62. LUST, Oktober/November 00
 
Kontaktanzeigen
In den Zeitschriften werden diese Seiten gerne gelesen. Entstehen mit ihnen auch Beziehungen und Kontakte? Wie beeinflusst der Zeitgeist die Anzeigentexte? Wie sieht es mit der Ehrlichkeit in den Anzeigen aus? Was tut sich auf dem Anzeigemarkt? Ein Erfahrungsbericht. (http://www.lust-zeitschrift.de)
 
Wenn ich als Jugendlicher Zeitschriften in die Hände bekam, dann habe ich sie von hinten aufgeschlagen, weil dort die Witzseiten waren.
Nach meinem Coming-out fand ich Witze nicht mehr witzig, früher waren auch viele antischwule Witze dabei. Und irgendwann kam ich dahinter, dass die meisten Witze entweder auf Kosten von Minderheiten "witzig" sind oder dass in ihnen ungewöhnliche Verhaltensweisen in Form eines Anpassungsdruckes lächerlich gemacht werden. Darüber konnte ich dann natürlich nicht mehr lachen.

In einer Kneipe traf ich einmal einen Mann, den ich von irgendwoher zu kennen glaubte. Ich fragte ihn und er konnte sich noch an mich erinnen. Ich hätte damals die Gespräche mit ihm abgebrochen und dabei erklärt, dass ich mich deshalb nicht mehr mit ihm unterhalten wollte, weil er gelegentlich Schwulenwitze erzählte. Ich sei dogmatisch gewesen, ob ich nun mich gebessert hätte? Er erzähle solche Witze ja nicht, weil er was gegen mich hätte, sondern weil er seinen Spaß haben wollte, und den sollte ich ihm nicht missgönnen.
 
Spaß dürfe man schließlich doch noch haben. Ich solle stattdessen doch auch einmal über mich selbst lachen. Darin zeige sich, dass ich mit meiner Abweichung souverän umgehen könne. Um diesen Herrn seinen Spaß nicht zu verderben, erzählte ich ihm einen zum Heteromannfeindlichen umgestrickten Blondinenwitz, was er für blöde und gar nicht witzig hielt. Ich sei halt doch dogmatisch und außerdem humorlos, dass ich ihn nun so angreife. Ich verstehe eben keinen Spaß.

Vor Jahren hatten wir mal wieder eine dieser Freitagsveranstaltungen, damals auch zum Thema Kontaktanzeigen. Ein Lesbenpärchen kam, das sich lauthals über Anzeigen und vor allem die Nutzer dieser Anzeigen amüsierte. Diese Leute, die jemanden über Anzeigen suchen, seien alle nur Schrott, der letzte Abschaum, nichts wert.

Sie erklärten uns, sie würden manchmal schwule Anzeigen aufgeben, um sich über die Antworten zu amüsieren, oder welche gemeinsam beantworten, um sich über die Leute lustig zu machen. Und als ich darüber redete, dass dies unfair gegenüber den betreffenden Menschen sei, die sich vielleicht große Mühe geben, auf diesem Weg jemanden zu finden, kritisierte eine der beiden Frauen, dass ich humorlos sei. Es ginge ja nur um Spaß und dass ich, wenn ich dauernd Stiefmütterchentee trinken würde (?) einfach keinen Humor hätte.

Ein anderer Besucher unserer Veranstaltung erklärte uns, dass er selbst an einer (anderen) "Schwulenzeitschrift" mitarbeite. Wir könnten ja nur sagen, wie viele Antworten die Inserenten auf bestimmte Anzeigen bekämen. Aber er könne auch sagen, was geantwortet würde. Auf meine Frage, dass es doch ein Postgeheimnis gäbe, wie er das denn mache, stotterte er etwas davon, dass er selbst auch inseriere. Nun, das mache ich auch manchmal, aber ich kann dann nur sagen, wie auf meine Anzeige geantwortet wurde, und daraus kann man nun keinen zu verallgemeinernden Schluss ziehen.

Sind Kontaktanzeigen von einem besonderen Geruch umgeben? Werden mit ihnen alle miesen Charaktereigenschaften geweckt, die Menschen so haben können? Oder werden die miesen Verhaltensweisen geweckt, weil es um Beziehungsrivalität geht, beim Lesen dieser Anzeigen? Nur Leute, die absolut nicht nachdenken können, meinen vielleicht, dass in Kontaktanzeigen andere Gestze vorherrschen als in anderen Bereichen der Subkultur.

Wenn ich die damals noch kostenlos verteilte LUST verteilte, habe ich natürlich neugierig geschaut, was die Leute so alles aufschlagen, wo ihre Blicke hängenbleiben. Und was sah ich? Sie schlagen die letzten Seiten auf, wie ich , als ich die Witze suchte, und lesen die Kontaktanzeigen. Und sie zeigen sie rum und lesen sie sich gegenseitig vor und lachen darüber, wie ich früher über die Witze gelacht und sie weitererzählt habe.

Kontaktanzeigen lesen, sie beurteulen, sich darüber auslassen usw., das scheint großes Vergnügen zu bereiten, und diesen Spaß will sich niemand nehmen lassen, selbst wenn dies andere Menschen herabsetzt oder vielleicht auch: gerade weil es andere Menschen herabsetzt.
Wichtig für eine Redaktion, die Kontaktanzeigen betreut, ist natürlich, dass sie sachlich und korrekt mit ihnen umgeht.
 
Alles andere wäre nicht nur unfair, sondern sogar auch strafbar. Wir halten es in der LUST so, dass wir in der kostenlos verteilten LUST Gebühren erhoben haben (5 DM pro Anzeige), was eine Barriere für Witzbolde darstellte und und auch bei den Druckkosten half. Bei der jetzigen Abo-LUST nun machen wir es so, dass die Bearbeitung der Anzeigen kostenlos ist, weil dies durch den Kaufpreis schon mit abgegolten ist. Die Leute, die sich die LUST kaufen, haben einen gewissen Service durch uns mitgekauft.

Man soll es nicht glauben, aber Kontaktanzeigen sind nicht nur zur Unterhaltung da, sondern es gibt auch Leute, die wirklich jemanden suchen, und die sich große Mühe geben, den Text der Anzeige zu verfassen. Und es gibt Beantwortende von Anzeigen, die es auch ernst meinen und die andere Leute nicht nur verarschen wollen.
 
Da in unserer Gesellschaft trotz zunehmender Kommunikationstechnologie die kommunikativen Möglichkeiten der Menschen in Wirklichkeit abnehmen, kommt den Kontaktanzeigen eine große Bedeutung zu. Viele Leute bräuchten vielleicht auch nicht so viele Kommunikationsgeräte zu kaufen, wenn ihre zwischenmenschliche Kommunikation besser wäre. Das hängt offensichtlich zussammen. Allerdings hat die Erfolgsrate der Anzeigen gegenüber früher abgenommen, vielleicht, weil es überall so viele gibt und weil sich in den neuen Medien parallele Märkte etabliert haben.
 
Entstehen mit Kontaktanzeigen Kontakte und Beziehungen?
Die Menschen sind heutzutage hilfloser als früher, was Kontaktaufnahmen usw. betrifft. Hinzu kommt, dass es Mode geworden ist, Menschen nach Äußerlichkeiten zu begutachtewerten wie auf einem Pferdemarkt. Das schafft Mauern zwischen den Menschen. Besonders die Ansprüche gegeneinander, die mit unerbittlicher Härte vorgebracht werden und die menschenverachtende herabwürdigende Kritik, wenn jemand diesen Anforderungen nicht genügt, erzeugen auf beiden Seiten eine große Isoliertheit.

Kontaktanzeigen haben deshalb hier eine wichtige Rolle, weil sie anfänglich eine große Anonymität ermöglichen. Dies ist übrigens auch aus dem Stil der Anzeigen zu erkennen. Die Leute geben in ihnen Anzeigen immer weniger Eigenschaften und Merkmale von sich an. Und, so wurde mir berichtet, seien die ersten Antwortbriefe zumeist ebenso nichtsagend wie die Anzeigen selbst. Jeder versuche, so lange wie möglich anonym zu bleiben.

Habt Ihr denn Angst voreinander? Ist es nicht mehr möglich, zu dem zu stehen, was man möchte und wie man ist? Muss man sich so anpreisen wie eine (verlogene) Werbeanzeige, die nur angebliche Vorteile in den Vordergrund stellt, während man "Schwächen" verbirgt? Machen denn nicht gerade diese "Schwächen" das Menschliche am Mensch aus? Was soll ich mit einem Plastik-Dekor-Fassaden-Roboter?
 
Der wäre vielleicht was für irgendein Schaufenster aber nichts für die Szenen danach. Sollte ich einen solchen Menschen einmal kennenlernen, der allen ästhetischen und modischen Anforderungen entspricht, dürfte ich bei ihm denn mal Mensch sein? Dürfte ich auch mal in Schweiß geraten, ohne nach einem Deo rennen zu müssen? Dürfte mein Bauch auch mal Gluckern, ohne dass ich mich dafür schämen müsste? Warum darf in der modernen Werbewelt der Mensch nicht mehr Mensch sein? Natürlich darum, weil er dann weniger kaufen würde, in der Regel mit "Natur" auskäme.

Es enstehen durch Kontaktanzeigen Kontakte. Ein beachtlich großer Teil der Menschen, die ich kenne, haben sich über Kontaktanzeigen kennengelernt, viele sogar mittels der LUST. Das freut uns dann doch. Und bei der Veranstaltung, von der ich anfänglich berichtete, saß auch ein schwules Pärchen, das sich über die LUST kennengelern hatte, dies aber in dieser Veranstaltung nicht sagen wollte oder konnte. Wer möchte schon gerne zum "Schrott" gehören?

Die Kontaktaufnahme mittels Anzeigen ist aber auch nicht so einfach. Es stehen nämlich hinter den Anzeigen keine anderen Menschen, als man sie sonst überall auch treffen kann. Sie haben heutzutage große Ansprüche an PartnerInnen und entsprechen selbst nicht den Anforderungen, die sie an andere stellen. Die Probleme bei den Kontaktanzeigen haben also nichts mit den Anzeigen zu tun, sondern mit der Realitätsferne der Menschen, was andere Menschen und dem Selbstbild betrifft. Und das ist auf die abnehmende Kommunikationsfähigkeit zurückzuführen.

Ein Beispiel? Rufen wir im Servicebereich bei irgendeiner Firma an. Mit großer Herzlichkeit, die Sonne in der Stimme und höflicher Anteilnahme werden wir behandelt, weil der Telefonsachbearbeiter gelernt hat, wie er sich hier zu verhalten hat. Das gehört zum Beruf. Man kommt trotzdem kaum weiter, in Sachfragen erfährt man eher Inkompetenz. Jeder weiß, daß er uns gar nicht so gewogen ist. Er kennt uns ja nicht einmal. Es ist eine berufsmäßige Fassade. Und nun reden wir in einer Kneipe zum Beispiel mit dem interessanten Kellner, der ganz genau so höflich und anteilnehmend mit uns redet. Wir können natürlich nicht daraus schließen, dass er uns freundlich zugetan ist. Es könnte die erlernte Höflichkeit sein, die zum Geschäft gehört. Wir sind auf jeden Fall unsicher.

Sagt jemand zu uns, dass er/sie uns liebe, und niemals im Leben verlassen würde usw., dann hört sich das an wie die Szene in einem entsprechenden Spielfilm. Es ist offensichtlich, dass er/sie den Kontakt mit uns will. Aber können solche Sätze stimmen, selbst wenn sie aus vollem Herzen gesagt würden? Der/Die Betreffende kennt uns ja gar nicht, unser Leben und unsere Vorlieben. Er/sie kann gar nicht beurteilen, ob er/sie es mit uns aushält.

Die erste Möglichkeit: Der/Die Betreffende ist hilflos in dieser Anmachsituation und orientiert sich am Spielfilm, weil es dort eben nach solchen Sätzen immer klappt. Kann man mit ihm irgendwann dann ganz normal, also nicht mehr in der problematischen Anmachsituation sprechen, kann er sich als durchaus realistischer Mensch erweisen.

Die zweite Möglichkeit: Der/Die Betreffende meint es wirklich ernst (wir aber wissen, dass er/sie die möglichen Probleme jetzt nicht sehen kann oder will). In diesem Fall sollten wir nicht an den Inhalt des Gesagten glauben ("nie" ist auch ein bisschen lang, unüberschaubar lang), sondern an seinen momentanen Wunsch, selbst daran glauben zu wollen.

Dritte Möglichkeit: Der/Die Betreffende verarscht uns. Vielleicht will er uns ausnehmen, und deshalb erreichen, dass wir uns ihm gegenüber emotional loslassen. Ausnehmen, das geht mit Verliebten besser. Oder er hat einfach Lust, sich auf unsere Kosten einen Spaß zu machen.

Da müssen wir ja hilflos sein, wenn wir heutzutage immer weniger die Signale deuten können. Wie soll sich also jemand in einer Kontaktanzeige darstellen?

Sagt das angegebene Gewicht aus, dass der/die andere dick oder dünn ist? Sicherlich ist das so, in Verbindung mit der Körpergröße, aber es klingt in einer Anzeige wie auf dem Fleischmarkt.

Sagt das angegebene Alter etwas darüber aus, ob der/die Betreffende als Teen oder junger Twen jugendlich spontan ist? Will er/sie von der/dem Älteren ausgehalten werden oder liebt er/sie Menschen etwas oder erheblich ältere Jahrgänge wegen deren Eigenschaften?
Oder ob er/sie als später Twen oder Thirty gerade auf der Karriereleiter ist und ständig überall den kleinen und großen Vorteil über andere sucht?

Gehört der/die Vierziger(in) noch in diese Gruppe der KarrieristInnen oder schon in die Fiftys, wo man, was zu erreichen ist erreicht hat und eine gewisse Solidität ausstrahlt? Aber wo man in sexuellen und Beziehungsfragen vielleicht Angst hat, alleine zu bleiben, das Beste bisher versäumt zu haben und jetzt schnell noch Vieles erleben will?

Ab welchem Alter denkt man daran, dass man versorgt sein will, wenn man nicht nicht mehr ganz so sportlich und kraftvoll ist? Also dann die Ehe oder zumindest die Dauerbeziehung? Ist die Alterfrage, verknüpft mit der Beziehungsfrage, zu überfrachtet und geht es auch hier im wesentlichen nur um Fleisch?

Da waren früher, vor der Ehediskussion, in unserer promisquitiven Szene die Signale deutlicher. Wenn man sich gegenseitig angrinste, wollte man was voneinander. Es kam dann nur noch auf irgendeinen blöden Vorwand an, ins Gespräch zu kommen. Falsch konnte man nichts machen, denn das Einverständnis war vorher schon klar. Wenn man sich demonstrativ an den Schwanz griff, bot man Sex an. Verschieden farbige Tücher in der linken (aktiv) oder rechten (passiv) Gesäßtasche signalisierten die sexuellen Vorlieben.
 
Zugegeben, das Signalverhalten ist in der Lesbenszene nicht so eindeutig wie in der Schwulenszene, weil es dort zumeist erst mal um Beziehung ging, bevor man sich miteinander einließ. Die Ehe-Moral wird ja bei den Heten von den Frauen mehr aufrechterhalten, gepflegt und abgesichert als von den Männern, das hat etwas mit den anerzogenen Rollen zu tun, die uns ja auch anerzogen wurden. (Siehe 59. LUST: Die Frauenmoral, 60. LUST: Die Männermoral).

Wie drückt sich das in den Kontaktanzeigen aus? Will ein Mann, der zum Beispiel "keine Eitagsfliegen" sucht, eine Beziehung oder argumentiert er nur zeitgeistgemäß, um bei den anderen anzukommen? Die ersehnte große Liebe, fließt sie aus Gründen des gebremsten Schaums derart schwärmerisch in die Anzeigentexte und stehen dahinter vielleicht fleischliche Signalgeber, die sich in dieser Form in die Zeilen ergießen? Man kann den Zustand der Liebe nicht durch Anzeigen und auch nicht auf anderen Wegen anstreben oder herstellen. Sie stellt sich zumeist dann ein, wenn man den/die andere(n) für begehrenswert und für nahezu unerreichbar hält, aber nur nahezu.
 
Wie beeinflusst der Zeitgeist die Anzeigentexte?
Ich habe es ja schon angedeutet. Es kommt zu Missverständnissen dann, wenn einige InserentInnen im für sie hergebrachten Stil kommunizieren wollen, andere dies entsprechend dem Zeitgeistcode werten.

Als Beispiel: Ich erzählte am Infostand der ROSA LÜSTE einer Interessierten, dass es bei uns InserentInnen gibt, die seit Jahren in der LUST Anzeigen schalten. Das halte ich für einen Beleg dafür, dass für sie dies zufriedenstellende Ergebnissen führte, zumal diese Anzeigen ja bisher Geld kostten. Ihre Antwort: dann hat es aber nichts genutzt, wenn sie immer noch suchen.
 
Sie hat also das interessante wilde Leben der Schwulenszene mit ihren Beziehungsvorstellungen vermengt, Kontakt- mit einer Beziehungsanzeigen verwechselt, denn in der LUST werden unter "Kontakte" beide Anzeigensorten platziert. Eine Kontaktanzeige ist auch ehrlicher, denn einerseits gibt es InsrenInnen, die Kontakte suchen, wer andererseits Beziehungen, möglichst noch lebenslange, sucht, braucht dazu erst einmal den Kontakt. Die Beziehungsgarantie kann niemand geben. Und da man mittels Kontaktanzeigen früher, in der Vorehezeit, tatsächlich Kontakte suchte, stand hinter deutlich erkennbaren Kontaktwünschen in der Regel nicht unbedingt der Beziehungsversuch.

So also beeinflusst der Zeitgeist die Texte: es geht tatsächlich heutzutage mehr um Beziehungen, es ging früher mehr um Kontakte. Das schloss früher nicht aus, dass sich über die Sexkontakte Beziehungen anbahnten. Und das schließt heute nicht aus, dass zumindest ein gutes Sexerlebnis aus der Beziehungssuche werden kann. Und ist das denn gar nichts?

Als Beispiel lässt sich vielleicht auch folgende Begebenheit anführen. Jemand, bei einer Veranstaltung in unserer Gruppe ROSA LÜSTE kommt, an der Quelle sitzend, wie er meint, auf die Idee, eine Anzeige in der LUST aufzugeben. Nur fällt ihm nichts ein, und er bittet mich um Formulierungshilfe. Sie soll ankommen, die Anzeige.
 
Aber, ich bin nicht du, sage ich ihm, ich kann also von mir nichts angeben, und vor allem weiß ich nicht wen/was Du suchst. Du suchst jemanden für Sex oder für Beziehung? Und wie soll er sein, wenn er mit Dir eine Beziehung haben soll? Soll er zum Beispiel mit Dir musizieren?
 
"Ich suche nicht den Mann, der denselben musikalischen Geschmack hat, denn ich suche ihn auch nicht zum gemeinsamen Musizieren." Also du willst mit ihm ins Bett. Klar. Schreib das doch! Und auch weitere Angaben wir Haarfarbe ... "Ich will auch nicht so direkt schreiben, dass mir im Bett so ziemlich egal ist, welche Haarfarbe er hat." Warum suchst Du denn nun jemanden über Kontaktanzeige? "Weils mir im Park zu kalt ist". Schreiben wir das in Deine Anzeige? "Das finde ich ekelhaft!"
 
Warum denn? Es ist doch die Wahrheit? "Weil es so direkt klingt!" Was Du willst, ist doch direkter als eine Beziehung. "Auf jeden Fall will ich keinen solchen Psychopaten, den man nicht mehr loskriegt." Du suchst doch Typen, die möglichst jung sind, so 17/18 Jahre oder jünger? "Na ja also so einen Greis von 35, mit dem könnte ich nichts anfangen. Das wäre einfach ekelhaft" Und wie alt bist Du? "Na; 21, das weißt du doch!. Und dann soll er nicht fett sein."
 
Also, da schreibe ich, dass er schlank sein soll. Dann lese ich Dir mal vor, was Du mir gesagt hast:
"Ich suche nicht den Mann, der den selben musikalischen Geschmack hat, denn ich suche ihn auch nicht zum gemeinsamen Musizieren. Ich will auch nicht so direkt schreiben, dass mir im Bett so ziemlich egal ist, welche Haarfarbe er hat. Ich suche auf diesen Weg jemanden, weils mir im Park zu kalt ist. Diese Anzeige finde ich ekelhaft, weil sie so direkt klingt. Auf jeden Fall suche ich keinen solchen Psychopaten, den man nicht mehr loskriegt. Du solltest nicht älter als 20 sein, ich selbst bin 21. Schlank solltest Du auch sein." CHIFFRE XXX

"So was kann man doch nicht schreiben!" meinte er. Wollen wir sie nicht zur Probe mal reinsetzen? Niemand weiß, das Du das bist, und vielleicht wird Deine Offenheit belohnt und Du bekommst Antwort. "Na gut, aber nur, wenn ich noch eine schreiben kann, die ich formuliere." Einverstanden.

"Ich, 22, lange Haare, 1,90 m, blond, blauäugig, suche dich, schlank, gutausehend, bis 30, für alles, was Spaß macht." CHIFFRE XXX

Über das Alter gab es noch eine Diskussion zwischen uns. Er wollte dann doch nicht formulieren, dass sein Wunschpartner möglichst 17 sein sollte. In der Anzeige, die er selbst aufgeben wollte, stand "bis 30", weil er nicht "wie so ein Pädo" wirken wollte.
 
Und sein eigenes Alter sollte dann, so wollte er es, in der anderen Anzeige, in der ich seine Aussagen zusammengefasst hatte, möglichst nach oben gedrückt werden. Auf die von mir zusammengestellte Anzeige bekam er nur eine Antwort, die er aber nicht beantwortete, um sich so nicht zu outen. Auf die andere Anzeige bekam er aber auch nur 3 Antworten, wahrscheinlich, weil solche nichtssagenden Anzeigen gegenwärtig die Masse der Anzeigen auf dem Markt darstellen.

Ehrlichkeit und Codes
Wie sieht es mit der Ehrlichkeit in den Anzeigen aus?

Eine Zeitlang tauchten in den Anzegen "kein BBB" auf. Das begann, als der bewegte schwule Mann (die Bewegungsschwester) in seinem alternativen Outfit mit Jeans oder Latzhosen (Bart, Brille, Bauch), rotweingewöhnt und diskussionserprobt, vom Rolextragenden Gay-Manager in Designer-Kleidung abgelöst wurde, das Champagnerglas in der Hand, der seine Zeit nicht in Diskussionskneipen, sondern im Fitnessstudion verbringt.
 
Heute sind die wirtschaftlich Erfolgreichen die Meinungsführer der Szene, waren es oftmals früher im Grunde aber auch schon, nur nicht so offen und derart ekelhaft Geld-exhibitionistisch. BBB löste das "gesund" ab, das bei Beginn der Aids-Katastrophe durch die Anzeigen geisterte und siganlisieren sollte: "Ich habe kein Aids und du sollst es auch nicht haben, denn ich will ohne Pariser arbeiten!" Die LUST druckten solche Anzeigen nicht ab, weil unter dem Vorhandensein von Aids solche Illusionen, dass man sich auf solche Angaben verlassen könnte, lebensgefährlich sein können. Nach einiger Zeit zogen einige anderen Blätter gleich.

"Bi und Tunten zwecklos", das liest man noch manchmal. "Bi" signalisiert ja nicht nur, dass der/die andere sowohl Frauen wie Männer für erotisch hält. Es signalisiert auch, dass das von der Gesellschaft über tausend Signale geförderte und abgesicherte Hetenmodell für die Bi-Leute oftmals doch in brenzlichen Situationen eine Rückzugsmöglichkeit bietet. Das ist nicht nur in der Ehefrage so, sondern auch in vielen anderen Bereichen, zum Beispiel bei Spielfilmen. Lesben und Schwule müssen übersetzen, sich in den Mann oder die Frau einfühlen, um erotische Szenen nachfühlen zu können, für Bis ist es ein Teil ihrer Identität, und zwar der gesellschftlich geförderte, der Offizielle.
 
Das kann für Lesben und Schwule in Beziehungen mit ihnen zu Verletzungen führen. Aber jede Beziehungen führt auch zu Verletzungen, und man kann diesen Situationen nicht dadurch entgehen, dass man kategorisch ganze Menschengruppen ausschließt.
Und wer ehrlicherweise überwiegend Kontakte sucht, der braucht des Genusses dieser erotischen Begegnung nicht entsagen. Aber "Bi zwecklos" in einer Anzeige führt bei interessierten Bis nur dazu, dass sie diesen Aspekt ihrer Identität vor uns verbergen.

Tunten, das sind Schwule, die nicht die lächerliche Rolle des Machos spielen, sondern die sich teilweise oder ausschließlich mit femnimer Gestik, Mimik usw. zeigen. Sie sind gelegentlich das Agressionsobjekt der Schwulenschläger und der Macho-Schwulen. Ich habe jugendliche Tunten kennengelernt, die große Erfolge mit der feminimen Koketterie hatten, und die in späteren Jahren große Erfolge in Lederkluft und mit Macho-Gehabe aufwiesen. Manche Frauen ärgern sich über Tunten, weil diese, wie sie meinen, ihre Verhaltensweisen karrikieren würden. Aus meiner Sicht ist das deutliche Machoverhalten durch einen Mann und das deutliche Tuntenverhalten durch eine Frau durchaus auch eine Karrikatur der anerzogenen Verhaltensrollen.

Es gibt verschiedene Motive, mit Tunten keinen Kontakt haben zu wollen. Vielleicht ist man selbst eher feminim und sucht in Anlehnung an das Hetenmodell als Pendant einen herben Mann. Erfahrungsgemäß ist dies aber nicht der Grund, weshalb viele Schwule "Tunten" nicht mögen. Mit einer Tunte in der Öffentlichkeit aufzutreten, das demonstriert den Heten, dass der andere auch schwul sein muss, auch wenn er "ganz normal" aussieht.
 
Manche halten die allen Männern mehr oder weniger andressierte maskuline Verhaltensrolle für naturgegeben, und deshalb glauben sie in sexistischer Diskriminierung, dass feminime Verhaltensweisen bei Männern unnatürlich seien. Unnormal sind sie es ja, weil dies der vorgegebenen Norm widerspricht. Und wie bei primitiven Stammtisch-Moral-Menschen, fühlen sich viele Leute aufgerufen, Normenbrecher zu verurteilen, zu diskriminieren, sie fertigzumachen und mit großem Gebrüll niederzulachen usw. So kommen sie sich stärker vor, haben LacherInnen auf ihrer Seite, die schweigende Mehrheit der Bild-LeserInnen im Rücken und gedemütigte Menschen vor bzw. unter sich.

Jungen Tunten sieht man das Tuntigsein gerne noch nach, eben weil jungens Fleisch derart reizvoll ist, dass man solche kleinen Macken großzügig übersieht. Älter gewordene Tunten sind aber auch in der Szene Agressionsobjekte, denn sie unterstehen einer doppelten Diskriminierung, die sich in dieser Kombination noch potenziert. Wer "Tunten zwecklos" schreibt, ist für mich einer, dem ich nicht antworte. Nicht deshalb, weil ich nun tuntig sei. Ich habe es früher mal versucht und nicht überzeugend hingebracht. Sondern weil er wenig reflektiert und deshalb für mich intellektuell zu anspruchslos ist, und weil er ganze Menschengruppen auf diskriminierende Weise ausschließt, was nahelegt, dass er als Schwuler fähig ist, andere Minderheiten zu diskriminieren.

Einmal las ich in einer Anzeige, dass jemand einen Mann sucht, der nicht im Bett aussehen solle, wie ein Brathähnchen. Da nun ein Mann nie aussieht wie ein Brathähnchen, habe ich überlegt, was er meinen könnte. Ich habe mich im Spiegel ganz genau angeschaut und keine Ähnlichkeit erkannt. Oder doch? Vielleicht mein Bäuchlein? Vielleicht meine weiße nicht solariumgebräunte Hautfarbe? Oder meint er die aus dem Urlaub zurückkehrenden gegrillten Leute? Ich war tatsächlich eine Zeitlang ein wenig verunsichert, ob jemand meinen könnte, ich sähe aus wie ein Brathähnchen.

Liebe Leute, schreibt doch bitte lieber in Eure Anzeigen, wen oder was Ihr sucht, statt was Ihr nicht sucht. Das hätte auch den Effekt, dass Ihr niemenden verunsichert und nicht diskriminierend werdet. Statt "Tunten zwecklos" könnte man ja zum Beispiel schreiben, dass man an einen Machotyp oder Neanderthaler sucht. Und statt "Bi zwecklos" vielleicht, dass ihr eine Frau sucht, die zu ihrem Lesbischsein auch öffentlich steht, oder einen Mann, der öffentlich zur schwulen Freundschaft mit Euch stehen kann.
 
Was tut sich auf dem Anzeigemarkt?
Anzeigen suggerieren, man könne hier wie im Supermarkt das beste Arrangement möglichs preiswert einkaufen. Sie sind Ausdruck der mangelnden Kommunikationsmöglichkeiten und -fähigkeiten und vielleicht auch Mitverursacher, weil sie den LeserInnen suggerieren, man müsse hier nur genug suchen, um das richtige Deckelchen für ihr Töpfchen zu finden. Den Anzeigenschlaltenden suggerieren sie, man müsse nur genügend gut formulieren, um für ihre Deckelchen eine Töpfchenöffnung zu finden.

Tja, und wenn es modisch wäre, dass überwiegend nur Mobbelchen für attraktiv gehalten würden, wofür es in der Geschichte und in der Völkerkunde Beispiele gibt, dann könnte jemand, der schlank ist, noch so raffiniert für sich werben, die Chancen wären nicht besonders gut. Das wäre aber nur dann möglich, wenn die meisten Menschen Probleme mit ihrer Magerkeit hätten. Und da in Wirklichkeit die meisten Menschen Probleme mit ihrem Gewicht haben, ist die Lage eben so, wie sie ist.

Als ein neuer aufgehender Stern im kommerziellen Blätterwald der kostenlosen bunten Blättchen entstand, da warb dieser damit, dass ja soundsoviel Kontaltanzeigen belegen würden, dieses Blatt sei von der Szene angenommen. Mich wunderte, wo in der ersten Ausgabe dieses Blattes die Anzeigen herkamen. Das war bei uns ganz anders. Einige Anzeigen gaben Leute aus unserer Gruppe und NUMMER-MiarbeiterInnen (NUMMER ist die Vorgängerin der LUST, von uns herausgegeben) auf. Nach und nach wurden diese Seiten stärker frequentiert.

Eine dieser (heterosexuellen) St.-Pauli-Postillen versuchte, ein bundesweites schwules Kontaktanzeigenblättchen durch Werbung unserer Lokale zu finanzieren. Es ist bei diesen Kontaktanzeigen ein Markt entstanden, und dieser Markt wirkt auf unterschiedliche Weise.
1. Wie ich schon angab, dient die Zählung von Anzeigen der Erfolgausweisung im Sinne von Verbundenheit zu den LeserInnen der Zeitschrift oder der Internet-Seiten.
2. Aus den aufgegebenen Kontaktanzeigen werden LeserInnenanalysen ermittelt. Die LeserInnen werden nach Geschlecht, Alter, Kaufkraft usw. sortiert.
3. Kontaktanzeigen sind Lesestoff, für den weder AutorInnen gewonnen und gegebenenfalls bezahlt werden müssen, für den auch nicht recherchiert werden muss, der dennoch beliebt ist. Diese Seiten sind also für den Verlag preiswerter als andere Seiten.

Wenn man dies alles berücksichtigt, braucht man sich über die Zustände im Kontaktanzeigenmarkt nicht zu wundern. Kontaktanzeigen sind preiswerter Lesestoff. Die KäuferInnen von Zeitschriften stören sich nicht an diesen Seiten, sehen sie nicht als Verschwendung an, auch wenn sie momentan niemanden suchen. Sie tragen zum Zufriedenheitsgefühl bei, weil Kontaktanzeigen alleine schon aufgrund ihres Vorhandenseins das beruhigende Gefühl vermitteln, dass man in seiner Einsamkeit nicht zu verzweifeln braucht. Man könnte ja, wenn man nur wolle, eine Anzeige aufgeben oder auf Anzeigen reagieren. Man tut es nur nicht, weil es immer noch ein bisschen anrüchig ist, zuzugeben, dass man sich über eine Kontaktanzeige gefunden hat. (Joachim Schönert)
 
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