- 59. LUST April/Mai 00
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- Die "Frauenmoral"
Inwieweit widerspricht die Moral, die
Frauen vertreten können, ohne als "Schlampe" diffamiert
zu werden, der sexuellen, Beziehungs- und Lebensrealität?
Inwieweit abstahieren Männer von ihrer Lebensrealität,
wenn Frauen in der Nähe sind? Haben Frauen generell die
Funktion in der Gesellschaft, auf "Moral" zu achten?
Inwieweit ziehen wir Lesben und wir Schwulen uns dieses heterosexuelle
Rollenspiel an?
Die Problemstellung
(Der nachfolgende Text könnte als frauenfeindlich mißverstanden
werden, wenn man nicht versteht, daß hier ein den Frauen
aufdiktiertes und anerzogenes Rollenverhalten hinterfragt wird,
das verknüpft ist mit gesellschaftlicher Ohnmacht und persönlicher
Macht.)
In der Gesellschaft, in den Verhaltensnormen, in den "Selbstverständlichkeiten"
der Männer und der Frauen, überall sind Frauen dafür
verantwortlich, daß alles gesittet und anständig vor
sich geht. Lehrer möchten in Klassen rauher Jungs gerne
Mädchen sitzen haben, denn dann verhalten sich die Jungs
etwas gebändigter. Auch in der Arbeitswelt wird dieser Effekt
gerne genutzt, während in solchen Strukturen, in denen es
um Gewalt, Skruppellosigkeit und gegen jede Menschenachtung geht,
Frauen als störend empfunden werden, beispielsweise beim
Militär.
"Männer brauchen Frauen um sich, sonst verfallen
sie in unaufhaltsame Barbarei" (Orson Welles).
Äußert sich ein rüder Junge anzüglich sexuell,
wie dies in Männerrunden grinsend geschieht, schauen alle
auf die anwesende Frau. Reagiert diese amüsiert, sind alle
erleichtert. Es kann weiter erzählt werden. Reagiert sie
entrüstet, dann rücken alle von dem Zotenerzähler
ab, als habe er eine ansteckende Krankheit. Alle tragen ihre
Entrüstung zur Schau. Frauen werden also als Meinungsführerinnen
in Sachen Moral angesehen.
"Ohne die Frauen würden der Mensch roh, grob, einsam
sein und die Anmut nicht kennen" (Francios René
Vicomte de Chateaubriant)
In einer Unterrichtssituation Erwachsener äußerte
ein junger Mann: "Ich wollte, ich wäre schwul. Dann
bräuchte ich euch Frauen nicht dauernd in den Arsch zu kriechen."
Vorausgegangen war wohl ein gescheiterter Kontaktversuch. Große
Entrüstung brandete in der Klasse auf, alle Männer
meinten, sich vor der Frau entschuldigen zu müssen. In dieser
Klasse gibt es eine Frau, die gerne Beziehungsgerüchte über
Mitschüler aber auch Politiker in den Unterricht einstreut;
wenn kein Lehrer in der Nähe ist, dann sicher auch über
die Lehrer. Diese Frau ging zum Vorgesetzten des unterrichtenden
Lehrers, in dessen Unterricht der junge Mann sich so geäußert
hatte, sprach dort von zotigen Bemerkungen eines Mitschülers
und dem mangelnden Willen der Lehrkraft, so etwas zu unterbinden.
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- Der Schüler hatte mit seiner flapsigen
Bemerkung offensichtlich einen empfindlichen Nerv getroffen,
indem er ein real existierendes Machtspiel aufdeckte. Das Gewähren
einer sexuellen Gunst muß in Aussicht gestellt werden,
damit Macht ausgeübt werden kann. Da die Gesellschaft heterosexuell
normiert ist, ist die Frau die Hüterin, der Schlüssel
zur Lebensfreude. Funktionieren kann dies nur, wenn die Auffassung
besteht, daß Sex mit Frauen toll und erstrebenswert sei
und nicht Sexualität an sich. Genau diese Abhängigkeit
von Frauen trifft aber bei männlichen Homosexuellen in dieser
Form nicht zu, was der junge Mann in seinem Machtspielchen nutzen
wollte. Dabei verletzte er aber das Tabu, daß es auch als
frauenfeindlich gilt, wenn man Sex mit Frauen nicht als erstebenswert
darstellt. Da sich die meisten Männer als heterosexuell
verstehen, sind sie von Sex mit Frauen abhängig.
"Beim Liebesspiel ist es wie beim Autofahren: die Frauen
bevorzugen die Umleitung, die Männer die Abkürzung"
(Jeanne Moreau).
Schwule Männer, die vorher heterosexuell gelebt haben, empfinden
die sexuelle Unkompliziertheit der Schwulenszene oftmals als
Befreiung. Schwule Männer geraten nämlich in die Situation,
daß auch um sie geworben wird, daß das begehrte Wesen
auch gelernt hat, zu werben, und nicht nur abzulehnen oder möglichst
aufschiebende Bedingungen zu stellen.
Schwule, die auf jüngeren Partnern stehen, fürchten
sich vor der "Schwulenmutti" oder Fag Hag, wie diese
Frauen in den USA genannt werden, die Einfluß auf das Beziehungsleben
meist jüngerer Schwuler nehmen und diese beraten, doch von
"dem da" die Finger zu lassen usw. Lesben in der Schwulenszene
fällt oftmals auch diese Rolle zu.
Woher kommt diese Zuordnung der moralischen Instanz der Frau?
Was bringt Frauen dazu, Männer (und andere Frauen) ständig
überwachen und kontrollieren zu müssen? Und was bringt
Männer dazu, sich dies gefallen zu lassen, diese Rolle sogar
noch zu verteidigen?
"Kein Wissenschaftler, kein Künstler kann seinen
Auftrage erfüllen, wenn nicht selbstlose Frauenhände
seinen Alltag behüten; kein noch so genialer Arzt seine
Patienten heilen, wenn die treue Pflegerin fehlt - auch keine
Geselligkeit kann blühen, kein Heim eine Stätte der
Geborgenheit darstellen, wenn die stille Btreuung dienender Frauenhände
fehlt" (Gertud von Le Fort).
Im oben zitierten Zitat werden nicht nur Leistungen gelobt, sondern
auch eingefordert. Die Frau wird zur Dienerin und Zuarbeiterin
des Mannes. Der Mann findet es selbstverständlich, sich
bedienen zu lasen. Heim, Pflegerin, Geselligkeit, für alles
ist die Frau die bestimmende inhaltliche Instanz. Moralisierungsversuche
können nämlich nur gelingen, wenn die andere Seite
bereit ist, sich dem Urteil von Frauen zu unterstellen. Männer
müssen auch Vorteile davon haben.
Frauen haben aber auch als gesellschaftliche Kraft über
die Familie hinaus eine moralisierende Aufgabe. Tratsch und Gerüchte
sind die Zuchtmeisterinnen der Moral in der Geserllschaft. Sie
sind aber auch die Triebkräfte von Verhetzung, Diskriminierung
und Verfolgung. Im Grunde könnte dieses ganze System nicht
funktionieren, wenn die Zuhörerinnen einfach bei solchen
Sachen nicht mehr zuhören würde. Macht es denn soviel
Lust, im Tratsch andere Leute fertigzumachen?
"Der Irrtum mancher Frauen liegt darin, daß sie
ihren völligen Mangel an Sex-Appeal mit Tugendhaftigkeit
verwechseln" (Raquel Welch).
Daß nun Frauen, denen ein bestimmtes Verhalten anderer
Frauen auf dem Geist geht, sich ihrerseits sexistisch oder frauenfeindlich
äußern, macht die Sache nicht besser. Jede Frau lernt
aber im Laufe ihrer Sozialisation, daß sie auf dem Gebiet
des Beurteilens anderer Menschen, deren Beziehungen usw. gläubigere
ZuhörerInnen bekommt, als es ihr auf dem Gebiet der Wissenschaft,
Politik und Wirtschaft zugetraut wird. Eine offen lesbische grüne
Wiesbadener Stadtverordnete verfolgt uns (ROSA
LÜSTE/LUST) mit frechen Verleumdungen
über angebliche sexuelle Verhaltensverfehlungen des Sprechers.
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- Enttäuschend ist nicht, daß sie
dies tut, daß sie uns so zu schädigen versucht. Schließlich
sind wir ihrem Machtwillen und ihrem politischen Konzept mit
unserer ursprünglichen Bewegungsstrategie im Wege. Enttäuschend
ist, daß doch eine Reihe von Leuten bereit sind, solche
teilweise schon lächerlichen Anschuldigungen zu glauben.
Man sollte uns aus unseren Handlungen, Äußerungen
und Texten anders kennen. Die Frau brüstet sich nun damit,
wir seien "fertig" gemacht worden.
Tratsch und üble Nachrede sind auch unter Schwulen sehr
weit verbreitet. Ob dies als ein Beleg anzusehen ist, daß
Schwule keine "richtigen Männer" seien, wird zwar
diskutiert. Für mich belegt es nur, daß solche Verhalten
nicht an ein Geschlecht oder eine Geschlechtsrolle gebunden sind.
Wer glaubt, daß sie ihm persönlich nutzen, der benutzt
diese Verhaltensweisen. Ich halte es für tragisch, daß
sich Schwule antihomosexueller bedienen, um sich Vorteile in
Beruf, Gesellschaft, Kariiere und in der Schwulenszene gegenüber
anderen Schwulen zu verschaffen. Letztlich funktioniert aber
Tratsch nur dann entscheidend, wenn Frauen solche Gerüchte
verbreiten oder mitverbreiten. Sie gelten aufgrund ihrer Rolle
für glaubhafter, für kompetente Autoritäten.
"Ein Urteil läßt sich widerlegen, aber niemals
ein Vorurteil" (Mariea von Ebner-Eschenbach).
Ich meine, daß der (von Lehrern und Vorgesetzten gewünschte)
Mechanismus der moralischen Instanz der Frau über die Kleingruppe
hinaus nur im Trüben funktioniert, im Uneingestandenen.
Er ist zudem historisch überholt. Was macht es aber aus,
daß Menschen in doppelmoralischer Weise Halbwahrheiten
zu einer offiziellen Moral machen, die Realitäten sich aber
weitab von diesen zu Schau getragenen Vorgaben abspielen? Was
macht die Lust aus, lustfeindlich im Allzumenschlichen zu wühlen
und so eine fiktive "saubere" aber lustlose Scheinwelt
zu bestätigen?
"Die Frau ist das köstlichste, was es auf der Welt
gibt. Als Gefährtin der Freude, der Lust, des Gefühls,
der Ideen ... hat die Frau im innersten Herzen des Mannes das
Recht zu einer unangreifbaren und heiligen Verehrung"
(Fidel Castro)
Brauchen heterosexuelle Männer (und wohl auch viele schwulen
Männer) die moralisch Überhöhung der Frau als
heiliges reines und schützenswertes verletzliches Wesen
als einen Maßstab "im innersten Herzen des Mannes",
um ihre Schuldgefühle für gar nicht so "reine"
Gedanken, Handlungen, um die reale Unterwerfung von Frauen in
der Gesellschaft und der Sexualität zu kompensieren?
(Die Zitate stammen aus dem Buch "Der ganze Unterschied
ist in den Röcken" von Christian Götz, erschienen
bei PappyRossa)
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- Moral und Macht
In vielen feministischen Untersuchungen wird in letzter Zeit
dargestellt, daß Frauen in Beziehungen so machtlos nicht
seien, wie bislang behauptet wurde. "Mutterrolle: persönliche
Macht und gesellschaftliche Ohnmacht" heißt es da
und zunehmend erfährt man, daß ein Kind hilft, die
Macht der Frau über den Mann in Beziehungen auszubauen.
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- Als Beschützerin des Kindes hat die
Frau vielfach die Möglichkeit, Bedingungen zu stellen und
ihre eigenen Interessen darin unterzubringen. Ansonsten ist natürlich
das sexuelle Begehren des Mannes an der Frau ein Machtmittel
der Frau über ihn, um so stärker, als der Mann genötigt
wird, seine gesamte Sexualität mit der einen Frau zu teilen.
Das Eheschlafzimmer beschneidet sogar die Möglichkeit des
Fremdgehens in der Phantasie, in der Masturbation.
In der feministen Bewegung wurde auch die gesellschaftliche Ohnmacht
der Frau analysiert, und es wurden Strategien entwickelt, diese
zu beenden. Die Rolle der Frau als Tugendwächterin der Gesellschaft
stammt aus einer Zeit, in der die Frau selbst "gesittet"
zu sein hatte, sich selbst überall zurückzunehmen hatte.
Frauen hatten selbstlos und bescheiden zu sein.
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- So vertraten Frauen also keine Frauenmoral
gegen Männermoral, sondern sie vertraten die gesellschaftlich
wünschenswerte Moral von Kirche und Gesellschaft gegen sich
selbst und die Männer in den Bereichen, in denen sie dies
konnten, nämlich dort, wo sie mit Männern zusammenkamen
oder zusammenlebten. Auch in der Kindererziehung verbreiteten
sie diese Moral, die Domäne der Frauen war. Genau deshalb
schien ja nur die Frau für die Erziehungsberufe geeignet.
Heute haben Frauen zunehmend gelernt, ihre eigenen Interessen
in die Vermittlung der Moral zu integrieren, wodurch sie sich
aber auch selbst weiterhin moralisch fesseln.
Es bleibt festzuhalten, daß die Frau durch den Mann in
unserer Gesellschaft unterworfen wurde und noch wird, und zwar
im politischen Bereich, in der Arbeitswelt und auch in der Sexualität,
in dem ihr bestimmte Rollen zugewiesen werden, die sie einhalten
soll. Aber in den Beziehungen, in den fein gesponnenen Netzen
der Menschen untereinander in der Gesellschaft, da gibt es Strukturen
weibliche Macht über den Mann, und dies ebenfalls durch
das anerzogene und sanktionierte Rollenverhalten von Frau und
Mann. Dies zu verleugnen, wäre wissenschaftlich wie auch
zwischenmenschlich unredlich.
Das moralisierende Verhalten von Frauen in der Gesellschaft äußert
sich auf vielfältige Art. In Familien und bei Familientreffen
hat noch niemand in unserer Gruppe beobachtet, daß Männer
in dieser Runde ihre Frauen in irgendeiner Form fertiggemacht
hätten. Männer wollen doch ein "gutes Bild"
abgeben. Im Gegenteil nutzten Frauen bisweilen ein solches Forum,
wenn Verwandte oder Bekannte da waren, um ihre Männer vorzuführen.
Am FKK-Strand läßt auch so mancher schwule Mann gerne
die Blicke schweifen, um sich schöne Männer anzusehen.
Er wird aber erleben, daß er dort kaum einen Blickkontakt
mit Männern bekommen kann, von eindeutiger sexualisierter
Gestik (Anbahnungsverhalten) ganz zu schweigen. Alle schauen
dort uninteressiert weg.
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- Der Blick des Suchenden wird aber ständig
von Frauen eingefangen, die offensichtlich und pausenlos umherschauen,
ohne dies verbergen zu müssen, sich alles sehr genau ansehen,
mustern, bewerten usw. und, wenn es ihnen gefällt, ihren
Männern, Freunden usw. die das hören wollen und die
das nicht hören wollen, Kommentare in die Ohren flüstern
oder lauthals ihre Einschätzungen ausposaunen. Den suchende
Blick eines Mannes wertet eine Frau als begehrlichen Blick nach
Frauen, und damit hat sie umzugehen gelernt.
Der Blick der Frauen, den der Suchende trifft, ist mißtrauisch,
abwehrend und abschätzend. Keine Regung oder Erregung entgeht
ihm. Eine Erektion eines Mannes ist Beleg dafür, daß
er ein Spanner, ein Ferkel sei, und Frauen mobilisieren ihre
Männer an FKK-Stränden gegen solche "Schweine".
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- Unter solchen Bedingungen ist es unmöglich,
einen anderen Mann anzumachen. Die Frauenmoral beeinflußt
auch Mannmännliches. Viele Männer in mannmännlicher
Verbindung scheinen den Blick und das Urteil von Frauen zu vemissen
und suchen sich eine "beste Freundin", mit der sie
ihre Beziehung und das Verhalten anderer Männer diskutieren
können.
Das "Gentlemans Agreement", auch Taktgefühl genannt,
das manche Männer dazu bringt, Verfängliches und Peinliches
bei Frauen und zumeist bei Vorgesetzten zu übersehen, ist
selten bei Frauen zu beobachten. Eher scheinen Viele von ihnen
eine Lust zu empfinden, Peinliches und Verfängliches ans
Tageslicht zu zerren und daraus ihren Nutzen, zumindest ihren
Genuß zu ziehen.
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- Beim Ausfüllen unseres Sexfragebogens
ist uns aufgefallen, daß unser Wunsch von Männern
in der Regel respektiert wurde, den anonymen Fragebogen alleine
auszufüllen. Von Frauen erlebten wir, daß sie das
Ausfüllen ihrer Freundinnen und Freunde beobachten wollten,
in die Bögen schauen wollten, das Ausfüllen kontrollieren,
kommentieren und beeinflussen wollten. Einige wurde zornig und
sehr ungehalten, als wir sie baten, die Freundin oder den Freund
doch alleine ausfüllen zu lassen.
Die anerkannte Moralrolle der Frau in der Gesellschaft bewirkt
also, daß Frauen oftmals sehr distanzlos sind, die Persönlichkeit
der/des anderen nicht so achten können oder wollen, wie
sie ist, einen gewissen distanzierenden Takt gegenüber anderen
nicht aufbringen, sondern im Gegenteil mit der Autonomie einer
anderen Person auf Kriegsfuß sind.
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- Frauen haben aufgrund ihrer Rolle in der
Gesellschaft Schwierigkeiten, die Autonomie eines anderen Menschen
zu achten. Macht oder Einfluß über andere Menschen
bekommen sie ja gerade dadurch, daß sie distanzlos sind
und eine soziale Kontrolle im Sinne der Moral ausüben. Und
diese soziale Kontrolle erwarten Männer von Frauen auch.
In der Gesellschaft, in der Politik und im Arbeitsleben wird
dies auch nutzbar gemacht.
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- Erwerbsleben und Familienalltag
Was sich hier in Mitteleuropa in den sozialen Schichten des Bildungsbürgertums,
des Mittelstandes und nach ihrem Muster lebenden Schichten als
Entwicklung abspielt, kann nicht auf alle Frauen in allen sozialen
Schichten und in allen Kulturen übertragen werden.
Bei uns unter den besser ausgebildeten Frauen erfährt dieses
traditionelle Verhalten in letzter Zeit im Berufsleben und im
Beziehungsleben zaghaft einige Änderungen, in Nachfolge
erheblicher gesellschaftlicher Änderungen.
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- Sowohl Frauen als auch Männer verhalten
sich anders, wenn sie emanzipiert mit den Geschlechterrollen
umgehen. Im Berufsleben läßt sich das "Kontrollieren
wollen" nicht mehr in dieser Form ständig durchhalten,
auch wenn es von manchen Chefs als Mobbing-Hilfe gegenüber
in Ungnade gefallenen ArbeitnehmerInnen gerne genutzt wird.
Die moderne Arbeitswelt lebt von der Team-Idee, Menschen mit
unterschiedlicher Ausbildung, Theoretiker und Praktiker lösen
zusammen die anstehenden Fragen, denn ein Team ist um eine Aufgabe
herum aufgebaut. Die MitarbeiterInnen moderner Arbeitsteams werden
durch Mobbing diszipliniert, werden aber auch innerhalb einem
sachbetonten Klima fachlich und menschlich motiviert, weil Sachlichkeit
die Willkür von Beziehungsurteilen mildert.
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- Die Lösung der Sachprobleme dominiert
die zwischenmenschliche Kommunikation, versachlicht diese. Diese
Versachlichung setzt dem gegenseitigen Überwachen in privaten
Fragen Grenzen. Niemand kann 100%ig sein, und so entstehr ein
Modus vivendi. Da kein Vorgesetzter als Richter auftritt, sondern
das Team selbst alles bespricht, kann sich allerdings auch niemand
der Kontrolle entziehen, den die Teammitglieder gegenseitig ausüben.
Gruppenprozesse kommen hinzu, Subjektivität beim Einschätzen
der eigenen Leistung und die der anderen. Das Team wird letztlich
nach der erreichten sachlichen Leistung bewertet. Die Teammitglieder
bemerken schnell, daß das gegenseitige Akzeptieren der
Fachkompetenz, das Tolerieren der Marotten und das sachliche
Ergänzen dem Team gemeinsam nutzt. So klappt es am besten.
Das gegenseitige Achten der unterschiedlichen Fachkompetenz wirkt
dann auch ins Familienleben zurück. Frauen, die in solchen
Arbeitsteams arbeiten, zeigen weniger Neigung, sich in persönliche
Angelegenheiten anderer Familienmitglieder einzumischen. Es entstehen
im Freizeitbereich eher themenbezogene Umgangsformen. Männer,
die im Familienbereich arbeiten, Kinder versorgen usw. lernen,
sich mehr als bisher um persönliche Fragen der Kinder, der
im Arbeitsleben stehenden Frauen zu kümmern. Dabei nehmen
sie Verhaltensweisen an, die sie an Frauen bisher kritisiert
haben. Überhaupt lernen Männer zunehmend, auf den Beziehungsebenen
zu kommunizieren.
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- Der "neue Mann", der Frauen gegenüber
die "beste Freundin" spielt, ist ein immer öfter
zu beobachtes Phänomen. Und so lernen wir zu verstehen,
daß die unterschiedlichen Verhaltensweisen der Geschlechter
eigentlich nichts anderes als untrschiedliche anerzogene Rollen
sind, die etwas mit der traditionellen Arbeitsteilung in der
Gesellschaft zu tun haben. Da sich die Arbeitsteilung immer weniger
an den Geschlechtern festmacht, kann das Ergebnis nur sein, daß
sich auch im Familien- und Freizeitbereich die Verhaltensweisen
ändern werden.
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- Gesellschaftsentwicklung und Rollenverhalten
Das traditionelle Ausgrenzen der Frau aus der Gesellschaft, das
Begrenzen der Frau auf den engen Bereich der Beziehung bewirkte
für Frauen die Kompetenz und Rollenzuweisung, für die
Moral der Gesellschaft zuständig zu sein. Das immer größere
Ausrichten des Mannes für die Berufswelt erlaubte dem Mann,
sich von den zwischenmenschlichen Verpflichtungen entfernen,
verlangte dies auch vom Mann.
In der Berufswelt lernte der Mann, daß das, was gerade
gebraucht wird, auch geliefert zu werden hat. Kreativität
und Anpasungsbereitschaft werden von zwischenmenschlichen Bereichen
hin zu sachlich und fachlich zielgerichteten Aufgabenstellungen
umgelenkt. Und das wirkt dann zurück auf das Freizeitverhalten.
Dort wünscht sich der Mann auch zielgerichtetes und sachbetontes
Verhalten. Was er gerade bräuchte, soll auch da sein. Ganzheitliche
Strukturen werden zerstückelt.
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- Arbeitsteilung überwiegt auch hier.
Der berufstätige Mann bräuchte für jedes seiner
Bedürfnisse eine andere 100%ig passende Frau (beziehungsweise
einen Mann).
Die lebenslang beziehungsstiftende Liebe, eine Konstruktion zur
Durchsetzung des Partnerschaftsmodelles Ehe, verdrängte
die Gefühle verschiedener gegenseitiger zwischenmenschlicher
Verbindlichkeiten durch ein auf monogamen Geschlechtsverkehr
aufgebautes Paarmodell. Dieses Paarmodell ist zunehmend infrage
gestellt und wird nur noch vorübergehend von denen fanatisch
vertreten, die sich aus Einsamkeit eine Verbesserung ihrer Position
durch eine enge Dauerbeziehung erhoffen, die noch keine Beziehung
erlebten und deshalb Vieles in sie projizieren können.
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- Männer haben in der Gesellschaft für
unterschiedliche Belange viele unterschiedliche AnsprechpartnerInnen,
ihre Ehefrauen (oder Männer) sollen aber möglichst
für alles, was sie bewegt, nur einen Ansprechpartner haben,
nämlich den Ehemann. Diese Verhaltensweisen werden wir in
dem Referat über die Männermoral genauer durchleuchten.
Über die Moralrolle der Frau wurde die starre hierarchische
Ordnung der Gesellschaft in die Familie exportiert. Normen und
Werte, die von den sogenannten "kleinen Menschen" erwartet
werden, können so über die Familie problemlos in die
Strukturen der Bevölkerung einziehen. Das ist auch der Grund,
warum Ehe und Familie als Keimzelle des Staates und der Gesellschaft
angesehen wird, und warum Menschen, die nicht in der Mann-Frau-Dualität
leben, von legalisierten Beziehungen ausgegrenzt und benachteiligt
bleiben sollen. Das zeigt sich besonders auch bei der beklagenserten
Homo-Ehe-Debatte.
Es gibt Schwule und Lesben, die auf die Ehe-Propaganda hereingefallen
sind und sich von einer geleichgeschlechtlichen Verbindung dieser
Art vieles versprechen, was sie in ihren Beziehungen vermissen.
Aber die juristische Diskriminierung selbstgewählter Partnerschaftsformen,
die Benachteiligung in vielen Bereichen läßt sich
nicht durch lesbische und schwule Anpassungsleistungen an das
Mann-Frau-Modell erreichen und bleibt weiterhin ein bekämpfenswerter
Skandal.
Dieses traditionelle Bild von den Rollen der Frau und des Mannes
ist in der Auflösung begriffen, auch wenn wir uns noch immer
mehr danach verhalten, als Viele es wahrhaben möchten. Immer
häufiger begegnet man auch Frauen, die in weltoffener eigener
Souveränität die Persönlichkeit ihrer Partnerinnen
und Partner achten, eine entsprechende Distanz wahren. An die
Stelle des von traditioneller Frauenmoral abhängigen Menschens
tritt der autonome und mündige Mensch, der scheinbar seine
Moral selbst definiert, allerdings im Rahmen neuer Vorgaben der
Gesellschaft.
In die männerbündlerischen Sozialgruppierungen, die
ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten haben, ziehen Frauen
ein und verändern damit sowohl ihre eigenen Verhaltensweisen
als auch die der Männer. Polizei, Militär, Sportvereine,
Stammtische, überall sind auch zunehmend Frauen anzutreffen.
Dabei wird von Frauen ein Spagat zwischen ihrem Beziehungs- und
ihrem Berufsverhalten erwartet, der nicht leicht zu bewältigen
ist und dazu führt, daß vergleichsweise weniger Frauen
als Männer beruflich erfolgreich sein können. Männer
übernehmen zunehmend auch die moralische Bewertungen anderer
Männer, sind dabei aber besonders doppelmoralisch, indem
sie andere für Verhaltensweisen verurteilen, die sie selbst
heimlich praktizieren.
Wenn Frauen sich nicht mehr für die Rolle der Moralgarantinnen
interessieren würden, wäre ein moralisches Chaos die
Folge? Die Zitate am Anfang dieses Referates scheinen das nahelegen
zu wollen.
Es war und ist oft noch so, daß Männer sich auch von
moralischer Verantwortung freisprechen können, wenn sie
die Last der Zivilisation den Frauen aufbürden können.
Sie haben dabei den Vorteil, um diese Fragen unbekümmert
handdeln zu können. Möchten Männer mehr moralische
Verantwortung und wollen Frauen ihre moralische Macht mit Männern
teilen?
Feministinnen, die als Ziel einen Zuwachs an gesellschaftlicher,
wirtschaftlicher und politischer Macht für Frauen anstreben,
distanzieren sich nicht von der Moralrolle, die den Frauen dermaleinst
aufgebürdet wurden. Diese akzeptierte Rolle gibt Frauen
persönliche Macht über Männer und andere Frauen,
verbietet allerdings Frauen ein normsprengendes selbstbestimmtes
Verhalten. Könnten Frauen ihre eigene persönliche Befreiung
aus der Moralrolle erreichen, ohne dabei ihre persönliche
Macht über andere zu verlieren?
Vielleicht entsteht durch das Verändern der traditionellen
Geschlechtsrollen die Freiheit, die Frauen und Männer benötigen,
eine lebbare Ethik ohne Doppelmoral zu erarbeiten, die ein eigenverantwortliches
Leben möglich macht. Dies könnte emanzipatorisch für
beide Geschlechter sein. (Joachim Schönert)
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