehend
aus Vertretern der Lokale, öffentlich geförderten Gruppen
usw. die Teilnahme einer frechen linken Lesben- und Schwulengruppe
ausschloss und, als die mit einem Wagen trotzdem mitfahren wollte,
die Polizei zur Hilfe rief, um deren Teilnahme zu verhindern.
Je größer die Förderung dieser Gruppen war, desto
mehr kamen natürlich auch öffentliche Kriterien zum
Tragen. Zur Betreuung von Gruppen von Schwulen, zur Coming-out-Hilfe,
zur Aids-Beratung und für andere derartige Zwecke benötigt
man heutzutagn nicht andere Schwule, die engagiert im Normbruch
sind, sondern staatlich geprüfte Sozialarbeiter, denen die
Integration ihrer Schäfchen zum Ziel gesetzt wurde. Dinge,
die von den heterosexuellen Normen abweichen, werden (mit den
homosexuellen Menschen, die dies zu praktizieren wünschen)
ausgegrenzt und isoliert, so dass die Mehrheit der Lesben und
Schwule heutzutage solche Bürger werden, die treu sein wollen,
heiraten wollen und die Sehnsucht nach einem adoptierten Kind
haben.
In der Februar-Ausgabe der Zeitung Queer, im Mgazin auf S. 9
zum Beispiel, wurde von der Lebensberaterin Tina Sengewich die
Partnerin einer Frau kritisiert, die keine Ambitionen hatte,
sich der Kinder ihrer Freundin anzunehmen. Frauen sind eben für
Kinder zuständig, auch lesbische Frauen. Und die in unsrer
Szene entstandenen Verkehrsformen von den Klappen über die
Parks, von den Beziehungsnetzwerken über die Promiskuität,
von altersungleichen Freundschaften bis hin zum Spiel mit der
Frauen- und Männerrolle, all dies gilt zunehmend in der
eigenen Szene als unmoralisch und verfehlt vor dem Hintergrund
der Homoehe. Selbst Symbole wie den Rosa Winkel lehnen die Nachwachsenden
ab, der habe nichts mit ihnen zu tun, man lebe heute und nicht
in der Vergangenheit.
Bei den neu entstandenen Verbänden, wie dem LSVD handelt
es sich um große Netzwerke, die aufgrund öffentlicher
Förderung großen Einfluss auf die Szene und auch die
Medien der Szene haben. Sie bekämpfen die unkonverntionellen
Lesben und Schwulen wie auch die konservativen Skeptiker der
Homoehe. Die linken Kritiker der Homoehe haben ihrerseits keine
Unterstützung durch die heterosexuelle Linke, denn die wollen
ja auch heiraten und können die Kritik daran nicht verstehen.
Constanze Ohms kritisierte in ihrem Inteview in der 65. LUST
die LSVD-Netzwerke, die in Zusammenarbeit mit den Grünen
(ich möchte hinzufügen der SPD und den Gay-Managern)
mit immer größeren finanziellen Mitteln immer größeren
Einfluss bekommen.
Der Streit zwischen verschiedenen Gruppen über die Wiedergutmachung
an den homosexuellen Verfolgten des deutschen Nazi-Staates entbehrt
hier nicht einer gewissen Pikanterie. Da viele der homosexuellen
Häftlinge mit dem rosa Winkel tot sind, verlangt der LSVD
Wiedergutmachung in Form der Unterstützung an die Verbände.
Schon wird kritisiert, dass sich der LSVD damit weitere finanzielle
Mittel beschaffen wolle.
-
- 3.3. Wirtschaftliches Überleben
Die kleinen alternativen selbstverwalteten Zentren und Projekte
sterben ab, das niemand aus der Szene mehr hingeht. Man möchte
nicht zu den gesellschaftlichen Außenseitern und Outdrops
gehören, die sich angeblich dort treffen. In den Lokalen
ist mehr los, die Leute sind lustiger, alles ist eleganter, man
ist besser gekleidet und zeigt, dass man Geld hat, auch wenn
dies nicht der Fall ist.
-
- Was soll man da also noch in solchen Zentren?
Die alternativen Betriebe, die sich nicht mit öffentlichen
Mitteln mondän aufmotzen, gehören eben nicht zu einer
bunten Glitzerszene. Die Rettung: die Umwandlung in öffentliche
Einrichtungen oder in Privatbetriebe. Eine ganze Reihe heutiger
Privatbetriebe unserer Szene hatte eine öffentlich geförderte
Vorgeschichte oder ihren Ursprung in alternativen Betrieben.
Als die Ökobank entstand, um selbstverwalteten Betrieben
zu helfen, wie man sagte, fragte mich der Wirt eines Lokales,
warum er keine Hilfe bekäme. Er verwalte doch seine Kneipe
auch selbst. Der Unterschied ist oftmals fließend bis gar
nicht mehr erkennbar.
So etwas wie zum Beispiel die LUST, die zwar noch existiert,
aber noch schlechter als rechter, ist an keinem Punkt kommerziell.
Aber nirgendwo ist irgend eine Form der Förderung in Sicht,
weil wir zwischen allen Stühlen sitzen. Die ehemalige linke
Lesben- und Schwulenszene, die inzwischen halbkommerziell oder
halbstaatlich ist, hat ihre Werbung in der LUST eingestellt,
weil es sich für sie nicht rechne, wie man uns erklärte
(man wirbt in den kommerziellen Blättern mit großer
Breitenwirkung), während langjährige kommerzielle Betriebe
weiterhin in der LUST werben, teilweise als bewusste Hilfe aus
alter Freundschaft verstanden.
-
- 3.4. Interessenszusammenhänge und
konflikte
Von der Wortwahl bis hin zum Bewusstsein hat man sich an Vorgegebenen
zu orientieren. Wenn man die Dinge richtiger benennt, wird man
nicht mehr verstanden. Werte, auch zwischenmenschliche Werte
orientieren sich an den Marktwerten. Ich kann zwar etwas anders
leben, entsprechend meinem etwas anderen Bewusstsein, aber dies
eben nur in Isolation, da es schwer wird, dafür MitstreiterInnen
zu werben, die ja auch Produkte der selben Gesellschaft sind.
Bei all diesen zu beobachtenden Zusammenhängen bleibt die
Frage, ob es überhaupt ein lesbisches und schwules Leben
jenseits der Vergnügungsindustrie und ihren Wurmfortsätzen
gibt. Wenn man zu Hause zusammen lebt, ist es erst einmal aus
mit der Verpackungsästhetik unserer Tage. Der liebenswerte
langjährige Partner hat keinen Waschbrettbauch mehr, denn
das ist eine Altersfrage, auch eine Berufsfrage, nicht nur eine
Frage des Bodybuildings.
-
- Zwar kann man nach außen hin noch die
oberflächlichen Werte der Vergnügungsindustrie zelebrieren,
man selbst aber genügt ihnen schon lange nicht mehr. Gibt
es ein Leben außerhalb dieser Szene? Natürlich. Es
gibt es dort, wo die Partnerin aufgrund ihrer langjährigen
Berufstätigkeit nicht mehr so aussehen kann wie ein schwebendes
Engelchen und wo man sie trotzdem liebt und nicht verlässt.
Es gibt es da, wo man die sexuelle Einsamkeit des älter
gewordenen aber vertrauten Partners an seiner Seite zwar nicht
mehr selber beenden kann, aber mit ihm zusammen auf der Suche
ist, seine Sehnsucht zu erfüllen.
Wie könnte denn ein echtes Leben von Lesben
und Schwulen aussehen? Wir haben uns damals in unseren Utopien
unsere Gedanken von alters-ungleichen Wohngemeinschaften gemacht,
über Beziehungsnetze und eine zwischenmenschlich solidarische
Szene. An die kommerziellen Anteile der Szene dachten wir nur
am Rande, sie waren für uns nur relevant, wenn irgendetwas
in unseren Utopien nicht zufriedenstellend funktionierte und
deshalb einer kommerziellen Ergänzung bedurfte. Und nun
erleben wir, dass die ganze Szene lediglich nur eine Inszenierung
der politischen und Wirtschaftsinteressen sind.
-
- Ja, viele Lesben und Schwulen sind in ihrem
Denken und Streben selbst nur ein solches Produkt. Aber verachten
wir nicht die Menschen die lediglich ohne größeren
Widerstand Erfüllungsgehilfe wurden, denn die Kunst des
Widerstandes haben sie nicht gelernt. Sie können es weit
schlechter also wir ehemaligen Sexrevoluzzer es lernten, und
auch wir konnten es nicht gut, denn schaut Euch doch die Resultate
an. Ihnen ist beigebracht worden, dass Integration das Mittel
des Erfolges ist. Und es gibt Viele, die dadurch auch erfolgreich
wurden.
Wie sieht denn das echte Leben der heterosexuellen
Menschen aus? Sind diese freier und alternativer? Ist nicht ihr
Leben ebenfalls eine Inszenierung der entsprechenden Wirtschaftszweige?
-
- 4. Leben in der Marktwirtschaft
Niemand lebt auf einer Insel. Wer unter den Bedingungen der Marktwirtschaft
lebt, lebt nicht nur unter diesen Bedingungen, sondern ist in
seiner Identität auch von dieser Wirtschafsform geprägt.
Ein Mensch ist hier so viel wert, wie seine Kaufkraft wert ist.
Brotlose Künste, das sind Sachen von Spinnern.
Mag sein, dass man irgendwann ihren Wert erkennt,
den streichen dann aber andere ein, nachdem man tot ist. Man
erkennt immer nur dann den Wert einer Sache, wenn sie Werte für
solche schafft, die es gewöhnt sind, sich die Werte anzueignen,
die andere geschaffen haben.
Früher gab es mehr Schlupflöcher und Ressourcen, die
nicht vom Markt kontrolliert wurden. Aber die waren deshalb nicht
marktkontrolliert, weil sie von nochkonservativeren Kräften
besetzt waren. Sie wurden dann nicht marktwirtschaftlich, sondern
staatlich kontrolliert. Als Lesben ignoriert wurden, als männliche
Homosexualität nur etwas schmutzige Unmoralisches war, gab
es keine Ausbeutung der Schwulenszene durch marktwirtschaftliche
Schwule. Oder doch? Es gab in der kriminellen Schattenszene Menschen,
die sich mittels Erpressung usw. Werte schaffen konnten. Sie
nutzten die staatliche Repression.
Jetzt ist Vieles nicht mehr illegal und deshalb natürlich
auch gut zu vermarkten. Was haben wir denn erwartet? Wir wussten
doch, dass Opposition und Subkulturen dort entstehen, wo der
Markt nicht greift, weil es noch keinen Markt gibt, und wo der
Staat nicht lenkend eingreifen kann, weil er es verbietet. Und
dies benutzten wir doch als Argument gegen die Diskriminierung.
Nun steigern sich Kommerzialisierung und gesellschaftliche Integration
in die dort vorherrschenden Normen überall da, wo die Diskriminierung
zurückgeht. Gäbe es eine Insel in der sich Gegenkultur
erhalten könnte, wäre auch sofort gesellschaftlicher
Druck und Diskriminierung einerseits da, um die Insel zu begrenzen,
und andereseits die Integration der Insel bis sie aufgesogen
ist, in die großen Marktsysteme.
Zwischenmenschlichkeit? Humanität wenigstens? Solidarität,
wenn nicht politische dann doch persönliche? Natürlich
nicht. Das heißt doch nur, wenn man die Möglichkeit
hat, ein Geschäft zu machen, darauf zu verzichten? Warum
sollte man? Sicher, der Gewinn des Einen ist der Verlust des
Anderen. In unserer neoliberalen Zeit, in der humanitäre
und soziale Modelle zugunsten krassester marktwirtschaftlicher
Vorteilsnahme geschliffen werden, ist auch die Ideologie nur
noch auf Vorteilsnahme ausgerichtet. Und im Zwischenmenschlichen
Bereich verhalten sich die Menschen danten, damit man sich vergnügen
kann, trotz seiner Grausamkeit gegenüber anderen, vielleicht
gerade wegen sein Grausamkeit.
-
- 4.1. Rahmenbedingungen
Der Rahmen für unser Leben ist eng geknüpft, unsere
Freiheitsspielräume sind aufs äußerste beschnitten.
Überlegen wir einmal, was wir im Leben selbst bestimmen
können. Morgens, wenn wir aufstehen, haben wir uns die Zeit
meist nicht selbst ausgesucht. Wenn wir und durch die Staus auf
dem Weg zur Arbeit quälen, dann besteht die Freiheit vielleicht
darin, dass wir einen schnelleren Schlitten haben und deshalb
flinkere LückenspringerInnen sind.
-
- Auf der Arbeitsstelle schreiben uns Sachzwänge
und Vorgesetzte vor, wie wir uns verhalten, und ungeschriebene
Gesetze zwingen uns zu bestimmten Konventionen im Umgang auch
mit lesben- oder schwulenfeindlichen KollegInnen. Kommen wir
von der Arbeit, nach mühsamen Nachhauseweg, den wir nicht
aussuchen, dann können wir uns vor die Glotze setzen bis
wir müde sind oder wir gehen in die Szene, weil wir auch
mal in der anderen Welt sein wollen, in der Welt der Vergnügungen.
-
- Und vielleicht ist da ja wer... . Dazu müssen
wir aber ganz bestimmte Kleidung, Frisur usw. haben. Und wie
verhalten wir uns dort? Wie wir es können und auch müssen,
um eine Chance zu haben. Schreiben uns das nicht die ungeschriebenen
Gesetze der Szene vor? Und für alles benötigen wir
Geld, das wir ausgeben müssen. Wenn wir nicht zahlen können,
dann sind wir schnell ausgeschlossen, sofern wir nicht sehr jung
und attraktiv sind, dass man uns (begrenzt) finanziell hilft.
Oftmals ist eine angeblich freie Entscheidung nur das Abwägen
welchem größeren Druck ich lieber nachgebe, um möglichst
wenig Konflikte heraufzubeschwören. Habe ich mir ausgesucht,
dass ich lesbisch oder schwul bin? Ich kann mich lediglich dazu
entscheiden, mich selbst zu unterdrücken, auf sexuelle Erfüllung
vollständig zu verzichten. In vielen Ländern der Erde
ist dies so, weil die Todesstrafe auf homosexuelle Kontakte steht.
Oder es ist so, weil die Schwierigkeiten, einen guten Kontakt
zu bekommen, derart groß sind, dass man statt dieser Kontakte
autosexuell (selbstfebriedigend) lebt, die Sexualität mit
sich selbst erlebt, weil keine PartnerInnen da sind.
-
- Zur Selbst-Befriedigung würde gehören,
dass wir in uns selbst narzistisch verliebt sind. Die Werbung
erklärt uns aber derart nachhaltig, wie unzulänglich
wir sind, dass wir ständig nach Hilfsmittel Ausschau halten
müssen. Bestenfalls gibt es fiktive PartnerInnen in Form
von Bildern, Video-Filmen, speziellen Telefonnummern, wo die
Leute die dicksten Brüste, längsten Schwänze jüngsten
sportlich trainierten Körper haben, uns ach ja, die Chat-Rooms.
Sind das Befriedigungen unserer Bedürfnisse oder lediglich
Ersatzbefriedigungen? Nun, wer diese Ersatzbefriedigungen als
einzige Befriedigungen hat, der wird sie verteidigen, wie ein/e
eifersüchtige/r Liebhaber/in sein/ihr Liebchen. Als Sexualität
in der Adenauerzeit außerhalb der Ehe kaum existierte,
hielt die Kirche den Klingelbeutel vor die Seitensprünge.
-
- Durch die Sexrevolte wurden neue Marktmöglichkeiten
und Ressorcen aufgetan, die bis dahin vom Markt nicht erreicht
werden konnten. Es ist nicht die Sexualität, die vermarktet
wird, sondern die Sehnsucht nach Sex. Hier kann immer nur der
Ersatz zur Einnahmequelle werden. Und dies gelingt durch das
Dazwischenschieben von Barrieren, an denen auch wieder Geld verdient
wird. Selbst beim Chat-Talk werden diese Mauern von den Betroffenen
selbst ständig aufgerichtet.
-
- Die erste Frage im Gay-Talk ist die nach
dem Alter. Ist der Chat-Partner zu alt, wird der
Talk abgebrochen, als ob es hier um eine Lebensbeziehung ginge,
wo man seine Beute, den möglichst jüngsten Chat-Partner,
ich seinen privaten Chat-Room führen will. Woher kommt es,
dass die Betroffenen sich derart lächerlich gegenseitig
quälen, ausgrenzen, gegenseitig fertig machen usw.? Es kommt
von den Strukturen des Marktes. die wir verinnerlicht haben.
Denken wir daran, dass seit Beginn des Industriezeitalters die
formalen Marktbeziehungen die traditionellen sozialen Beziehungen
bestimmten und dass sich der Wert eines Menschen fast nur nach
seinem Marktwert bemaß und bemisst.
In diesem Rahmen stehen wir alle, die Heten, die Lesben und die
Schwulen. Und unmerklich erfüllen wir die Bedingungen, an
denen die Wirtschaft verdient.
Ich will nur eine Frau, die nicht zu maskulin ist, sich anpasst
und mich liebt, immer zu mir hält in guten wie in bösen
Tagen, die mich trösten kann und aufheitert. Sie soll modisch
gekleidet sein, soll sich nicht als Emanze aufspielen, soll mir
treu sein und mich nicht überwachen und klammern, das sagen
lesbische Frauen und türkische Männer.
Ich will nur einen Mann, der anständig gekleidet ist, einen
tollen Wagen fährt, mich in finanziellen Notlagen unterstütz,
weil er mich liebt, mich finanziell aber nicht ausnehmen will,
der trotzdem so jung wie ein Lehrling ist. Er muss sich mir anschließen
aber dennoch ein gleichberechtigter Partner sein. Blond muss
er sein, einen Waschbrettbauch muss er haben, Humor muss er haben,
aber auch für mich da sein, wenn mir mal zum Heulen ist.
Er darf mir die Freiheit nicht einschränken, wenn ich mal
nach was anderem schaue, aber er soll mich am liebsten mögen.
Dass das so nicht geht, ist uns zwar klar, dennoch streben wir
danach. Und weil es das nicht geben kann, bleiben wir unser ganzes
Leben klang auf der Suche und müssen das entsprechende Geld
ausgeben, um überhaupt noch die eine oder andere Chance
zu haben.
Wenn es im Inland aufgrund des Alters immer seltener klappt,
tut es vielleicht die Urlaubsreise, wo Menschen leben, die wegen
des zusätzlichen materiellen Anreizes das Alter des wohlhabenden
Touristen nebensächlich behandeln. Das klappt aber nur,
wenn es dort Menschen gibt, die ärmlicher sind als wir.
Es leben die Marktverhältnisse. Wir kritisiere sie, wenn
wir ein schlechtes Geschäft machen und loben
sie, wenn wir von ihnen profitieren.
Es ist wahr, unser Leben ist von a bis z in Strukturen eingefügt,
die politisch und wirtschaftlich andere von uns profitieren lassen.
Aber diese anderen werden allzu oft dadurch nicht reich, sondern
arbeiten genauso, nur am Arbeitsplatz Szene, um leben zu können.
Gibt es Chance, auszubrechen?
-
- 4.2. Gegen den Strom
Kann man gegen den Strom schwimmen? Kann man sich ein kleines
Inselchen bewahren oder ist die angebliche Insel nur eine Zu-Arbeit
zur großen Gesamtwirtschaft? Es gibt und gab ja Teile unserer
Szene, die Alternativen darstellten. Viele sind ständig
auf der Suche nach anderen Möglichkeiten, sich auszuleben.
Das Gefühl der Unzufriedenheit.
Kostenlos sind die Klappen und Parks, die Autobahnparkplätze
usw. Orte, die gefährlich sind aber auch das eine oder andere
versprechen. Die gelten unter feinen homophilen Herrschaften
als unfein, werden kritisiert.
-
- 5. Schlussfolgerungen
Jegliche Szene ist unter den Bedingungen unserer Gesellschaft
nur eine Inszenierung. Ohne diese Inszenierung uch. Aber das
sind keine Alternativen, sondern Ergänzungen, wie die Ehe
der Prostitution bedarf. Nicht der Homosexuelle ist pervers,
sondern die Situation, in der er lebt, hieß der Film
von Rosas von Praunheim, der die damalige kulturell aufgeplusterte
Szene analysierte, bloßstellte, sich den Hass aus den früheren
kommerziellen Betrieben zuzog und zur Gründung vieler Gruppe
beitrug.
-
- Die Situation ist anders geworden aber nicht
weniger perverser. Am Schluss werden als Vorschlag schwule Wohngemeinschaften
gegründet, so wie man damals in der studentischen Linken
glaubte, durch Zusammenleben in größeren Einheiten
statt in der Ehe würden viele Probleme gelöst. Man
empfand sich als alternativ zum Bestehenden. Dass es heute kaum,
mehr solche Ansätze gibt, heißt nicht, dass sie falsch
sind. Aber wir überschätzten die Integrationskraft
der offiziellen Gesellschaft. Die Inseln können nur dann
überleben, wenn es den Insulanern gelingt, ihrerseits junge
neue Leute zu integrieren. Und damit sieht es in der heutigen
neoliberalen Welt übel übel übel aus.
-
- 5.1. Integration
Letztendlich hat sich gezeigt, dass jegliche Initiative, unter
großen persönlichen Opfern oft errichtet und auf den
Weg gebracht, entweder von außen liquidiert, von innen
aufgefressen oder von der Gesellschaft geschluckt wurde. Manchmal
bewegte sich die Gesellschaft dabei ein kleines Stückchen
auf uns zu, um uns den Wiedereinstieg etwas leichter zu machen.
Sind fast alle drin, werden die Grenzen gegenüber AbweichlerInnen
wieder enger gezogen. Und genau an diesem Punkt stehen wir nun.
Fast ist unsere ganze Szene integriert, da sind die Grenzen schon
erkennbar.
-
- 6. Schlussfolgerungen
Jegliche Szene ist unter den Bedingungen unserer Gesellschaft
nur eine Inszenierung. ModemacherInnen aus den Medien sind in
der Lage neue Szenen, gekennzeichnet an neuer Musik, neuer Kleidung
und neuen Ritualen aus dem Bodensatz der Geselschaft zu stampfen.
Ohne diese Inszenierung würde nicht nur diese Szene nicht
existieren, sondern das bisschen Freiheit, das wir
haben, wäre auch nicht da.
Der Traum vom anderen Leben könnte nur dann zur Realität
werden, wenn sich viele Leute an diesem Traum beteiligen. Dann
ginge das oben dargestellte Spiel vom neuen los und dann würden
die neuen Leute die gleichen Fehler machen wie wir, weil es ihnen
auch nicht gelingen würde, die Nachwachsenden für sich
zu gewinnen. Ich weiß, dass sich das ganz schön pessimistisch
anhört. (js)
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