- 61. LUST, August/September 00
- Wir und die Medien
von Joachim Schönert
Lesben und Schwule erscheinen in Printmedien,
Filmen, im Internet und in unseren eigenen Medien. Wer oder was
sind wir im Bild dieser Medien? Sind unsere eigenen Medien eine
Alternative?
-
- Was erwarten wir von den Medien?
Ob es morgen regnet oder ich gewagt angezogen (beziehungsweise
ausgezogen) am CSD teilnehmen kann, das möchte ich aus den
Medien wissen. Überhaupt will ich wissen, ob und wann irgendwo
ein CSD stattfindet. Dies sind aktuelle Informationen. Was überhaupt
der CSD ist, interessiert mich vielleicht, einige wollen vielleicht
etwas über den Ursprung wissen. Das sind Hintergrundinformationen.
Ob die prominente Lilo Wanders anwesend sein wird, gehört
nur zum Teil zu den Infomationen, gehört zum anderen Teil
zur Unterhaltung.
-
- Berichte darüber, was für
ein Mensch sie sei, das alles gehört nicht zu den Informationen,
sondern zu den Personalities, einer Unterform der Unterhaltung.
Man könnte Personalities auch Klatsch
nennen. Ob ich irgendwo die Frau fürs Leben oder den Mann
für die Nacht finden kann, hängt damit zusammen, wie
groß (und teuer) die Werbungsanzeige ist, die der entsprechende
Betrieb schaltet. Dazu erwarten die Betriebe in Werbeblättern
nämlich noch freundliche Erwähnung im redaktionellen
Teil. Das nennt man versteckte Werbung oder Promotion.
Der redaktionelle Inhalt in den Werbeblättern setzt sich
nahezu ausschließlich aus Promotion zusammen.
-
- Die Medien als Informationsquelle
Früher informierten sich die Menschen tatsächlich überwiegend
über den Klatsch. Der Klatsch über Menschen hat aber
auch noch heute diese Funktion. Im Klatsch sind nicht nur Informationen,
sondern auch Urteile verborgen. Menschen werden im Klatsch auf-
oder abgewertet. Und welche Werte den Maßstab
der Auf- oder Abwertung darstellen, das entscheiden die MeinungsführerInnen,
die damit Macht über Menschen ausüben können.
-
- Im Tratsch erhält man tatsächlich
weniger Informationen, sondern eher Urteile von Menschen (gemäß
deren Interessen nach eigener Anerkennung) über andere abwesende
Menschen. Tratsch und Klatsch fand innerhalb der funktionierenden
Sozialstrukturen statt und war Orientierungshilfe und auch soziale
Kontrolle. Heute gibt es kaum mehr funktionierende Sozialstrukturen,
daher erwartet man das Befriedigen dieser sozialen Bedürfnisse
verstärkt auch von den Medien.
Viele Menschen verwechseln infolgedessen Tratsch mit Nachrichten,
verwechseln also Kommentar mit Nachricht. Der Tratsch wird immer
für ein wenig glaubwürdig gehalten.
Und wenn in der Meute feixender Jugendlicher ein Mädchen
als Lesbe, ein Junge als Schwuler verdächtigt wird, dann
kann das zu einem sogenannten Spießrutenlauf für die
Betreffenden führen, besonders wenn die Verdächtigung
zutreffend ist. Diese Verdächtigungen werden gegenüber
jedem und jede erhoben, weil unter Jugendlichen Rangordnungskämpfe
stattfinden, nur die Lesben und Schwulen haben dann keine Möglichkeiten
sich mit gleicher Münze zu wehren.
-
- Deshalb trifft es sie. Die Beschuldigung
ist manchmal derart, dass dieser Mensch dann auch noch moralisch
verurteilt wird. Tratsch vermengt sich nämlich mit eigenen
Werturteilen und Vorurteilen. Ich habe zwar nichts gegen
Schwule, aber der da ... und dann kommen Beschuldigungen,
weshalb man diesem konkreten Schwulen nicht beistehen soll. Es
gibt so nette lesbische Frauen, aber die da ..., auch hier
geht es darum, mit HomogegnerInnen mitzufühlen.
-
- Gleichzeitig wird hier ausgesagt, wie Lesben
und Schwule zu sein haben, damit man sie zumindest nicht verfolgen
sollte. Ein zuhörender unerkannter junger Schwuler, eine
zuhörende junge Lesbe, sie lernen daraus, wie sie zu sein
haben, wenn sie schon schwul bzw. lesbisch sind.
Wenn nun ein schwuler Jugendlicher oder eine lesbische Mitschülerin
zwar zu ihrer Homosexualität stehen wollen, dann wollen
sie andererseits nicht so gesehen werden, wie das durch die vorurteilbehafteten
Menschen geschieht. Doch wer Vorurteile, Vorbehalte und Tratsch
um sich verbreitet, ist nicht daran interessiert, aufgeklärt
zu werden, sie/er möchte eher bewundert werden. Das Gemeine
daran ist, dass selbst die vorurteilsbehafteten Urteile einen
wahren Kern besitzen, aber dass dieser wahre Kern schlechtgemacht,
negativ eingeordnet, abgewertet wird.
Man kann sich nicht gegen Vorurteile wehren. Aber man kann Leuten,
die mit Tratsch über andere um Sympatie werben, mitteilen,
dass man den tratschenden Mensch vielleicht irgendwie für
interessant hält, leider aber wegen seines Tratsches kein
Interesse an ihm haben kann, schon aus Selbstschutz heraus. Wer
mir gegenüber etwas Herabsetzendes von anderen erzählt,
wird anderen gegenüber auch über mich tratschen.
Der Ziehbrunnen in der Dorfmitte ist aus der Mode gekommen, der
Friseur will sich auch nicht mehr unbedingt unbeliebt machen,
es bleibt die Kneipe für solche Arten der Kommunikation.
Und es kommen gewisse Medien dazu.
Die Erwartungshaltung an Medien hat sich geändert. Während
man früher an Aufklärung interessiert war, ist man
heutzutage an obeflächlichen Bestätigen von Vorurteilen
interessiert. Pädagogisches findet man ärgerlich, Hintergrundinformation
zu wenige unterhaltend. Gleichzeitig wollen die LeserInnen, Zuhörer-
und ZuschauerInnen aber bestätigt haben, dass sie gebildet
und intelligent seien. Der Klatsch muss Nachricht genannt werden,
Unterhaltung wird als Information ausgegeben. Nennt man die Sachen
so, wie sie sind, fühlen sich die Ertappten beleidigt.
Wenige wollen wirkliche Informationen mit einigem Anspruch. An
diese Wenigen richten wir von der LUST uns. Insofern haben wir
unsere wirtschaftliche Erfolglosigkeit schon einprogrammiert.
Die Medien haben um sich die Illusion verbreitet, sie könnten
all unsere Unterhaltungs- und Informationsbedürfnisse befriedigen.
Und tatsächlich: unsere Informationen stammen überwiegend
aus den Medien und eben vom Hörensagen.
Das Fernsehen hat unter den Medien die größte Bedeutung
bekommen. Es erweckt den Anschein, am aktuellsten zu sein.
Gebildetere Menschen geben sich nicht mit der schnellen Sensationsberichterstattung
zufrieden, sondern sie wünschen sich Hintergrundinformationen.
Dafür müssen sie aber selbst tätig werden und
Geld ausgeben. Die kostenlosen werbungsfinanzierten Blätter
und die werbungsfinanzierten Fernsehprogramme können nicht
so konzeptioniert sein, seriöse Hintergrundinformationen
zu liefern, sie wecken aber den Anschein. Seriöse Information
kostet mehr, als es durch Werbung finanziert wird. Versteckte
Werbung dominiert die Artikel im Gegensatz zur kritischen Analyse
der Verhältnisse. Die scheinbar kritischen Artikel bieten
als Lösung Scheinlösungen: zum Beispiel den Kauf eines
beworbenen Artikels, den Besuch eines Freizeitangebotes oder
Ähnliches.
Das heißt aber nicht, dass die verkauften Medien ganz objektiv
sein können, denn sie müssen die kaufenden LeserInnengruppe
im Auge behalten. Außerdem benötigen sie ja auch Werbekunden,
gegen deren Interessen man sich richten darf.
-
- Medien als politische Instrumente
Als männliche Homosexualität nicht mehr generell verboten
wurde, besonders aber als die Sexrevolte die Gedanken sprudeln
ließ, entstanden eine Reihe von Bewegungsblättern,
die im noch leeren Medien-Raum unserer Szene unterschiedliche
Aufgaben erfüllten, Informationen sammelten und verbreiteten
usw. Sie hatten meistens einen politischen Anspruch, wollten
die BesucherInnen der Lokale ermutigen, zu ihren Neigungen zu
stehen, an ihrer Homosexualität nicht mehr zu verzweifeln
oder zu leiden, sondern höchstens an der Untoleranz unserer
GegnerInnen zu leiden, aber nicht zu verzweifeln, sondern sich
zu wehren.
-
- Diese neu entstehenden Medien wurden zumeist
unterstütz von den ortsansässigen Wirten, die nicht
immer einen leichten Stand gegenüber Ordnungsämtern
und anderen Behörden hatten. Nach und nach verdrängten
aber solche Medien unserer Szene die engagierten Blätter,
die keinen politischen, sondern eher wirtschaftliche Interessen
verfolgen und deshalb viel besser, weil politisch unbedachter,
auf die Interessen der Leute eingehen konnten, von denen sie
Geld verdienen können. Den GeldgeberInnen nach dem Mund
zu reden (ob es nun die InserentInnen oder die KäuferInnen
sind), hilft dem wirtschaftlichen Erfolg, gefällt den Gebauchpinselten,
garantiert aber kein sachliches inhaltliches Aufarbeiten der
Informationen.
Medien sind in der Marktwirtschaft im wesentlichen wirtschaftliche
Instrumente und deshalb im wesentlichen daran interessiert, möglichst
hohe Gewinne zu realisieren. Politik und gesellschaftspolitische
Aufklärung kann nur erfolgen, wenn dadurch mit höheren
Gewinnen zu rechnen ist. Wird zum Beispiel ein politischer Skandal
aufgedeckt, dann sind bei Kaufzeitschriften höhere verkaufte
Auflagen zu erwarten, was es ermöglicht, mehr Geld für
die Anzeigen zu nehmen.
-
- Politische Aufklärung, die nicht den
Zeitgeist trifft und zu keinen höheren Verkaufszahlen führt,
von den Unterhaltungssüchtigen vielleicht sogar als langweilig
angesehen werden, kann nicht veröffentlicht werden. Das
sind die harten Gesetze marktwirtschaftlich ausgerichteter Medien.
Hier ist klar, der Verleger bestimmt die Coleur,
denn diese hat eine Schlüsselfunktion im wirtschaftlichen
Erfolg. Natürlich gibt es politische Printmedien, aber die
werden dann aus politischen Gründen von irgendjemanden finanziert,
beispielsweise Organe von Verbänden und Parteien.
Die wirklichen politischen Medien-Auseinandersetzungen finden
um die öffentlich-rechtlichen Medien statt. Die wurden nach
dem 2. Weltkrieg eingerichtet, um zu verhindern, dass große
Kapitalgruppen (wie zum Beispiel die wirtschaftsgesteuerte und
daher damals schon rechtslastige Hugenbergpresse) oder staatliche
bezw. staatlich zensierte Medien die Bevölkerung bis hin
zum Völkermord verhetzen. Wenn es wirtschaftspolitisch in
den Kram passte, konnte man die Juden für alle wirtschaftlichen
Probleme verantwortlich machen und so von den eigenen Riesenprofiten
ablenken.
-
- Behinderte waren aufgrund ihrer angeblich
gigantischen Kosten an der Staatsverschuldung schuldig, und Abtreibung
wie Homosexualität wurden bekämpft, damit genügend
Soldaten usw. zur Verfügung standen und weil man damit generell
moralischen Druck ausüben konnte, alle sexuellen Bedürfnisse
in das kirchlich/staatliche Ehe-Korsett zu führen. Das führte
bis hin zu den Konzentrationslagern und war im Grunde nur die
konsequente Weiterführung der wirtschaftlichen Gewinninteressen.
Die öffenlich-rechtlichen Medien nun können auf dieser
direkten Weise nicht von den wirtschaftlichen Gewinninteressen
gesteuert werden. Sie haben gesetzlich eine Grundversorgung an
neutraler Information zu bringen. Die Rundfunkgebühren durch
die ZuschauerInnen und ZuhöhrereInnen sollen wie bei einer
verkauften Zeitschrift verhindern, dass über die Finanzierung
politischer Druck ausgeübt werden kann. Der Rundfunkrat
soll die Kontrolle ausüben, um die Neutralität zu garantieren.
Er soll so zussammensetzt sein, dass alle wichtigen gesellschaftlichen
Gruppen Einfluss ausüben können. Die Kirchen, Wohlfahrtverbände,
Arbeitgeber- und Arbietnehmerorganisationen sowie auch die Parteien
sind in ihm vertreten.
Die CDU, so zeigte es sich seit 1949, ist an solchen unabhängigen
Medien nicht interessiert. Sie setzt auf die wirtschaftsgesteuerten
bzw. werbungsabhängigen Medien und behauptet, dass in den
öffentlich- rechtlichen Medien die Wirtschaft und die CDU
diskriminiert würden. Das Kampfwort Rotfunk
über die Öffentlich-Rechtlichen soll die Privatisierung
der Medien vorantreiben. Andererseits bemühen sie sich gleichzeitig,
in den öffentlichen Medien möglichst viel Einfluss
in den Rundfunkräten zu bekommen. So sollen nahezu alle
VerbändevertreterInnen im Bayerischen Rundfunkrat Mitglied
der CSU sein. Auch die gegenwärtige hessische CDU-FDP-Landesregierung
unter Koch will zum Beispiel in Hessen die Zusammensetzung des
Rundfunkrates ändern, unter der Begründung, dass die
kritische Berichterstattung über die Parteispendenaffäre
in Hessen eine einseitige Parteinahme gegen die CDU sei. Das
belegt folgende Meldung vom 15.05.00:
- CDU gegen Rotfunk
Für die regierende CDU ist der Hessische Rundfunk ein Rotfunk,
den man schleifen muß. Vor allem in der CDU-Spendenaffäre
habe der Sender sich eindeutig gegen die CDU geäußert,
erklärte noch unlängst der Chef der Staatskanzlei,
Franz Josef Jung. Am Mittwoch nun legt legte Jung ein neues Mediengesetz
dem Landtag vor (wurde am Dienstag, 4.07.00 mit der Landtagsmehrheit
von CDU und FDP verabschiedet, LUST). Hauptanliegen der CDU:
eine Reform der Rundfunkräte im öffentlich rechtlichen
Hessischen Rundfunk. Nach dem Willen der CDU soll der Rundfunkrat
um 8 Personen erweitert werden. Darunter Vertreter des Bundes
der Vertriebenen, der Handwerkskammer und des Landessportbundes.
Sie sollen zukünftig in dem auf 25 Mitglieder erweitertem
Gremium Sitz und Stimme haben.
Alles vereine, die der CDU nahestehen, wetterte promt
SPD-Oppositionsführer Arin Clauss. Reaktionäre Verbände
rein, Gewerkschaften raus: Im Gegenzug sollen sich zukünftig
der DGB, die IG Medien und die Gerewrkschaft Erziehung und Wissenschaft
eine Stimme teilen. (...) Till Meyer, Frankfurt am Main
-
- Da in unserer Szene die politschen Bewegungszeitschriften
von den kommerziellen Blättern verdrängt wurden, da
es aus wirtschftlichen Gründen nötig erscheint, eine
strahlende schöne Szenen-Welt anstelle des lesbisch-schwulen
Lebensalltags zu setzen, da die kurzen amüsanten News einer
Aufarbeitung von Hintergründen im Wege stehen, kann man
bis auf wenige Ausnahmen von politischen Medien unserer Szene
nicht mehr reden. Wenn politisch, dann im Sinne einer Politik
des Scheins statt des Seins, der Gleichstellung, besser gesagt
der Anpasung, statt der Emanzipation.
(Enazipation: die Befreiung von Individuen oder sozialen Gruppen
aus rechtlicher, politisch-sozialer geistiger oder psychischer
Abhängigkeit bei ihrer gleichzeitigen Erlangung von Mündigkeit
und Selbstbestimmung; wichtigstes politisches Ziel der Demokratie.
In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte sich ein erweitertes
Verständnis von Emanzipation als individuelle Fähigkeit
zur kritischen Urteilsbildung und relativ eigenverantwortliche
Lebensgestaltung gegenüber Staat und Gesellschaft durch.
Das betrifft u.a. die Stellung der Jugendlichen in Familie und
Ausbildung, die Minderheitenproblematik sowie verstärkt
die reale Gleichstellung der Frauen.) Meyers großes Taschenlexikon
in 24 Bänden, Band 6 Seite 124, Mannheim 1992.
-
- Medien als wirtschaftliche Unternehmungen
Die Zeitschrift LUST entstand aus dem Wunsch, an den gesellschaftspolitischen
Prozessen gestaltend teilzunehmen, Sie entstand nicht aus wirtschaftlichen
Motiven. Im Gegenteil steckten wir Lüstlinge viel Zeit und
Geld in dieses Projekt. Unser ganzes privates Leben ist und war
in seinem Ablauf danach ausgerichtet. Wir verstanden uns als
Organ der ganzen Szene, halfen zum Beispiel den Wirten so gut
wir konnten, um den emanzipativen Ansatz auch als Teil der ganzen
Szene verteidigen zu können. Das führte letztlich zu
so viel finantiellen Verlusten, dass es einfach so nicht mehr
ging. Außerdem ließ die Lust zunehmend nach, an der
LUST zu arbeiten, da es, um Werbung zu erhalten, immer notwendiger
wurde, die flachen Beiträge mit kaum versteckter Werbung
zu veröffentlichen, statt die Finger auf schlimme Stellen
legen zu können.
Die frühe LUST (seit 1989) und Ihre VorgängerInnen
die NUMMER (1974 - 1988) sowie das IHM-Info (1969 - 1974) gehörten
zu den engagierten und äußerlich wenig aufwendig gemachten
Blättern der Szene, die es nun eigentlich nicht mehr gibt.
Wir halfen uns gegenseitig, tauschten Artikel und Meldungen untereinander
aus, indem wir uns gegenseitig pauschal erlaubten, alles gegenseitig
für den gleichen inhaltlichen Zweck zu verwenden: gesellschaftliche
Emanzipation unserer Szene und persönliche Emanzipation
unserer Leute gegenüber der Kirche mit ihrer Schuldgefühlerzeugung
und gegenüber dem Staat mit seiner Gesetzgebung (§175
StGB usw.) sowie den konservativen verhetzten Menschen in der
Gesellschaft. D
- as machen wir mit unserer jetzigen LUST relativ
alleine weiter.
Und nun erreichte uns ein Schreiben der bundesweiten Werbungsfinanzierten
Zeitung QUEER (vormals rosa Zone), in dem der Vorstand der AG
sich rechtfertigte, wieso es zum Ausschluss aus der Informationsgemeinschaft
zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V.
(IVW) gekommen sei. Man habe irrtümlich die höheren
aktuellen Auflagezahlen schriftlich angegeben als die niedrigern
geprüften vom letzten Quartal. Dies sei von den Prüfern
unbeanstandet geblieben, aber durch mehrfaches Anschwärzen
aus Mitbewerberkreisen sei es zu diesem Ausschluss gekommen.
Ein Tipp für unsere Mitbewerber, von denen zahlreiche
- sicher ebenso ungewollt wie wir - bis zum heutigen Tag gegen
die IWF-Richtlinien verstoßen: In den (...) Mediadaten
der GAB wird beispielswseise mit einer IVW-geprüften
Auflage von 25.000 Stück geworben. Nach den IVW-Richtlinien
muss Auflage jedoch immer in Druckauflage
oder verbreitete Auflage spezifiziert werden. Im
Impressum der April-Ausgabe des Gegenpol fehlt der
Hinweis, in welchem Quartal denn die genannte Druckauflage von
10.000 Exemplaren erreicht wurde - ebenfalls ein Verstoß
gegen die IVW-Richtlinien.
-
- Wir von QUEER allerdings schwärzen unsere
Kollegen deswegen nicht gegenüber der IVW an. Wir bauen
auf einen ehrlichen und fairen Wettbewerb, bei dem es um redaktionelle
Qualität des Produkts und den besten Service des Verlages
geht - nicht um Denuntiation, üble Unterstellungen und Anschwärzungen.
Unterzeichnet ist dieser Text von Christian Scheuß und
Micha Schulze.
Dieses und andere scheußliche Dokumente gegenseitiger Zerfleischung
deutet darauf hin, dass es nur noch um Marktanteile, um ein brutales
Gezerre um den Werbekuchen geht. Hohnlachend berichten BOX und
DOWN-TOWN über die Lage der Queer, sicher auch andere Blätter,
aber es macht mir gar keinen Spaß mehr, die verschiedenen
nichtssagenden Werbeblätter ausführlich zu lesen, denn
es gibt kaum erkennbare Unterschiede. Und bei allem Streit wissen
aufgeschlossene LeserInnen doch, es geht lediglich um Marktanteile
und Gewinn, es geht schon lange nicht mehr um Emanzipation in
irgendeiner Form, sondern den Gewinnvorteil gegenüber den
anderen.
Offensichtlich werben die Zeitschriften bei ihren Anzeigenkunden
mit Auflagenzahlen.
-
- Nun ist die Auflage bei kostenlos verteilten
Zeitungen, falls die Angaben überhaupt stimmen, nicht unbedingt
ein Beleg dafür, ob eine geschaltete Anzeige dort auch zur
Kenntnis genommen wird. Interessant ist auch, wie viele davon
verteilt werden. Und dann ist wichtig, wie viele der verteilten
Zeitungen in den Lokalen mitgenommen werden. Und schließlich
ist in der Zeitung noch wichtig, wo die Anzeige zu finden ist,
und ob die Zeitschrift überhaupt nur durchgeblättert
wird oder aufmerksam gelesen. Lenken die vielen gestalterischen
Elemente unruhig von den Anzeigen ab oder hilft eine schlichte
Gestaltung, dass die Anzeige auch gesehen wird? Interessieren
sich die Leser nur für die Kontaktanzeigen und bleibt das
andere relativ unbeachtet? Bei Zeitschriften, die über den
Kaufpreis (und Werbung) finanziert werden, ist die Aufrmerksamkeit
für die bezahlten und eingekauften Seiten schon dadurch
größer.
Stefan Enzner von homo.de im Internet, der seine Homepage für
die größte in Europa hält, versendet am 20.05.
eine Mail, in der er Vorwürfe der Täuschung gegen gayforum.de
erhebt. Hier wird auch Wolfgang-Johannes Krause von der eurogay
media AG zitiert, gayforum.de verstoße gegen die IVW-Richtlinien.
Und gayforum.de reagiert darauf mit Mail vom 15.06.00 wie folgt:
Die IVW-geprüften Nutzerzahlen bestätigen die
Popularität der Seite und das schlüssige Konzept von
gayforum.de:...
Der direkte Mitbewerber des Münchner Unternehmens - die
eurogay media AG - wertet die Veröffentlichung dieser Zahlen
als Täuschungsversuch. Die persönlichen
- polemisch bis deftigen - Stellungahmen aller fünf Vorstandsmitglieder
der eurogay media AG in einer Pressemitteilung vom 18.05.00 werden
auch München nicht näher kommentiert. Die gayforum.de
AG stellt lediglich fest, dass die Ermittlung der Leistung ihres
Online-Mediums exakt den strengen Richtlinien des objektiven
Messverfahrens der IVW entspricht. Die Einleitung rechtlicher
Schritte gegen die eurogay media AG wird von der gayforum.de
AG derzeit geprüft.
Also auch im neuen Internet-Medium kämpfen die KonkurrentInnen
um den Werbemarkt mit harten Bandagen gegeneinander. Auch hier
geht es darum, wieviel Seiten bewegt wurden, was gar nicht aussagt,
dass dort gelesen wurde, sondern nur, dass sie angeklickt wurden.
Vielleicht wurde ganz schnell weitergeschaltet, weil dort gar
nichts Interessantes zu finden war.
Was wissen eigentlich die LeserInnen unserer Medien über
unsere Szene und über die Zusammenhänge in Leben von
Lesben und Schwulen? Im wesentlichen das, was sie in unseren
Medien lesen und was ihnen über Tratsch zugetragen wurde.
Sie wissen also kaum etwas, glauben aber, viel zu wissen.
Dass wir so wenig über unser wirkliches Leben erfahren,
dass hinter allem, was marktgerecht veröffentlicht wird,
Marktinteresse zu finden ist, verwundert nur solche LeserInnen,
die sich eine Illusion über Pressefreiheit in der Marktwirtschaft
machen. Pressefreiheit ist nämlich die Freiheit, die Information
zur Ware zu machen. Warum soll mich eigentlich das interessieren,
womit andere Geld machen? Warum soll ich mich mit dem einen gegen
den anderen verbünden fühlen? Allen geht es doch nur
um den Marktvorteil.
-
- Gibt es so etwas wie Objektivität?
Wie erscheinen wir selbst in unseren Medien? Natürlich geht
es bei dieser Frage auch um das Medium selbst als Einnahmequelle
für Werbebotschaften. Deshalb reisen Schwule gerne, sind
an Mode und Finanzierungen interessiert, benutzen Kosmetik, Sportartikel
und Fittness-Studios, haben das Alter von 25 bis 35 Jahren und
immer viel Geld übrig. Lesben scheinen noch immer keine
nennenswerte Käuferinnenschicht zu sein, wenn man die Beiträge
der entsprechenden Medien sichtet. Und den schwulen Lesern gefällt
dieses Image.
Viele KonsumentInnen der Medien unserer Szene suchen gar nichts
anderes als die Ware Nachricht.
-
- Oder gibt es einige, die die wahre Nachricht
suchen? Was ist eigentlich eine wahre Nachricht? Dass dies schwierig
zu beurteilen ist, wissen wir ja aus dem eigenen Leben. Von den
Darstellungen halten wir nämlich die für wahr, die
wir für wahr halten wollen. Wir halten sie für wahr,
weil sie mit dem übereinstimmt, was wir schon immer darüber
gedacht haben. Und ist das ein Beweis, dass es wahr ist? Manchmal
fallen wir aus allen Wolken, wenn wir bemerken, dass ein Mensch,
der die gleichen Worte benutzt wie wir, etwas ganz anderes darin
sieht.
Nicht an allen wissenschaftlichen Erkenntnissen sind die Medien
interessiert, sondern eben wiederum nur an denen, die in einem
wirtschaftlichen Konzept des Mediums von irgendeiner Bedeutung
sind.
Gibt es also gar keine Wahrheit? Die Beantwortung dieser Frage
wäre eine philosophische Großtat. Die einen meinen,
man müsse sich der einen Wahrheit nur annähern, die
anderen meinen, dass es viele unterschiedlicheWahrheiten gibt.
Ich selbst meine, dass im Bereich der Naturwissenschaften, wo
man die Zusammenhänge nur erkennen und entdecken muss, eindeutige
Aussagen als Arbeitshypothese möglich sind, die so lange
gelten, bis neue Erkenntnisse das bisher für richtig Gehaltene
in Frage stellen.
-
- Möglicherweise kann man so auch mit
den Geisteswissenschaften umgehen. Aber in die dort vertretenen
(Hypo)thesen fließen einfacher als in die Naturwissenschaften
ideologische, kulturelle oder religiöse Grundannahmen ein,
die das Forschungsergebnis beeinflussen können, selbst wenn
wir uns um Objektivität bemühen. Aber auch das Forschen
in einer Naturwissenschaft kann von religiösen oder ideologischen
Leitbilder beeinflusst sein, zum Beispiel die Suche nach dem
schwulen Gen. Dass es das schwule und nicht das lesbische oder
gemeinsam homosexuelle Gen sein muss, zeigt schon das übliche
Vorurteilraster an: Männliche Homosexualität stört
und wird bekämpft, weibliche Homosexualität wird ignoriert.
Wie kann man nur annehmen, dass eine solch komplexe Sache wie
die erotische Faszination eines männlichen Menschens an
einem anderen männlichen Menschen durch eine einzige Ursache
zu erklären ist? Und wie ist das mit solchen Schwulen die
dickbauchige Bären bevorzugen im Verhältnis zu den
Schwulen, die jungen, nackte, schlanke Frösche suchen? Wie
ist das mit denen, die gerne im Fummel gehen und mit den Ledermännern?
Das alles hat mit einem abweichenden Gen zu tun?
Vielleicht will man diese Ursache nur erkennen, um sich von den
Eltern möglicherweise die Wahlfreiheit bezahlen zu lassen:
wollen Sie eine normale Tochter mit den Maßen 90-50-90
oder wollen Sie vielleicht einen schwulen Sohn, der sich mit
Vorliebe von massigen haarigen Bären bumsen lässt?
Setzen sie sich ihre privates Pussel-Spiel zusammen!
Die Wahrheit, so nannte sich doch ein Propaganda-Organ.
Ich will Dir mal die Wahrheit sagen, hören wir
im unfreundlichen Ton, es folgt dann irgendeine Polemik. Es kann
die Wahrheit, die mancher erwartet, nicht geben, denn vielleicht
ist meine Wahrheit darüber etwas anders. Was es meiner Meinung
nach aber geben kann, das ist das Bemühen, einer Zielvorstellung
nachzugehen. Nicht im ideologischen Sinne, indem nur das wahr
ist, was mit der Ideologie übereinstimmt, sondern im forscherischen
Sinne.
-
- Was wollen wir LUST-MacherInnen?
Wir wollen die bessere, die emanzipiertere Gesellschaft. Wir
wollen den Menschen, der mündig genug ist, sich nichts mehr
von irgendwelchen Nutznießern vormachen zu lasssen, der
kritisch genug ist, sich nicht einlullen zu lassen und der emanzipiert
genug ist, ohne Schuldgefühle zu sich selbst und zu seinen
Bedürfnissen zu stehen.
Um diesen Zielen näherzukommen, dürfen wir die Leute
nicht offen und nicht versteckt belügen, sondern wir müssen
versuchen, den Dingen auf den Grund zu gehen. Fehler, Konflikte
und Probleme kann man angehen, wenn man sie überhaupt erkennt.
- Wir müssen die LUST-LeserInnen dazu anregen, selbst den
Dingen auf den Grund gehen zu wollen.
- Wir müssen uns um Objektivität bemühen, wohl
wissend, dass es sie kaum geben kann.
- Wir müssen miese Zustände ans Tageslicht zerren und
Mut machen,dass es auch anders gehen kann.
- Wir müssen den Leuten auf die Nerven gehen, die darauf
setzen, dass die Szene immer nur hinter ihnen hertanzt. Vor allem
geht es uns um den Spielraum, den Mut und die Freiheit, kreativ
andere bessere Wege zu gehen, als uns vorgeschrieben wird.
- Wir müssen genau hinschauen, wenn man uns irgendetwas
als den einzigen und wahren Weg vor die Nase setzt.
Es gibt LeserInnen, die unsere Zielvorstellung teilen und die
durch die LUST erfahren, dass sie nicht alleine sind. Und das
Informieren über Zusammenhänge geht nicht mit einem
kurzen Text und einigen erotischen bunten Bildern. Und deshalb
gibt es die LUST immer noch, gerade mit ihren Bleiwüsten
(und auch den Tipppfehlern). (Joachim Schönert)
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