- Aus der 58. LUST, Februar/März 2000
- Die Träume der Heteros
Die lüsternen und ängstlichen
Träume der Heteros über uns. Was treiben die Lesben
und die Schwulen so? Was ist an ihnen (uns) nett, normal, unnormal,
unverständlich, unangenehm, ungehörig, pervers usw?
Welch Konsequenzen ergeben sich daraus für uns?
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- 1. Problemstellung
Zuerst einmal ist festzustellen, daß die Geschlechtsrollentrennung
des Menschen uns auf so grundlegenden Weise in zwei Gruppen spaltet,
daß dies über die erkennbaren körperlichen Merkmale
hinaus das Denken, Beobachten, Analysieren, das Bewerten und
Empfinden bei den Geschlechtern völlig unterschiedlich gestaltet.
Wenn eine Frau und ein Mann den gleichen Sachverhalt sehen, werten
und beurteilen, könnte man meinen, daß es sich um
zwei völlig unterschiedliche Sachverhalte handelt.
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- Die angebliche Harmonie und Übereinstimmung
in einer heterosexuellen Bindung ist nur das Ergänzen von
unterschiedlichen Erwartungshaltungen. Männer und Frauen
können einander lieben und verehren, sie können sich
gegenseitig viel Verständnis entgegenbringen, sie können
sich aber nicht gegenseitig verstehen, denn Verstehen setzt "Nachfühlen
können" voraus. Aus den männlichen und weiblichen
Geschlechtern sind künstlich zwei völlig unterschiedliche
Identitäten, Männern und Frauen, entwickelt worden.
Diese künstliche Geschlechtsrollentrennung ist grundlegend
und beginnt schon unmittelbar nach der Geburt. Die größte
Identitätstrennung der Menschen, größer als die
in Nationalitäten, Religionen oder auch sexuelle Identitäten
ist die in die unterschiedlichen Geschlechtsrollen. Dies vor
Augen habend, bemühe ich mich nun, zu ergründen, welche
Mißverständnisse es von heterosexuellen Frauen und
Männern beim Beurteilen homosexueller Frauen und Männer
gibt. Aus den Ergebnissen der Überlegungen will ich sinnvolle
Strategien zur Bewältigung unseres Alltages in einer heterodominierten
Umwelt ableiten.
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- 2. Einleitung
Zu den peinlichsten Äußerungen heterosexueller Zeitgenossen
gehört bei deren Begegnung mit einem Lesben- oder Schwulenpaar
die als wohlwollend gemeinte Frage, wer von uns Mann, wer Frau
sei. Was meinen sie eigentlich damit? Vielleicht bei Schwulen
wer wen fickt, wer das Geld verdient und wer das Geschirr abwäscht,
und bei Lesben, wer den Gummipimmel anzieht und das andere mit
dem Geldverdienen und dem Geschirr auch?
Meinen die Fragenden, daß eine selbstbewußt auftretende
Lesbe ein Mann sei, dem lediglich der Schwanz fehle? Meinen sie,
daß ein sensibel auftretender schwuler Mann eine Frau mit
einem irgendwie nutzlosem Schwanz sei, fehlenden Brüsten
und dem Fehlen der Möglichkeit, mittels Gebärmutter
und selbst produzierten Eizellen Nachwuchs auf die Welt zu bringen?
Die Filmserie "Käfig voller Narren" ist voll solcher
Peinlichkeiten, in dem uns, in diesem Fall nur den Schwulen,
zwar die Fähigkeit zugebilligt wird, ineinander verliebt
sein zu können, aber es wird uns eigentlich nicht zugebilligt,
das zu sein, was der Hetero als "Mann" definiert. Die
Filme sind so aufgemacht, daß die Versuche der Schwulen,
sich als Mann zu beweisen, genau so lächerlich ausgehen,
wie die Schwulen dann dadurch erscheinen. Auch Schwule haben
beim Betrachten der Filme ihren Spaß, indem sie die Zerrbilder
nicht auf sich beziehen, sondern an andere Schwule denken, die
sie nicht leiden können. Dann können sie genau so herzlich
darüber ablachen, wie es so manche Heteros über Schwule
gerne tun.
Wieso gilt es eigentlich als lächerlich für einen Mann,
sich mit Kleidungsstücken zu bekleiden, die in dieser Gesellschaft
für solche Menschen vorgesehen wurden, die mit weiblichen
Geschlechtsorganen ausgestattet sind? Ist es nicht an sich schon
lächewrlich, die Geschlechtsrollenmerkmale künstlich
durch Kleidungsstücke hervorzuheben?
Es ist sicherlich schon etwas lächerlich, ständig gewaltig
mit dem Arsch zu schwenken, sich mit vielen aufmerksamkeitssuchenden
Kreischern, mit Huch und Hach sprachlich zu äußern
usw. Aber dies ist mit Sicherheit auch dann lächerlich,
wenn Frauen derart auftreten. Aber, wenn wir über eine Frau,
die sich derart verhält, sagen, sie sei doch extrem tuntig,
da können wir was erleben. Da erregen sich die chauvinistichsten
Machos über unsere angebliche Frauenfeindlichkeit.
-
- Den Männern gefällt nämlich
ein solches Verhalten bei Frauen, vielleicht auch bei Männern,
wenn sie als Frau verkleidet sind, aber eben bei "richtigen
Männern" nicht.
Es ist schon auch etwas lächerlich, sich stur und breit
zu machen; beim Gehen und Bewegen sich zu verhalten, als trüge
man Gurkenfässer auf seinen Schultern. Die Bewegungen sind
eckig und ruckartig, der Blick wild entschlossen, die Körperhaltung
ist so, als gäbe es einen Haken durch den Nacken, an dem
dieser Mensch ständig nach oben gezogen wird. Aber dies
ist nicht nur lächerlich, wenn Frauen es machen, es ist
auch lächerlich bei Männern.
Ist Euch schon aufgefallen, daß man "feminimes"
Verhalten in unserer Gesellschaft leichter lächerlich machen
kann, weil es ein Unterwerfungsverhalten ist, daß "maskulines"
Verhalten aber als Stärkezeichen und Heldentat angesehen
wird? Vielleicht könnten wir kritisch sagen, daß sich
dieser Mann wie ein Neandertaler verhält, oder natürlich
auch diese Frau.
Sich extrem und übertrieben nach einer Geschlechtsrolle
zu verhalten, ist aus meiner Sicht für jeden Menschen lächerlich.
Diese Verhaltensrollen sind nämlich anerzogen, sind nicht
natürlich, sind gesellschaftlich bedingte Kunstprodukte
der Geschlechtsrollentrennung.
-
- Mädchen und Jungen werden von klein
auf und dann ihr ganzes Leben lang getrimmt, bestraft, überwacht.
Sie überwachen sich selbst und gegenseitig, nur um dem Rollenbild
zu entsprechen, das für Mann und Frau vorgegeben ist. Worüber
ich hier schreibe, das wird mit anderen Begriffen in der feministischen
Diskussion beschrieben, mit den Begriffen Gender und Transgender.
Die Ausprägung der Geschlechtsorgane ist meistens biologisch
bedingt, die Fähigkeit sich seines Körpers zu bedienen,
vielleicht auch noch. Aber die Konsequenzen, die sich in unserer
Zeit und unserer Gesellschaft daraus ergeben, das ist keineswegs
natürlich, sondern das gehört zu den Erziehungszielen
der Gesellschaft und erfüllt dort jeweils auch seinen Zweck.
Wenn also gefragt wird, wer Mann und wer Frau sei, dann stehen
wir nur subjektiv aus der trüben Sicht des Fragers lächerlich
da, objektiv dagegen nicht. Wir werden, weil wir Menschen des
gleichen Geschlechts als erotisch empfinden, für Leute gehalten,
die den primitiven vorherrschenden Rollenvorgaben nicht hundertprozentig
entsprechen. Es sollte uns stolz machen, daß man uns, weil
wir Lesben und Schwule sind, für befähigt hält,
kreativ andere Verhaltensweisen zu entwickeln, als es von der
großen Masse für selbstverständlich gehalten
wird.
Diese Unterstellung gegenüber Lesben und Schwulen, wir seien
keine "richtigen" Frauen bzw. Männer gibt uns
einen Freiraum. Man hält anderes Verhalten bei uns für
möglich, man wäre darüber nicht mal verwundert.
Nutzen wir diesen Freiraum doch!
Noch peinlicher ist es, wenn sich einige in den eigenen Reihen
derart lächerlich verhalten, daß sie versuchen, uns
im Sinne der heterosexuellen Normen zu disziplinieren, uns Vorschriften
zu machen, wie wir uns zu verhalten haben, wenn also Schwule
die Tunten lächerlich machen, Lesben die Butches oder "Mannweiber"
oder kessen Väter. Wer so vorgeht, macht sich zum nützlichen
Idioten der Heteromoral. Coming-out sollte auch heißen,
so etwas hinter sich zu lassen. Überlassen wir dies doch
solchen arroganten Jugendlichen unserer Szene, die sich selbst
in ihrer Altergruppe genug sind, sich in ihren Schwierigkeiten
ständig wiederholen und Erfahrungen Älterer unserer
Szene für unwichtig ansehen.
Das Coming-out schaffen heißt nicht, sich mit seinem homosxuellen
Dasein so lange den vorherrschenden Normen anzupassen, bis wir
uns von den heterogenomten Menschen nicht mehr unterscheiden.
Wir haben es wirklich nicht nötig, uns gegenüber den
heterosexistischen Normen und Zwängen zu rechtfertigen.
Wovon Heteros und Herteras träumen, nämlich daß
wir keine "richtigen" Frauen und Männer seien,
ist leider zumeist gar nicht der Fall. Viele Schwule geben sich
wie Heteros Mühe, zu beweisen, daß sie "richtige"
Männer seien, aus Angst für eine Tunte gehalten zu
werden, und Lesben versuchen zu beweisen, keine "Mannweiber"
zu sein.
In der Frage der Heteros, wer der Mann und wer die Frau sei,
schwingt natürlich noch anderes mit, was mit den grotesken
sexuellen Verhaltensritualen der Heteros und ihrer bizarren Selbstbewertung
zu tun hat, die sie für selbstverständlich und den
Nabel der Welt halten. Jeden Abend kann man im Fernsehen nicht
nur in den Soups und den Softpornos Kostproben der lächerlichen
heterosexuellen Balzrituale und des Vollzuges heterosexueller
Begattungshandlungen sehen. Jemand muß unten sein, sich
hingeben, sich flachlegen lassen, sich unterwerfen, sich bumsen
lassen, und jemand ist oben. Er bestimmt, wo es langgeht, hat
aber sie zu bedienen, zum Orgasmus zu bringen, muß seinen
Mann stehen, darf kein Versager oder Schlappschwanz sein usw.
Nein danke, kann ich da nur sagen.
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- 3. Heteromänner gegenüber Lesben
Im lesbischen Bereich schwingt die Frage mit, wer der beiden
Frauen sich einen Gummipimmel anschnallt und wer der beiden,
so es um zwei Personen geht, diesen "in sich aufnimmt",
wie es so bezeichnend heißt. Die "Scheide" sei
zum Aufnehmen da, so hört man von Heteros, ... Tja, wessen
denn?
Die Scheide ist ja ursprünglich der Schutz eines Säbels,
der gerade nicht gebraucht wird, der in Ruhestellung ist. Ist
der Schwanz ein Säbel? Was für ein lächerlicher
Vergleich für dieses weiche verletzliche Organ, der zudem
noch agressiv gegenüber Frauen (oder Männer im Analverkehr)
ist. Und gerade im erigierten Zustand ist dieses Organ sehr verletzlich,
dieses vom Körper abstehende Bündel von Blutgefäßen.
Tja, und weil Frauen einen solchen Körperfortsatz nicht
haben, fehlt ihnen dann beim Sex etwas? Und ist Sex ein Krieg,
bei dem ein Opfer verletzt, niedergestreckt oder getötet
wird?
Sex zwischen Frauen ist also nur zweitrangiger Sex, weil der
Schwanz fehlt? So zumindest ist dies aus hetero-männlicher
Sicht, die nur der eigenen Selbstbeweihräucherung dient.
Die Phantasievorstellungen der Hetero-Männer über Lesben-Sex
gehen von Standarts und Selbstverständlichkeiten aus, die
gar keine sind. Irgendwie können sich Heteros die Frauen
beim Sex in ihrer Phantasie schon vorstellen, es fehlt dort aber
ein Schwanz, und zwar: ihrer.
Wie sollten Heteromänner die lesbischen Frauen verstehen
können, wenn sie die Heteo-Frauen schon nicht verstehen?
(Das Nichtverstehen ist übrigens gegenseitig). Wenn ein
Hetero-Mann das Gefühl einer engen Hose hat, dann hätte
er gerne ein aus seiner Sicht begehrlich aussehendes Objekt seiner
Begierde, das gerade jetzt auf gerade ihn Lust hätte. Nur
will sie nicht so einfach das, was er will, sondern würde
zum Beispiel gerne erst einmal mit ihm ausgehen, tanzen gehen,
essen gehen, den Mond anschauen, und dann vielleicht in einer
schönen romantischen Stimmung stellt sich bei ihr die Lust
ein, sich ihm gegenüber gehen lassen.
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- Da ist er schon längst völlig ernüchtert
vom langen Warten und der Beschäftigung mit wohl notwendigen
Zusammenhängen, die ihn gar nicht besonders erotisieren.
Bis dahin ist das enge Gefühl in der Hose schon mehrmals
längst wieder vergangen, oder er hat sich in den Tagen bis
dahin schon einige Male selbst geholfen, mit den entsprechenden
Phantasien, die aber nicht realistisch sind. (Übrigens,
ist Selbstbefriedigung nicht in Wirklichkeit ein Fremdgehen?)
Um mit einer Frau entsprechend schnell fündig werden zu
können, muß er ihr so gut wie möglich ein Gefühl
der Harmonie vermitteln. Er muß ihr schmeicheln, ihr nach
dem Mund reden und dabei von wahren tiefen Gefühlen reden,
die viel echter seien als die Anmachkünste der anderen Interessierten.
So kommt er vielleicht weiter.
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- Die Folge ist natürlich auch, daß
er an ihre Antworten nicht so recht glauben kann, da schon seine
Schmeicheleien für ihn nicht glaubhaft waren, auch wenn
er nachher versucht, an das Vorgegebene zu glauben.
Ein Gespräch mit ihr ist ihm intellektuell nicht anregend,
kann es unter diesen Bedingungen auch gar nicht sein. Das intellektuell
anregende Gespräch verschafft sich der Hetero dann in der
Männerrunde, wo man anderer Meinung sein darf, ohne daß
die Männerbündelei darunter leidet. Man will dort ja
niemanden fürs Bett runkriegen. In den Männerrunden,
die Heteros zum Ausgleich zu ihren Beziehungen mit Frauen pflegen,
werden dann erotische Reden geschwungen, die nach den Familienfeiertagen,
z.B. Weihnachten, besonders frauenfeindlich ausfallen.
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- Die erotische Nähe, die hier zwischen
den Männern entsteht, entlädt sich in der Frauenzote,
oder man geht besoffen zusammen pissen. Die tiefen und tabulosen
Männergespräche haben schon etwas Erotisches. Solche
Beziehungen kann man sicher auch "Gehirnfickbeziehungen"
nennen.
Wie sieht der Hetero bei dieser eigenen Bewußtseinslage
das Leben von Frauen, die mit Frauen erotische oder Liebesbeziehungen
anstreben? Solche Frauen sind, wie Heteros manchmal behaupten,
ohnehin so häßlich, daß sie keinen Mann abkriegen
würden. Sie bleiben mit ihren Partnerinnen immer nur im
Bereich des Vorspieles und kommen nie zur Sache, weil ihnen eben
der Schwanz fehle.
-
- Das kann aus männlich heterosexueller
Sicht nicht vollwertig sein, weil aus ihrer Sicht nur vollwertig
ist, wenn sie reinstecken und abspritzen können. Und weil
Lesben solch einen unbefriedigenden Sex haben, meinen die Heteromänner,
deshalb leben Lesben Vieles im Übertragenen auf der Beziehungsebene
aus.
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- Sie tyrannisieren sich gegenseitig psychisch,
wie sich Männer von ihren Ehefrauen psychisch tyrannisiert
fühlen. Um es also ganz klar zu sagen: Heteromänner
haben überhaupt keine Vorstellungen vom Leben lesbischer
Frauen, von der Vielfalt der Erlebnismöglichkeiten, von
lustvollen Rollenspielen, von der Vielfalt sexueller Genüsse
jenseits des Rein-Raus-Spieles, wobei es auch viele Möglichkeiten
gibt, auf das Rein-Raus-Spiel nicht zu verzichten, wenn frau
es möchte. Darüber macht sich ein Heteromann (und übrigens
auch ein schwuler Mann) keine Gedanken, weil es mit seiner Welt
nichts zu tun hat.
Und wie muß er da das Verhalten von Schwulen werten, die
möglicherweise ihm gegenüber ein derart verlogenes
Anmachspiel an den Tag legen könnten, das er gegenüber
einer Frau nie zugeben würde? Es ist schon unangenehm, Objekt
von Manipulationen zu sein, gell Herr Hetero?
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- 4. Heteros gegenüber Schwulen
Schwule sind für einen Hetero auch deshalb Haßobjekte,
weil er uns wegen unserer Freiheiten beneidet. Wenn wir einen
Mann sehen, den wir für erotisch halten, dann versuchen
wir, möglichst sofort eine erotische Situation zu schaffen,
damit wir das ausleben können, wonach uns im Moment ist.
Wir sind da einfach spontaner.
Wenn der andere Mann dann auch noch will, dann brauchen wir nicht
noch 4 Wochen lang den Mond anschauen, denn wir wissen ja beide,
was wir voneinander wollen. Wir haben schließlich beide
genauso ein Ding in der enger werdenden Hose. Wir brauchen nicht
um die Gunst der "angebeteten Frau" zu buhlen, mit
ihr essen zu gehen, sie auszuführen usw.
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- Wir gehen gleich mit ihm ins Bett, in die
Sauna, in die Klappe, in den Wald, in die Dusche, wohin auch
immer. Das andere, das können wir ja später machen,
falls wir es dann überhaupt noch wollen. Wenn sich herausstellt,
daß uns nicht nur unsere eigene Selbstbefriedigung mit
dem Körper des anderen gefällt, sondern der andere
selbst, dann können wir uns ja etwas auf ihn einstellen.
Aber spontaner Sex ohne Einbindung findet leicht und schell statt.
Das stinkt dem Hetero. Und die von (Hetero)-Frauen gesteuerten
Moralvorgaben, die der Hetero einhalten muß, kümmern
uns einen Scheiß. Höchstens wenn wir zusammen mit
Heteros und Heteras über andere Schwule reden, behaupten
manche von uns, daß sie so moralisch seien, wie Heteros
sein müssen. Nur die anderen Schwule wären "so
schlimm" daß es ihnen einfach nur immer um Lust gehe
(und nicht um den gebremsten Schaum der Heterowelt).
Die Heteros trösten sich damit, daß wir keine richtigen
Männer seien, daß wir uns bumsen lassen. Das sehen
sie als niedrig an, weil sie die Rolle von Frauen im Bett auch
als niedrig ansehen. In eine solche Lage möchten sie nicht
kommen. Sie denken in Kategorien wie "dominieren" auf
der einen Seite und "sich hingeben" auf der anderen.
Daß man sich auch recht aktiv bumsen lassen kann, das können
sie zwar zur Kenntnis nehmen, aber sie können es nicht nachfühlen.
Wir haben das Glück, daß wir beides erleben und durchleben
können. Und deshalb ist die Arroganz mancher Heteros schlicht
primitiver Neid. Hinzu kommt, daß viele Schwule bei Frauen
den Ehrgeiz wecken, auch diesen Mann rumkriegen zu wollen. Auch
das sehen Hetero-Männer mit einem gewissen Neid. Nur nutzt
das weder uns noch den Frauen.
Letzlich ist aber der Haß, mit dem uns verschiedene Hetero-Männer
begegnen, erkärungswürdig. Wie kommt es, daß
manche Heteros die Orte aufsuchen, wo Schwule sich treffen, und
dann gebährden sie sich agressiv, weil sie angemacht worden
seien.
Wenn ich eine Sache für unangenehm halte, dann halte ich
mich normalerweise davon fern, denn dann verbringe ich meine
Zeit lieber mit Dingen, die mir Genuß bereiten. Was aber
bringt einen (heterosexuellen) Mann dazu, unsere Szene aufzusuchen,
mit einem schwulen Mann scheinbar anzubändeln, als suche
er Kontakt, um dann den schwulen Mann, meistens zusammen mit
anderen "Schwulen-Klatschern", zu mißhandeln
oder recht oft auch zu ermorden? Oft kommen Raub- und Diebstahlsdelikte
hinzu. Dennoch ist die Brutalität, mit der solche Morde
geschehen, nicht zu übersehen.
Welche Selbstunterdrückungen und Verhetzungen waren nötig,
um aus Menschen solche Monster entstehen zu lassen, daß
sie in fanatisierter Raserei derart mit Menschen umgehen können?
Verantwortlich dafür halte ich die "anständigen
Bürger" aller Szenen mit ihrer Sexualitätsunterdrückung,
mit ihrer antischwulen Moral, mit den süffisanten Witzen
über uns usw. Interessant ist ja, daß antischwule
Gewalttäter oftmals glauben, sie täten es im Sinne
einer höheren Ordnung, sie seien durch die schweigende Mehrheit
der Bürger dazu legitimiert, das zu tun, was sich die offizielle
Gesellschaft aufgrund demokratischer Skrupel nicht traut.
-
- Es könnte auch über die Gründe
der Bereicherung auf unsere Kosten hinaus eine uneingestandene
Faszination uns gegenüber sein. Uns zu foltern und töten
ist dann der Versuch, das in ihm selbst zu foltern und töten,
was vorhanden ist aber nicht sein darf. Dies würde dann
die Raserei und Brutalität erklären.
Der "tolernate Hetero" kann unser Verbündeter
am Arbeitsplatz gegen Mobbing sein, er kann auch ansonsten ein
guter Kumpel sein. Ich warne aber aus Gründen des schwulen
Selbstschutzes davor, die Freundschaft mit Heteromännern
allzu nah werden zu lassen. Zuviel Privates am Arbeitsplatz kann
in bestimmten Situationen gegen uns verwendet werden. Einerseits
ist das, was ein Hetero aus seinen Frauenbeziehung übrig
behält und in Männerkumpanei mit uns austrägt,
oft frauenfeindlich, und eine nähere Kumpanei läßt
zudem bei uns eine Verletzung zurück, da dies nur auf Kosten
unserer Gefühle geht.
-
- Mit dem Gefühl einer größeren
Nähe gegenüber einem Mann, dem wir durch sexuelle Annäherung
Ausdruck verleihen, kann er nichts anfangen, empfindet diese
freunschaftliche Auszeichnung sogar als Angriff. Wäre eine
Freundschaft zwischen einem Hetero und einem Schwulen wirklich
gleichwertig, dann wären wir bereit für seine Gehirnfickbeziehungen,
die er mit Männern sucht, und er wäre bereit für
unsere Körperfickbeziehung, die wir mit Männern suchen.
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- 5. Heteras gegenüber Schwulen
Schweinbar verstehen sich Frauen mit Schwulen besonders gut.
Das trifft aber im wesentlichen auf heterosexuelle Frauen zu,
die sich weltoffen sehen, und solche Schwule, die von ihrer Homosexualität
nur dann Gebrauch machen, wenn Frauen nichts davon mitbekommen
können. Schwulenfreundliche Frauen bekommen im wesentlichen
etwas von den schwulen Beziehungen mit. Sie hören von Versuchen,
jemanden kennenzulernen, von dem Gefühl, vom gewünschten
oder vorhandenen Partner nicht genügend beachtet zu werden,
von den Leiden, die das Fremdgehen verursacht und anderes mehr,
was ihnen selbst nicht ganz fremd ist.
-
- Und da erkennen sie teilweise ihre eigenen
Probleme mit ihrem Partnern wieder. Im dramatischen Beschreiben
des tragischen schwulen Lebens gegenüber Heterofrauen sind
eine Reihe von uns ganz gut. Andererseits bekomme heterosexuelle
Frauen auch die Keßheit und Lebensfreude von Menschen unserer
Szene mit. Natürlich werten sie diese als Frohsinn und nicht
als Ausdruck von Rollen, die in unserer Szene gespielt werden
müssen, um Anklang zu bekommen. Und sie fühlen sich
aufgerufen, das Verhalten der Männer, die sie sehen, aus
der Sichtweise ihrer Erfahrungen zu bewerten und kommentieren.
Das ist vielleicht auch das Problematische an solchen Freundschaften
zwischen heterosexuellen Frauen und schwulen Männern (es
gibt in unserer Szene auch lesbische "Schwulenmuttis").
Frauen haben gesellschaftlich die Rolle, ästhetische und
moralische Vorgaben auch für Männer zu übernehmen
und Männer (auch schwule Männer) haben gelernt, sich
daran zu halten.
-
- Wenn nun Frauen schwule spontane sexuelle
Begegnungen bewerten, tun sie das zumeist aus der unerfrüllten
Sehnsucht nach einer egalitären Beziehung und ihrem Harmoniebedürfnis.
Unangenehme Täter sind aus der Sicht heterosexueller Frauen
solche Männer, die ein bestimmtes Bild verkörpern,
mit dem sie im heterosexuellen Leben auch unangenehme Erfahrungen
haben: ältere Männer, die selbstbewußt auftreten.
-
- Als Opfer erscheinen ihnen solche Männer,
die dagegen das Bild von Hilflosigkeit zu verkörpern scheinen.
Und das sind aus Frauensicht vor allem die jüngeren Partner
in den fleischlichen homosexuellen Spielen, sowie solche Männer,
die mit einem feminim erscheinenden Signalverhalten um Männerkontakte
werben. Aus jüngeren und feminim wirkenden Männern
werden so Opfertypen, aus älteren oder maskulin auftretenden
Männern werden so Tätertypen, und Frauen meinen dann,
sie müßten die Opfer vor den Tätern schützen.
Durch das absurde Übertragen von weiblichen Erlebnissen
und Sichtweisen aus ihrem heterosexuellen Erfahrungshintergrund
in unsere Szene und in die Kontaktrituale der schwulen Szene,
entstehen völlig absurde Auffassungen, während sich
oftmals in der Realität genau umgekehrte Macht- und Unterdrückungsverhältnisse
bei uns zeigen.
Die Diskriminierung und Ausgrenzung älter werdender Schwuler
in unserer Szene sind nur die Spitze des Eisberges, der sich
in unserer Szene, in der Literatur und auch in den Beziehungen
abspielt. In den altersrasistischen Verhaltensweisen unserer
Szene aüßern sich antihomosexuelle Vorbehalte aus
der Heterowelt. Nicht zuletzt sind die Opfer antischwuler Agression
sehr oft ältere Männer, während die Mörder,
Erpresser und Folterer sehr oft Jugendliche sind.
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- 6. Heteras gegenüber Lesben
Die Solidarität von Heteras gegenüber Lesben hält
sich in Grenzen. Dennoch haben Lesben bisweilen den Eindruck,
daß diese Solidarität oftmals größer sei
als die, die Lesben in der Szene füreinander aufbringen.
Das hat etwas damit zu tun, daß zur anerzogenen Frauenrolle
die Höflichkeit gehört, und zum Lernprozeß des
Ablösens von den Rollenzwängen gehört, die eigenen
Interessen auf direkten Weg anzustreben, was der den Männern
anerzogene gesellschaftlichen Rolle entspricht. Der anerzogenen
weiblichen Verhaltensrolle entspricht, die Interessenswahrnehmung
mit den von Frauen erwartenden Demuts- und Unterwerfungsgesten
zu Verknüpfen, mit Koketterie und Raffinesse.
Und so kommt es, daß in der Lesbenszene ein vergleichsweise
rauher Ton vorherrscht, wenn man ihn z.B. mit dem Liebesgesäusel
balzender Heteromänner vergleicht, das allerding nicht lange
anhält.
Genau hier ist dann auch die Verachtung heterosexueller Frauen
gegenüber Lesben angesiedelt. Diese Verachtung der Hetera
gegenüber der Lesbe hat als Hintergrund die Angst, daß
das ganze bürgerliche Familienmodell mit den Lebenszielen
für die Frauen (Hausfrau und Mutter) vielleicht doch nicht
so glücksverheißend ist, wie Frauen es in der Öffentlichkeit
vorzugeben haben, um als eine gute Frau und keine Schlampe oder
Rabenmutter zu gelten. Das Koketterie- und Unterwerfungsverhalten
von Frauen gegenüber Männern, der Versuch, sich unter
möglichst günstigen Bedingungen besiegen zu lassen,
könnte auch durch offen lesbisches Auftreten bloßgestellt
werden.
-
- Die "Verachtung" gegenüber
den "Mannseibern" aus der Lesbenszene hat also als
Hintergrund die Lage der heterosexuellen Frau in der Gesellschaft
und existiert deshalb völlig Sinnlos. Auch lächerlich
ist es, nun das kokettierende Girly-Verhalten mancher Lesben
zu kritisieren, weil es zu heterosexuell sei.
Die Lage von heterosexuellen Frauen im Aufgabenkorsett dieser
Gesellschaft ist bestimmt nicht attraktiver als das Leben, was
sich lesbische Frauen gegenseitig zufügen und selbst erarbeiten.
Daß dies nicht einfach ist, wissen wir alle.
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- 7. Schlußfolgerungen
Es gibt viele Mißverständnisse zwischen den Menschen.
Selbst wenn sie das gleiche sehen und es in der gleichen Sprache
ähnlich bewerten, kann es sich um völlig verschiedene
Sichtweisen handeln. Hinter unseren Worten stehen unsere Interessen
und bisherigen Erlebnisse, unsere Erfahrungen. Wir versuchen,
diese mit den Worten wiederzugeben, die wir in der Gesellschaft
vorfinden. Uns kommt es oftmals nicht in den Sinn, zu unterstellen,
daß man über völlig andere Empfindungen spricht,
wenn man eine Übereinstimmung herauszuhören glaubt.
-
- Und deshalb komme ich zu dem Urteil, daß
es generell sinnlos ist, zu hoffen, wirklich "verstanden"
zu werden.
Wenn diese Beurteilung richtig ist, dann wird auch die Strategie
sinnlos, sich möglichst so zu verhalten, daß man von
Heteros und Heteras nicht negativ gesehen wird. Wir sollten lieber
darauf beharren, daß wir in vielem anders sind und zum
Ausleben unseres Lebens Freiräume benötigen, auf die
wir ein Recht haben. Man muß in der Gesellschaft Verhaltensweisen
auch dann akzeptieren, wenn man sie für völlig unverständlich
hält. Gegenseitiges Akzeptieren in der jeweiligen Verschiedenheit,
das muß als Tugend unserer Szene gelten und das muß
es sein, was wir von der Gesellschaft einzufordern haben.
Ein solches konsequentes Fordern der Anerkennung der Selbstbestimmung
der Individuen über sich selbst, würde nicht nur uns,
sondern auch anderen Menschen nüzlich sein, Menschen anderer
kultureller oder religiöser Identität, überhaupt
allen Menschen. (js)
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