63. LUST, Dezember00/Januar01
10 Goldene Regeln für eine Lesbenstory
Bastelanleitung für Storyliner
 
Je mehr dieser Regeln Sie einhalten, umso überraschender und erfolgreicher wird Ihr kleines lesbisches Intermezzo werden! Kleinere Abweichungen sind immer möglich, doch variieren Sie nicht zu sehr, das könnte Sie intellektuell überfordern oder gar Ihr gesamtes Weltbild erschüttern.
 
I. Die Ausgangslage
Verfallen Sie nicht auf die Idee, es könnten sich einfach zwei Single-Frauen ineinander verlieben, oder aber zwei Frauen, die schon immer nur (oder auch) auf Frauen standen, oder gar zwei Single-Frauen, die (auch) auf Frauen stehen! Nein, die einzig mögliche Ausgangslage ist folgende: Eine der beiden steht auf Frauen. Die echte Lesbe sozusagen. Im folgenden wird sie kurz Lesbe genannt.

II. Konstellationen
Die andere ist heterosexuell, und sie darf in der bisherigen Geschichte Ihrer Soap, Serie oder Ihres Films nicht auch nur andeutungsweise einen Gedanken an Frauen verschwendet haben. Denn merke: einen Wechsel der emotionalen und sexuellen Orientierung längerfristig vorzubereiten, ist vollkommen unnötig! Dringend empfohlen: Die Hete befindet sich in einer längerfristigen, intakten Beziehung (logischerweise mit einem Mann). Die Lesbe ist üblicherweise solo.

III. Das Drama kann beginnen
Auftritt Lesbe, d.h. die beiden Frauen lernen sich kennen und freunden sich an.

IV. Es kommt, wie es kommen muß
Die Lesbe verliebt sich in die Hetero-Frau. Absolutes Gebot: Nie, niemals darf es umgekehrt sein, oder etwa gegenseitig!!! Die Initiative geht von der Lesbe aus, alles andere widerspräche mindestens mehreren Naturgesetzen.

V. Das Geständnis
Anmerkung: Dieser Punkt und der nächste können auch übersprungen werden! Damit würden Sie gleich zu Punkt VII und die Lesbe ohne Vorwarnung zum Angriff übergehen.
Die Lesbe erklärt sich.
VI. Grenzen
Das Objekt der Begierde ist natürlich schockiert. Sie erklärt überzeugend, daß sie nie, niemals nicht auf Frauen steht und überhaupt nur Freundschaft will und ihren Freund bzw. Gatten über alles liebt.
VII. Mit allen Mitteln
Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten:
a) Die Lesbe versucht, die Hete zu vergessen und „vernünftig“ zu sein, - doch natürlich sind ihre Gefühle stärker, und sie kann es nicht lassen. - Aber warum denn so subtil?
b) Die Lesbe baggert nach Kräften weiter. Um die Widerspenstige auf ihre Seite zu ziehen, ist ihr jedes Mittel recht: Lügen, Intrigen, Betrug - und ganz besonders der Einsatz von Drogen bzw. Aphrodisiaka. Gegenseitiges weiblich-weibliches Begehren ist ohne den Einfluß derartiger Substanzen schlichtweg undenkbar.
 
VIII. Halb zog sie sie...
...aus. So passiert „es” in einem schwachen Moment. Kurzfristiges weiblich-weibliches Begehren abzubilden, heizt männliche Phantasien an, also dürfen Sie sich mit der Liebesszene ruhig Mühe geben. Sie müssen aber nicht.
IX. Dramen bei den Damen
Verschwenden Sie keine Zeit damit, den Protagonistinnen die übliche anfängliche Verliebtheitsphase zuzugestehen - es schauen schließlich auch Kinder und Jugendliche zu. Nein, jetzt beginnt ein mehr oder weniger langes Hin und Her. Sei es, daß die Hete sofort bereut - hier läßt sich der Klassiker „Es war ein Ausrutscher“ gut anbringen (Variation: „Ja, es war schön, aber es hat sich trotzdem falsch angefühlt“) - und die Lesbe sich wieder miese Tricks einfallen lassen muß, oder daß sie sich ewig nicht entscheiden kann.
Hilfreich sind Schuldgefühle („Arno und die Kinder“). Seien Sie nicht zimperlich, es ist nicht unüblich, daß sich die Hete an einem Tag mehrmals umentscheidet und dann genau das Gegenteil tut. Weiber sind hysterisch. Eine neuere Variante ist, daß man zeitweise eine Beziehung zu dritt versucht, die natürlich von der Lesbe vorgeschlagen wird und natürlich nicht funktioniert.
 
X. Happy-End für wen?
Es ist versteht sich von selbst, daß die Lesbenstory unglücklich enden muß. Vielleicht kehrt die Hete auf den Pfad der Tugend und damit zur Männerwelt zurück, oder aber die Lesbe ist ohnehin so flatterhaft, daß sie sie betrügt bzw. bald wieder fallenläßt - seien Sie kreativ!
Falls Sie tatsächlich erwägen, den Frauen ein Happy-End miteinander zu gönnen (wieso eigentlich?!), müssen Sie beachten: Es gilt, dem Publikum trotzdem den Anblick eines glücklichen Lesbenpaares über längere Zeit zu ersparen. Eigentlich gibt es nur eine Möglichkeit: Die beiden verlassen die Stadt und damit die Serie, um irgendwo neu anzufangen. Wenn Sie das Pech haben, für eine Dauerserie zu schreiben und Ihre Darstellerinnen nicht ausscheiden wollen, so legen Sie das Zusammenkommen einfach ans Ende der Vertragszeit. So verschwinden die beiden erst einmal von der Bildfläche und tauchen erst wieder auf, wenn die ersten Probleme entstehen.
 
Mein besonderer Dank gilt den AutorInnen und Storylinern von Verbotene Liebe, Marienhof, Lindenstraße, GZSZ, aber auch denen von ambitionierten Fernsehspielen und cineastischen Werken. Ohne ihre Leistung hätte diese kleine Fibel nicht entstehen können.
ivanova
 
Die Autorin, die sich hier so kenntnisreich um die doch in unserer Szene viel beachteten Soups kümmert, hat eine wirklich interessante und vielseitige Homepage zu diesem Thema, die wir nur empfehlen können. Ihr findet sie im Internet unter:
http://www.puk.de/ivanova/default.html
 
Hier fanden wir folgende aktuelle Nchricht:
Nach der Sonderausstellung im Haus der Geschichte in Bonn ist den Lindenstraßen-Machern auf dem Produktionsgelände am Freimersdorfer Weg ein besonderer Coup gelungen. Wie das Pressebüro der GFF mitteilte, wird die weltweit bekannte Rocklady Nina Hagen in der auch nach 15 Jahren überaus erfolgreichen Dauerserie LINDENSTRASSE mitwirken. Laut Drehbuch wird Nina Hagen als Jaqueline Evers im ehemaligen Frisiersalon einen Esoterik-Shop eröffnen. Jaqueline Evers wird sich unsterblich in Tanja Dressler-Schildknecht (Sybille Waury) verlieben. Die Verpflichtung Nina Hagens ist die Folge der zunehmenden Konkurrenz durch attraktive Sendungen zur Sendezeit der LINDENSTRASSE.
 
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