51.Lust: Dez.98/Jan. 99
 
Körperkult
Wir fahre ab auf "schöner Körper". Was ist eigentlich schön? Gibt es da feste Normen oder sieht das jeder anders? Wie verhalten wir uns? Wollen wir uns den Leitbildern anpassen (Ist "erotische Ausstrahlung" zu "erarbeiten"?) oder zweifeln wir die Schönheit der Leitbilder an?
 
1. Körperkult
Die Vergötterung des Körpers im Leben, in der Wirtschaft, der Kultur und im Zwischenmenschlichen ist nicht unbedingt eine erotisch motivierte Vergötterung. Der Held der Arbeit in der sogenannten proletarischen Kunst ist zumindest noch zweigeschlechtlich: Männer und Frauen stehen mit Hacken, Hämmern und Sicheln auf den Gedenksteinen, doch sind diese Körper zum Arbeiten da, in manchen Fällen sind es auch soldatische Körper oftmals auch männlch heldenhaft, wenn es um Kriegsdenkmäler geht. Die Propagandamittel des Ostens waren durchschaubarer in ihrer Zielsetzung. An ihnen entlarvt sich vieles deutlicher.

Noch deutlicher ist dem Interssierten der Arno-Preker-Körper-Kult, im Film und Bildbänden von Leni Riefenstahls Iszenierungen ergänzt. Auch der dargestellte Mann mit dem Ziel der Leistung im Sport und Krieg der Nazi-Ästeten ist betont unerotisch. Der Körper muß makellos muskulös in letzterem Beispiel sein.
 
Wenn der männliche Körper nackt ist, ist das männliche Geschlecht in einem zu vernachlässigenden Zustand. Die Gesichtszüge sind markant, leicht brutal und der Blick ist verklärt in die Ferne gerichtet, wo der Sieg wartet. Nichts Menschliches kann neben diesen makellosen leistungsgestählten Körpern standhalten. Wärme und erotische Körperlichkeit, Mitmenschlichkeit, das alles sind ja Schwächen. Gut, es geht nicht um die Abbildung von Menschen, sondern um zielgerichtete Manipulation, Leistungspropaganda. Könnte ein Mann, der täglich zur Arbeit geht, solch einen Körper haben? Und wie würden diese Helden aussehen, wenn sie aus dem Krieg heimkehren?

Auch das ist Körperkult, denn es gehr um die schiere Nutzbarkeit des menschlichen Körpers, und man muß zugeben, daß zur Zeit die Darstellung erotischer Leitbilder in so mancher bildhaften Darstellung genauso dem Leistungsgedanken unterworfen ist: Die Helden haben nicht nur gewaltige Muskeln, sondern auch überdimensionale Schwänze, die, existierten sie in Wirklichkeit, dem Körper alles Blut entziehen müßten, um so zu stehen. Kann man hier annehmen, daß sie sich lüstern hingeben können oder können sie nur "handeln"?
 
Kann man sich hier Koseworte und zärtliche Berührungen vorstelleen? Frauen sind mit viel zu langen Beinen, viel zu dicken Brüsten abgebildet. Auch hier ist nichts Warmes und Menschliches übriggeblieben, auch hier triumphiert die Leistung: Kleinere Brüste, kürzere Beine oder behaarte Beine usw sind hier Schwächen. Der Blick der männlichen Sexmodelle ist genauso leicht brutal und auf das Ziel in der Ferne gerichtet wie der Blick bei den Nazi-Helden.
 
Der Mensch, wie er nun mal ist, wirkt dagegen beinahe krankhaft. Der Blick solcher Frauenbilder ist unterwürfig und glotzäugig blöd, manchmal noch mit herausgestreckter Zunge. Ist das erotisch? Ist das schön?
 
Was ist schön?
Schön ist das Gegenteil von häßlich, und mit häßlich kommt das Wort hassen einher, also ist "schön sein" aufgrund äußerer Merkmale "liebenswert sein". Wie muß ein Kind, eine Frau, Man aussehen, um liebenswert zu sein?

Das Kind muß artig und adrett, sauber und vielleicht auch unfreiwillig putzig sein, damit es als "schön" angesehen werden kann. Aus der Sicht wahrer Mutter- und Vaterliebe ist es dann schön. Wann ist ein Kind häßlich? Wenn es unartig ist, wenn es schlecht gekleidet ist, wenn es "entstellt" ist, wie es so schön heißt.

Wann ist eine Frau schön? Sie hat "natürliche Schönheit", "exotische Schönheit", sie ist "schön wie eine Madonna" also unberührbar, sie hat "innere Schönheit", sie ist eine "strahlende Schönheit". "So was findest Du schön?" sagt mit herablassend gespielter "Erstauntheit" eine Frau oder ein Mann zu einem anderen Mann, der eine Frau für schön hält, die für nicht wert gehalten wird, als schön zu gelten.
"Dieser Mann ist ein schöner Mann", das sagt höchstens eine Frau. Aber meistens sieht ein Mann nicht schön, sondern gut aus.
Schön ist der Mensch, der geliebt wird, - für den Liebenden. "Schönheit liegt im Auge des Betrachters", sagt der oder die, der/dem es unverständlich ist, daß "solch ein Mensch" für schön empfunden wird. Dieser Satz wird benutzt, wenn man sich erklären will, warum jemand einen anderen als den allgemeinen Schönheitsbegriff hat. Es ist die Begründung für abweichendes Schönheitsempfinden.

Es gibt also ein normatives Schönheitsempfinden, unausgesprochen, jedoch vorhanden. Die meisten Leute orientieren sich daran. Wie muß ein Mann sein, der für Dich schön aussieht? Schwule Männer und heterosexuelle Frauen antworten dasselbe: Markantes Gesicht mit einem lausbubenhaftem Anklang. Strammer Arsch, taillierter Rücken, Waschbrettbauch (bloß nicht zu dick!), so zwischen 25 bis ca. 35 Jahre.
 
Alles andere liegt im Auge des Betrachters. In der Schwulenszene wird zwischen Mann und Jungen unterschieden. Der "Junge" ist so zwischen 16 bis vielleicht 20. Er ist etwas schüchterner und läßt sich vom Älteren gerne was sagen. Schaut er schmachtvoll verträumt, dann ist er "ein traumhaft schöner Junge", er Verfügt über "göttliche Schönheit".Frauen, die auf "Jungen" stehen, sind eher der mütterliche Typ, der sich auf jung zurechtmachen. Gleichaltrige "Mädchen" meinen zu einem "Jungen" nicht, daß er schön sei, sondern sagen:"Ist der aber süß!"
 
Wie verhalten wir uns?
Wir verhalten uns in der Regel an die Normen angepaßt und gemäß den Normen. Auch für uns ist ein schlanker strammer Mann mit Waschbrett "schöner" als ein Mann mit "Brauereigewächs". Nur von den anderen wollen wir, daß sie das anders sehen, besonders, wenn wir selbst nicht diesem Leitbild entsprechen. Unser dicker Bau soll deshalb geleibt werden, weil der/die andere einen individuellen Geschmackt hat, uns auch so liebt usw.

Werden wir so geliebt, wie wir sind? Zum Teil, vielleicht. Aber das sind Ausnahmen. Im Grunde werden wir von denen, auf die wir stehen (die diesen Leitbildern entsprechen) auf unsere Makel indirekt oder auch direkt deutlich hingewiesen. Denn in Beziehungen gibt es auch das Oben und Unten. Es gibt hier auch den/die Starken(n) und die/den Schwache(n). Und das verknüpft sich bei uns nicht mit den Geschlechtsrollen, sondern damit, wie sehr angewiesen wir auf diese Beziehung sind, zum Beispiel zur Befriedigung unserer sexuellen Sehnsüchte und Bedürfnisse. Wer genug Angebote von außerhalb erhält, ist in seinen/ihren Beziehungsanforderungen an den/die Partner(in) weit weniger kompromißbereit als der/die, der/die kaum eine andere Möglichkeit sieht. Dies bezieht sich in erster Linie auf die Körperlichkeit.

Man braucht in einer Schwulengruppe nur zu beobachten, wie arrogant sich junge begehrte Menschen gebährden, und welche Kompromisse die eingehen, die an ihnen Gefallen finden. Ich weiß, wovon ich rede, denn da macht die ROSA LÜSTE keine Ausnahme, zumindest der männliche Teil dort, und ich glaube, auch Ähnliches in nicht ganz so offener Form bei Lesben der Gruppe beobachtet zu haben.

Ich bleibe als Mann aber bei dem männlichen Verhalten. Die Mitglieder der Gruppe siitzen und unterhalten sich über irgendeine Sache, mehr oder minder interessiert oder gelangweilt, denn einige warten nur darauf, daß...

Und wenn der junge Mann dann den Raum betritt, dann kümmern sich alle um ihn. Jeder möchte ihn in ein Zweiergespräch ziehen, möglichst die anderen ausblenden. Einer ist freundlicher, interessanter und aufmerksamer als der andere. Die anderen dienen eigentlich nur noch dazu, um sich von ihnen abzugrenzen, indem man jünger, klüger, freundlicher, verständnisvoller usw. als die anderen ist. Und den anderen da geht es natürlich nur darum, den Begehrten ins Bett zu ziehen, und nicht um das ehrliche Interesse am Mitmenschen. "Siehe, ich bin nicht so wie diese da", scheint jeder zu sagen und schlägt mit Lob und Verächtlichmachung um sich.
 
Da gibt es Sitzspielchen, wer sitzt wo und kann deshalb besser anmachen oder ausgegrenzt werden? Manche arbeiten mit Geräuschpegel, juchzendes Schreien, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, anderen versuchen den jungen Mann aus irgendeinem Grund zu beschützen, vor den anderen natürlich. Und man beschimpft sich gegenseitig, daß der da sich nicht genug ukm den da kümmert, während man selbst ja mit dem jungen Mann kommuniziert. Wenn jemand an diesem eitlen Profilspiel nicht teilnimmt, wird er schlicht übersehen oder überhört, jedenfalls nicht wahrgenommen. Er könnte jetzt auch genausogut gehen.

Selbst beim Weggehen bilden sich Trauben um den Begehrten, jeder will noch schnell die Möglichkeit für ein persönliches Wort nutzen, das die anderen nicht verächtlich kommentieren können oder anderweitig abwerten. Und wenn der dann weg ist, sind die meisten mit ihm gegangen, oder haben jetzt noch einen wichtigen Termin, der letzte Bus fährt zum Beispiel.

Und den Übriggebliebenen gefällt die Situation auch nicht mehr, der Abend ist gelaufen.

Das ist alles so offensichtlich, aber darauf angesprochen, würde jeder ein solches Verhalten weit von sich weisen. Er selbst ist da ganz anders als die anderen.

Und genau diese Auffassung macht alle gleich. Und der kokettierende Begehrte findet große Aufmerksamkeit, wenn er sich zum Beispiel über einen der anderen beschwert, daß der ihm zu nahe komme. Und alle stimmen zu, denn das finden sie grundsätzlich auch schlimm, daß der andere da sich nähert.

Wenn man solche Sachen jahrelang beobachtet (und sich manchmal auch selbst als Teil dieses Spiels entdeckt), verliert man oftmals die Lust an solchen Gruppenprozessen.

Obwohl die meisten abstreiten, daß es ihnen um den banalen Körperkult geht, sind es doch immer die, die den Normen des Körperkultes entsprechen, um die sich alles dreht. Und so versuchen viele so zu sein, wie man angeblich begehrt wird, um in die Lage zu kommen, umschwärmt zu werden, anstatt andere zu umschwärmen.
 
Kann man erotische Ausstrahlung erarbeiten?
Natürlich kann man das. In gewissen Grenzen, denn das Alter ist nicht zu verändern, und gerade darin liegt auch der Pferdefuß, denn man macht sich nur attraktiv in seiner Gruppe. Wer nur auf Jungs steht, der findet mich auch dann nicht atraktiv, wenn ich mir als Älterer einen Waschbrettbauch antrainiert habe.
 
Sich ansonsten so zu geben, wie in den Medien der Star präsentiert wird, auch das hat seine Schattenseite. Hier ist eher die Frage zu stellen,, ob man das auch will. Denn in Wirlichkeit heißt das ja, daß man so aussehen, sich so kleiden, verhalten muß wie andere uns schön und/oder intereant finden. Man prostituiert sich. Oft verlangt unser Berufsleben aber auch eine ganz andere Ausstrahlung als die erotisch Anziehende, so daß mit einfachen Verkleidungsübungen der Spagat nicht zu schaffen ist. Eine Führungskraft soll alles andere sein, nur nicht erotisch.

Da es um Körperkult geht, macht man sich in Grenzen etwas begehrter, wenn man einen sportlich-leistungesfähigen Körper vorweisen kann. Die anderen Attribute vorweisen zu wollen ist schon ein wenig lächerlich. Brüste weren durch Silikonpolster verstümmelt, Männer versuchen sich an der Penispumpe oder der Penis-Operationen.

Also, beim Anmachen in der Disko kann man seinen etwas längeren Schwanz auch nicht gut aus der Hose baumeln lassen, um den Kerl seiner Träume zu bekommen. Wenn der aber schon mal mitgekommen ist, dann findet das Sexerlebnis auch statt. Es fällt auf jeden Fall nicht deshalb aus, daß der Schwanz "zu kurz" sei. Bei mir ist es so, daß ich begonnene Sexerlebnisse deshalb abbrechen will, weil das Zusammenspiel zwischen mir und dem Partner einfach nicht klappt und man untereinander keine guten Verständigungsmöglichkeiten hat. Hier muß man eher lernen, wie man sich gegenseitig verständlich machen kann.
 
Und das ist die zweite Seite der Erotik, jenseits des Körperkults. Es gibt eine ganze Menge wirklich erotisch wirkender Verhaltensweisen, kokette, deftig anmachende und faszinierende, die in ganz besonderen Situationen ihre Wirkung nicht verfehlen, nämlich in der Situation, in der das Gegenüber das gerne sieht. Ist jemand im Grunde an Dir ein wenig interesiert, dann kann es klappen. Wenn nicht, dann nicht.
 
Andere Werte
Natürlich wird jemand mit dem "perfekten Körper", der noch akzeptablen Jugend oder ähnliches solche Werte vertreten, die ihm die besten Möglichkeiten versprechen. Und andere legen dann Wert auf andere Werte, nämlich den Werten, mit denen sie brillieren können, wie sie herausgfunden haben oder glauben. Natürlich werde ich in einer jugenskultsituation nicht als Jugendlicher auftreten, weil dies in meinem Alter lächerlich wäre. Und mit meinem Körper werde ich in einem Body-Buildings-Studio nicht mit den Muskelprotzen konkurrieren wollen, und ich kann keine Anerkennung von denen erhalten, die einen solchen Schwellkörper gerne umarmen möchten. Was ist denn gut oder schlecht?

Was in militärischen Zusammenhängen leistungsfähig ist, ist im Bett nicht unbedingt eine Erfüllung. Wer auf Bübchen steht, ist in einer riesigen streßreichen Konkurrenzsituation, und wer dort gelegentlich Erfolg hat, muß den Bübchen was bieten und erlangt dort nur ganz selten selbst eine ausreichende Befriedigung seiner Bedürfnisse, während die anderen Bübchenliebhaber die schlimmsten Horrorgeschichten über den verbreiten, der gerade einen kleinen Erfolg hat. Und allzuoft gehören die arrogant und divenhaft gewordenen Bübchen danach mit zum Chor der zynischen Kritiker. Wie sollen sie auch zwischenmenschliche Wärme in schwulen Sexbeziehungen kennenlernen?

Der Körper ist natürlich die Grundlage des menschlichen seins, und beim Sex geht es natürlich um körperliche Prozese. Aber der Körper kann auch weich, anschmiegsam zärtlich sein. Er kann so oder so genutzt werden. Er kann meiner eigenen körperlichen Erfüllung dienen.

Der Körperkult in unserer Gesellschaft entspricht dem Zustand der Gesellschaft. Er baut Grenzen zwiaschen uns auf, an deren Schlagbäumen Zöllner stehen, die ihre Hand (oder ihr Arschloch) aufhalten. Es geht um äußere Anpassung an solche gesellschaftlichen Normen, die anderen Leuten wirtschaftlichen, militärischen und politischen Erfolg bringen. Je weniger Hilfskräfte die wirtschaftlichen Führer brauchen, um so mehr verlangen sie von ihnen. Also müssen wir uns, wie die römischen Gladiatoren, alle darauf vorbeireiten, von diesen gabraucht zu werden, während wir uns gegenseitig immer weniger brauchen können.

Und menschliches Sein hat dann doch noch eine ganze Reihe anderer Werte mehr zu bieten. Die wichtigsten Tugenden sind da Mitmenschlichkeit, Grenzen zwischen uns überwinden, Mitgefühl mit solchen, die den unmenschlichen Leistungsnormen nicht entsprechen können oder wollen, gegenseitigen Verbindlichkeit und Solidarität. (Joachim Schönert)
 
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