54.Lust: Juni/Juli 99
 
Lesbische und schwule Macht
Über das Verhalten von Lesben und Schwulen in Führungsrollen. Ist es für uns erstrebenswert, wenn Lesben und Schwule Schlüsselpositionen in Wirtschaft und Staat besetzen? Wie wird Macht aufgebaut?
 
1. Kleiner Rückblick
"Was wir brauchen, ist Macht", sagte vor 15 Jahren, na wer denn? Ich glaube, es war Matthias Frinks in irgendeinem Zusammenhang. Dieser Ausspruch wurde von unseren Leuten auf unsere Lage angewandt, auf die Lage der Lesben und Schwulen in der Gesellschaft und auf die politischen schwulen und schwul-lesbischen Gruppen, die sich als die Sachwalter der lesbischen und schwulen Interessen empfanden. Gemeint war natürlich in irgendeiner Form eine Gegenmacht.

Sie waren teilweise regionale Gruppen, wie zum Beispiel wir, die ROSA LÜSTE, und andererseits bundesweite Gruppen, wie zum Beispiel die Gruppe Homosexualität und Kirche (HUK), die parteinahen oder themenzentrierten Gruppen wie die Lesben und Schwulen im Gesundheitswesen, die schwulen Juristen usw. Es entstand, um bundesweit auftreten zu können, als Dachverband der "Bundesverband Homosexualität" (BvH).

Die Spaltpilze waren bei der Gründung schon zu spüren. Die "bundesweiten", wie sie sich nannten, unter Führung von Leuten, zu denen auch das heutige Umfeld von Beck gehörte, putschten schon in der Gründungsphase, versuchten die Basis der regionalnen Gruppen auszuschalten.
 
Unter der Begründung, daß die Würzburger Schwulengruppe (WüHSt) überfordert sei, die damals zur Gründung aufgerufen hatte, daß angeblich vieles schlecht gemacht wäre, daß es ihr um Macht gehe, versuchten sie, eine Art Kommandostruktur zu errichten, die die Initiatoren und andere regionale Gruppen behindert oder ausgeschlossen hätte.
 
Das scheiterte damals zwar, zeigte aber den Weg zur Sollbruchstelle in der Bewegung. Schon damals ging es darum, für die "Basis" zu sprechen (oder wie Beck damals sagte: für die schweigende Mehrheit der Schwulen), aber den Einfluß der Bewegungsschwulen und -lesben auf die Entscheidungen eines Bundesverbandes möglichst kleinzuhalten.

Die Gelegenheit zum organisatorischen Bruch ergab sich durch die Wiedervereinigung. Der Schwulenverband der DDR (SVD) wurde von westlichen Führungsleuten (die Beck-Dworek-Bruns-Seilschaft) über Kampagnen-Politik einerseits und Diffamierungen oder persönlicher Verächlichmachung der politischen Gegner andererseits schrittweise zu einem zentralistisch ausgerichteten Verband ausgebaut, denn die Schwulen der ehemaligen DDR wußten dem einerseits nichts entgegenzusetzen oder akzeptieren dies.
 
Der Sprecher des SVD (Schwulenverbandes in Deutschland, heute Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland, LSVD), Volker Beck, setzte schrittweise die sogenannte "Gleichstellungspolitik" durch und konkurrierte so inhaltlich mit dem BvH, in dem eher emanzipatorische Auffassungen mehrheitsfähig waren aber nicht deutlich artikuliert werden konnten, um die bürgerliche Minderheit nicht zu verärgern.

Die Sollbruchstelle wurde nun klarer: es war die Kampagne um die sogenannte Homoehe, die einerseits genügend Aufmerksamkeit in den Medien erzeugte, die Ehe durch das Vorführen ultrakonservativer GegnerInnen für Schwule zu einem verteidigenswerten Inhalt machte und andererseits die Anhänger emanzipatorischer Vorstellungen dadurch in die Defensive brachte. Denen war es um die Vielfalt von Lebensformen gegangen.

Die "neue" und heute vorherrschende politische Ausrichtung der Bewegung ist also die der Gleichstellungspolitik, was im weitergehenden Sinne bedeutungsvoll ist als nur in der Ehe-Frage, sondern geeignet ist, uns in einen immer stärker werdenden Anpassungs- und Integrationsdruck zu zwingen.
 
2. Macht, was ist das?
Es handelt sich um die Möglichkeit, Abhängigkeit anderer für eigene Zwecke zu nutzen. Der Ausgenutzte erkennt seine Abhängigkeit und ist davon überzeugt, daß er entweder das Risoko, zu widerstehen, scheuen muß, oder daß es für ihn vorteilhaft oder erträglich ist, gemäß der Interessen des Machthabenden zu handeln, er partizipiert an der Macht.

Oft werden die Begriffe "Macht" und "Einfluß" verwechselt oder bewußt (polemisch) nicht auseinandergehalten. Wenn jemand gute Vorschläge macht, die angenommen werden, dann hat er Einfluß, keine Macht.
 
Wenn jemand versucht, für ein von ihm gegründetes Projekt eine Struktur zu schaffen, die ermöglicht, daß sich dieses Projekt auch im beabsichtigten Sinn entwickeln kannn, hat er eine einflußreiche Stellung. Die kann und sollte er auch verteidigen.
 
Er muß nämlich verhindern, daß seine Arbeit zur Ergänzung anderer Interesen funktionalisiert wird. Kritiker seiner "Macht" wissen genau, daß immer Einfluß vorhanden ist. Wenn nicht der zweckgebundene Einfluß, dann der andere. Ein solches Projekt ist ein Angebot, an dem man sich beteiligen kann, wenn man es für sinnvoll hält, oder nicht wenn nicht.

Schließlich gibt es noch den Begriff "Manipulation". Sie wird angewandt, wenn keine Macht vorhanden ist, aber das Gegenüber zu etwas gebracht werden soll, was ausschließlich dem Interesse des Manipulieres nutzt.
 
Das Gegenüber darf nicht merken, daß und wie es zugunsten fremder Interessen beeinflußt wird. Es wird ihm eine angenehme Rolle angeboten, sein Selbstbild wird verstärkt und mit dem Ziel des Manipulieres verknüpft. Dessen Ziel kann Gewinnstreben oder Machtausbau sein.

Haben wir Macht? Wer ist überhaupt "wir"? Um was handelt es sich also bei der Forderung: "Was wir brauchen ist Macht"? Wir haben damals bei diesem saloppen Spruch nicht genügend nachgedacht. Denn die richtige Frage bezüglich Macht heißt: "Wer will hier auf welche Weise über wen Macht?"

Wir wollten nicht mehr weiter diskriminiert werden. Wir waren mit diesem Wunsch politisch und gesellschaftlich damals nicht so recht weitergekommen. Haben wir nun Macht, wenn wir uns überwiegend so verhalten, daß man uns zur Zeit einigermaßen unbehelligt leben läßt?

Haben die Gay-Manager nun die heterosexuellen Manager aus ihren Führungsrollen verdrängt? Und wenn ja, was wäre dadurch erreicht? Haben lesbische und schwule PolitikerInnen es geschafft, den Spielraum für unser ureigenstes Leben zu vergrößern und verringern sie den Anpassungs- und Normierungsdruck gegen das Ausleben unser ungezügelten Neigungen und gegen unser selbstbestimmtes Leben?

Offensichtlich ist es so, daß es schon immer lesbische und schwule Führungskräfte in Politik und Wirtschaft gab. Sie wurden (und werden) in der Regel nicht deshalb Führungskräfte, weil sie von der lesbisch-schwulen Gemeinschaft dort hingesetzt wurden, sondern wegen ihrer Karriere in Wirtschaft und Politik, die stattfand, trotz ihrer Homosexualität. Vielleicht auch wegen der Eigenarten, die ein homosexuelles Leben (ohne Ehe und Familie) ermöglicht.
 
Früher hatten wir in der Bewegung die Erfahrung gemacht, daß wir oft genau dort nicht weiterkamen, wo ein versteckter Schwuler in einer wirtschaftlichen oder politischen Macht- und Entscheidungssituation war.
 
Wir nannten sie "verklemmte Schwule", weil sie ihren Einfluß gegen unsere Attacken auf die öffentliche Moral geltend machten. Dies taten sie zumeist, um sich nicht als Schwule eine Blöße vor ihren (heterosexuellen) KonkurrentInnen im Sinne der Moral zu geben.

Was sich verändert hat, ist, daß es ihrer Karriere nicht mehr so abträglich ist, offen lesbisch oder schwul zu sein, und das wurde nicht erreicht, weil sie ihre Führungsposition dazu verwandt haben, die Akzeptanz in der Bevölkerung zu vergrößern, sondern sie können deshalb offen sein, weil die Akzeptanz in der Bevölkerung trotz solcher und anderer Führungskräfte größer geworden ist.
 
Wovor sie sich immer noch fürchten, ist eine Image von Schwulen, das so ist, wie schwules Leben in der Tat ist und die Moralisten tatsächlich außerordentlich schocken würde, ihnen genug Munition im Karrierewettstreit gegen den schwulen Konkurrenten geben würde.

Es geht nicht gegen die Homosexuellen, die anständig sind und heiraten möchten, sondern es geht gegen die Homosexualität, die hoffentlich noch immer hemmungslos geil ist und sich nicht in duch Weichenstellungen der Moral einengen läßt.

Interessant sind heutzutage aber auch solche Lesben und Schwule, die in der Politik und Öffentlichkeit deshalb eine gewisse Karriere gemacht haben, weil die Akzeptanz in der Bevölkerung und auch in einigen Parteien größer geworden ist, und sie dort glauben machen konnten, sie seien Repräsentaten der Bewegung.
 
In der Bewegung konnten sie glauben machen, sie seien irgendwie wichtige Leute. Wenn sie dann einen Staatsposten bekommen, dann haben sie die Macht dieses Postens und wir können im Alltag beobachten, ob sie die Macht, die diese Posten mit sich bringen, nutzen, unseren Lebensspielraum zu vergrößern oder um ihn, ihrer Karriere zuliebe, in anderer Weise einzuschränken.
 
3. Wie funktioniert der Aufbau von Macht?
Wir haben es mehrfach beobachten können, wie Leute in irgendwelchen Vereinen, Bewegungen, Parteien, sich selbst aufbauen, dort Machtpositionen erreichen, um ein einziges Ziel zu erreichen: sich einerseits über die Basis in eine Macht- und Entscheidungsposition zu bringen und andererseits in den Entscheidungen von der Zustimmung anderer (also der Basis) freizumachen.
 
Gleichzeitig versuchen sie, in der Basis glauben zu machen, daß sie wichtige Leute seien, die in der Lage sind, die Interessen der Basis voranzubringen, also Propaganda und Manipulation.

Da gibt es die verschiedenen Angriffs-Methoden. Wer als Person angegriffen wird, muß sich verteidigen und kann die zunehmenden Machtanmaßungen nicht kritisieren, denn das würde nur als Steit angesehen. Das kann man mit solchen Menschen machen, die in gewissen Abhängigkeiten oder Sachzwängen sind und sich dies gefallen lassen müssen.
 
Machtgeile Leute greifen andere in ihrer persönlichen Integrität oder Glaubwürdigkeit an. Zu ihrem Repertoire gehört, andere rhetorisch so in die Enge zu treiben, daß sie vor Publikum aufgrund von Suggestivfragen nur noch die Möglichkeit haben, entweder zuzustimmen oder sich ohne Argumente zu verweigern. Dies gibt den Machtmenschen dann noch die rhetorische Möglichkeit, den anderer zu psychologisieren. Die anderen dienen als Treppenstufen ihres Machausbaus.

Indem man zum Beispiel die politische Basisarbeit eines anderen kritisiert, macht man sich zum Richter über Basisiarbeit und stellt sich über sie. Indem man einen anderen Menschen als menschlich untragbar hinstellt, macht man sich zum moralischen Instanz.
 
Indem man einem anderen formale Mängel nachweist, macht man sich zum korrekten Spezialisten. Indem man anderen taktische Fehler unterstellt, macht man sich zum besseren Taktiker. Indem man anderen Machtwille unterstellt, macht man sich zum "Beschützer der Armen" und bringt sich so selbst in eine Machtposition usw.

Das ganze geht nicht nur mit Angriffen, sondern auch mit Anerkennungen. Das macht man mit Leuten, die man nicht unter Kontrolle hat, die sich entziehen können und die sonst zu Konkurrenten würden, die man derzeit also zum Verbündeten machen will. Indem man jemanden ob seiner Taktik lobt, macht man sich zum Obertaktiker.
 
Indem man jemanden wegen seiner persönlichen Integrität lobt, macht man sich selbst zur obersten moralischen Instanz. Machtgeile Menschen müssen sich also in die Situation bringen, das Verhalten anderer Menschen für andere zu beurteilen. Sie haben Fragerecht und andere Antwortpflicht.

Also: was kritisieren die Machtgeilen bei anderen? Das, mit dem sie selbst Macht ausüben wollen. Der da sei machtgeil, kritisieren die Machtgeilen. Die da will immer andere beurteilen und bevormunden, kritisiert die Tugendwächterin. Der da will sich in eine gute Ausgangsposition bringen, um an Jugendliche zu kommen, kritisieren die Jugendliebhaber, indem sie sich selbst in diese Ausgangsposition bringen.

Wer sind die Kraftquelle der Machgeilen? Natürlich alle, die treu und brav ihrer redlichen (politischen) Arbeit nachgehen und so das politisch oder wirtschaftlich erarbeiten, was eine Führung zum Führen benötigt. Und wer sind prädestinierten Opfer, die Vorführobjekte von Führern? Solche, die eine gute Basisarbeit machen, sich aber nicht für die Zwecke andere Funktionalisieren lassen wollen.
 
Das von ihnen Aufgebaute wollen sie nämlich für sich nutzen. Die Angegriffenen sollen entmutigt sagen: macht doch euren Dreck alleine. So kann man sich dann die Arbeit anderer aneignen. Wer deren Macht und insofern auch deren Berechtigung, so zu handeln, anzweifelt, dem wird es nachhaltig beigebracht.

Was können die anderen machen, um sich davor zu schützen? Es muß die Formalstruktur eingehalten werden. Zum Beispiel: wer die Diskussion leitet, darf nicht mitdiskutieren. Und die Diskussionsleitung muß dafür sorgen, daß die Rednerliste eingehalten wird, daß man bei der Tagesordnung und beim Thema bleibt, daß niemand persönlich angegriffen oder attakiert wird usw. So haben auch die Nachdenklichen dann die Möglichkeit, sich überlegt zu äußern und müssen sich nicht in einer rhetorischen Schlägerei zu Schnellschüssen verleiten lassen.
 
Die gewählte Diskussionsleitung muß dafür sorgen, daß unabhängig vom Inhalt jede Gesprächteilnehmerin, jeder Teilnehmer so äußern kann, daß sie/er sich mit ihrer Meinung verständlich machen kann, ohne abgelenkt und unterbrochen zu werden.
 
Auf seine Meinung hat jeder Mensch ein unbedingtes Recht. Niemand braucht sich für seine Meinung rechtfertigen. Niemanden steht es zu, Menschen für ihre Meinugen herabzusetzen, denn die unterschiedliche Meinug ist nicht blöd oder falsch, sondern anders. Für seine Meinug hat jede und jeder gute Gründe. In einer Sachauseinandersetzung geht es um die Sache und nicht die "psychischen Störungen" anderer.

Würde man mit einem gleichberechtigten Partner diskutieren, mit dem zusammen man an einem Projekt arbeiten möchte, dann würde man bei unterschiedlichen Auffasungen den anderen ermöglichen, daß er uns diese andere Auffassung erklären kann, denn dafür hat er ja Gründe.
 
Sieht man ihn als einen Gegner und mögliches Hindernis bei seiner Machtanmaßung an, dann kommt es darauf an, zu verhindern, daß er sich erklären kann. Also: ihm unterstellen, was er denkt, meint, befürchtet und ihm keine Gelegenheit geben, seine Gedanken zu ordnen. "Also, Ja oder nein?" So etwas nennt man "vorführen".

Es gibt hier eigentlich zwei Grundhaltungen. Die eine heißt: "Wie kann man nur so dumm, so ignorant, so naiv sein, die These X für richtig zu halten?" Dies sind Ausdrucksformen persönlicher Herabsetzung statt gegenseitiger Achtung von Partnern.
 
Die andere Form könnte sein: "Ich akzeptiere, daß Sie in dieser Frage eine andere Meinung haben als ich. Sie haben sicher gute Gründe dafür, wie ich für meine Meinung gute Gründe habe. Vielleicht ist es uns möglich, zusammen einen Schritt weiterzukommen als jeder für sich".

Machtbewußte Leute schlagen gerne vor, auf formale Regelungen zu verzichten, weil sie dann alle Tricks und Mittel einsetzen können, die sie zur Durchsetzung ihrer Ziele benötigen. Man stelle sich vor, jemand ist rhetorisch sehr gut, versteht es, Sympatien durch spannendes Erzählen aufzubauen, unterbricht, wenn es ihm paßt, andere, wirft anderen vor, ihn zu unterbrechen. Solche Leute können dann, wenn es ihnen gerade in den Kram paßt, die Themen wechseln, kleine oder größere persönliche Spitzen landen.
 
Sie können, wenn es gerade ihnen paßt, über etwas abstimmen lassen und sich dabei noch als Demokraten hinstellen, wenn jemand dagegen Bedenken äußert. Gleichzeitig wird dem anderen vorgeworfen, mißtrauisch und feindselig zu sein. Wichtig ist auch, Privatgespräche zu führen, wenn gerade jemand anderes spricht und anderes mehr. Wichtig ist auch die Körperhaltung und Sitzordnung.
 
Erst sich gegenüber den Sitzungsleiter setzen, wenn einer vorhanden ist, um ihn irgendwie beinflussen zu können. Oder man setzt sich so hin und verhält sich auch so, als sei man selber der Sitzungsleiter. Dann Klüngel bilden, die andere einfach ausschließen.
 
Ihre Dreistigkeit können sie sich noch vom Publikum als Cleverness feiern lassen, indem sie erzählen, wie sie damit die ganz schlimmen Gegner in die Pfanne hauen. "So bin ich nun einmal", heißt, daß sie sich das Recht herausnehmen, übel mit anderen umzugehen. "So sind nun mal politische Auseinandersetzungen", heißt, daß sie den Stil so haben wollen, wie es ihnen gerade in den Kram paßt.

Gegen solche Leute und solches Verhalten hilft nur das strenge Einhalten von Rednerliste und Tagesordnung. Aber das wissen sie auch. Voraussetzung ist, daß man bei diesem Gespräch die gemeinsam beste Lösung haben möchte und nicht die am geschicktesten durchgesetzte. Gegen andere Durchgesetztes schafft Opfer, die Partner sein könnten und garantiert nicht die Richtigkeit des Durchgesetzten.
 
"Ich bin.." und "der/die ist.." sind immer subjektive persönliche Bewertungen außerhalb der Sachebene.
Politische oder inhaltliche Entscheidungen sollen deshalb gefällt werden, weil sie möglichst richtig und hilfreich sind und nicht, weil irgendjemand von uns Vertrauen verlangt. "Dem könnt Ihr vertrauen", von dem habe ich einen guten Eindruck, sagt einer, dem man selbst vertrauen soll. Wer redlich ist, läßt überprüfen.

Solches Verhalten ist keine Bagatelle. Menschen die gegen ihre Gegner so vorgehen, werden bewundert. Aber die Bewunderer können sehr schnell in die Lage kommen, selbst zum Vorführ- oder Agressionsobjekt zu werden. In Klärungsgesprächen unter Partnern sollte dieser Stil nicht geduldet werden, auch wenn der Mensch, der so vorgeht, dies möglicherweise im Moment in unserem Interesse tut.

Aus kleinen Vorteilsnahmen in Gruppen werden vielleicht irgendwann einmal Karrieren. Und wie in kleinen Gruppen geschieht es oft auch in größeren Strukturen.

Ein gutes Beispiel, Macht aufzubauen, war Fischers Turnschuhaktion im hessischen Landtag. Damals war man in der sogenannten Alternativszene sehr auf Äußerlichkeiten bedacht. (Auch das ist eine beliebte Machtmethode, inhaltliche Fragestellungen durch Äußerlichkeitenkritik oder Formalkritik zu unterlaufen.)
 
Daß er sich als Minister mit Turnschuhen vereidigen ließ, besänftigte grüne Basisdemokraten und provozierte Erzkonservative, was linke Grüne zwang, Fischer den Rücken zu stärken, obwohl man schon damals mit seiner "Realpolotik" nicht einverstanden war.
 
Der Anlaß der Provokation war völlig unwichtig und verbaute ihm inhaltlich keine politische Richtungsentfaltung. Ähnlich ist das mit anderen Beispielen: das Funktionalisieren des Pädo-Themas gegen politische GegnerInnen oder das Aufbauen ds Ehe-Themas.

Bei sogenannter Kampagnenpolitik kann diese nur erfolgreich sein, wenn sie von ihrer inhaltlichen Fragestellung her Menschen bis weit ins bürgerliche Lager spaltet, wenn man deshalb von ganz rechts her angegriffen wird und man die Linke so zwingt, die bürgerlichen Inhalte zu schlucken und mit der Person oder den Personen Solidarität zu bekunden.

Auch sogenannte linke Kampagnenpolitik kann nur erfolgreich funktionieren, wenn bürgerliche Kreise es unterschiedlich aufgreifen, so daß die Fragestellung wahrgenommen wird und die Angriffe der Konervativen die linke Basis und bürgerlich-liberale zwingt, den Schulterschluß mit den Kampgneführern zu demonstrieren, obwohl sie vielleicht garnicht Führern folgen wollen. Aber garantieren uns linke Führer ein besseres Leben und einen größeren persönlichen Entfaltungsraum?
 
3. Was haben wir?
Wir haben in Amt und Würden offen schwule PolitikerInnen und in der Wirtschaft offen schwule und lesbische Führungskräfte. Haben wir sie oder haben sie uns?

"Was wir brauchen, ist Macht", war der Aufruf, eine lesbisch-schwule Gegenmacht zur vorherrschenden etablierten Macht aufzubauen, die uns mit moralischen Argumenten, Stafgesetzen und Diskriminierungen an der Erfüllung unseres Lebens hinderte.
 
Wir können ja sehen, ob "unsere" Machthaber nun Teile der etablierten Macht sind, oder eine Gegenmacht darstellen. Und wir können untersuchen, ob deren Teilhabe an der etablierten Macht oder die Gegenmacht für die Erfüllung unseres Lebens von Vorteil ist oder sein kann.

Wenn wir über die Manager nachdenken, so haben wir noch nicht die Erfahrung machen können, daß sie ihren wirtschaftlichen Einfluß nutzten, den sozial schwachen Lesben und Schwulen den Zugang zur Szene zu eröffnen, der notwendig ist, um Kontakte zu bekommen.
 
Und wenn es sich nicht gerade um einen Partner handelt, an dem sie persönliches Interesse haben, habe ich von einer besonderen sozialen Fürsorge auch noch nichts gehört.
 
Von ihrem Beruf her sind sie damit beschäftigt, Geld von unten nach oben zu leiten. Täten sie das nicht, wären sie schlechte Manager. Was sie können, ist vielleicht, in ihrem Bereich als Advokaten homosexueller Interessen das Schlimmste gegen uns abzuwehren. Aber auch hier sollten wir keine allzugroßen Wunder erwarten.
 
Sie werden, aus ihrer eigenen Interessenslage heraus, darauf Bedacht sein, daß das Image vom Leben und Lieben der Lesben und Schwulen eher Hedwig Kurz-Mahlers Romanen oder den Verfügungen des bischöflichen Ordinariats entspricht.

Was die offen schwulen und lesbischen PolitikerInnen betrifft, so haben wir mit denen unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Besonders eine offen lesbische Stadträtin der BündnisGrünen funktionalisert einerseits freche Lügen über uns und spießig-moralische Standarts gegen uns. Sie ist wirklich kein Teil einer wie immer gearteten Gegenmacht, sondern sie nutzt die üblichen Strukturen schwulenfeindlicher Macht gegen uns.
 
Dies können Lesben- und Schwulegruppen leider auch gegen andere Lesben- und Schwulengruppen tun, sie bekommen dafür Applaus aus der Hetero-Szene und von verklemmten Lesben und Schwulen.

Selbst wenn offen lesbische und schwule PolitikerInnen wirklich auf unserer Seite wären: sie können (zumindest zur Zeit) nicht dadurch politische Karriere machen, daß sie bestimmte Standarts der Moral (genauer: der Doppelmoral) öffentlich hinterfragen.
 
Was sie können, ist, die krassesten lesben- und schwulenfeindlichen Gesetze, Beschlüsse, Maßnahmen aufzudecken, wenn jemand zur Zeit diese vorbereiten und es ihnen mitteilen würde, wenn sie die selbst als solche wahrnehmen würden.

Das können sie aber nur, wenn sie ihre Macht zu einer Macht über uns ausbauen. Sie können in der Tagespolitik nur in dem Maße beeinflussen, als wir bereit sind, auf ein Leben außerhalb der gesellschaftlich vorherrschenden Doppelmoralauffassungen, Strukturen und Institutionen zu verzichten. Was sich außerhalb abspielt, dürfen sie nicht fördern. Das hieße aber, auf wesentliche Teile unser ureigenstes Leben zu verzichten.

Offene Lesben und Schwule in Führungspositionen sind nur begrenzt in der Lage, uns zu nützen. Zumeist nützt es ihnen selber, wenn es ihnen möglich ist, offen lesbisch und schwul zu sein. Und das ist ja auch etwas.
 
4. Gegenmacht
Die Logik schein klar. Gegen bürgerliche Macht hilft nur eine (linke, lesbische, feministische, schwule) Gegenmacht. Aus diesem Grunde muß eine starke Gegenmacht aufgebaut werden. In Brechts Flüchtlingsgesprächen endet der Dialog zwischen dem Chemiker und dem Industriearbeiter so:
 
Kalle: Ich habe mir Ihren ergereifenden Appell von neulich überschlafen und Ihren Überdruß, was das Heldentum bertrifft. Ich denk, ich engagier Sie. Ich habe einen Geldgeber für die Gründung meiner Wanzenvertilgungsanstalt mit beschränkter Haftung gefunden.(...) Was Ihre Gesinnung angeht: Sie haben mir zu verstehen gegeben, daß Sie auf der Suche nach einem Land sind, wo ein solcher Zustand herrscht, daß solche anstrengenden Tugenden wie Vaterlandsliebe, Freiheitsdurst, Güte, Selbstlosigkeit, so wenig nötig sind wie ein Scheißen auf die Heimat, Knechtseligkeit, Roheit und Egoismus. Ein solcher Zustand ist der Sozialismus. (...)
Gleichzeitig mache ich Sie darauf aufmerksam, daß für dieses Ziel allerhand nötig sein wird. Nämlich die äußerste Tapferkeit, der tiefste Freiheitsdurst, die größte Selbstlosigkeit und der größte Egoismus.
Ziffel: Ich habs geahnt.
 
Gegenmacht ist in bestimmten Fällen tatsächlich in der Lage, die bisherigen MachthaberInnen zu stürzen. Die FührerInnen der Gegenmacht sind dann die neuen MachhaberInnen. Dann habe sie Macht. Und Macht sieht immer häßlich aus. Immer schafft sie Abhängikeit, was gegen Emanzipation gerichtet ist. Von so manchen Leuten unserer Szene möchte ich nun wirklich nicht geführt werden, ihnen ausgeliefert sein.
 
Interessant ist, daß die Selbstgerechten, die Um-sich-Schlagenden, die Kritisierer und Bevormunder sich gerne zu Führern der Gegenmacht aufbauen wollen. Eigentlich möchte ich niemanden ausgeliefert sein. Ich möchte in jeder Stunde selbst entscheiden können, was ich für richtig halte und jetzt tun möchte.

Die mächtigsten Organisationen der Gegenmacht, denen es gelungen war, die Machthaber zu stürzen, wurden selbst zu Unterdrückern. Gerade als Lesben und Schwule wissen wir ein Lied davon zu singen. Siehe auch meinen Beitrag "Linke und Homosexuelle" in der 53. LUST.
 
Dieser Beitrag wurde von vielen Seiten sehr gelobt und auch von anderen Zeitschriften nachgedruckt. Hoffentlich haben die Lobenden verstanden, was ich geschrieben habe.
 
Ich habe hier nicht die rechten Kritiker der Linken unterstützt. Hier wird schlußfolgernd ausgesagt, daß eine Linke nur dann unterstützenswert ist, wenn sie sich in ihren Inhalten und Methoden deutlich verändert, und zwar in Richtung auf das Selbstbestimmungsrecht mündiger Individuen.
 
Das muß man merken können, und zwar auch am Umganston ihrer Sprecher. Ihnen merkt man an, ob man sich mit gegenseitiger Achtung begegnen will, oder ob man Schlimmes zu befürchten hätte, wenn man auch einmal anderer Meinung wäre und nur mitentsheiden wollte. Der Ton macht die Musik. Darauf sollte jede und jeder achten. Sonst wird man nur zum nützlichen Idioten und Erfüllungsgehilfen des Machtwillens anderer.

Lesben und Schwule sind, bedingt aus ihrer Geschichte, wenn sie davon Kenntnis haben, zutiefst mißtrauisch dagegen, von anderen für andere Zwecke funktionalisiert zu werden. Das ist keine schnöde Verweigerungshaltung gegen als richtig erkannte Ziele, sondern hat etwas mit der individuellen Freiheit zu tun, die für Lesben und Schwule das elementarste und höchste Gut ist. Niemand von uns kann erwarten, daß er für seine individuellen Neigungen von irgendjemanden Verständnis erhält. Die erklären, uns Verständnis entgegenzubringen, wollen irgendetwas von uns. Diese skeptische Haltung ist unser Schutz.
 
5. Was brauchen wir?
Wir brauchen keine institutionalisierte Gegenmacht, sondern die Demontage von Mächtigen und Machtstrukturen, die von uns immer wieder Doppelmoral und Selbstbetrug verlangen.
 
Wer Emanzipation in seinem prächtigen Programm stehen hat, aber andere Menschen zu Manipulieren versucht oder achtungslos behandelt, kann noch so viel von seinen guten Absichten und großen Helddentaten sprechen. Er wird dadurch nicht glaubwürdiger. Auch wenn sie unsere Farben tragen und aus unseren Reihen kommen, ist Macht mit Abhängigkeit gepaart.

Weitergehende emanzipatorische Vorstellungen, die vom Selbstbestimmungsrecht des mündig gewordenen Menschen über sich selbst handeln, werden nicht zu verwirklichen sein, ohne die Herrschaft des Menschen über den Menschen sowie die wirtschaftliche Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu beenden. Und das müssen wir schon in den eigenen Strukturen. Wir sollten uns nicht mit Vorgegebenen begnügen oder gar Vorgaben verlangen. Unsere Köpfe sind groß genug, selbst zu denken.
 
Natürlich: womit man sich nicht beschäftigt hat, darüber kann man auch nicht urteilen. Man muß sich schon einiges erarbeiten und für vieles interessieren. (Ich meine hier auch nicht die schmutzigen kleinen Tricks der Machterschleichung.)
 
Was wir nicht wissen, kann im gemeinsamen inhaltlichen Diskussionen erarbeitet werden, bei denen der Partner nicht der Feind ist, den man rhetorisch an die Wand drückt, sondern mit uns zusammen nachdenkt. Treffen zu Ratschlägen oder anderen ähnlich gelagerten Zusammenkünften können helfen, uns gegenseitig zu stärken, anstatt uns gegenseitig zu schwächen. Ob das gelingt, kommt auf unserern Stil an.

Und gegenüber anderen, den konservativen und machgeilen Leuten und Strukturen der Gesellschaft, die unsere eigentlichen GegnerInnen sind, müssen wir zivilen Ungehorsam organisieren. Macht braucht die Machtlosen. Man entzieht den Machthabern ihre Macht, wenn sie niemanden mehr haben, der die Basis ihrer Macht ist.
 
Man unterläuft sie. Das ins Leere laufen lassen muß sich auch gegen Machtgeile in unseren Reihen richten. Niemand darf zu etwas gewungen oder genötigt werden. Niemand tut, was er nicht will.
 
Niemand darf an der Erfüllung seiner Ideale, sofern diese nicht andere verletzen, gehindert werden. Die "Beschützer der Armen", die ihren Vormund immer weit geöffnet haben, sind nicht selbstlos. Jeder soll selbst in die Lage versetzt werden, sich zu vertreten und für sich zu sprechen. Mit uns soll niemand Geschichte und Politik machen können. Brecht schrieb 1936 die
 
Ballade vom Wasserrad
Von den Großen dieser Erde melden uns die Heldenlieder:
steigend auf, so wie Gestirne, gehn sie wie Gestirne nieder.
Das klingt tröstlich und man muß es wissen,nur für uns, die sie ernähren müssen
ist das leider immer ziemlich gleich gewesen, Aufstieg oder Fall, wer trägt die Spesen?
 
Freilich dreht das Rad sich immer weiter, das was oben ist nicht oben bleibt
aber für das Wasser unten heißt das leider nur, daß es das Rad halt ewig treibt.
 
Ach wir hatten viele Herren, hatten Tieger und Hyänen, hatten Adler,
hatten Schweine, doch wir ernährten den und jenen
ob sie besser waren oder schlimmer, ach der Stiefel glich dem Stiefel immer
und uns trat er, ihr versteht, ich meine,
daß wir keine anderen Herren haben wollen, sondern keine.
 
Freilich dreht das Rad sich immer weiter, das was oben ist nicht oben bleibt
aber für das Wasser unten heißt das leider nur, daß es das Rad halt ewig treibt.
 
Und sie schlagen sich die Köpfe blutig um die Beute
nennen einader gierige Tröpfe und sich selber gute Leute,
unaufhörlich sehn wir sie einander grollen und zerfleischen
einzig und alleine wenn wir sie nicht mehr ernähren wollen sind sie sich auf einmal plötzlich völlig einig
 
Denn dann dreht das Rad sich nicht mehr weiter, und das alte Spiel das unterbleibt
wenn das Wasser endlich mit befreiter Stärke, seine eigne Sach betreibt.
 
Wer tolle Programme aufstellt, aber im Umgang mit Mitmenschen seine Menschenverachtung erkennen läßt, wie oben in den Beispielen zur Erschleichung von Macht dargestellt, will eine Gegenmacht aufbauen, die sich dann doch nur wieder als Macht herausstellt.

Macht funktioniert mit Abhängikeit. Wenn wir Abhängigkeiten beenden, dann beenden wir die Anmaßung der Macht. Dies ist das Ziel von Emanzipation. (js)
 
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