61. LUST, August/September 00
Wir und die Medien
von Joachim Schönert
Lesben und Schwule erscheinen in Printmedien, Filmen, im Internet und in unseren eigenen Medien. Wer oder was sind wir im Bild dieser Medien? Sind unsere eigenen Medien eine Alternative?
 
Was erwarten wir von den Medien?
Ob es morgen regnet oder ich gewagt angezogen (beziehungsweise ausgezogen) am CSD teilnehmen kann, das möchte ich aus den Medien wissen. Überhaupt will ich wissen, ob und wann irgendwo ein CSD stattfindet. Dies sind aktuelle Informationen. Was überhaupt der CSD ist, interessiert mich vielleicht, einige wollen vielleicht etwas über den Ursprung wissen. Das sind Hintergrundinformationen. Ob die prominente Lilo Wanders anwesend sein wird, gehört nur zum Teil zu den Infomationen, gehört zum anderen Teil zur Unterhaltung.
 
„Berichte” darüber, was für ein Mensch sie sei, das alles gehört nicht zu den Informationen, sondern zu den Personalities, einer Unterform der Unterhaltung. Man könnte „Personalities” auch „Klatsch” nennen. Ob ich irgendwo die Frau fürs Leben oder den Mann für die Nacht finden kann, hängt damit zusammen, wie groß (und teuer) die Werbungsanzeige ist, die der entsprechende Betrieb schaltet. Dazu erwarten die Betriebe in Werbeblättern nämlich noch freundliche Erwähnung im redaktionellen Teil. Das nennt man „versteckte Werbung” oder Promotion. Der redaktionelle Inhalt in den Werbeblättern setzt sich nahezu ausschließlich aus Promotion zusammen.
 
Die Medien als Informationsquelle
Früher informierten sich die Menschen tatsächlich überwiegend über den Klatsch. Der Klatsch über Menschen hat aber auch noch heute diese Funktion. Im Klatsch sind nicht nur Informationen, sondern auch Urteile verborgen. Menschen werden im Klatsch auf- oder abgewertet. Und welche „Werte” den Maßstab der Auf- oder Abwertung darstellen, das entscheiden die MeinungsführerInnen, die damit Macht über Menschen ausüben können.
 
Im Tratsch erhält man tatsächlich weniger Informationen, sondern eher Urteile von Menschen (gemäß deren Interessen nach eigener Anerkennung) über andere abwesende Menschen. Tratsch und Klatsch fand innerhalb der funktionierenden Sozialstrukturen statt und war Orientierungshilfe und auch soziale Kontrolle. Heute gibt es kaum mehr funktionierende Sozialstrukturen, daher erwartet man das Befriedigen dieser sozialen Bedürfnisse verstärkt auch von den Medien.

Viele Menschen verwechseln infolgedessen Tratsch mit Nachrichten, verwechseln also Kommentar mit Nachricht. Der Tratsch wird immer für ein wenig glaubwürdig gehalten.

Und wenn in der Meute feixender Jugendlicher ein Mädchen als Lesbe, ein Junge als Schwuler verdächtigt wird, dann kann das zu einem sogenannten Spießrutenlauf für die Betreffenden führen, besonders wenn die Verdächtigung zutreffend ist. Diese Verdächtigungen werden gegenüber jedem und jede erhoben, weil unter Jugendlichen Rangordnungskämpfe stattfinden, nur die Lesben und Schwulen haben dann keine Möglichkeiten sich mit gleicher Münze zu wehren.
 
Deshalb trifft es sie. Die Beschuldigung ist manchmal derart, dass dieser Mensch dann auch noch moralisch verurteilt wird. Tratsch vermengt sich nämlich mit eigenen Werturteilen und Vorurteilen. „Ich habe zwar nichts gegen Schwule, aber der da ...” und dann kommen Beschuldigungen, weshalb man diesem konkreten Schwulen nicht beistehen soll. “Es gibt so nette lesbische Frauen, aber die da ...”, auch hier geht es darum, mit HomogegnerInnen mitzufühlen.
 
Gleichzeitig wird hier ausgesagt, wie Lesben und Schwule zu sein haben, damit man sie zumindest nicht verfolgen sollte. Ein zuhörender unerkannter junger Schwuler, eine zuhörende junge Lesbe, sie lernen daraus, wie sie zu sein haben, wenn sie schon schwul bzw. lesbisch sind.

Wenn nun ein schwuler Jugendlicher oder eine lesbische Mitschülerin zwar zu ihrer Homosexualität stehen wollen, dann wollen sie andererseits nicht so gesehen werden, wie das durch die vorurteilbehafteten Menschen geschieht. Doch wer Vorurteile, Vorbehalte und Tratsch um sich verbreitet, ist nicht daran interessiert, aufgeklärt zu werden, sie/er möchte eher bewundert werden. Das Gemeine daran ist, dass selbst die vorurteilsbehafteten Urteile einen wahren Kern besitzen, aber dass dieser wahre Kern schlechtgemacht, negativ eingeordnet, abgewertet wird.

Man kann sich nicht gegen Vorurteile wehren. Aber man kann Leuten, die mit Tratsch über andere um Sympatie werben, mitteilen, dass man den tratschenden Mensch vielleicht irgendwie für interessant hält, leider aber wegen seines Tratsches kein Interesse an ihm haben kann, schon aus Selbstschutz heraus. Wer mir gegenüber etwas Herabsetzendes von anderen erzählt, wird anderen gegenüber auch über mich tratschen.

Der Ziehbrunnen in der Dorfmitte ist aus der Mode gekommen, der Friseur will sich auch nicht mehr unbedingt unbeliebt machen, es bleibt die Kneipe für solche Arten der Kommunikation. Und es kommen gewisse Medien dazu.

Die Erwartungshaltung an Medien hat sich geändert. Während man früher an Aufklärung interessiert war, ist man heutzutage an obeflächlichen Bestätigen von Vorurteilen interessiert. Pädagogisches findet man ärgerlich, Hintergrundinformation zu wenige unterhaltend. Gleichzeitig wollen die LeserInnen, Zuhörer- und ZuschauerInnen aber bestätigt haben, dass sie gebildet und intelligent seien. Der Klatsch muss Nachricht genannt werden, Unterhaltung wird als Information ausgegeben. Nennt man die Sachen so, wie sie sind, fühlen sich die Ertappten beleidigt.

Wenige wollen wirkliche Informationen mit einigem Anspruch. An diese Wenigen richten wir von der LUST uns. Insofern haben wir unsere wirtschaftliche Erfolglosigkeit schon einprogrammiert.

Die Medien haben um sich die Illusion verbreitet, sie könnten all unsere Unterhaltungs- und Informationsbedürfnisse befriedigen. Und tatsächlich: unsere Informationen stammen überwiegend aus den Medien und eben vom Hörensagen.

Das Fernsehen hat unter den Medien die größte Bedeutung bekommen. Es erweckt den Anschein, am aktuellsten zu sein.
Gebildetere Menschen geben sich nicht mit der schnellen Sensationsberichterstattung zufrieden, sondern sie wünschen sich Hintergrundinformationen. Dafür müssen sie aber selbst tätig werden und Geld ausgeben. Die kostenlosen werbungsfinanzierten Blätter und die werbungsfinanzierten Fernsehprogramme können nicht so konzeptioniert sein, seriöse Hintergrundinformationen zu liefern, sie wecken aber den Anschein. Seriöse Information kostet mehr, als es durch Werbung finanziert wird. Versteckte Werbung dominiert die Artikel im Gegensatz zur kritischen Analyse der Verhältnisse. Die scheinbar kritischen Artikel bieten als Lösung Scheinlösungen: zum Beispiel den Kauf eines beworbenen Artikels, den Besuch eines Freizeitangebotes oder Ähnliches.

Das heißt aber nicht, dass die verkauften Medien ganz objektiv sein können, denn sie müssen die kaufenden LeserInnengruppe im Auge behalten. Außerdem benötigen sie ja auch Werbekunden, gegen deren Interessen man sich richten darf.
 
Medien als politische Instrumente
Als männliche Homosexualität nicht mehr generell verboten wurde, besonders aber als die Sexrevolte die Gedanken sprudeln ließ, entstanden eine Reihe von Bewegungsblättern, die im noch leeren Medien-Raum unserer Szene unterschiedliche Aufgaben erfüllten, Informationen sammelten und verbreiteten usw. Sie hatten meistens einen politischen Anspruch, wollten die BesucherInnen der Lokale ermutigen, zu ihren Neigungen zu stehen, an ihrer Homosexualität nicht mehr zu verzweifeln oder zu leiden, sondern höchstens an der Untoleranz unserer GegnerInnen zu leiden, aber nicht zu verzweifeln, sondern sich zu wehren.
 
Diese neu entstehenden Medien wurden zumeist unterstütz von den ortsansässigen Wirten, die nicht immer einen leichten Stand gegenüber Ordnungsämtern und anderen Behörden hatten. Nach und nach verdrängten aber solche Medien unserer Szene die engagierten Blätter, die keinen politischen, sondern eher wirtschaftliche Interessen verfolgen und deshalb viel besser, weil politisch unbedachter, auf die Interessen der Leute eingehen konnten, von denen sie Geld verdienen können. Den GeldgeberInnen nach dem Mund zu reden (ob es nun die InserentInnen oder die KäuferInnen sind), hilft dem wirtschaftlichen Erfolg, gefällt den Gebauchpinselten, garantiert aber kein sachliches inhaltliches Aufarbeiten der Informationen.

Medien sind in der Marktwirtschaft im wesentlichen wirtschaftliche Instrumente und deshalb im wesentlichen daran interessiert, möglichst hohe Gewinne zu realisieren. Politik und gesellschaftspolitische Aufklärung kann nur erfolgen, wenn dadurch mit höheren Gewinnen zu rechnen ist. Wird zum Beispiel ein politischer Skandal aufgedeckt, dann sind bei Kaufzeitschriften höhere verkaufte Auflagen zu erwarten, was es ermöglicht, mehr Geld für die Anzeigen zu nehmen.
 
Politische Aufklärung, die nicht den Zeitgeist trifft und zu keinen höheren Verkaufszahlen führt, von den Unterhaltungssüchtigen vielleicht sogar als langweilig angesehen werden, kann nicht veröffentlicht werden. Das sind die harten Gesetze marktwirtschaftlich ausgerichteter Medien. Hier ist klar, der Verleger bestimmt die “Coleur”, denn diese hat eine Schlüsselfunktion im wirtschaftlichen Erfolg. Natürlich gibt es politische Printmedien, aber die werden dann aus politischen Gründen von irgendjemanden finanziert, beispielsweise Organe von Verbänden und Parteien.

Die wirklichen politischen Medien-Auseinandersetzungen finden um die öffentlich-rechtlichen Medien statt. Die wurden nach dem 2. Weltkrieg eingerichtet, um zu verhindern, dass große Kapitalgruppen (wie zum Beispiel die wirtschaftsgesteuerte und daher damals schon rechtslastige Hugenbergpresse) oder staatliche bezw. staatlich zensierte Medien die Bevölkerung bis hin zum Völkermord verhetzen. Wenn es wirtschaftspolitisch in den Kram passte, konnte man die Juden für alle wirtschaftlichen Probleme verantwortlich machen und so von den eigenen Riesenprofiten ablenken.
 
Behinderte waren aufgrund ihrer angeblich gigantischen Kosten an der Staatsverschuldung schuldig, und Abtreibung wie Homosexualität wurden bekämpft, damit genügend Soldaten usw. zur Verfügung standen und weil man damit generell moralischen Druck ausüben konnte, alle sexuellen Bedürfnisse in das kirchlich/staatliche Ehe-Korsett zu führen. Das führte bis hin zu den Konzentrationslagern und war im Grunde nur die konsequente Weiterführung der wirtschaftlichen Gewinninteressen.

Die öffenlich-rechtlichen Medien nun können auf dieser direkten Weise nicht von den wirtschaftlichen Gewinninteressen gesteuert werden. Sie haben gesetzlich eine Grundversorgung an neutraler Information zu bringen. Die Rundfunkgebühren durch die ZuschauerInnen und ZuhöhrereInnen sollen wie bei einer verkauften Zeitschrift verhindern, dass über die Finanzierung politischer Druck ausgeübt werden kann. Der Rundfunkrat soll die Kontrolle ausüben, um die Neutralität zu garantieren. Er soll so zussammensetzt sein, dass alle wichtigen gesellschaftlichen Gruppen Einfluss ausüben können. Die Kirchen, Wohlfahrtverbände, Arbeitgeber- und Arbietnehmerorganisationen sowie auch die Parteien sind in ihm vertreten.

Die CDU, so zeigte es sich seit 1949, ist an solchen unabhängigen Medien nicht interessiert. Sie setzt auf die wirtschaftsgesteuerten bzw. werbungsabhängigen Medien und behauptet, dass in den öffentlich- rechtlichen Medien die Wirtschaft und die CDU diskriminiert würden. Das Kampfwort “Rotfunk” über die Öffentlich-Rechtlichen soll die Privatisierung der Medien vorantreiben. Andererseits bemühen sie sich gleichzeitig, in den öffentlichen Medien möglichst viel Einfluss in den Rundfunkräten zu bekommen. So sollen nahezu alle VerbändevertreterInnen im Bayerischen Rundfunkrat Mitglied der CSU sein. Auch die gegenwärtige hessische CDU-FDP-Landesregierung unter Koch will zum Beispiel in Hessen die Zusammensetzung des Rundfunkrates ändern, unter der Begründung, dass die kritische Berichterstattung über die Parteispendenaffäre in Hessen eine einseitige Parteinahme gegen die CDU sei. Das belegt folgende Meldung vom 15.05.00:
CDU gegen “Rotfunk”
Für die regierende CDU ist der Hessische Rundfunk ein “Rotfunk”, den man schleifen muß. Vor allem in der CDU-Spendenaffäre “habe der Sender sich eindeutig gegen die CDU geäußert”, erklärte noch unlängst der Chef der Staatskanzlei, Franz Josef Jung. Am Mittwoch nun legt legte Jung ein neues Mediengesetz dem Landtag vor (wurde am Dienstag, 4.07.00 mit der Landtagsmehrheit von CDU und FDP verabschiedet, LUST). Hauptanliegen der CDU: eine Reform der Rundfunkräte im öffentlich rechtlichen Hessischen Rundfunk. Nach dem Willen der CDU soll der Rundfunkrat um 8 Personen erweitert werden. Darunter Vertreter des Bundes der Vertriebenen, der Handwerkskammer und des Landessportbundes. Sie sollen zukünftig in dem auf 25 Mitglieder erweitertem Gremium Sitz und Stimme haben.
“Alles vereine, die der CDU nahestehen”, wetterte promt SPD-Oppositionsführer Arin Clauss. Reaktionäre Verbände rein, Gewerkschaften raus: Im Gegenzug sollen sich zukünftig der DGB, die IG Medien und die Gerewrkschaft Erziehung und Wissenschaft eine Stimme teilen. (...) Till Meyer, Frankfurt am Main
 
Da in unserer Szene die politschen Bewegungszeitschriften von den kommerziellen Blättern verdrängt wurden, da es aus wirtschftlichen Gründen nötig erscheint, eine strahlende schöne Szenen-Welt anstelle des lesbisch-schwulen Lebensalltags zu setzen, da die kurzen amüsanten News einer Aufarbeitung von Hintergründen im Wege stehen, kann man bis auf wenige Ausnahmen von politischen Medien unserer Szene nicht mehr reden. Wenn politisch, dann im Sinne einer Politik des Scheins statt des Seins, der Gleichstellung, besser gesagt der Anpasung, statt der Emanzipation.

(Enazipation: die Befreiung von Individuen oder sozialen Gruppen aus rechtlicher, politisch-sozialer geistiger oder psychischer Abhängigkeit bei ihrer gleichzeitigen Erlangung von Mündigkeit und Selbstbestimmung; wichtigstes politisches Ziel der Demokratie. In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte sich ein erweitertes Verständnis von Emanzipation als individuelle Fähigkeit zur kritischen Urteilsbildung und relativ eigenverantwortliche Lebensgestaltung gegenüber Staat und Gesellschaft durch. Das betrifft u.a. die Stellung der Jugendlichen in Familie und Ausbildung, die Minderheitenproblematik sowie verstärkt die reale Gleichstellung der Frauen.) Meyers großes Taschenlexikon in 24 Bänden, Band 6 Seite 124, Mannheim 1992.
 
Medien als wirtschaftliche Unternehmungen
Die Zeitschrift LUST entstand aus dem Wunsch, an den gesellschaftspolitischen Prozessen gestaltend teilzunehmen, Sie entstand nicht aus wirtschaftlichen Motiven. Im Gegenteil steckten wir Lüstlinge viel Zeit und Geld in dieses Projekt. Unser ganzes privates Leben ist und war in seinem Ablauf danach ausgerichtet. Wir verstanden uns als Organ der ganzen Szene, halfen zum Beispiel den Wirten so gut wir konnten, um den emanzipativen Ansatz auch als Teil der ganzen Szene verteidigen zu können. Das führte letztlich zu so viel finantiellen Verlusten, dass es einfach so nicht mehr ging. Außerdem ließ die Lust zunehmend nach, an der LUST zu arbeiten, da es, um Werbung zu erhalten, immer notwendiger wurde, die flachen Beiträge mit kaum versteckter Werbung zu veröffentlichen, statt die Finger auf schlimme Stellen legen zu können.

Die frühe LUST (seit 1989) und Ihre VorgängerInnen die NUMMER (1974 - 1988) sowie das IHM-Info (1969 - 1974) gehörten zu den engagierten und äußerlich wenig aufwendig gemachten Blättern der Szene, die es nun eigentlich nicht mehr gibt. Wir halfen uns gegenseitig, tauschten Artikel und Meldungen untereinander aus, indem wir uns gegenseitig pauschal erlaubten, alles gegenseitig für den gleichen inhaltlichen Zweck zu verwenden: gesellschaftliche Emanzipation unserer Szene und persönliche Emanzipation unserer Leute gegenüber der Kirche mit ihrer Schuldgefühlerzeugung und gegenüber dem Staat mit seiner Gesetzgebung (§175 StGB usw.) sowie den konservativen verhetzten Menschen in der Gesellschaft. D
as machen wir mit unserer jetzigen LUST relativ alleine weiter.
Und nun erreichte uns ein Schreiben der bundesweiten Werbungsfinanzierten Zeitung QUEER (vormals rosa Zone), in dem der Vorstand der AG sich rechtfertigte, wieso es zum Ausschluss aus der „Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V.” (IVW) gekommen sei. Man habe irrtümlich die höheren aktuellen Auflagezahlen schriftlich angegeben als die niedrigern geprüften vom letzten Quartal. Dies sei von den Prüfern unbeanstandet geblieben, aber durch mehrfaches Anschwärzen aus Mitbewerberkreisen sei es zu diesem Ausschluss gekommen.

„Ein Tipp für unsere Mitbewerber, von denen zahlreiche - sicher ebenso ungewollt wie wir - bis zum heutigen Tag gegen die IWF-Richtlinien verstoßen: In den (...) Mediadaten der “GAB” wird beispielswseise mit einer “IVW-geprüften Auflage von 25.000 Stück” geworben. Nach den IVW-Richtlinien muss “Auflage” jedoch immer in “Druckauflage” oder “verbreitete Auflage” spezifiziert werden. Im Impressum der April-Ausgabe des “Gegenpol” fehlt der Hinweis, in welchem Quartal denn die genannte Druckauflage von 10.000 Exemplaren erreicht wurde - ebenfalls ein Verstoß gegen die IVW-Richtlinien.
 
Wir von QUEER allerdings schwärzen unsere Kollegen deswegen nicht gegenüber der IVW an. Wir bauen auf einen ehrlichen und fairen Wettbewerb, bei dem es um redaktionelle Qualität des Produkts und den besten Service des Verlages geht - nicht um Denuntiation, üble Unterstellungen und Anschwärzungen.” Unterzeichnet ist dieser Text von Christian Scheuß und Micha Schulze.

Dieses und andere scheußliche Dokumente gegenseitiger Zerfleischung deutet darauf hin, dass es nur noch um Marktanteile, um ein brutales Gezerre um den Werbekuchen geht. Hohnlachend berichten BOX und DOWN-TOWN über die Lage der Queer, sicher auch andere Blätter, aber es macht mir gar keinen Spaß mehr, die verschiedenen nichtssagenden Werbeblätter ausführlich zu lesen, denn es gibt kaum erkennbare Unterschiede. Und bei allem Streit wissen aufgeschlossene LeserInnen doch, es geht lediglich um Marktanteile und Gewinn, es geht schon lange nicht mehr um Emanzipation in irgendeiner Form, sondern den Gewinnvorteil gegenüber den anderen.
Offensichtlich werben die Zeitschriften bei ihren Anzeigenkunden mit Auflagenzahlen.
 
Nun ist die Auflage bei kostenlos verteilten Zeitungen, falls die Angaben überhaupt stimmen, nicht unbedingt ein Beleg dafür, ob eine geschaltete Anzeige dort auch zur Kenntnis genommen wird. Interessant ist auch, wie viele davon verteilt werden. Und dann ist wichtig, wie viele der verteilten Zeitungen in den Lokalen mitgenommen werden. Und schließlich ist in der Zeitung noch wichtig, wo die Anzeige zu finden ist, und ob die Zeitschrift überhaupt nur durchgeblättert wird oder aufmerksam gelesen. Lenken die vielen gestalterischen Elemente unruhig von den Anzeigen ab oder hilft eine schlichte Gestaltung, dass die Anzeige auch gesehen wird? Interessieren sich die Leser nur für die Kontaktanzeigen und bleibt das andere relativ unbeachtet? Bei Zeitschriften, die über den Kaufpreis (und Werbung) finanziert werden, ist die Aufrmerksamkeit für die bezahlten und eingekauften Seiten schon dadurch größer.

Stefan Enzner von homo.de im Internet, der seine Homepage für die größte in Europa hält, versendet am 20.05. eine Mail, in der er Vorwürfe der Täuschung gegen gayforum.de erhebt. Hier wird auch Wolfgang-Johannes Krause von der eurogay media AG zitiert, gayforum.de verstoße gegen die IVW-Richtlinien.

Und gayforum.de reagiert darauf mit Mail vom 15.06.00 wie folgt: “Die IVW-geprüften Nutzerzahlen bestätigen die Popularität der Seite und das schlüssige Konzept von gayforum.de:...

Der direkte Mitbewerber des Münchner Unternehmens - die eurogay media AG - wertet die Veröffentlichung dieser Zahlen als “Täuschungsversuch”. Die persönlichen - polemisch bis deftigen - Stellungahmen aller fünf Vorstandsmitglieder der eurogay media AG in einer Pressemitteilung vom 18.05.00 werden auch München nicht näher kommentiert. Die gayforum.de AG stellt lediglich fest, dass die Ermittlung der Leistung ihres Online-Mediums exakt den strengen Richtlinien des objektiven Messverfahrens der IVW entspricht. Die Einleitung rechtlicher Schritte gegen die eurogay media AG wird von der gayforum.de AG derzeit geprüft.”

Also auch im neuen Internet-Medium kämpfen die KonkurrentInnen um den Werbemarkt mit harten Bandagen gegeneinander. Auch hier geht es darum, wieviel Seiten bewegt wurden, was gar nicht aussagt, dass dort gelesen wurde, sondern nur, dass sie angeklickt wurden. Vielleicht wurde ganz schnell weitergeschaltet, weil dort gar nichts Interessantes zu finden war.

Was wissen eigentlich die LeserInnen unserer Medien über unsere Szene und über die Zusammenhänge in Leben von Lesben und Schwulen? Im wesentlichen das, was sie in unseren Medien lesen und was ihnen über Tratsch zugetragen wurde. Sie wissen also kaum etwas, glauben aber, viel zu wissen.

Dass wir so wenig über unser wirkliches Leben erfahren, dass hinter allem, was marktgerecht veröffentlicht wird, Marktinteresse zu finden ist, verwundert nur solche LeserInnen, die sich eine Illusion über Pressefreiheit in der Marktwirtschaft machen. Pressefreiheit ist nämlich die Freiheit, die Information zur Ware zu machen. Warum soll mich eigentlich das interessieren, womit andere Geld machen? Warum soll ich mich mit dem einen gegen den anderen verbünden fühlen? Allen geht es doch nur um den Marktvorteil.
 
Gibt es so etwas wie Objektivität?
Wie erscheinen wir selbst in unseren Medien? Natürlich geht es bei dieser Frage auch um das Medium selbst als Einnahmequelle für Werbebotschaften. Deshalb reisen Schwule gerne, sind an Mode und Finanzierungen interessiert, benutzen Kosmetik, Sportartikel und Fittness-Studios, haben das Alter von 25 bis 35 Jahren und immer viel Geld übrig. Lesben scheinen noch immer keine nennenswerte Käuferinnenschicht zu sein, wenn man die Beiträge der entsprechenden Medien sichtet. Und den schwulen Lesern gefällt dieses Image.
Viele KonsumentInnen der Medien unserer Szene suchen gar nichts anderes als die Ware Nachricht.
 
Oder gibt es einige, die die wahre Nachricht suchen? Was ist eigentlich eine wahre Nachricht? Dass dies schwierig zu beurteilen ist, wissen wir ja aus dem eigenen Leben. Von den Darstellungen halten wir nämlich die für wahr, die wir für wahr halten wollen. Wir halten sie für wahr, weil sie mit dem übereinstimmt, was wir schon immer darüber gedacht haben. Und ist das ein Beweis, dass es wahr ist? Manchmal fallen wir aus allen Wolken, wenn wir bemerken, dass ein Mensch, der die gleichen Worte benutzt wie wir, etwas ganz anderes darin sieht.

Nicht an allen wissenschaftlichen Erkenntnissen sind die Medien interessiert, sondern eben wiederum nur an denen, die in einem wirtschaftlichen Konzept des Mediums von irgendeiner Bedeutung sind.

Gibt es also gar keine Wahrheit? Die Beantwortung dieser Frage wäre eine philosophische Großtat. Die einen meinen, man müsse sich der einen Wahrheit nur annähern, die anderen meinen, dass es viele unterschiedlicheWahrheiten gibt. Ich selbst meine, dass im Bereich der Naturwissenschaften, wo man die Zusammenhänge nur erkennen und entdecken muss, eindeutige Aussagen als Arbeitshypothese möglich sind, die so lange gelten, bis neue Erkenntnisse das bisher für richtig Gehaltene in Frage stellen.
 
Möglicherweise kann man so auch mit den Geisteswissenschaften umgehen. Aber in die dort vertretenen (Hypo)thesen fließen einfacher als in die Naturwissenschaften ideologische, kulturelle oder religiöse Grundannahmen ein, die das Forschungsergebnis beeinflussen können, selbst wenn wir uns um Objektivität bemühen. Aber auch das Forschen in einer Naturwissenschaft kann von religiösen oder ideologischen Leitbilder beeinflusst sein, zum Beispiel die Suche nach dem schwulen Gen. Dass es das schwule und nicht das lesbische oder gemeinsam homosexuelle Gen sein muss, zeigt schon das übliche Vorurteilraster an: Männliche Homosexualität stört und wird bekämpft, weibliche Homosexualität wird ignoriert.

Wie kann man nur annehmen, dass eine solch komplexe Sache wie die erotische Faszination eines männlichen Menschens an einem anderen männlichen Menschen durch eine einzige Ursache zu erklären ist? Und wie ist das mit solchen Schwulen die dickbauchige Bären bevorzugen im Verhältnis zu den Schwulen, die jungen, nackte, schlanke Frösche suchen? Wie ist das mit denen, die gerne im Fummel gehen und mit den Ledermännern? Das alles hat mit einem abweichenden Gen zu tun?

Vielleicht will man diese Ursache nur erkennen, um sich von den Eltern möglicherweise die Wahlfreiheit bezahlen zu lassen: wollen Sie eine normale Tochter mit den Maßen 90-50-90 oder wollen Sie vielleicht einen schwulen Sohn, der sich mit Vorliebe von massigen haarigen Bären bumsen lässt? Setzen sie sich ihre privates Pussel-Spiel zusammen!

Die „Wahrheit”, so nannte sich doch ein Propaganda-Organ. „Ich will Dir mal die Wahrheit sagen”, hören wir im unfreundlichen Ton, es folgt dann irgendeine Polemik. Es kann die Wahrheit, die mancher erwartet, nicht geben, denn vielleicht ist meine Wahrheit darüber etwas anders. Was es meiner Meinung nach aber geben kann, das ist das Bemühen, einer Zielvorstellung nachzugehen. Nicht im ideologischen Sinne, indem nur das wahr ist, was mit der Ideologie übereinstimmt, sondern im forscherischen Sinne.
 
Was wollen wir LUST-MacherInnen?
Wir wollen die bessere, die emanzipiertere Gesellschaft. Wir wollen den Menschen, der mündig genug ist, sich nichts mehr von irgendwelchen Nutznießern vormachen zu lasssen, der kritisch genug ist, sich nicht einlullen zu lassen und der emanzipiert genug ist, ohne Schuldgefühle zu sich selbst und zu seinen Bedürfnissen zu stehen.

Um diesen Zielen näherzukommen, dürfen wir die Leute nicht offen und nicht versteckt belügen, sondern wir müssen versuchen, den Dingen auf den Grund zu gehen. Fehler, Konflikte und Probleme kann man angehen, wenn man sie überhaupt erkennt.

- Wir müssen die LUST-LeserInnen dazu anregen, selbst den Dingen auf den Grund gehen zu wollen.
- Wir müssen uns um Objektivität bemühen, wohl wissend, dass es sie kaum geben kann.
- Wir müssen miese Zustände ans Tageslicht zerren und Mut machen,dass es auch anders gehen kann.
- Wir müssen den Leuten auf die Nerven gehen, die darauf setzen, dass die Szene immer nur hinter ihnen hertanzt. Vor allem geht es uns um den Spielraum, den Mut und die Freiheit, kreativ andere bessere Wege zu gehen, als uns vorgeschrieben wird.
- Wir müssen genau hinschauen, wenn man uns irgendetwas als den einzigen und wahren Weg vor die Nase setzt.

Es gibt LeserInnen, die unsere Zielvorstellung teilen und die durch die LUST erfahren, dass sie nicht alleine sind. Und das Informieren über Zusammenhänge geht nicht mit einem kurzen Text und einigen erotischen bunten Bildern. Und deshalb gibt es die LUST immer noch, gerade mit ihren Bleiwüsten (und auch den Tipppfehlern). (Joachim Schönert)
 
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