- 60. LUST, Juni/Juli 00
- Der alltägliche Age-Ismus
Was spricht für oder gegen klare
Altersabgrenzungen in Schule, Ausbildung, Sexualität und
anderem mehr?
- Ein Referat von Joachim Schönert
-
- Die Gesellschaft schreibt uns Menschen vor,
wie wir uns altersgemäß zu verhalten haben, was altersangemessen
sei. Die geht von der zwischenmenschlichen Kommunikation über
die Mode bis hin zu ganz persönlichen Fragen.
Handelt es sich dabei um eine der üblichen willkürlichen
Katergorisierungen, die dazu dienen, zwischen uns Mauern aufzubauen,
damit man besser manipulativ auf uns zielen kann (in der Werbung
und der Integration in gesellschaftliche Schubladen)? Oder steckt
etwas Wichtiges und Einsehbares dahinter, was uns Menschen dieser
Gesellschaft in irgendeiner Form nutzt: Schutz vor Überforderung
in der einen oder anderen Weise? Müssen nicht Ältere
vor den Anforderungen geschützt werden, die die Gesellschaft
an Jüngere stellt? Müssen nicht Kinder vor solchen
Anforderungen geschützt werden, die die Gesellschaft Erwachsenen
zumutet?
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- Ist eine klare Altersbegrenzung nötig?
Kinderarbeit, Kindersoldaten, Kindersex und Kinderpornographie.
Hinter diesen Begriffen stehen Verhältnisse zwischen Menschen,
die in Mitteleuropa, in den USA, in Australien usw. als kritikwürdige
Verhältnisse angesehen werden. Hier werden von uns klare
Altersabgrenzungen gefordert. In unseren Breiten möchte
man Kinder so lange wie möglich von Dingen fernhalten, von
denen man annimmt, dass sie gefährdend sind, es geht also
um Schutz.
-
- Das war indes nicht immer so, denke man nur
an die Kinderarbeit. Eltern schützen damals die Kinder nicht
vor der Kinderarbeit, sondern schickten sie selbst in die Kohlegruben
und Textilfabriken, aus denen sie selbst entlassen worden waren,
weil Kinderarbeit billiger war. Die wurde übrigens nicht
aus Gründen des Schutzes abgeschafft, sondern weil man zu
wenig gesunde junge Männer für das Soldatentum hatte.
Frühreife, hochbegabte usw. Kinder; solche Begriffe deuten
individuelle Konstellationen an, die strikte Altersgrenzen in
bestimmten Zusammenhängen zu unterlaufen scheinen.
Der Begriff Alter schließt das Altern ein,
obwohl hier mit Alter auch das Zu-jung-Sein mit gemeint
ist. In der englischen Sprache gibt es das neutralere Age.
Der Begriff Ageism stammt aus der feministischen
Bewegung der USA. Mit diesem Begriff wird kritisiert, dass Unternehmen
Frauen aufgrund der Altersangaben, die in ihren Arbeitspapieren
zu finden sind, von bestimmten Posten ausschließen, weil
man sie für zu alt hält, noch genügend attraktiv
sein zu können.
Man könnte hier darüber nachdenken, warum man bei Frauen
die Attraktivität sucht und was das ist, und bei Männern
solche Werte sucht, die gebraucht werden, um sie
als Soldaten und zur Brutalität gegen sich und andere einsetzen
zu können. Aber das ist ein anderes Thema, was wir in einer
späteren Ausgabe behandeln werden.
Frauen haben natürlich auch im Berufsleben attraktiv zu
sein. Nach amerikanischer feministischer Auffassung vermischt
sich hier also Sexism (Sexismus) mit Ageism
(das lateinische Wort heißt Ätatismus, eine deutsche
Bezeichnung gibt es noch nicht, läßt sich sprachlich
auch nicht ausdrücken. Ich wähle daher den Begriff
für unsren Sprachraum: Age-Ismus).
Age-Ismus (Ageism) ist eine von biologischen Tatsachen abgeleitete
Theorie, wie Sexismus, Rassismus und Sozialdarwinismus auch.
(Siehe hierzu auch den Beitrag Was ist eigentlich Ätatismus
in der 58. LUST bezw. in www.lust-zeitschrift.de im Artikelarchiv
unter Wissenschaft).
Lassen sich Teile des Kinderschutzes, konsequent gedacht, als
Ageism kritisieren? Sind Teile der Vorgaben der Gesellschaft,
wie wir uns altersgemäß zu verhalten haben lediglich
Ageism?
Es gibt Bereiche, da kann man zweifeln, ob hier Kinder vor Überforderung
geschützt werden werden, ob hier Kinder nur aus Gründen
von Bequemlichkeit oder Machterhalt bevormundet werden oder ob
die gesellschaftlichen Gewohnheiten nur nicht zulassen, andere
Verfahrensweisen durchzuführen. Dann müssten die vielleicht
einaml diese Gewohnheiten hinterfragt werden, wenn ein Interesse
daran besteht.
Klar ist ja, daß wir einem vierzehnjährigen Jugendlichen
nicht trauen würden, wenn er uns den Blinddarm herausnehmen
wollte, auch wenn er als Hochbegabter sein Medizinstudium schon
abgeschlossen hätte. Wir würden ihm außerdem
nicht zutrauen, daß er sich selbstbestimmt entschieden
hätte, wenn er eine sexuell ausgelebte Beziehung mit einer
45-jährigen Frau oder einen 45-jährigen Mann hätte.
Wir würden einem 70jährigen Piloten oder einer Pilotin
kaum unser Leben anvertrauen wollen. Andere wollen über-70-Jährigen
den Führerschein wegnehmen und einige auch die Rente.
Grenzen müssen also scheinbar sein, und wenn man sich nicht
dem Vorwurf des Ageism aussetzen will, braucht man bessere Verfahren,
als sie derzeit üblich sind. Der Stammtisch und der Nachbarschaftstratsch
scheinen mir keine guten Ratgeber bei der Lösung dieses
Problemes zu sein.
Andererseits bekomme ich Schwierigkeiten, wenn von den unschuldigen
Kindern die Rede ist, angesichts der Anschläge und Ermordungen
von MitschülerInnen und LehrerInnen, weil die Gewalt zwischen
Kindern zu eskalieren scheint.
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, sondern sie sind zukünftige
Erwachsene, sie sind ebensowenig unschuldig, wie
Erwachsene schuldig sind. Man bevormundet Kinder
einerseits mit der Begründung des Schutzes und schütz
sie auch in vielen Fragen (von der infantilisierenden Kindererziehung,
dem Verbot der Kinderarbeit über Schulpflicht bis hin zum
Kinder- und Jugendstrafrecht, zum Jugendschutz, zum Jugendarbeitsschutzgesetz),
man schützt sie andererseits nicht vor einer ganzen Reihe
von anderen Grausamkeiten der Gesellschaft, wie zum Beispiel
dem elterlichen Erziehungsrecht, auch wenn die Eltern religiöse
FanatikerInnen sind oder wenn die Erziehung den Kindern die Lebenschancen
nimmt.
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- Jugend- und Altersdiskriminierung
Es gibt die Unsitte, fragenden Kindern zu sagen, sie seien zu
jung, dies zu verstehen. Man lasse die Kinder doch selbst entscheiden,
was sie verstehen können. Wenn ihnen die Erklärung
langweilig wird, werden sie nicht mehr zuhören. Interesse
ist meiner Meinung nach der Beleg, dass sie dieses nun lernen
könnten, vielleicht sorgar, dass sie nun dieses Wissen bräuchten.
Sage einem Kind (einem Jugendlichen), es sei zu jung für
irgendeine Sache, so könnte es sich damit trösten,
dass es ja älter wird. Es ist ihm in der Regel kein Trost,
denn junge Menschen sind ungeduldig und sie möchten eine
Sache ja deshalb gerade jetzt wissen, tun oder haben, weil sie
dieses genau jetzt bräuchten, wie sie meinen.
Sage einem erwachsenen Menschen, dass er für irgendeine
Sache zu alt ist, und du verurteilst ihn damit ein kleines Stück
zum sozialen Tod.
Der soziale Tod, die soziale Isolation ist das Schicksal, das
unsere Gesellschaft für Menschen bereit hält, die ihren
eigenen Weg gehen wollen, nämlich nicht mehr ihre Lebenskraft
zur Verfügung stellen wollen oder können, andere Leute
zu bereichern. Menschen in Altersgruppen aufzuteilen, ist eigentlich
ein unnatürlicher Zustand, weil die Generationen sich eigentlich
etwas zu sagen haben, weil unterschiedlich alte Menschen in der
gleichen gemeinsamen Lebensfrage sich teilweise unterschiedlich
verhalten, sich so sinnvoll ergänzen und weil so soziales
Lernen geschieht.
Das Trennen der Menschen in Altersgruppen ist für keine
dieser Gruppen gut und dient nur dem Geldverdienen und dem Machtausüben.
Es dient auf jeden Fall der Manipulation der nachfolgenden Generationen
durch von außen kommende Impulse und der Isolation der
Alten, die ohne die Anregung junger Leute den Anschluss an gesellschaftliche
Fragestellungen verlieren und nur noch aus ihrer Vergangenheit
leben können. Alte unter sich einzusperren, ist eine schreckliche
Sache für die Betreffenden.
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- Gesellschaftlicher Age-Ismus
Jugendszenen dienen besonders der Werbebranche, die Produkte
werden als äußere Kennzeichen einer Lebenshaltung
eingeführt. Der Jugendkult der Werbung nutzt das Phänomen
des interessensbedingten Lösens aus der Geborgenheit und
auch der Enge und Überwachung der Eltern-Familie, um die
Jugendlichen gleich noch der bisherigen Lebenshaltung, der bisherigen
sozialen Kontrolle zu entziehen. Ganz besonders gut zu beobachten
war dies bei den Kindern der 68er.
Trau keinem über 30 war ein 1968 oft gehörter
und häufig weitergegebener Satz unter den Junglinken, sich
bei ihrer Sexrevolte vom Elternhaus, vom Mief und der Enge der
Adenauer-Jahre, von der unpolitischen wirtschaftsbejahenden Menschenverachtung
der frustrierten gescheiterten Hitler-Anhänger entziehen
zu wollen.
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- Bei Menschen über 30, so der platte
Satz von damals, kroch der Hitlerstaat immer noch aus allen Poren.
Natürlich wurden so die Widerstandskämpfer aufgrund
des gemeinsamen Alters in den gleichen Nazi-Topf geworfen. Solche
Einwände wurden von der Jugendrevolte jener Tage einfach
überrolt, wie das Jugendzusammenhänge eben so an sich
haben.
Der Satz Trau keinem über 30 stammte nicht von
den Philosophen der 68er, der Frankfurter Schule, von Marcuse
oder dem Existenzialisten Sartre. Er stammte von den kommerziellen
Nutznießern der damaligen Jugendrevolte, in deren Sog amerikanische
Hosenfabriken auf den Ärschen der DemonstrantInnen alle
Anti-Amerika-Demonstrationen begleiteten, sich Rockmusik auch
in Europa als Jugendmusik durchsetzte, die von den Eltern noch
als Negermusik abgelehnt wurde. Schlicht: mit Jeans und Pulli
wollte man sich vom Modediktat befreien, sein Geld für nützlichere
Ding ausgeben, während die Jeans- und Pulli-Mode boomte.
Eine ganze Generation wurde den traditionellen und konservativen
Strukturen der Nachkriegszeit entzogen und in ein neues Zeitalter
geworfen. Das neue Jugendzeitalter war nicht so sozialistisch,
anarchistisch, alternativ, wie ihre konservativen GegnerInnen
befürchteten, denn wenn sich Formen ändern, können
alte Inhalte, modisch aufgearbeitet, in die Reihen der jungen
MitläuferInnen getragen werden. Modernere kapitalistischere
Vermarktungsformen fanden ihren Durchbruch gerade mithilfe der
Jugendrevolte.
In den 80ern mussten die 68er Familienväter erleben, wie
sich ihre Kinder auf dem Schulhof gegenseitig verprügelten,
weil sie die falsche Turnschuhmarke anhatten. Und heute hat eine
rechtskonservative Mode mit den Markt-Insignen einer Pseudo-Jugendrevolte
auch diese Zwischenstufen überwunden. Sie sei unpolitisch,
hört man. Unpolitisch ist das Synonym für unkritisch
gegenüber gesellschaftlichen Strukturen.
Der Apo-Opa, der noch lebt und durchaus noch in Erscheinung tritt,
wird nun aufgrund seines Alters schlicht ausgegrenzt, über
seine Inhalte wird hinweggegangen, denn in der Zukunft muss ja
jeder sehen, wo er bleibt. Solidarität oder Ähnliches?
Wie verstaubt und auch wie peinlich.
Die aus der linken Studentenbewegung stammenden Schwulenbewegten
mussten staunend die aus den Boden schießenden Jugendgruppen
zur Kenntnis nehmen, denen es nicht mehr um linke schwule Politik,
nicht um Solidarität und Emanzipation ging. Die Jugendgruppen
wollten niemanden der engagierten Älteren der Bewegung mehr
haben, weil sie Kontakte mit Jüngeren suchten und die auf
Rosa-Winkel-Traditionen, freie Liebe, Geschlechtsrollentausch,
vor allem Emanzipation usw. schissen. Das Abtanzen machte mehr
Spaß.
Während die älteren Bewegten ihren Kampf gegen Kirche
und CDU, Wehrpflicht, Männerbündelei und Militarisierung
des Männerbildes kämpften, versuchte die nachwachsende
Generation schon, in Kirche, CDU und Bundeswehr Karriere zu machen.
Junge schwule CDU-Anhänger bekämpfen 68er Fossile wegen
deren Unmoral, die sich gegen die Ehe richtet.
Die Ablösung von der Generation der Bewegungsväter
mitsamt ihren Werten ist über persönliche Ausgrenzung
geglückt. Während die Bewegungsväter mit den Apo-Studenten
für Freiheit gegen Ehezwang kämpften, denn Sex kam
damals erst nach der Eheschließung in Frage, während
sie so den Spielraum erstritten, der zur schwulen Selbstfindung
notwendig war, streiten die Nachfolgenden um das Recht, Ehen
schließen zu dürfen und in die doppelmoralische bürgerliche
miefige Ehewelt integriert zu werden, als entginge ihnen was.
Während die Bewegungsväter mit Zottelbart, Jeans und
Pulli einerseits, andererseits mit Fummel und Stöckelschuhen
gegen die Fesseln des Bürgertums, gegen bürgerliches
Karrieredenken und modische Anpassung ankämpften, sind die
jungen Nachwachsenden modebewusst, bürgerlich, karrierebewusst.
Bart, Brille, Bauch (BBB), so sehen heute die damaligen
Sprecher der Bewegung aus. Heute sind es smarte Managertypen
mit den Insignien wirtschaftlicher Macht, die in der Szene das
Sagen haben und die von den Jungen bewundert werden. Und BBB
in Kontaktanzeigen ist etwas, was niemand will, es wird ebenso
ausgeschlossen wie Tunten oder Asoziale und Alte,
also über-30-Jährige.
Die Jugendorganisationen haben sich selbständig staatlicher
Unterstützung versichert, ihre Ideologie geht weg von frei
ausgelebter Sexualität, sie geht in Richtung Anpassung und
Integration. Jeder Ältere, der sich nun junger nachwachsender
Schwuler annimmt, wird zur Konkurrenz der neuen politischen und
wirtschaftlichen Jugendführer und plötzlich verdächtig,
sexuellen Interessen mit Jugendlichen nachzugehen.
Politik für Sex mit Sex, schon das tun, was man anstrebt,
das war das Motto der früheren Bewegungsschwulen. Ihre Kritiker
mussten zugeben, verklemmt Spießer zu sein. Sex zwischen
jungen Nachwachsenden mit den Bewegungsveteranen, wird nun nicht
mehr grinsend für eine selbstverständliche Begleiterscheinung
unter vielen gehalten, sondern dies wird von den Ideologen dieser
neuen Jugendabgrenzung mit der sexuellen Ausbeutung von Kindern
gleichgesetzt. Die Trennung der Generationen ist zur Trennung
der Werte geworden, sie ist mithilfe der Ausgrenzung von Menschen
erfolgreich vollzogen worden.
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- Age-Ismus der Medien
Die Medienwelt hat den Jugendlichen als Zielgruppe erkannt. Fernsehsendungen,
bei denen die Marktforscher herausfinden, dass sie älteren
Leuten (zum Beispiel auch den 68ern) gefallen, werden abgesetzt.
Und das findet auch in unserer Szene statt.
Die von den alten Bewegungsleuten gegründeten Zeitschriften
hatten mehr schlecht als recht marktwirtschaftliche Lücken
und gesellschaftliche Möglichkeiten genutzt, um gesellschafts-
und marktwirtschafts-kritische Analysen in die Szene hineintragen
zu können. Sozialwissenschaften standen Pate. Eine der letzten
Bewegungsblätter hat nun aufgehört, ein Blatt für
die breite Szene zu sein, die LUST. Kommerzielle Werbeblätter
wie Young and Gay (jetzt GAB) und QUEER (vormals Rosa Zone) haben
den Anzeigenmarkt zu ihrer Gewinngrundlage gemacht und erfüllen
marktwirtschaftliche Kriterien natürlich viel besser als
die Bewegungsblätter, denen es um Inhalte statt Promotion
ging, die nur durch Selbstausbeutung noch einige Zeit überleben
konnten.
Die Szene hat keine Gemeinsamkeiten mehr, die aus einer Solidarität
gegen antihomosexuelle Übergriffe geboren ist. Während
die alten Bewegungsleute es noch allen Strömungen recht
machen wollten, sind längst miteinander konkurrierende Großveranstalter
mit eigenen konzernartige Medien entstanden. Die Szene ist eine
Wirtschaftsszene geworden, andere Meinungen und Trends sind zu
Konkurrenten geworden, die beim Geldverdienen nur stören.
Gibt es bei uns noch Werte, die sich nicht vermarkten lassen?
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- Es bleibt nur die verlogene Sentimentalität
der Soups zwischen den Werbeblöcken im Vorabendprogramm.
Die wirtschaftliche Konkurrenz in der Szene zerstört jegliche
Solidarität, wirtschaftliche Interessen lassen höchstens
zu, eine farbenprächtige inhaltsleere Gemeinsamkeit bei
solchen Ereignissen wie den CSDs usw. zu demonstrieren. Der Generationswechsel
wurde zum Paradigmenwechsel, und die latente und offene Altersfeindlichkeit
der Szene lässt gerade in unseren Reihen besonders feindseliges
Ausgrenzen älterer Schwuler zu.
Da die Altersausgrenzung ideologisch und wirtschaftlich abgesichert
ist, schreiben die kommerziellen Medien unserer Szene nicht gegen
den Age-Ismus an, sondern sie nutzen ihn wirtschaftlich.
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- Beziehung und Age-Ismus
Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich als sexuell
(selbst)befreites Kind der Sexrevolte und gleichzeitig
im Coming-out mich mit der gesamten Szene sozusagen verheiratet
fühlte, alle Männer der Schwulenszene und auch die
linken Szene war mein Einzugsgebiet. Auf der Uni, in der
Straße, auf der Arbeit im Betrieb werden die Männer
jetzt betört, der schwule Markt wird endlich sozialisiert,
wir nehmen und was uns gehört, sang damals Eschi und
ich fühlte mit ihm/ihr.
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- Beziehungen sind nun in der nachfolfgenden
Generation wieder zu etwas Privatem geworden, wo niemand anderes
ran und rein darf, wo man draußen zu bleiben hat. Sie werden
wieder eifersüchtig überwacht und der Seitensprung
hat heimlich zu geschehen, statt den Kerl einfach mit ins Bett
zu nehmen. Die Kommune oder Wohngemeinschaft in den großen
Stadtwohnungen weicht dem Einfamilienhaus, für das eine
eheliche Erbschaftsreglung nötig ist. Unter diesen Umständen
ist es natürlich auch wichtig, dass die beiden Homo-Ehepartner
der gleichen Generation angehören. Beide müssen Geld
verdienen, beide gehen gleichzeitig in Rente.
Für die Sehnsucht nach jugendlichem Frischfleisch außerhalb
der langweilig gewordene Ehe gibt es ja spezielle Reiseländer
und den Strichermarkt. Und die Fragestellung, ob das auch dem
Stricher gefällt, erübrigt sich, da es sich um eine
bezahlte Dienstleistung handelt.
Aus allen diesen unwürdigen Zusammenhängen der 50er-Jahre-Ehe
sind die 68er Coming-outler weggelaufen, um freier und, wie sie
meinten, besser zu leben und lieben.
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- Die Beziehung von 68er Schwulen ist der Ort
des gegenseitigen Vertrauens und nicht der gegenseitigen Fesseln.
Jeder Mensch ist Mittelpunkt seines eigenen Beziehungsnetzes,
in das andere Menschen unterschiedlich eng mit eingeknüpft
sind. Für Nachwachsende ist eine solche Vorstellung fremd
und es fallen ihnen viele Gründe ein, warum dies so nicht
gehen kann.
Und sie haben recht. Es kann auch nicht so gehen, wenn eine Szene
fehlt, die auf diese Weise lebt. Man braucht dazu nämlich
andere Menschen, die es auch so wollen. Durch den krassen Generationswechsel
gibt es zwar weiterhin noch überall promisque Verhaltensweisen,
aber eben heimlich und unter Schuldgefühlen und im wesentlichen
unter den bis-30-Jährigen, die anderen sind draußen
und verhalten sich wie oben beschrieben.
Natürlich darf hier nicht verschwiegen werden, dass der
Jugendkult gerade unserer Szene ohnehin dazu führt, dass
die meisten Sex- und deshalb Beziehungssuchenden einen jüngeren
Partner suchen, und dass dadurch natürlich Ältere übrigbleiben,
die selbstverständlich auch jüngere Partner suchen.
Das freie Kreuz-und-Querbumsen in Dark-Rooms, Parks und Klappen,
wo auch Ältere recht viel abbekommen konnten, weil die Jungen
hier experimentierfreudiger und einfach sexlustig waren, das
ist vorbei, denn die Jungen sind miteinander verheiratet und
halten bei Seitensprüngen nur noch nach noch Jüngeren
Ausschau.
Da gab es im Zusammenhang mit der Aids-Vorbeugung Jack-Off-Parties,
also Parties, wo alle nackt waren (bis auf die Fußbekleidung)
und sich überall ganze Menschentrauben von Safer-Sex-Praktizierende
bildeten. Auch hier wurden Altersgrenzen eingeführt, zum
Beispiel 28 Jahre. Wer älter war, durfte nicht hin. Ich
nehme an, dass gerade deshalb diese Parties aufhörten, denn
die heutigen Jungen wollten sicher dort nur den Freund fürs
Leben finden und ihn dort rausholen. Der Generationswechsel hat
auch hier funktioniert. Was bleibt, sind die 50er Jahre, auch
für uns. Die dazugehörige Doppelmoral ist schon da.
-
- Age-Ismus in der Szene
Die Auffassung, dass die Bewegungsschwulen aufgrund ihrer Werte
bewusster, überlegter und menschlicher handeln, als es in
der kommerziellen Subkultur üblich war (und ist), war aus
dem bahnbrechenden Film Nicht der Homosexuelle ist pervers,
sondern die Situation in der er lebt rauszuhören.
Er entstand ja aus der Kritik an der Subkultur und der spießigen
Ehebefürworter-Gesellschaft.
In Folge entstanden viele Gruppen, die es anders versuchen wollten.
Doch die selben Leute, die dann in der WG zusammen lebten, suchten
die Einrichtungen der kommerziellen Szene auf, und deshalb wurde
als Übergangs-Szenario die Trennung zwischen Bewegung und
Subkultur aufgehoben, zumal sich herausstellte, dass in der Bewegung
eben nicht die besseren Menschen zu finden waren.
-
- Man wollte die Inhalte vom besseren, freieren
und deshalb ehrlicheren Leben in die Szene hereintragen und sie
verändern, hieß es dann.
Die alten Bewegungsgruppen sind unterdessen weggestorben, die
Jungen kamen gar nicht mehr hin. Nicht zuletzt auch aufgrund
der AIDS-Katastrophe sind die Gruppen der neuen Generation Ergänzungen
der kommerziellen Szene geworden und später selbst zu kommerziellen
Einrichtungen geworden. So ging es besser.
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- In Frankfurt operierte eine Zeit lang Rotzschwul
(Rote Zelle Schwul) an der Uni und in der Stadt, heute haben
die Gay-Manager im Bund mit dem LSVD und einer Reihe aus der
Bewegung entstandenen Firmen das Sagen, oftmals auch in offener
Konkurrenz zu alten Betrieben der Szene.
Das Ausgrenzen Älterer hat mit persönlichen Vorlieben
und mit einem gesellschaftlichen Paradigmenwechsel zu tun, das
habe ich oben ableiten können. Es gibt immer noch Leute,
die Jugendlichen beim Coming-out helfen wollen, aber dort wird
von den FührerInnen dieser Bewegung behauptet, es geschähe
ohne sexuellem Interesse.
-
- Wenn man allerdings ihren Eifer erlebt, die
Generationen zu trennen, kann man da so seine Zweifel haben.
Es gibt keine Coming-out-Gruppen für Spät-Coming-outler,
von denen es viele gibt. Es gibt aber unterdessen Selbsthilfegruppen
für Schwule über 40. Ich selbst, als über-55-Jähriger
möchte allerdings schon noch verstehen können, was
Jugendliche heutzutage umtreibt, und wenn sich gegenseitiges
Interesse zeigt natürlich auch Kontakte haben dürfen
und nicht wie ein Raubtier oder Verbrecher von ihnen ferngehalten
werden.
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- Der älteste unserer Gruppe ist 83 Jahre
alt. Alle interessierten sich für das, was er aus seinem
Leben zu berichten hat. Aber nun hat man es einige Male gehört,
das Interesse hat nachgelassen. Es wäre gut, Ältere
in einer Form integrieren zu können, in der sie mit ihren
Fähigkeiten und Erfahrungen etwas zum Gemeinsamen beitragen
können. Dann hätten die Lehren der Vergangenheit auch
eine Zukunft.
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- Schlussfolgerung
Ausgrenzender Age-Ismus ist zu bekämpfen, weil er uns das
Leben schwer macht, uns noch besser manipulierbar macht, Bewegungen
und Szenen spaltet, weil durch Age-Ismus dem ideologischen Einfluss
unsrer GegnerInnen immer wieder Tore geöffnet werden. Erarbeitetes
muss immer wieder mühsam erworben werden, das Rad muss immer
wieder neu erfunden werden. Die gleiche Selbstbehauptungsarbeit
muss immer wieder mühsam geleistet werden.
Das bedeutet aber nicht, dass man Menschen ungeschützt anderen
Menschen zum Fraß vorwerfen kann, sei es Kinderprostitution
oder andere Formen der Ausbeutung, seien es Kindersoldaten oder
Kadettenanstalten, sei es Kinderarbeit oder andere brutale Formen
der Ausbeutung. Vor vielen Formen der Ausbeutung, vor denen man
Kinder schützen möchte, müssten alle Menschen
geschützt werden, also auch die Erwachsenen.
Menschen, die aus irgendeinem Grund einen Teil ihres Lebens vor
bestimmten Bereichen der brutalen Lebensrealität beschützt
werden müssen, sind auf geeignete Weise zu beschützen.
Dies aber nicht hauptsächlich aufgrund ihres Alters, sondern
aufgrund ihrer Schutzwürdigkeit.
Ältere Menschen, die in den sogenannten verdienten Ruhestand
gehen, verdienen ihre Rente nicht deshalb, weil sie nicht mehr
Schritt halten können, sondern weil sie nach einer Anzahl
von Jahren Arbeit in fremden Diensten irgendwann die Freiheit
erworben haben, über ihre restliche Lebenszeit selbst zu
bestimmen. Das könnte früher geschehen, sagen wir mal
mit 50 Jahren statt 65, damit sie endlich das machen können,
was sie immer wollten aber aus Zeitgründen nicht konnten.
Das gegenwärtige Arbeitsleben fesselt aufgrund der Arbeitsdichte
den Menschen weit über die geleistete Arbeitszeit hinaus.
Ich meine, dass es leider Mode geworden ist, unverblümter
als je zuvor Menschen nach ihren Nutzen (für andere, die
damit Geld verdienen) in tauglich und untauglich zu sortieren.
Solidarität? Mitmenschlichkeit? Gegenseite Anteilnahme?
Fehlanzeige!
Untauglich sind die zu Jungen und die zu Alten. Die anderen,
die dabei nicht ausgeschlossen werden, werden in einer harten
Konkurrenz ausgelesen. Auf dem Menschenmarkt, dem Arbeitsmarkt
prostituieren wir uns dann alle, so gut wir können. Und
das geschieht eben auch in unserer Szene und die Ausgrenzungen
sind dabei nicht zu übersehen. Das Lebensalter ist nur ein
Faktor unter anderen. Wir warmen Menschen vertragen aber zuviel
Kälte nicht. (Joachim Schönert)
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