Aus der 58. LUST, Februar/März 2000
Sexfragebogen
Schon zweimal haben wir einen Sexfragebogen erstellt, in Umlauf gebracht und dann ausgewertet. Während die Rückläufer über die LUST uns auch Aufschlüsse über unsere LeserInnnenschaft geben konnte, haben die Sexfragebögen in ihrer Gesamtheit (auf Festivals haben auch heterosexuelle TeilnehmerInnen mitgemacht) schon viele Vergleichsmöglichkeiten erbracht. Sind wir anders als Heteros?

Am 2. Sexfragebogen nahmen 981 Personen teil, von denen 515 angaben, männlich zu sein, 469 weiblich und 2 wollten oder konnten sich hier nicht einordnen. An vielen Stellen waren natürlich Mehrfachnennungen möglich, denn warum soll jemand nicht z.B. heterosexuell und pädophil gleichzeitig sein. Was die sexuelle Identität betrifft, gaben 312 Personen an, homosexuell zu sein, 115 bisexuell, 561 heterosexuell, 12 pädophil und 7 wollten sich in diesen Kategorien nicht wiederfinden. Reine Zahlen sind nicht anschaulich, deshalb werde ich in Folge Ergebnisse darstellen.

Im ersten Sexfragebogen konnten viele Heterosexuellen mit der Bezeichnung "heterosexuell" nichts anfangen, so daß wir zum Verständnis für diese Leute noch dazuschrieben ( normal, Mann und Frau). Dies führte dazu, daß die Heten dies nun verstanden, viele Lesben und Schwule aber die Bezeichnung "normal" kritische Anmerkungen schrieben. Überhaupt können verwertbare Antworten nur dann gesammelt werden, wenn die TeilnehmerInnen die Fragen auch verstehen können. Die direkten Formulierungen in verschiedenen Fragen erleichterten zwar das Verstehen, wurden aber auch gleichzeitig als "zu direkt" kritisiert.

Daß wir bei der sexuellen Identität "heterosexuell", "homosexuell", "bisexuell", "pädophil" und "oder" hinschrieben, entrüstete einige weiblichen Beantworterinnen, die anmerkten, "pädophil" hätte in diesem Fragebogen nichts verloren. Wir sind da natürlich anderer Meinung.
 
Wir können nur etwas von allen unterschiedlichen Menschen erfahren, wenn sie die Möglichkeit haben, ihre Kategorie anzukreuzen. Unter den 12 Menschen, die angekreuzt haben, pädophil zu sein, fanden sich 3 Frauen und 9 Männer. Eine Frau gab zusätzlich an, bisexuell zu sein, die anderen beiden ausschließlich pädophil. 3 Männer gaben zusätzlich an, schwul zu sein, 2 bisexuell, einer hetero und 3 ausschließlich pädophil.

Das Verhalten der TeilnehmerInnen am Infostand gab uns Rätsel auf. Während Männer unserer Bitte zumeist nachkamen, den Fragebogen alleine auszufüllen, ohne daß Freund oder Freundin zusehen können, wehrten sich viele Frauen dagegen, bei ihren Freunden oder Freundinnen nicht zusehen zu dürfen.
 
Sie wurden teilweise sogar aggressiv, so daß wir hier aufgeben mußten und es zulassen mußten. Frauen wollen anscheinend "ihren" Partner oder "ihre" Partnerin bei solchen Aussagen beobachten, vielleicht sogar überwachen. Das bedeutet natürlich, daß wir dann bei der Frage, ob die TeilnehmerInnen heimlich untreu seien, kaum ehrliche Angaben erwarten können.

Der Wahrheitsgehalt der Antworten ist wie bei allen Datenerhebungen mit Vorsicht zu genießen, denn wir erfahren natürlich das, was die TeilnehmerInnen angeben wollen und wie sie selbst sehen, was sie tun. Das zeigte sich zum Beispiel an der Frage, wer bei dem ersten sexuellen Partnererlebnis die Initiative ergriffen hatte. Anzukreuzen war "selbst" oder "PartnerIn".

169 TeilnehmerInnen (von 981) gaben an "beide". Sie mußten diese Kategorie extra zusätzlich auf das Blatt schreiben, weil sie nicht vorgesehen war. Es war ihnen wichtig, mitzuteilen, daß keiner der beiden den Anfang gemacht habe. Das ist natürlich eine Wertung.

Die Angaben hier stellen keinen Querschnitt durch die Bevölkerung dar, weil sich auf den Festivals natürlich nur die Leute an unserem Stand drängten, um den Bogen auszufüllen, die aus irgendeinem Grund das Interesse hatten, einen solchen Bogen auszufüllen. Auch solche, die den Bogen nicht ausfüllen wollten, wären ja von Interesse.

Da der Stand auf alternativen Festivals und bei CSDs stand, haben wir wohl kaum Leute ansprechen können, die sich bei einem Kirchentag sammeln würden oder bei irgendwelchen rechten Aufmärschen. Nicht einmal das Zahlenverhältnis von homosexuellen Menschen zu Heten ist hier von Relevanz, denn die Veröffentlichung in der LUST und die CSDs erzeugen andere Gewichtungen, als es im Bevölkerungsdurchschnitt zu beobachten wäre.
 
Aber uns hat erstaunt, wie viele Leute, die angaben, heterosexuell zu sein, auf der Konstablerwache beim damaligen Frankfurter CSD, dem Schlachthofgelände beim damaligen Wiesbadener CSD und auf der Mainzer Ziegelei anwesend waren. Auch unter den BeantworterInnen aus den LUST-LeserInnen befanden sich Heten.

Das Selbstbewußtsein der Heten darüber, daß sie ja "normal" seien, zeigte sich auch bei der Beantwortung der Frage, ob sie sich mit ihrer sexuellen Neigung gesellschaftlich akzeptiert fühlen. Nahezu alle heterosexuellen Frauen (262 von 288) und Männer (221 von 263) fühlen sich mit ihren Neigungen gesellschaftlich akzeptiert, als häufigste Begründung wurde angegeben, daß sie ja normal seien.
 
Sie haben damit zweifellos recht. Was sie angeben, entspricht der gesellschaftlich vorherrschenden Norm. Die weiblichen Heten, die nicht daran glauben, anerkannt zu sein, wechseln häufig ihren Partner, die Männer haben Lust auf Oralverkehr, was sie mit ihren Partnerinnen selten können. Unerfüllbare sexuelle Wünsche sind besonders bei schwulen Männern angegeben, dort am häufigsten Analverkehr ohne Pariser, Blasen mit Abspritzen und Schlucken.

Bei den Heteros wurde meistens angegeben, daß sie keinen Safer Sex praktizieren. Zu den Begründungen gehörte, daß sie nicht schwul seien, normal seien, daß sie nicht fremdgehen würden oder, daß sie zwar über die Gefährlichkeit wüßten, aber eben "leider" immer wieder unvorsichtig seien. Die Normies (Heten), die angaben, safer Sex zu praktizieren, haben aber in den detaillierten Fragen erkennen lasen, daß sie gar nicht wissen, was Safer Sex ist.
 
Da glauben welche, daß alleine Hygiene schützt. Beim Bumsen, das wissen dann doch einige, sollte man mit einem Pariser arbeiten. Verschiedene meinen aber, daß dies nur beim Analverkehr nötig sei. Einige fühlen sich geschützt, weil sie die Pille nehmen. Daß im Vaginalsekret das Virus vorhanden sein könnte, wissen sie alle nicht.
 
Interessant ist auch, daß Hetero-Männer bei der beschriebenen Situation, mit dem Penis einen Orgasmus im Mund zu haben, nur erklären konnten, sie seien nicht schwul und würden infolgedessen dies nicht tun. Niemand kam auf die Idee, daß sie das ja bei ihren gewünschten Sextechniken mit Frauen angegeben hatten, daß also Frauen ihren Penis bis zum Orgasmus in den Mund nehmen sollten.

Da ist die Aufklärungssituation unter den schwulen Männern bedeutend besser. Lesben wissen zum großen Teil auch ganz gut Bescheid, wie sich Schwule verhalten sollen, nur von Dental-Dams wissen die meisten nichts.

Witzig ist auch folgende Beobachtung: Wie man sich bei der ersten Selbstbefriedigung gefühlt habe, daran können sich die meisten jungen Leute unter 20 nicht mehr erinnern, es sei schon zu lange her. Leute zwischen 40 und 70 Jahren wissen aber ganz genau, daß es sehr lustvoll war. Nahezu alle hatten unter dem 15. Lebensjahr ihre erste Selbstbefriedigung. 37 heterosexuelle Frauen haben sich noch nie selbst befriedigt, jedoch nahezu schon alle sexuelle Erlebnisse mit Männern gehabt.

Noch Vieles kann aus den Unterlagen herausgefunden werden. Wir werden von Zeit zu Zeit veröffentlichen. Aber da bräuchten wir Hilfe von FreundInnen aus Wiesbaden oder dem näheren Umland, die besser als wir mit Excel umgehen können. Hallo, meldet Euch doch mal. (Joachim Schönert)
 
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