51.Lust: Dez.98/Jan. 99
 
Über Outing und Mobbing in unserer Szene
Ist es legitim, vor einer heterosexuellen Öffentlichkeit besonders miese und anti-emanzipatorische Lesben und Schwule bloßzustellen?
 
1. Das heterosexuelle Bild von uns
Das Leben von Lesben und Schwulen ist, nach Maßstäben heterosexueller Moral gemessen, nun sagen wir einmal: bizarr.
 
1.1. Lesben
Und nicht nur, weil wir als Lesben eben eine Beziehung mit mindestens einer Frau anstreben, eben Frauen lieben und auf Männer in Beziehungs- und sexuellen Fragen nicht angewiesen sind. Auch deshalb, weil in Frauenbeziehungen oftmals die "Harmonie", die sich in heterosexuellen Beziehungen aus den sich angeblich ergänzenden Rollen der Geschlechter einstellt, eben nicht durch das Erfüllen der gegensätzlichen Geschlechterrollen "automatisch" einstellt.

Und da Frauen in unserer Gesellschaft mehr oder weniger intensiv zu "Frauen" sozialisiert wurden, also zu den Rollenaufgaben für eine heterosexuellen Beziehung, zu Treue und "weiblicher" Verantwortung, kommt es eben bei z.B. zwei Personen in gleicher weiblicher Sozialisation zum Erlernen und Erproben neuer, für das Zusammenleben für zwei Frauen erträglicher Rollenverhalten.
 
Das kann dadurch geschehen, daß beide unkritisch gegenüber der gesellschaftlichen Frauenrolle sich gegenseitig mit Vorwürfen traktieren, oder daß beide kritisch ihre bisherige Sizialisation infrage stellen. Es geht auch so, daß eine auf der erlenten Rolle beharrt, die andere sie ändert. Meist aber entwickeln beide eine Kombination von Erlerntem und und Neuem. Es kommt darauf an, wie stark die gegenseitige Bindung empfunden wird, ob dieser Lernprozeß überstamden wird. Als Ziel winkt eine andere Art von Harmonie, die schwer erarbeitet ist und die Möglichkeit beiderseitiger Erfüllung in sich trägt.

Auch in lesbischen Beziehungen kann es aber zu solchen Rollenverhalten kommen, daß eine Frau die Macht hat, ihre ganze Emotionalität auszuleben, während die andere sich in ihren Bedürfnissen und Empfindungen ständig zurücknehmen muß. Es gibt auch Gewalt in lesbischen Beziehungen. Dabei ist es nicht so, daß gradlienig geschlossen werden kann, daß (falls sich zeitweilig oder länger solche Rollen herausbilden) die Butch prügelt und die Femme einsteckt. Das wäre eine traditionelle heterosexuelle Sichtweise.

Eine Frau ist der ruhende Pol in einer Beziehung, um die sich die Beziehung dreht, hat die heterosexuelle und damit auch die homosexuelle Frau gelernt. Auch, daß es nur Sex in Beziehungen, in sogenannten Liebesverhältnissen, gibt, gehört übrigens zur traditionellen Frauenrolle.
 
Und Frauen haben übrigens das Einhalten dieser Norm auch noch zu überwachen, weil sie angeblich nur so kontrollieren können, ob sie geliebt werden. All die sich daraus ergebenden Beziehungskonflikte haben bei einer Beziehung zwischen Frauen ihre interne Dramaturgie, die von Lesben besser verstanden wird als von heterosexuellen Paaren oder den Tugend- und Moralwächtern der Heteros bzw. der Gesellschaft. "Mannweiber", "Beziehungsklammern" und Ähnliches sind also Verhaltensweisen, die über die Tatsache einer Frauenbeziehung hinaus Heterosexuellen bisweilen bizarr erscheinen.
 
Wenn Lesben sich endlich aus der Rolle befreit haben, das Gegenüber der Männerrolle sein zu müssen, werden sie beschümpft, keine "richtige" Frau zu sein. Wollen sie sich einer Frau hingeben, wie sie es als Frau gelernt haben, werden sie kritisiert, sie seien einer Lesbe hörig, seien gar keine richtige Lesbe, hätten nur noch nicht den "richtigen" Mann gefunden. Und mit genau diesen Verhaltensweisen und Urteilen stehen wir auf dem Prüfstand der Heteroöffentlichkeit. Und genau hier können wir über die Tatscher der Homosexualität hinaus von unseren GegnerInnen noch geoutet werden, ob es heterosexuelle oder homoexuelle GegnerInnen sind.

Deshalb heißt es nicht, sich anzupassen oder gegeseitig noch bevormunden, sondern uns gegenseitig den Rücken freizuhalten, daß wir so sein dürfen, wie wir es eben nach Lage der Dinge können und wollen. Das ist nämlich schon schwierig genug. Das wäre Solidarität zwischen Lesben und sinnvolle Lesbenpolitik.
 
1.2. Schwule
Schwule Männer leben aus heterosexuelle Sicht besonders bizarr. Und nicht nur, weil sie als Männer im wesentlichen Männer als erotisch empfinden. Schwule Männer sind als Männer sozialisiert und leiden, auch oder mehr noch als heterosexuelle Männer unter der Angst, als etwas zu gelten, das "kein richtiger Mann" heißt.
 
Und "Männer" sind nicht nur stark, erfolgreich und eigentlich Helden, die sich nichts anmerken lassen, sondern sie sind auch die Verführer, immer auf der Jagd nach neuen Sensationen. Schwule leben promisk. Aber, wie heterosexuelle Männer auch, geben sie ständig vor (und versuchen auch selbst daran zu glauben), daß es um die eine große Liebe gehe.
 
Natürlich wollen wir nicht beziehungslos leben. In schwulen Beziehungen ist die Klammer nur am Anfang möglich, denn die männlich sozialisierte Abenteuerlust, das Orientieren nach außen, sorgt schon dafür, daß schwule Männer nicht im Sinne einer heterosexuellen normalen Ehe leben, mit gegenseitiger Eifersuchtsüberwachung, was die Liebe beweisen würde. Sollen wir nun, weil die heteosexuelle Norm (an die sich viele Heteros auch nicht halten) es vorschreibt, nun überall vorgeben, daß wir das sind, was man "treu" nennt? Es mag sein, daß dies viele nach außen vorgeben, um vor Heteros zu den besseren Schwulen zu gehören. Aber unsere Politik darf so verlogen nicht sein.

Hier, in unserer sexuellen Abenteuerlust potenziert sich bei uns lustvoll die sozialisierte Männerrolle, wie sich bei Lesben die Frauenrolle potenziert. Und wie bei heterosexuellen Männern auch, hat der Traumprinz oftmals etwas kleiner, etwas schmächtiger, etwas (oder viel) jünger zu sein. Das wird aus schwuler Sicht durchaus für selbstverständlich gehalten. Heteros aber sehen die Kombination unterschiedlich alter Schwuler aber als Verführung Jüngerer zu etwas, was sie sonst nicht täten oder wären. Viele Schwule versuchen deshalb nach außen so zu wirken, ihnen gehe es um altersgleiche Dauerbeziehungen, daß sie nicht durch junge Kerle alles vergessen können. Sie kritisieren ältere oder andere Ältere wegen deren lustvollen Abenteuer. Abr unsere Politik darf nicht für eine solche Moral eintreten.

Schwule wollen zeigen, daß sie vollwertige Männer sind. Aber, wegen des selben Zusammenhangs, aber aus anderer Sicht, versuchen heterosexuelle Männer, ihre Angst, kein richtiger Mann zu sein, duch das Lächerlichmachen von Schwulen und Homosexualität, besonders von Analverkehr, zu bewältigen. Ist da dann die richtige Politik, zusammen mit der Hetero-Meute die Tunten zu kritisieren, um Lacher und Sympatie der Heteros auf sich zu ziehen und als Schwuler aus der Schußlinie zu sein?
 
Sicherlich wird so mancher Schwuler gerade diese Ausflucht wählen. Aber unsere Politik darf nicht so gestaltet sein. Und wenn wir den heteroangepaßten oder -genormten Schwulen kritisieren, dann tun wir imgrunde auch so etwas wie er, wenn dieser sich über Tunten erhebt.
Männer sind überhaupt schon sehr früh auf belanglose kleine sexuelle Abenteuer aus. In der heterosexduell genormten Gesellschaft muß jeder Spritzer die Weihen einer Beziehung haben, um als moralisch akzeptiert zu sein.

Müssen wir uns denn vor heterosexueller Moral fürchten, an die sich Heteros selbst nur oberflächlich halten? Ja, gelegentlich müssen wir das oberfrächlich, denn wir leben auf keiner Insel. Und heutzutage, wenn eine Karrieremöglichkeit dadurch winkt, daß man andere Schwule, die keine Doppelmoral vetreten, gegenüber einer heterosexuellen Öffentlichkeit anschwärzt, deren Normen nicht einzuhalten, nutzen das viele. Hier findet ein Outing statt, gegen den sich andere Schwule nicht schützen können, ein Outing, das in Mobbing übergeht.
 
2. Zur Sache
Rosa von Praunheim hat nun Outing, also das Anschwärzen von Homosexuellen vor einem heterosexuellen doppelmoralischen Publikum, als sinnvolles schwulenpolitisches Kampfmittel vorgeschlagen, um gegen doppelmoralische Schwule vorzugehen. Damit wollte er/sie die doppelmoralischen Schwulen zwingen, sich zu bekennen und nicht mehr gegen emanzipatorische Schwule mit moralischer Verächtlichmachung vorzugehen. Selbst Outete Rosa allerdings nicht miese Schwule, sondern prominente Schwule aus dem Showgeschäft.

Bei Outing handelt es sich um sexuelle Denuntiation. Sie funktioniert nur, wenn es ein genügend großes Publikum gibt, zumindest Publikationen, deren Vorteile, Geschäfte usw. mit dem Outenden in irgendeiner Form übereinstimmen, beispielsweise die Interessen der doppelmoralischen Sensationspresse mit den Interessen der Leute, die davon profitieren, daß hier jemand beschädigt wird. Dieer Zusammenhang wurde von Arthur Miller in "Hexenjagd" anschaulich dargestellt.

Martin Dannecker wertet Rosas Outing-Kampagne so, daß damit ein Tabu gebrochen wurde, sozusagen die Schleusen in einem Damm geöffnet wurden. Dieser Damm schützte uns davor, als Homosexuelle zum falschen Zeitpunkt und vor den falschen Leuten bekanntgegeen zu werden. Wann sag ichs meiner Mutter, wann meinen Vorgesetzten, wann meinen Untergebenen und vor allem wie?
Dieses Tabu ist weg: so manche Lesbe, mancher Schwule bekennt beiläufig gegenüber Heteros, wer auch lesbisch oder schwul sei.
 
Das wird kaum noch als sexuelle Denuntiation empfunden. Und da Homosexualität heutzutage auch nicht mehr den riesigten Skandal darstellt, ist damit kaum noch ein persönlicher psychischer Schade entstanden, kaum noch eine Karriere beendet und und kaum noch die berufliche Zukunft ruiniert. Aber, da der Outer gar nicht die Lager der/des Geouteten beurteilen kann, entsteht natürlich oftmals doch Schaden. Wenn jemand Karriere machen kann, indem er/sie zum falschen, nämlich für ihn/sie richtigen Zeitpunkt einen anderen Menschen bloßstellt, dann dient das Mittel des Outings nicht dazu, emanzipatorische Politik voranzubringen.

Hatte Rosa vergessen, daß alle Mittel, die Menschen in die Hände bekommen, letztlich im wesentlichen genutzt werden, Vorteile über andere zu bekommen? Hatte Rosa vergessen, daß das Aufdecken der Homosexualität Röhms durch die Sozialdemokraten den Nazis gar nicht geschadet hatte und Röhm auch nicht? Die antischwulen Nazis hielten es für verlogene Propaganda, die schwulen Nazis freuten sich: der Führer steht zu seinen Leuten. Später wurde das anders, nämlich, als Röhm ihm politisch im Wege stand. Da konnte dessen Homosexualität als ablenkender Vorwand für dessen Ermordung genutzt werden.

Oft ist es heutzutage aber so, daß der Verräter/die Verräterin nur als Antwort bekommt: "Na und?" Vielleicht werden VerräterInnen selbst als seltsam angesehen. Dann muß natürlich nachgelegt werden. Die andere ist nicht nur Lesbe, sondern sie unterdrückt ihre Partnerin und hindert sie an einer Bindung mit einem Mann. Der andere ist nicht nur Schwuler, sondern er quält seinen Partner, indem er dauernd fremdgeht. Jede betrogene Ehefrau kann dies nachvollziehen und diesen Schwulen nun nicht mehr leiden. Jeder sexistische "Lesbenerlöser" sieht gerade dieses Mannweib als Gefängniswärterin an.

Outing geschieht heutzutage also überall aus persönlichen und egoistischen Gründen in der Weise, daß zur Homosexualität andere "Missetaten" hinzugetan werden, die aufgrund der vorgegebenen heterosexuellen Moral als schlecht gelten, oder die wirklich schlecht sind und wegen der Vorurteile gegenüer Lesben und Schwulen dann gerne geglaubt werden. Das wären dann offene Verleumdungen und das Outing wäre dann zum Mobbing geworden.

Lesbische uns schwule OuterInnen oder sexuelle DenunziererInnen handeln in ihrem eigenen Sexleben meistens ganz genauso, wie die, deren "Missetaten" sie aufdecken, gelegentlich stimmen solche Gerüchte eigentlich nur bei ihnen selbst und nicht bei denen, gegen die sie so vorgehen. Aber das interessiert niemanden. Denn die DenuntiantInnen bezw. VerleumderInnen wählen ja eine Zeit und Situation, in dem sie selbst aus ihren Aktivitäten Nutzen ziehen können, während der/die andere zumeist in einem für sie/ihn ungüstigen Zeitpunkt bloßgestellt oder verleumdet wird. Deshalb ist ein Gegen-Outing zumeist wirkungslos, erreicht höchstens das Gegenteil, weil der/die GegenouterIn leicht verdächtigt wird, sich nur unlauter wehren zu wollen.

Zum andern sind die prädestinierten Opfer von Outing-Angriffen zumeist solche Leute, die ohnehin deshalb angreifbar sind, weil sie zu erkenen geben, daß sie von Doppelmoral nichts halten, die also gar nicht verschweigen, was sie tun. Denen wird dann noch mehr und wirklich Schlimmes unterstellt, was als glaubwürdig gilt, weil die Doppelmoralisten ja auch mehr machen, als sie bekennen.

Außerdem sind in sexuellen Fragen offene Menschen bei Doppelmoralisten ausgesprochen unbeliebt, weil sie das unterlaufen, woraus die Doppelmoralisten ihren Einfluß beziehen.. "Denn wer kein Unrecht duldet, wie soll der geduldet werden..." dichtet Brecht in dem Stück: "Die sieben Todsünden der Kleinbürger". Und offene Menschen wollen gar nicht mit solchen Mitteln gegen andere Menschen vorgehen. Es paßt gar nicht zu ihrem Denken und Empfinden. Also sind sie den Anschlägen dann wehrlos ausgeliefert, wenn genug doppelmoralische Leute eben an das glauben wollen, was ihnen Vorteile verspricht.
 
3. Also?
Rosas Anssatz war deshalb falsch, weil er letztlich den Leuten in die Hände spielt, gegen die er vorgehen wollte. Gegen die Doppelmoralisten kann man nur vorgehen, wenn man ihnen die Basis entzieht, auf der sie ihre Vorteile aus ihrem Handeln ziehen.
Also sollten wir bei jedem, der sich über die Moral anderer aufregt, wissen, daß niemand etwas ohne eigene Interessen tut. Moralapostel und irgendwelche -SchützerInnen handeln in Wirklichkeit nicht für selbstlose, sondern für eigene Ziele, die sie nur wirkungsvoll tarnen können, weil die Leute an Moral glauben, Moral vorgeben und selbt damit Macht über andere anstreben.

Unsere Politik muß aus ganz eigenen Interessen darauf ausgerichtet sein, die Lächerlichkeit der Moralapostel bloßzustellen und bei den Gerüchten über angebliche Verfehlungen anderer erst einmal ein starkes Mißtrauen gegenüber der/den Berichtenden an den Tag legen, besonders wenn die "Berichte" so sehr gut passen. (Joachim Schönert)
 
Dein Kommentar zum Artikel: hier

 Zum Artikelarchiv

 Zur Artikelhauptseite

 Zur LUST-Hauptseite