- 65. LUST, April/Mai 01
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- Schwulenbewegung
Gab es sie? Gibt es sie? Was wissen wir
von ihr? Was erfahren wir von ihr? Es gibt schwule Gesangs- und
Sportvereine, schwule Jugendgruppen, große Events und Gay-Manager.
Wo ist die Schwulenbewegung? Was ist überhaupt eine Bewegung,
was ist eine Szene? Ein Referat über die Geschichte der
Schwulenszene und über Ansätze einer Bewegung.
Was die Lesbenbewegung betrifft, dazu
haben wir in der 62. Ausgabe eine längere Abhandlung zusammengestellt.
Hier also geht es um die Schwulenbewegung.
In großer Aufmachung wurde der 100. Geburtstag der Schwulenbewegung
gefeiert. Die Gründung des WhK (Wissenschaftlich- humanitäres
Komitee) wird von einigen interessierten Leuten als Beginn der
Bewegung angesehen. Es gibt aber keine Bewegung, die sich mit
gleichen inhaltlichen Zielvorgaben an eine frühere Bewegung
anschließt und kann es auch nicht geben. Zu unterschiedlich
war in den unterschiedlichen Zeiten die Problemstellung für
unsere Leute und zu unterschiedlich war auch das Bewusstsein
unserer Leute über das, was sie seien. Jeder sucht sich
heutzutage aus der Vergangenheit seine Bewegung raus,
auf deren Ursprung er sich beruft, gemäß seiner heutigen
Interessen.
Was man an politischen, gesellschaftlichen oder persönlichen
Zielen für sinnvoll hält, ist letztlich abhängig
nicht nur unmittelbar von der eigenen Lage, sondern auch mittelbar
vom eigenen Bewusstsein darüber. Und das eigene Bewusstsein
darüber ist zum Beispiel auch davon abhängig, ob man
sich als Teil einer Gruppe mit Gemeinsamkeiten versteht, oder
ob man sich als Individuum sieht, das beispielsweise eine verhängnisvolle
Neigung in sich verspürt, die man selbst aus religiösen
oder weltanschaulichen Gründen nicht für gut heißen
kann. Dann natürlich wird das Bestreben darauf gerichtet
sein, diese Neigung bei sich und anderen zu bekämpfen, statt
zum Beispiel für gesellschaftliche Akzeptanz zu kämpfen.
Nehmen wir 1. einen schwulen jungen Mann heutiger Tage, der sich
gerade in seinem Coming-out befindet. Sein Bestreben ist, wenn
er seine Neigung für sich akzeptiert haben sollte, vorerst
darauf gerichtet, dass niemand es erfährt. Wenn er es aber
anderen sagen wollte, wäre sein Selbst-Outen damit verknüpft,
das Erscheinungsbild der Menschen, die diese (homosexuelle) Neigung
haben, möglichst normal wirken zu lassen. Gays
in diesem Zustand der eigenen Entwicklung streben also häufig
danach, die anderen Schwulen zu bevormunden oder zu moralisieren,
weil sie glauben, dass sie dann selber besser dastehen.
Sie schämen sich in Wirklichkeit noch dafür, dass sie
schwul sind. Mit Argusaugen streifen sie durch die Szene und
versuchen alles, was von heterosexuellen Normen abweicht, unsichtbar
werden zu lassen, was ihnen natürlich nicht gelingen kann.
Als ihre Feinde sehen sie nicht die Heten-Moralisten mit ihrem
Normdruck auf uns, sondern die nichtangepassten Schwulen an.
Das tun sie, statt sich für einen möglichst großen
Entfaltungsspielraum einzusetzen, der es uns erlaubt, so zu sein,
wie wir sind, beziehungsweise Wege auszubauen, die es uns ermöglichen,
im Rahmen der vorgegebenen gesellschaftlichen Normen (oder außerhalb)
unsere Neigungen konkret auch befriedigen zu können.
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- Macht sich ein solcher junger Mann zum Führer
einer Jugendgruppe oder Coming-out-Gruppe, dann ist das, was
von diesem Teil unserer Bewegung oder Szene rüberkommt,
nicht auf persönliche und gesellschaftliche Emanzipation
bedacht. Es geht ihm dann erstens darum, Partner kennen zu lernen
und zweitens darum, auf Anpassung und Integration in die Hetenumwelt
bedacht zu sein. Sein Maßstab ist: was würden meine
Hetenfreunde dazu sagen, und er möchte vor allem unter ihrem
kritischen Blick anerkannt sein und gut dastehen.
Nehmen wir 2. einen Mann, der sich ganz mit seinen Neigungen
identifiziert, sie nun akzeptiert und es unverschämt findet,
dass ihm die Gesellschaft, vertreten durch heterosexuelle, lesbische
oder schwule MoralapostelInnen, den Weg verbauen will, sich glücklich
und zufriedenstellend auszuleben. Dann sucht er erstens nach
anderen Schwulen, die ebenso leben wollen, und braucht andererseits
einen scharfen Schnitt zwischen den normativen Selbstverständlichkeiten
der Gesellschaft und seiner lustvollen Insel, die er sich (und
anderen) schaffen will. Ihm geht es um Abgrenzung und Widerstand
gegenüber den Normen und der Gesellschaft, Integration kommt
für ihn also absolut nicht in Frage.
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- Seine Schwulenbewegung wird provozierend,
für angepasste Schwule vielleicht heilsam sein können,
sie wird den Heten den Spiegel ihrer Intoleranz und Spießigkeit
vor Augen halten. Mit dieser Position wird er keine BündnispartnerInnen
finden, weder im linken Lager noch im schwulen. Die Linken fühlen
sich von ihm brüskiert, suchen sich lieber bürgerlichere
Schwule, um sich tolerant finden zu können, die Masse der
Schwulen, die sich ihre Homosexualität nicht ausgesucht
hat und die Sehnsucht nach Normalität verspürt, wenden
sich mit Grausen gegen ihn, tratschen über ihn, was das
allerschlimmste an ihm ist, und allen fällt etwas ein.
Stellen wir uns 3. einen Mann vor, der mit dem schwulen Thema
politisch erfolgreich sein will oder der einen schwulen Laden
führen will, beide müssen mit Politikern, Posteninhabern
und Behörden klüngeln, BündnispartnerInnen auch
unter Konservativen suchen, Geschäftspartner finden usw.,
der wird zwar möglicherweise früher einmal wie Typ
2 gedacht haben, aber seine politische oder wirtschaftliche Vernunft
bringt ihn dazu, sich in weiten Teilen so zu verhalten, wie es
der Typ 1 in seiner Unwissenheit und Angst macht. Seine persönliche
Befriedigung erzielt der schwule Mann vom Typ 3 dann psychisch
aus dem wirtschaftlichen und/oder politischen Erfolg und physisch,
indem er Männer kennenlernen will, die ihn als erfolgreichen
Menschen anerkennen und sich deshalb auf ihn einlassen. Deshalb
ist er auch daran interessiert, dass der persönliche wirtschaftliche
oder politische Karriereerfolg in seinem Umfeld zum Maßstab
wird.
Es ist vielleicht noch der Typ 4 vorstellbar, der für seine
in Punkt 2 erarbeiteten Ansichten wissenschaftliche Deckung zu
erlangen versucht und der dann missionarisch tätig wird.
Daraus kann ein idealistisch motiviertes gesellschaftspolitisches
Engagement entstehen, das nicht unbedingt den Gesetzen der wirtschaftlichen
oder politischen Karriere mit ihren Kompromissen folgt. Er arbeitet
gesellschaftspolitisch allerdings nach dem Lustprinzip, ist in
dieser Arbeit bestätigt, wenn er so auch im zwischenmenschlichen
Bereich erfolgreich ist und ist andererseits aber ziemlich schnell
entmutigt, wenn er dadurch eher in Isolation gerät. Er will
auch etwas von den Erträgen seiner aufopfernden Arbeit abhaben.
Ein gesellschaftspolitisches Engagement zugunsten der halbwegs
wissenschaftlich fundierte reine Lehre braucht viel Kraft und
Zeit, die den zwischenmenschlichen Kontakten verloren geht. Er
braucht eine längerfristige strategische Zielsetzung und
unterscheidet sich von dem Typ 2 in seinem Handeln vor allem
darin, dass er spontane Anwandlungen unterdrückt und sein
Handeln dann eher taktischen Überlegungen unterstellt. Ich
glaube, dass ich zu dieser Gruppe gehöre.
Historisch gesehen überwiegen immer in ihrem gesellschaftspolitischen
Handeln die einen oder anderen, unterstützt, behindert,
ermutigt oder zum Widerstand genötigt durch Zeitgeistströmungen.
Und so können wir heute auf unterschiedlich strukturierte
Bewegungsansätze zurückblicken, die entweder ein wenig
erreicht haben, wie z.B. Ulrichs, der das Thema der mannmännlichen
Liebe in die wissenschaftliche Diskussion der unterschiedlichsten
Disziplinen brachte, die aber auch scheiterten, wie zum Beispiel
Ulrichs, der erkennen musste, dass durch wissenschaftliches Behandeln
die Lage der Schwulen nicht zu bessern war. Dies deshalb, weil
die Wissenschaftler eben auch Kinder der Zeit waren und sind,
zuallererst also Menschen mit einer eigenen speziellen Sozialisation
und den dazugehörigen Tabus und Vorbehalten.
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- Die geistige Führung der klugen Leute,
diesen Mythos haben sich einige geistige Führer in ihrem
Elfenbeinturm wohl selbst gegeben, existiert kaum, in der wirtschaftlichen
und/oder politischen Praxis des Alltages macht man von Wissenschaftlichem
nur dann Gebrauch, wenn es wirtschaftlich oder politisch in den
Kram passt. Der Ansatz von Hirschfeld, obwohl er sich selbst
in Berlin nicht als Schwuler zu erkennen gab, der als Ursache
der Homosexualität eine Art Geburtsfehler annahm, war recht
erfolgreich und scheiterte letztlich an der Machtergreifung der
Nazis. Ob er ohne Machtergreifung der Nazis langfristig erfolgreich
gewesen wäre, darüber können wir nur spekulieren.
Und der zeitgleiche konträre Ansatz dazu, vertreten von
Adolf Brand, (der von der Bisexualität des Menschen ausging),
scheiterte daran, dass Brand dann selbst Nazi wurde, vielleicht
auch, dass er älter wurde. Was sich als Schwulenbewegung
hierzulande zeigte und womit einige Gruppen von heute den rückwärtsgewandten
Schulterschluss versuchen, ist schnell dargestellt.
Geschichte
Man fragt sich, was war vorher? Der Name Volkmar Sigusch hat
für die Kämpfer der 68er Sexrevolte einen guten Namen.
Als Direktor des Instituts für Sexualwissenschaft in Frankfurt
untersucht er die Bedeutung von Ulrichs und hält in
einem streitbaren Essay Ulrichs für den eigentlichen
Gründer der schwulen Bewegung. Viel von dem, was
die Bewegung ausmacht, nahm Ulrichs als Einzelkämpfer
voraus: öffentliche Widerreden, Demonstrationen und Anklagen;
Streitschriften und Eingaben an die Gesetzgeber und ihre Kommissionen;
Vernetzung der Genossen, Einrichten eines Archivs
des Pro und Kontra und damit der Individual-, Sozial- und Kriminalgeschichte
bis dahin Gesichtsloser; Auflisten berühmter Männer
der Vergangenheit, die Männer geliebt haben sollen; Androhen,
namhafte Urninge der Gegenwart als solche zu entlarven, heute
Outing genannt; Umwerben und Auflisten der sich für eine
Entpönalisierung (Entkriminalisierung, js.) aussprechenden
Nichturninge; Konzeption eines Urningbundes, Eirichten
einer Unterstützerkasse für in Not geratene Gleichgesinnte;
Gründen einer ersten Zeitschrift für sie; und nicht
zuletzt das, was erst einhundert Jahre später kollektiv
möglich wurde: öffentliches Sichbekennen, heute Coming-out
genannt alles, wohlgemerkt, nicht im 20 Jahrhundert, sondern
bereits vor 130 Jahren. (Sigusch, Klappentext)
So lesen wir staunend im Buch von Sigusch Einzelne Exemplare
seiner (Ulrichs´) Schriften waren bis nach Petersburg und
St. Louis gelangt, so daß er schließlich mit
einer weitzerstreuten Schaar bürgerlicher wie adliger
Mannliebhaber im geistigen Verkehr stand, darunter
Fabrikbesitzer und Handwerker, bayrische richterliche Beamte
im activen Staatsdienst, preußische Offiziere
im activen Militairdienst. Nach und nach wurde es doch
ein wenig lächerlich, all diese ehrenwerten Herren
kurzweg für Sünder und Verbrecher zu erklären.
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- Ulrichs erreichte zwar nicht die größeren
Massen der Urninge in den großen Städten, diese
stumpfsinnige Heerden, denen es nur um ihr Vergnügen
ging. In einem kleinen Kreis ehrenhafter Naturgenossen
aber entwickelte sich dank seiner Bemühungen ein ebenso
neuartiges wie kostbaren Gut: das genossenschaftliche Bwußtsein.
Das widerum hatte etwas zur Vorraussetzung, was den Werth
seines Strebens in ganzer Größe ausmachte,
wie ihm ein 25jähriger Urning aus Wien schrieb, etwas, was
der humane Kern seines Kampfes ist: Selbstachtung.
(Sigusch, a.a.O. S. 19 f)
Drei Jahre nach Ulrichs´ Tod gab Hirschfeld dessen
Schriften neu heraus, leider mit geringer Pietät
stark kastriert, wie F. Karsch-Haack ebenso lapidar
wie treffend bemerkte. Das, was Hirschfeld nicht in seine Politik
passte, zensierte er, beispielsweise Ulrichs´ unverkrampfte
Einstellung zum Analverkehr ... (Sigusch, a.a.O. S. 39
f) Was hätte wohl Ulrichs dem Magnus Hirschfeld
auf die Verstümmelung seiner Schriften und damit seiner
Gedanken geantwortet?
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- Und was hätte er zu Hirschfelds erster,
1896 unter dem Pseudonym Th. Ramien veröffentlichten Theorie´
gesagt? Einerseits sah Hirschfeld die Liebe der Männer und
Frauen zu Personen des eigenen Geschlechts als etwas irgendwie
Natürliches an (...). Andererseits aber verglich er die
Liebe der Sappho und des Sokrates mit einer angeborenen
Mißbildung, welche anderen Hemmungen der Evolution, der
Hasenscharte, der Epispadie, der geteilten Gebärmutter,
dem Nabelbruch usw. gleichartig an die Seite zu setzen ist.
Wie aber wäre dem aufrichtigen Ulrichs zumute gewesen, wenn
er hätte erleben müssen, daß die zwei Jahre nach
seinem Tod von vier Männern, darunter Hirschfeld, am 15.
Mai 1897 in Charlottenburg bei Berlin vollzogene Gründung
des Wissenschaftlich-humanitäre Komitees (WhK) von heute
lebenden Kanonisierern der Geschichte der Sodomiten, Päderasten,
Urninge, Konträrsexuealen, Homosexuellen und Schwulen aus
Gründen der paßgenauen Zentenarität zur Geburtsstunde
der Schwulenbewegung verklärt wird, obgleich es zeitige
Schwule noch gar nicht gab, den bekennenden Urning und historisch
vorzeitigen Schwulen Ulrichs und seine Aktivitäten sehr
wohl. (Ulrichs a.a.O. S. 40
f)
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- Wer war Hirschfeld? Dies soll ein Film von
Rosa von Praunheim aufarbeiten, der im März in die deutschen
Kinos kommt: Homo Hirschfeld, So wurde in Amerika der
Berliner Arzt Magnus Hirschfeld (1868-1935) bezeichnet, der als
erster der menschlichen Sexualität mit wissenschaftlichen
Methoden auf die Spur kommen wollte. Hirschfeld bemerkt dazu
allerdings, dass es ihm lieber wäre, wenn Einstein
der Hirschfeld der Physik genannt würde, und sorgt
damit für einen der wenigen heiteren Momente. Der Film zeichnet
sein Leben nach. Kindheit und Jugend werden nur kurz angerissen.
Erst als Hirschfeld (Kai Schuhmann, Friedel von Wangenheim) anfangs
der 90er Jahre nach Berlin kommt und schon als Medizinstudent
über die falsche Darstellung der Homosexualität als
Krankheit empört ist, setzt der Film richtig ein. Fortan
folgt er möglichst genau den historischen Ereignissen und
erlaubt sich nur im wenig überlieferten privaten Bereich
Freiheiten.
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- Als Arzt und Sexualwissenschaftler ist
Hirschfeld recht erfolgreich. Höhepunkte sind die Gründung
des Institutes für Sexualwissenschaft und Vortragsreisen
in alle Welt. Die Erfüllung einer selbstgestellten Aufgabe,
die Abschaffung des 175, der Homosexualität bestraft, ist
ihm aber nicht vergönnt. Dabei versagt er sich jahrzehntelang,
seine eigene Homosexualität auszuleben, um seine Arbeit
nicht zu gefährden. Erst jenseits der 50 bekennt sich Hirschfeld
zu seinen Liebesgefühlen. Der Machtantritt der Nazis zerstört
sein Werk zunächst in Deutschland. Doch wir wissen, dass
sich inzwischen seine Träume von der Gleichberechtigung
der Homosexuellen weitgehend erfüllt haben.Der Film erzählt
etwas hausbacken einzelne Lebensstationen des prominenten Arztes.
Zeitgenössische Aufnahmen werden mehrfach kurz eingeblendet.
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- Sie behindern aber nur den ohnehin holprigen
Erzählfluss und drängen den Film in Richtung Dokumentarfilm,
der er nicht ist. Man muss schon Interesse für die Biographie
Hirschfelds mitbringen, dann ist der Kinobesuch durchaus interessant.
Rosa von Praunheim hat mit Ben und Meret Becker sowie Otto Sander
prominente Schauspieler für sein Filmprojekt gewonnen. Sympathie
erweckt er auch damit, dass er ostdeutschen Akteuren eine Chance
gibt. Neben Gerry Wolff ist z.B. in einer kleinen Rolle Angelika
Mann zu sehen, einst bekannt als die Lütte. (Klaus Schipschack - Ventura Film, Bundesstart:
9. März)
Was die damaligen Bewegungen auszeichnete, war, dass sie kleine
Gruppen von engagierten Leuten waren, während die Masse
der Männer, die Sex mit Männer ersehnten oder erlebten,
davon kaum Notiz nahm. Durch die Katastrophe der Nazi-Verfolgung
waren diese Ansätze erst einmal unterbrochen. Eine Szene
gab es früher und auch in der Nazi-Zeit und danach durchaus,
eine Bewegung gab es lange nach der Nazi-Zeit nicht.
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- Unsere" Schwulenbewegung
Nach dem 2. Weltkrieg und dem Terror des deutschen Nazi-Staates
war die große Freiheit für die Schwulen noch immer
nicht angebrochen. Der von den Nazis verschärfte §
175 StGB blieb weiterhin gültig, wonach jegliche männliche
homosexuelle Handlung unter Strafe gestellt wurde, und nicht
unter irgendeine Strafe, sondern bis zu 5 Jahren Zuchthaus.
Das Bundesverfassungsgericht urteilte am 17.12.53, dass die Rechtvorschriften
im Jahre 1935 ordnungsgemäß erlassen und von
den Mitgliedern der Rechtsgemeinschaft hingenommen und seither
jahrelang unangefochten bestanden hätte ... Also war
der Versuch, die männliche Homosexualität und die männlichen
Homosexuellen auszurotten, verfassungskonform.
Auch der Hinweis eines Klägers, dass in Artikel 3 Absatz
2 des GG die Gleichberechtigung von Mann und Frau vorgeschrieben
sei und weibliche homosexuelle Handlungen nicht bestraft wurde
und werde, nützte wenig. Der Grundsatz der Gleichberechtigung,
so das BVG am 10.05.57, könne für die gesetzgeberische
Behandlung der männlichen und weiblichen Homosexualität
keinen Maßstab abgeben, denn auch für
das Gebiet der Homosexualität rechtfertigen biologische
Verschiedenheiten eine unterschiedliche Behandlung der Geschlechter
... Schon die körperliche Bildung der Geschlechtsorgane
weist für den Mann auf eine mehr drängende und fordernde,
für die Frau eine mehr hinnehmende und zur Hingabe bereite
Funktion hin. Anders als beim Mann würde die
Frau unwillkürlich schon durch ihren Körper daran erinnert,
daß das Sexualleben mit Lasten verbunden sei, was
sich darin niederschlage, daß bei der Frau die körperliche
Begierde (Sexualtrieb) und zärtliche Empfindungsfähigkeit
(Erotik) fast immer miteinander verschmolzen sind, während
beim Manne, und zwar gerade beim Homosexuellen, beide Komponenten
vielfach getrennt bleiben. So gelingt der lesbisch veranlagten
Frau das Durchhalten sexueller Abstinenz leichter, während
der homosexuelle Mann dazu neigt, einem hemmungslosen Sexualbedürfnis
zu verfallen. Was nun die Lesben anbeträfe, so
weise der auf Mutterschaft angelegte Organismus der
Frau unwillkürlich den Weg ... auch dann in einem übertragenen
Sinne fraulich-mütterlich zu wirken, wenn sie biologisch
nicht Mutter ist ...
Auch eine Verfassungsklage mit der Begründung, dass durch
den § 175 StGB die freie Entfaltung der Persönlichkeit
beeinträchtigt werde, wiesen die Verfassungsrichter zurück.
Dieses Recht sei durch die verfassungsmäßige Ordnung
begrenzt, wenn feststeht, daß die soziale Gemeinschaft
die Handlung eindeutig als im Widerspruch zu dem Sittengesetz
bestehend betrachtet, das sie allgemein als für sich verbindlich
anerkennt ... Unsittliche Gesetze gehören nie zur verfassungsmäßigen
Ordnung ... Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt
eindeutig gegen das Sittengesetz. Wer bestimmt aber,
was sittlich ist? Entscheidend sei daß die öffentlichen
Religionsgemeinschaften, insbesondere die beiden großen
christlichen Konfessionen, aus deren Lehre große Teile
des Volkes die Maßstäbe für ihr sittliches Verhalten
entnehmen, die gleichgeschlechtliche Unzucht als unsittlich verurteilen.
Dies war die Ausgangssituation, die begleitet war von Polizeispitzeleien,
rosa Listen, in denen bei der Polizei der Homosexualität
verdächtige Personen aufgelistet waren, denn das waren ja
potenzielle Kriminelle. Homosexuelle Männer
könnten ja irgendwann mal kriminell werden, nämlich
Sex haben, und dadurch waren sie dann Sexualstraftäter oder
Sexualverbrecher.
Es gab Polizisten, die sich als Schwule ausgaben, in den Lokalen
eindeutige Angebote machten und dann die festnahmen, die darauf
eingehen wollten. Es wurde behauptet, dass die Initiative oft
von ihnen ausging. Mir wurde berichtet, dass sich einige von
ihnen, die in Klappen ihre Opfer suchten, vorher einen blasen
ließen, bevor sie ihre Opfer verhafteten.
Die Schwulen in den Lokalen wollten nicht auffallen, das war
ihre Überlebenshaltung schon seit der Nazizeit. Deshalb
war ihr Entsetzen groß, dass unter den wildgewordenen Studenten
der 68er Revolte welche waren, die frech und besonders auffällig
im Fummel demonstrierten, die sich den rosa Winkel als Erkennungszeichen
anhefteten, mit dem die Nazis die homosexuellen Häflinge
zur Warnung der anderen Häftlinge gekennzeichnet hatten.
Diese Schwulen, die 68er schwulen Demonstranten, die sahen das
sittliche Empfinden der Gesellschaft nicht als ihres an, die
staatliche Ordnung nicht als etwas achtenswertes, die Gesetze
nicht als Schutz ihrer Interessen, die Polizei nicht als Freund
und Helfer usw. Sie achteten nicht darauf, unerkannt zu bleiben,
sondern taten genau das Gegenteil.
Es war dies meiner Meinung nach keine Schwulenbewegung, obwohl
sie sich so nannte, sondern es war der schwule Fettfleck auf
den schönen Fahnen der 68er Bewegung, ein ungeliebtes Anhängsel
der 68er. Die anderen 68er nämlich kamen durch die frechen
Schwulen auch in ein Dilemma.
Einerseits wollten sie Schwule natürlich nicht unterdrücken
und verfolgen. Andererseits aber wollten sie selbst nicht für
schwul gehalten werden, in der Nähe der sichtbar auftretenden
Schwulen. Die netten schwulen Leute unterstützen, das wollten
sie schon irgendwie, wenn es denen nicht tatsächlich um
Sex gehen würde, um wirklichen schwulen Sex der schlimmsten
Sorte. Konnte man dann noch dafür eintreten?
Es war dies in dieser Situation unsere Chance, Verbesserungen
durchzusetzen, wenn wir uns nur genügend öffentlich
machten. Es ist vorgekommen, dass in schwulen Lokalen Bewegungsschwestern
von Lokalgängern geohrfeigt wurden, weil sie im Fernsehen
grell geschminkt, sexuell aufreizend zu sehen gewesen waren,
was die Lokalgänger als eine Gefahr ansahen.
Diese Schwulenbewegung unterstützte auch die entstehende
Frauenbewegung in ihrem Streit gegen die macho-gewohnten Genossen.
Man hatte erkannt, dass es den Schwulen immer dann besser ging
und geht, wenn die Frauen größere Rechte hatten, und
schlechter, wenn man Frauen in engere Verhältnisse zwängte.
Das löste so manchen Irrtum aus, nämlich den, dass
es an der Weiblichkeit liege, was den Schwulen und seine Unterdrückung
ausmache. In Wirklichkeit ist es so, dass die Unterdrückung
der Schwulen dann zunahm, wenn die Geschlechterrollen wieder
enger definiert wurden, was auch Frauen zu Opfern machte, denn
die enge auf die Mutterrolle reduzierte Frauenrolle dieser Zeit
unterdrückte die Frauen eben besonders.
Uns würde es aber auch nicht besonders gut gehen, wenn das
engere Festlegen auf Geschlechterrollen frauendominiert wäre.
Es geht um die Unfreiheit der engen Geschlechtsrollenbilder und
das sich daran nicht Anpassen-Können oder auch Anpassen-Wollen.
Deshalb ist der richtige Ansatz dagegen der Kampf um Emanzipation,
der Kampf um das Recht, als Individuum anders sein zu dürfen,
als man sein soll, der Kampf um individuelle Gestaltungsfreiheit
und nicht zum Beispiel der Kampf um Anpassung und Integration.
Die Schwulenbewegung stand ideologisch zumeist auf der Seite
unterdrückter Minderheiten, auch dann, wenn in diesen Minderheiten
Homosexualität unterdrückt wurde. Das machte uns blind
gegenüber der Homosexu-ellenunter-drückung in den nationalen
Befreiungsbewegungen gegen den Neokolonialismus und in vielen
sozialistischen Ländern. In der sogenannten
Subkultur fühlte man sich beengt und unwohl. Ich selbst
floh aus der spießbürgerlichen Subkultur in die linke
Szene, die sehr moralisch argumentierte, und aus dieser Szene
wieder in die miefige Subkultur, wo man es wenigstens treiben
konnte.
Wir argumentierten und kämpften für das Ausleben unserer
Homosexualität mit und gegen linke Dogmatiker, und in den
diversen linken Blättern, die ich herausgab, bemühte
ich mich zum Beispiel in der Schwulenszene um ein wenig mehr
Mut und Weltoffenheit.
Viele der ehemaligen Kämpfer von damals leben nicht mehr,
sie sind an Aids gestorben. Andere haben geholfen die Aidshilfe
auszubauen und sich darin zerrieben, wieder andere haben ihre
Neigung zum Beruf gemacht und haben sich beim Marsch durch die
Institutionen in ihnen verfangen. Noch andere haben Lokale eröffnet
und eine immer kommerziellere Infrastruktur mit ausgebaut. Von
ihnen sind keine aufrührerischen Töne mehr zu vernehmen.
Einige blieben ihren Idealen treu und gerieten schrittweise in
die Isolation, man wurde ja such älter, oder sie waren erfolgreich
uns wurden politisch liquidiert, indem ihnen von den nachwachsenden
gerade das sexuell Freche zum Vorwurf gemacht wurde. Während
sich die Bewegung von Damals also in alle 4 Winde zerstreute,
wuchsen neue Kräfte nach, die schrittweise die heutige Bewegung
vorbereiteten. Da die brisanten und direkten Diskriminierungen
langsam aber stetig zurückgedrängt wurden, waren Funktionäre
der nachwachsenden Bewegung auf der Suche nach Themen, die ihnen
Posten und Einfluss sichern können.
Da sie sich immer weiter professionalisieren, gelingt es ihnen,
eine so enge subkulturelle Verzahnung herzustellen, dass hier
eigentlich die Subkultur mit ihren Marktgesetzen handelt. Ein
wirklicher politischer Kampf findet nicht mehr statt, aber die
Bewegung ist so breit geworden, dass Ziele
wie Emanzipation und individuelle Selbstbestimmung als Ziel hinter
Karriere-, Erfolgs- und Wirtschaftsinteressen zurückgetreten
sind. Man ist integriert, man ist normal geworden.
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- Gab es sie also, die Bewegungen?
Nun, ich meine, es gab sie, nämlich um Ulrich, um Hirschfeld,
um die 68er herum.
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- Gibt es sie?
Na ja, vielleicht um die Gay-Manager, den Gay-Bussyness, die
Jugendschützer und halbstaatlichen Stellen herum.
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- Was wissen wir von ihr? Was erfahren wir
von ihr?
Von der früheren das, was heute einigen Leuten politisch
in den Kram passt, wie es Ulrichs bei Hirschfeld erging. Von
der heutigen, dass es einige Leute in einigen Parteien gibt,
die sich um die Homoehe und weitere Integration bemühen,
bunte nichtssagende Blätter herausgeben und einmal jährlich
große Feste machen, bei denen zumeist das getan wird, was
das ganze Jahr in den Lokalen auch getan wird, nur dann öffentlich.
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- Wo ist die Schwulenbewegung?
Es gibt schwule Gesangs- und Sportvereine, schwule Jugendgruppen,
große Events und Gay-Manager. Es gibt Schwulenpolitiker
in Parteien und in Behörden und es gibt derzeit nur noch
restliche Bewegungsleute, die vor Gefahren warnen, denen niemand
mehr zuhören will.
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- Eine heutige neue Schwulenbewegung müsste,
um Biss haben zu können, den Individualismus gegen Marktstrukturen
verteidigen, das Recht auf Eigenständiges, freies, unangepasstes
Leben auch gegen die Funktionäre der Bewegung einfordern.
Sie müsste sich gegen den Neokonservativismus wie gegen
den Wirtschaftsliberalismus zur Wehr setzen (was wahrscheinlich
wenig Anhänger und Mitstreiter zum Mitmachen bewegen würde)
und für mehr für sexuelle Provokaton und Freiheit gegen
Ehemuff und Partnerschaftskrampf behaupten. Dafür sind aber
die Zeiten schlecht. (js)
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