- 53.Lust: April/Mai 99
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- Die Emanzipation der Frau
Gibt es eine Emanzipation der Frau ohne
die des Mannes? Kann es den Abbau der Männerrolle geben
ohne den Abbau der Frauenrolle? Von was wollen/sollen/müssen
sich Frauen emanzipieren? Ein Plädoyer gegen den Heterosexismus
und den Mann-Frau-Dualismus.
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- 1. Geschichte
2. Emazipationsbegriff
3. Mann-Frau-Dualismus und Hetero-Sexismus
4. Wer also emanzipiert sich von was?
5. Was ist zu tun?
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- Zu 1.: Geschichte
Offensichtlich entstanden in der Menschheitsgeschichte die ersten
sozialen Unterschiede durch die Arbeitsteilung zwischen Frau
und Mann.
Unsere Vorfahren konnten (als Jäger und Sammler) nur als
Gruppe erfolgreich sein. Alleine war es ihnen nicht möglich,
große Wildtiere zu erlegen. Und alleine war es ihnen nicht
möglich, die Jagdbeute aufzuessen. Das Privateigentum an
solchen Dingen war also unsinnig, hinderlich und deshalb wahrscheinlich
auch nicht vorhanden. Als die Bevölkerungsdichte für
Jäger-und-Sammlerkulturen zu groß wurde, die Ernährungslage
auf diesem Stand der Entwicklung schwieriger wurde, entstanden
Siedlungsräume an den Flüssen, wo Fische die Nahrung
sichern konnten und von wo aus Streifzüge als Jäger
und Sammler unternommen werden konnten.
Man kann annehmen, daß in dieser Zeit der Zusammenhang
zwischen Geschlechtsverkehr und Schwangerschaft den Menschen
nicht bewußt war. Menschen, die immer mal dick wurden und
aus denen Nachwuchs für den Stamm entstand, wurden besonders
geschützt und geehrt, brauchten nicht mit auf die Jagd oder
zum Fischfang zu gehen. Nur sie waren in der Lage, durch Beobachtung
zu entdecken, daß dort, wo die Abfälle lagen, im nächsten
Jahr die prächtigsten Pflanzen wuchsen.
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- Es war sicher ein weiter Weg von dieser Entdeckung
bis hin zum Erkennen des Keimens von Aussaat. Sie begannen mit
Ackerbau, der im Laufe der Zeit immer zuverlässiger die
Ernährung sicherte, während das Jagdglück der
Männer mit zunehmender Bevölkerungsdichte immer unzuverlässiger
wurde. Unter der Kontrolle der Mütter war der Ackerbau und
somit die sichere Ernährung des Stammes. So entstanden mutterechtliche
Ge-sellschaften, in denen die Männer zur Jagd weggesandt
wurden, während die dörfliche Binnen-struktur auf der
Vormachtstellung der Mütter beruhte.
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- Die Mütter waren in Besitz des Pro-duktionsvermögens,
des Ackers also, den sie auch bebauten, und sie vererbten diesen
Besitz an ihre jüngsten Töchter. Wenn die Jagdgeselschaften
nach Hause kamen, so beschreiben die Völ-kerkundler und
Historiker, fanden große Begattungsrituale statt, bei denen
die Jagdbeute als Geschenk eine große Rolle gespielt haben
soll. Die Mütter gewährten ihre sexuelle Gunst den
Männern, die große Beute mitbrachten. Den größten
Teil der Menscheheitsgeschichte herrschten Frauen (in Mutterrolle)
über Männer, Frauen und Kinder.
Die Jäger-Männer lernten später, die Jungen der
erlegten Tiere zu zähmen und Vieh-Herden aufzubauen und
zu besitzen. Dies ermöglichte ihnen, eine eigenständige
wirtschaftliche Grundlage zu bekommen. Nach Überfälle
auf Frauenstaaten entstanden nomadisierende oder seßhafte
Sklavenhaltervölker, durch Versklavung der eroberten Frauen,
Männer und Kinder. Männerrechtliche (Vaterrechtliche)
Nomadenvölker überfielen mutterrechtliche Siedlungsge-biete
und errichteten Sklavenhalterstaaten.
Durch den Einsatz des Viehs im Ackerbau eigneten sich die Männer
auch dort die Kontrolle über diese Erwerbsgrundlage an,
wo dies möglich war. Es enstanden auch mutterrechtliche
Sklavenhaltergesellschaften, wenn die matriarchalischen Staaten
aus den Kämpfen siegreich hervorgegangen sind. Langfristig
gesehen überwandten die patriarchalischen Sklavenhalterge-sellschaften
die matriarchalischen Sklavenhaltergesellschaften.
Der Vater vererbte nun seinen Besitz an seinen ältesten
Sohn. Um sicherzugehen, daß dies auch sein Sohn war, wurde
die Ehe erfunden, die es den Frauen verbot, Geschlechtsverkehr
mit anderen Männern zu haben. Die Frau wurde zum Besitz
des Mannes.
Die Frauen lernten im Laufe der Jahrhunderte, ihre Interessen,
die sich nun aus ihrer Lage er-gaben, in ihrer neuen Rolle auszubauen
und mit den vorhandenen Strukturen zu verknüpfen und am
Wohlstand ihrer Besitzer zu partizipieren. Einer Frau, die von
einem wohlhabenden Mann erwählt wurde, ging es vergleichsweise
beser als einer Frau, die Besitz eines ärmlichen Mannes
wurde. So haben zum Beispiel Frauen sich nicht erneut das Recht
auf Geschlechtsver-kehr mit anderen Partnern erstritten, sondern
das Recht, den Geschlechtsverkehr des Mannes mit anderen Frauen
als ihnen zu verhindern. Dies hält auch das gemeinsame Erbe
zusammen.
Töchter erben heutzutage den gleichen Anteil wie Söhne,
Männer und Frauen können Produk-tivvermögen besitzen,
rechtlich sind bei uns Frauen und Männer nun gleichgestellt.
Dennoch, an den Schalthebeln der Macht sitzen immer noch meistens
Männer. Von was also müßten sich Frauen nun noch
emanzipieren, um erfolgreicher sein zu können? Von sich
selbst?
In den seit Generationen wohlhabenden Familien ist es heutzutage
immer noch üblich, daß der Mann auf die Jagd im Betrieb
geht, aber dort das Produktionsvermögen besitzt, während
die Frau die Herrin im Hause ist, dort nach dem rechten sieht
und außerdem ihren musischen und sozialen Neigungen nachgeht.
Unter solchen Umständen können Frauen freilich nicht
die Schalthebel der wirtschaftlichen und somit auch der politischen
Macht in der Gesellschaft er-reichen, sie bleiben in der 2. Reihe
und partizipieren am Wohlstand des Mannes.
Das Verhalten, um an solche Schalthebel zu kommen, Karriere zu
machen, ist sehr stark mit dem Verhalten verknüpft, das
die Gesellschaft von Männern erwartet. Es ist das selbe
Verhal-ten, das schon in der matriarchalischen Gesellschaft von
den Männern erwartet wurde, wenn sie von Frauen auf die
Jagd geschickt wurden (und was dann zur Unterdrückung der
Frau führte). Durch eine nachhaltige Dressur (an der Frauen
durchaus entscheidend beteiligt sind und bei der Mädchen
und Jungen viel zu leiden haben) wird versucht, Frauen zu dem
Gefühlswesen zu machen, das sie angeblich seien.
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- Durch eine brutale Dressur werden aus Jungen
Monster geschaffen, die ihre eigenen Gefühle unterdrücken
können, um agressiven Verhalten-sanforderungen an sie zu
genügen. Pubertätsrituale der Knaben bei den sogenanten
"Naturvölkern" wie die heutigen gruppeninternen
Rituale von Jugendgruppen laufen darauf hinaus, daß der
Junge sich keine Gefühle anmerken läßt und brutal
gegen sich und seinen Körper sein kann. Allerdings ist es
ein langer Weg vom brutalen Pubertätsritual damals bis zum
Kampfsaufen rechter Jugendlicher unserer Tage.
Es gibt bei uns keine Gesetze mehr, die Frauen rechtlich unter
den Mann stellen. Formal ist also eine Gleichstellung erreicht.
Allerdings verstehen sich Frauen noch heute als zuständig
für die Moral im Familienverband, für die Moral der
Männer; und das nicht nur für ihre Männer und
Söhne, sondern für die Gesellschaft generell. Männer
verstehen sich immer noch als zu-ständig für das Jagdglück,
nun allerdings zugunsten der raffgierigen Konsumeinheit Familie
und nicht mehr der Stammesmutter oder des Patiarchen.
Die Emanzipationsbewegung der Frau der 70er Jahre hatte ihre
Berechtigung und ihren An-spruch aus verschiedenen juristischen
und wirtschaftlichen Ungleichbehandlungen. Frauen for-derten
gleichen Lohn für gleiche Arbeit; das Recht, zu allen Gremien
Zugang zu haben usw. Der Schlüssel für die Emanzipation
der Frau ist, eine eigenständige wirtschaftliche Grundlage
zu haben und nicht vom Gehalt des Ehemannes und vielleicht noch
dessen Zuteilungen abhängig zu sein.
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- Dazu gehören flankierenden gesellschaftspolitische
Maßnahmen, die es Frauen ermöglichen, auf die Arbeit
zu gehen, z.B. Kinderkrippen, Kindergärten usw. Solche Strukturen
waren im Osten gegeben, während Frauen im Westen noch immer
auf solche reformeri-schen Veränderungen warten. Hinzu käme
allerdimgs noch das Aufgreifen der Fragestellung, ob sich Frauen
für alle Zeiten mit der Kindererziehung zu identifizieren
haben.
Die Frauenbewegung des Westens nährte sich auch aus den
offenkundigen männerchauvinistischen Strukturen in der Gesellschaft,
in denen Frauen das Recht über ihren eigenen Körper
untersagt wurde, z.B. wenn sie ungewollte Schwangerschaften unterbrechen
wollten, oder wenn ihre Lebensplanung so war, daß sie die
ihnen zudiktierte Mutterrolle nicht spielen wollten, wenn sie
selbst Geld verdienen wollten, und der Ehemann sie als unbezahlte
Familienarbeiterin behalten wollte. Übrigens war im Osten
eine Schwangerschaftsunterbrechung ebenfalls unproblematisch,
im Westen wurde und wird sie noch religiös ideologisiert
und problematisiert.
In den letzten Jahren wurde die Gleichberechtigung in juristischen
Bereichen politisch voran-getrieben. Auch die Doppelbelastung
der berufstätigen Frau, die sich nach einem Arbeitstag noch
alleine für die Hausarbeit für zuständig hält,
ist diskutiert und hinterfragt worden, findet nicht mehr überall
statt. Das eigene verdiente Geld ist aber, über die gesetzliche
Gleichstellung hinaus, der Schlüssel zur gelebten Gleichberechtigung.
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- Zu 2.: Emazipationsbegriff
Emanzipation (lat.) bedeutet eigentlich "Freilassung".
Heute bedeutet es die Befreiung der In-dividuen oder sozialen
Gruppen aus rechtlicher, politischer, sozialer, geistiger oder
psychischer Abhängigkeit bei der gleichzeitigen Erlangung
von Mündigkeit und Selbstbestimmung. Dies schließt
die Emanzipation des Arbeiters (Arbeiterbewegung) gegen seine
Unterdrückung durch den Unternehmer und der Frau (Frauenbewegung)
gegen ihre Unterdrückung durch den Mann ein.
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- Seit der 68er Revolte kam noch hinzu: die
individuelle Fähigkeit zur kritischen Urteilsbil-dung und
eigenverantwortlichen Lebensgestaltung gegenüber gesellschaftlichen
und staatlichen Vorgaben und Zwängen (Mayers Lexikon), erarbeitet
in der Kommunebewegung, der sexuel-len Revolution, der (Doppel)Moral-
und Ehekritik und in den Kampagnen gegen den Kun-sumterror, die
Bildzeitung und den Vietnamkrieg usw.
Dieser erweiterte Emanzipationsbegriff ermöglichte es einem
Teil der Schwulenszene, sich als Emanzipationsbewegung zu verstehen,
im bewußten Distanzieren von der sich selbst beschul-digenden
Rolle des gedemütigten Schwulen, der sich dafür schämte,
dauernd nur Sex zu wol-len, trotz Partnerschaften promisk zu
leben, kein richtiger Mann zu sein, Analverkehr zu praktizieren
usw. Während die nichtbewegten Schwulen einfach behaupteten,
solches fände nicht statt (und fühlten sich zum Teil
schuldig) wandten sich die Bewgungsschwule gegen die ver-ordnete
gesellschaftliche Männerrolle, die sie nun als lächerlich
hinstellten und ablehnten. Sie traten für sexuell freizügige
Partnerschaftsformen ein, die den Vorteil hatten, weniger verlogen
zu sein. Sie nannten sich teilweise sogar Feministen und distanzierten
sich so auch von dem Mann-Frau-Dualismus und dem HeteroSexismus.
Der größte Teil der heutigen Schwulenszene (ehemals
Schwulenbewegung) sieht seine Ziele nunmehr aber in der Gleichstellung
mit heteosexuellen Strukturen und Rollenmustern erfüllt,
indem die Mann-Frau-Hierarchie (Hierarchie der Männerrolle
über die Frauenrolle) nun still-schweigend akzeptert wird.
Man will endlich auch von den Vorteilen der Hetero-Männer
pro-fitieren. Die Masse der subkulturellen Schwulenszene ist
mit Erfolgen auf dem Kontaktmarkt, einer monogamen eheähnlichen
Partnerschaft und den dazugehörenden Seitensprungmöglich-keiten
vollauf zufrieden.
Aber dieser erweiterte Emanzipationsbegriff ermöglicht auch
einem Teil der Lesbenszene, sich als Emanzipationsbewegung zu
verstehen, im bewußten Distanzieren von der verordneten
und erwarteten Frauen- und Mutterrolle und, wie auch die emanzipativen
Bewegungsschwulen, vom Frau-Mann- Dualismus dem männlichen
Heterosexismus und dem weiblichen Heterase-xismus.
Der größte Teil der Lesbenbewegung sieht sein Ziel
aber in den Auseinandersetzungen hetero-sexueller Frauen mit
ihren Männern um Machtpositionen in der Familie und der
Gesellschaft gleichlaufen.
Die Masse der lesbischen Frauen ist mit einer monogamen Freundschaft
und dem normierenen Gespräch über die Beziehungen anderer
Frauen, besonders aber der Männer, vollauf zufrieden.
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- Zu 3.: Mann-Frau-Dualismus und Sexismus
Im Sexismus werden aufgrund biologischer Vorgaben bestimmte Eigenschaften
den Männern und andere den Frauen zugschrieben. Wir wissen
natürlich heutzutage um die brutalen Geset-ze, den gesellschaftlichen
Zwang und anderes mehr, um Jungen und Mädchen dem jeweils
zu-geschriebenen Rollenbild ähnlich zu machen.
Diese gesellschaftlich anerzogenen Eigenschaften der Geschlechter
ergänzen sich im Mann-Frau-Dualismus zu einer Einheit: dem
ganzheitlichen Menschen in seiner Zweisamkeit. Eine Frau ohne
Mann ist demnach unvollkommen, sie bedarf der Ergänzung
durch männliche Ratio-nalität, männlicher Gütigkeit
nach innen und verteidigungsbereiter Agresivität gegenüber
au-ßen. Erst aus dieser Verbindung erhält die Partnerin
die Vorteile beider Bereiche wie auch Schutz vor den Unbillen
der bösen Welt. Ein Mann ohne Frau ist auch unvollkommen.
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- Sie hält ihn von Nebearbeiten frei und
ermöglicht so seinen beruflichen Aufstieg, der auch ihr
nutzt, da sie von ihm und seinem Erfolg abhängig ist. Er
bedarf der Ergänzung durch weibliche Intuition, Sensibilität,
Hingabe, Tugendhaftigkeit und Wärme (durch Mütterlichkeit)
sowie Fürsoge nach innen, Wachsamkeit gegenüber außen.
Erst dadurch wird der im Lebenskampf erprobte Draufgänger
in seine familiären Schranken gewiesen, kann in der Ehe
ausreichende Bestätigung wie Befriedigung erhalten und zu
einem treusorgenden Familienvater werden.
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- Erst durch das Walten der Frau kann er sich
nach den Schlachten seines Lebenskampfes in ein wohlgeordnetes
Heim zurückziehen, wo ihm die Stirn geglättet wird
und er wieder Kraft und Optimismus für neue Kämpfe
tanken kann. Es ist dies ein Modell mit festgelegter Aufgaben-
und Arbeitstei-lung, dessen Durchbrechen sowohl den wirtschaftlichen
Erfolg als auch das sogenannte Famili-englück in Frage stellt.
Diese Ideologie ist unterschwellig oder teilweise sogar ganz
offen heute noch weit verbreitet und legt Frauen sowie Männer
auf ganz bestimmte Rollenmuster und Charaktermerkmale fest. Frauen
und Männer, die diesen nicht entsprechen, sind keine "richtigen"
Frauen und Männer und bekommen einerseits den Druck der
Gesellschaft und andererseits den normierenden Druck von den
sich-für-klug- und-im-moralischen-Recht haltenden "...schützerInnen"
zu spü-ren, vielleicht bekommen sie es auch mit Schuldgefühlen
gegenüber ihrem Gewissen zu tun, das in der Erziehung (zum
Einhalten von Regeln und Normen) entstanden ist.
Da die anerzogenen Geschlechtsrollen sich gegenseitig ergänzen,
bedürfen sie sich auch gegen-seitig, und deshalb stärken
und verteidigen sie sich ständig gegenseitig. Diese ständige
Verstär-kung der Geschlechtsrollen funktioniert nur, wenn
beide Geschlechter daran beteiligt sind. Ein Mädchen wird
dafür von anderen Frauen und von Männern belohnt, wenn
es diese erwünsch-ten Verhaltensmerkmale aufweist, es bekommt
Schwierigkeiten, wenn es solchen Merkmale nicht oder zu wenig
aufweist. Und sowohl Männer als auch Frauen drängen
einen Jungen, "männlich" zu sein, und wenn er
es zu wenig ist, bekommt er die Reaktion schon zu spüren.
Dieser Rollenzuweisung entkommen Frauen und Männer nur,
wenn sie zusammen beide Rol-len unterlaufen und nicht nur vom
jeweils anderen Geschlecht eine Änderung erwarten. Wel-cher
Vorteil winkt den Geschlechtern, wenn sie sich davon emanzipieren
würden? Da sich die beiden Verhaltensrollen traditionell
gegenseitig ergänzen, sind im Erwerbsleben wie in anderen
Konkurrenzsituationen Paare mit klarer Rollentrennung den anderen
Konkurrierenden überle-gen, die nicht den Rückhalt
eines/einer Partners/Partnerin aus dem Hintergrund haben. Auch
bei Gruppenprozessen sind solche Pärchen gefürchtet,
die damit eine Gruppe majorisieren können. Die Emanzipationsbewegungen
der Frau und des Mannes sind deshalb so schwächlich geworden,
weil wir in einem Umfeld leben, in dem die Bestätigung solcher
Rollen sowohl den privaten als auch gesellschaftlichen Erfolg
erleichtert.
Was geschieht, wenn Frauen sich nicht mehr in der Geschlechtsrolle
fesseln lassen? Da diese Rollenaufteilung den Männern in
vielen gesellschaftlichen Bereichen deutliche Vorteile ver-schafft,
die den Frauen vorenthalten werden, wehren sich Frauen gegen
diese Rollenzuweisung, was Männer dann eben in die typischen
Identitätskonflikte bringt, in denen sich Partner wie-derfinden,
deren Frauen die alten Rollen nicht mehr spielen möchten.
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- Auch viele Frauen kön-nen oder wollen
sich eine Situation ohne männlichen Vor-Mund nicht gut vorstellen;
denn sich schützen und hofieren lassen, ist in vielen Fällen
einfacher als in der Außenwelt selbständig um jeden
kleinen Vorteil streiten zu müssen. Dies ist besonders in
wirtschaftlich schwierigen Epo-chen zu beobachten.
Wir Lesben und Schwule sind intern in unserern Beziehungen eigentlich
relativ von diesem Konflikt verschont. Weil wir doch jeweils
dem gleichen Geschlecht angehören, funktioniert von Anfang
an zwischen uns diese stabile und von der Gesellschaft bestätigte
Rollentrennung nicht. Das bringt uns freilich wieder andere Konflikte
in unseren Beziehungen, weil wir gelernt haben, nach heterosexuellen
Rollenbildern Beziehungen zu ordnen. Außerdem leben wir
au-ßerhalb unserer Szenen in einem Umfeld, in dem vom schwulen
Mann die Eigenschaften des "Mannes" zumindest im Erwerbsleben
erwartet werden und von der Lesbe die Einfühlsamkeit und
Anpassungsbereitschaft der Frau.
Es steht uns da also noch der gesellschaftliche (und oft auch
der eigene) Hetero-Sexismus im Wege. Beim Hetero-Sexismus werden
die Rollenbilder verschiedengeschlechtlicher Paare auf unser
Leben übertragen. "Wer ist denn bei Euch die Frau",
fragt der heterosexuelle Freund eines Schwulen lüsternd,
denn wenn der Befragte sagen würde: "ich", dann
bräuchte man ihn nicht mehr als Rivalen ernst zu nehmen,
wie auch die Hetero-Männer in der Arbeitswelt irr-tümlich
Frauen oftmals immer noch nicht ernst nehmen. Aber auch ein in
allen Rollen (falls es so etwas überhaupt gibt) femininer
Mann wäre dennoch nie eine Frau. Eine in allen Rollen maskuline
Frau wäre dennoch immer noch eine Frau.
Mir ist es früher immer so gegangen, daß heterosexuelle
Freunde genau "wußten", wer bei uns im Bett oben
liegt, das Geld verdient, die gemeinsame Urlaubsreise bezahlt,
und wer das Ge-schirr wäscht, das Essen kocht und die Wohnung
sauber hält. Sie wußten natürlich auch, wer wen
unterdrückt und wer (ihren) Zuspruch braucht. Und ich kenne
schwule Paare, die orientie-ren sich tatsächlich selbst
an diesen Rollenmustern. Das ist verständlich, werden doch
überall in der Gesellschaft und im Kulturleben solche Rollenbilder
für normal gehalten. Sie bieten sich auch unserer Szene
als Identifikationshilfen an. Der Kleinere, der Jüngere
ist die Frau, also das Opfer.
Auch Lesben haben damit ihre Probleme und werden in diesem Sinne
von ihrer Außenwelt geprägt und beurteilt. Das heterosexistische
Bild einer Lesbenbeziehung sieht ungefähr so aus, daß
eine starke Lesbe, ein sogenanntes Mann-Weib, die zarte Lesbe
unter ihrer Fuchtel hat, und wenn ein Hetero sich in diese zarte
Lesbe verliebt, wäre sie ihm natürlich zugetan, aber
sie bekommt es (wie auch der arme ehrliche Hetero-Mann) mit dem
Mann-Weib zu tun. Ist es wahr, daß es Lesbenpaare gibt,
die sich daran halten?
Das heterasexistische Bild von einer zum Beispiel altersungleichen
schwulen Beziehung sieht in dem jüngeren Partner das Opfer,
das angeblich immer vom älteren Partner bedrängt wird.
Üb-rigens, alle schwulen Männer, die auf deutlich jüngeren
Partnern stehen, sehen das genauso, sofern es sich nicht um ihren
eigenen jungen Freund handelt. Kurzum: der Hetero- und Hetera-Sexismus
überträgt aus unterschiedlichen Motiven die überholten
heterosexuellen Rollenmo-delle in unsere Szene, obgleich dies
hier meistens besonders unsinnig ist und es doch wunder-volle
bestürzende Erfahrungen der Verwandlung in verschiedene
Rollenmuster gibt.
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- 4. Wer also emanzipiert sich von was?
Sich emanzipieren von einer Rolle möchte man eigentlich
nur, wenn das Einhalten dieser Rolle zu Nachteilen führt.
Warum sollten Männer zum Beispiel es als emanzipierend ansehen,
sich ihre sogenannten weiblichen Anteile zu erarbeiten, wenn
größere Sensibilität im (Män-ner)Leben einfach
nur Nachteile bringt, vom Spott durch "männliche"
Männer-Monster und deren sie ergänzenden treuen Frauchen
ganz abgesehen?
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- Sie wurden doch vorher zu einer sol-chen
Rolle dressiert. Die Frage ist also nicht individuell zu lösen,
sondern einerseits durch Leit-bild-Änderungen, verknüpft
mit flankierenden Strukturänderungen und dem individuellen
Wil-len, der durch gesellschaftliche Vorteile genährt wird,
die man erhält, wenn ein emanzipativer Schritt erreicht
ist. Aber welche Vorteile bieten sich da an?
Warum sollte ein Mann in einer Konkurrenzgesellschaft, der (zumindest
ideologisch) das wirt-schaftliche Wohl auch seiner Gattin und
Kinder zu bedenken hat, ausgerechnet gegenüber einer Frau
nicht konkurrieren, die ihn von seinem Platz verdrängen
möchte? Welchen Vorteil sollte ihm das bringen? Würde
er dadurch mehr verdienen, mehr Anerkennung von seiner Gattin,
anderen Frauen usw. erhalten, seinen Kollegen imponieren? Ganz
im Gegenteil!
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- Von was also müßte er sich individuell
emanzipieren? Wenn das Konkurrenzverhältnis und die Familienord-nung
an sich so bleiben, warum sollte er dann freiwillig auf einen
Vorteil verzichten? Was Männer, die brutal gegen sich selbst
und andere sein können und deshalb erfolgreich sind, nicht
in Rechnung stellen, ist dies: weil sie "hart" sind,
übergehen sie in der Arbeitswelt mehr Krank-heiten als Frauen,
denen ja Weichheit zugebilligt wird. Der Dauerstreß, der
aus der Verteidi-gung der Männerrolle resultiert, verzehrt
aber die stärker mobilisierte Kraft schneller. Berufs-tätige
Männer sterben, das ist statistisch abgesichert, deutlich
früher als ihre Ehefrauen.
Es ist interessant zu beobachten, daß in Zeiten wirtschaftlicher
Not viele Frauen sich wieder mehr vorstellen können, auf
eine eigene Karriere in Wirtschaft und Politik zu verzichten
und stattdessen einem wohlhabenden Mann im Hintergrund zu helfen,
dessen Wohlstand auszubau-en und in Form der Ehefrau an diesem
Wohlstand zu partizipieren. Engagierte LehrerInnen in Schulen
nehmen staunend diesen Paradigmenwechsel bei Schülerinnen
und jugendlichen Frau-en zur Kenntnis. Woher sollten sie auch
andere Leitbilder herhaben? Betrachten wir nur mal die Leitbilder
in den Medien unter diesem Gesichtspunkt.
Emanzipation von einem wirklich als unangenehm oder einschränkend
empfundenen Zustand kann dann relativ erfolgreich gelingen, wenn
der Zustand vorher tatsächlich einschränkend und unangenehm
war und die Probleme, die der Kampf um Emanzipation mit sich
bringt, nicht als unerträglicher empfunden werden als das
Leben vorher.
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- Wenn die Zustände in Politik und Wirtschaft
so bleiben sollen, wie sie sind, wenn nur einige Männer-Köpfe
gegen Frauen-Köpfe ausgetauscht werden sollen, dann werden
die Frauen und Männer der sogenannten Basis gar keinen Anlaß
sehen, sich für diese "emanzipativen Schritte"
krummzulegen, die ihnen höch-stens Verdruß bringen,
weil: neue Besen kehren gut. Was hätten sie denn davon,
wenn sie nun von einer Frau statt einem Mann angetrieben und
ausgeplündert würden?
Die Aussage, daß eine Frau niemals so brutal herrschen
würde wie ein Mann, ist ein frommes und eigentlich auch
sexistisches Versprechen, das in der Geschichte im übrigen
auch schon des öfteren widerlegt wurde. Immerhin hinge es
noch immer von der Willkür des oder der Herr-schenden ab,
wie er/sie seine/ihre Untertanen zu behandeln gedenkt. Die Untertanen
selbst hätten dabei gar kein Mitspracherecht, wenn sie nicht
endlich auch ihre eigene wirtschaftliche Emanzipation im Auge
hätten. Außerdem: Mütter können zwar mütterlich
besorgt sein, kön-nen es aber nicht leiden, wenn ihre Jungen
flügge werden wollen.
Aber eine Frau, die über die entsprechende Skrupellosigkeit
gar nicht verfügen würde, weil sie eine Frau ist, hätte
auch keine Chance, in einer solchen Hierarchie erfolgreich Karriere
zu ma-chen. Wenn es also mehr Frauen schaffen, sind sie natürlich
genau so skrupellos wie Männer, wenn nicht gar skrupelloser,
da sie sich ja gegen viel Männerdünkel durchsetzen
müssen.
Können wir nicht fordern, daß gerade wir sanften Menschen
gegenüber den skrupellosen Leuten in einer skrupellosen
Konkurrenzgesellschaft Karriere machen dürfen? Warum eigentlich
gerade wir und nicht all die anderen skruppellosen? Wollen wir
die Hierarche in Wirklichkeit beibehalten, aber so, daß
gerade wir oben sind? Die warmen Menschen an die Macht!
Das wäre ja zu vergleichen mit der Forderung, daß
ein Mensch, der nicht analytisch denkt, genauso in der wissenschaftlichen
Forschung vorankommen soll wie der Analytiker, daß ein
unsportlicher Mensch genausoviel Medaillen in einer Sportart
haben soll wie ein Sportler, daß ein unmusikalischer Mensch
ein genauso guter Musiker sein soll wie ein musikalischer Mensch,
daß ein Analphabet genau so erfolgreich Sprachbücher
schreiben soll wie ein studierter Ger-manist usw.
Die Forderung nach persönlicher Karriere, ohne entweder
die eigenen Eigenschaften oder die Rahmenbedingungen der Gesellschaft
zu verändern, ist kein emanzipatorisches Ziel, sondern vielleicht
ein individueller Wunschtraum. Die skrupellosen Schweine sind
eben am erfolgreich-sten im Treten, bei ihrem Weg nach oben,
und die sanften Menschen sind deren nützliche Idioten. Wenn
wir nicht gleichzeitig Vorstellungen von einer Gesellschaft ohne
wirtschaftliche und politische Hierarchie entwickeln, ist auch
unsere weitere individuelle Emanzipation, die auf diesem Punkt
der Entwicklung nun mal angekommen ist, nicht durchführbar.
Gibt es dann also in unserer Gesellschaft keinen Bedarf an einer
weitergehenden Emanzipati-on? Ich denke, es gibt ihn schon, aber
es kann ihn nur geben, wenn wir über die Emanzipation aus
den Geschlechtrollenmodellen und der derzeitigen Organisierung
unseres Lebens hinaus weiterdenken.
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- 5. Was ist zu tun?
Die Gleichstellung der Frau ist in den sozialen Schichten unterschiedlich
weit erreicht. Die Dis-kriminierung von Unangepaßten (also
Minderheiten) ist in den unteren Schichten stärker als in
den anderen, die sich mehr Freiräume leisten können
und mehr Freiheiten rausnehmen. Die stärkste Frauen- und
Schwulenunterdrückung findet in den unteren sozialen Schichten
statt, und die Herren und Damen VolksverhetzerInnen und TugendwächterInnen
aus den höheren Etagen nehmen sich selbst ihre individuellen
Freiheiten raus, wie wir wissen.
Ist die Doppelmoral in den USA und die politische Einwirkungsmöglichkeit
von rechtsradikalen TugendschützerInnen dadurch angeschlagen,
daß es nun auch dem amerikanischen Präsidenten, wenn
er der demokratischen Partei angehört, verboten wird, sich
außerhalb seiner Ehe einen blasen zu lassen? Natürlich
nicht. Erst wenn auch die kleinen Leute es ohne Angst oder Imageverlust,
ohne Mobbing durch andere Getretene können, ist vielleicht
etwas erreicht, weil dann keiner mehr hinhört, wenn mit
"Moralhetze" von anderer Unterdrückung abgelenkt
wird.
Dann gibt es noch immer Benachteiligungen, weil ein Mensch nicht
die "richtige" Haut- und Haarfarbe hat, seine Sprache,
seine religiöse Auffassung, seine Staatsangehörigkeit
usw. zum Vorwand von Benachteiligung wird. Oft ist es auch die
eigene Auffassung und Religion, das Korsett von Traditionen und
sogenannten Werten, das einen weiteren emanzipatorischen Schritt
verhindert. Vor allem gibt es noch immer Leute, die aus solchen
Zuständen Vorteile ziehen.
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- Und deren Mitläufer gibt es auch, Idioten,
die zum eigenen Nachteil irgendeine Moral gegen uns und sich
selbst wenden, deshalb auch besonders fanatisch, und damit in
unser Leben eingreifen. Dann gibt es noch Feinde, die über
uns reden und die jemanden vor unserem "ver-derblichen"
Einfluß schützen wollen, auch wenn es einen solchen
Jemand, dem irgendein Scha-de zugefügt wurde und werden
könnte, überhaupt gar nicht gibt. Die sogenannten "Beschützer
der Armen" verfolgen immer ihre eigenen Interessen. Es gibt
also immer noch ne Menge im Bereich der Emanzipation zu tun.
Gut wäre es, wenn die wirtschaflichen und zwischenmenschlichen
Verhältnisse so geändert wären, daß sich
dann kein Mensch mehr so verhalten müßte und wollte,
wie es ein "richtiger Mann" heute noch im Alltagsleben
soll, um wirtschaftlich und persönlich bestehen zu können,
und wenn kein Mensch sich mehr derart zurückzunehmen und
zu unterwerfen braucht und will, wie es eine "richtige Frau"
heutzutage müßte, um begehrt zu werden.
Ein schon jetzt anzustrebendes Fernziel nicht nur der Lesben-
und Schwulenbewegung muß sein, die den Menschen zugewiesenen
Geschlechtsrollenmodelle ganz generell in Frage zu stellen und
nach Möglichkeit ganz aufzuheben. Der "richtige Mann"
ist ebenso ein gesell-schaftliches Kunstprodukt wie die "richtige
Frau".
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- Ebenso verhält es sich übrigens
mit der "richtigen Lesbe" und dem "richtigen Schwulen".
Geschlechtsrollen ergaben sich aus der gesellschaftlichen Arbeitsteilung,
die Geschlechtsrollen waren die ersten Klassenmodelle und haben,
wie die gesellschaftlichen Hierarchien, nichts mit einer "natürlichen
Veranlagung" zu tun. Erst wenn jede Frau sich so verhalten
kann wie jeder Mann, ohne Anstoß zu erregen, und wenn jeder
Mann sich so verhalten kann wie jede Frau, ohne lächerlich
zu erscheinen, erst dann ist die Aufhebung der Geschlechtsrollen
erreicht. (Joachim Schönert)
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