49. Lust: Aug./Sept. 98
 
Der CSD
Bewegung oder Kommerz?
Heutzutage werden die großen lesbisch-schwulen Sommerfeste "Christopher-Street-Day" genannt, oder schlicht zeh-es-deh (CSD).
Ich bin von Neueinsteigern schon gefragt worden, was denn der christliche Ursprung unserer großen Lesben- und Schwulenfeste sei. Außenstehende versehen überhaupt nicht, was das heißen könnte. Kaum jemand weiß, was das mit der Christopher-Street auf sich hat. Kaum jemand weiß, daß dies der internationale lesbisch-schwule Freiheitstag ist, der etwas mit einer Revolte, mit Straßenkampf und Barrikaden zu tun hat.
 
Der CSD
Als wir diesen Tag in Wiesbaden zum ersten Mal 1982 durchführten (Es waren dies immer überregionale Ereignisse, und irgendwann waren auch wir dran.), nannte man ihn hierzulande noch Gay-Pride-Day. Da war in dieser englischen Bezeichnung zumindest noch etwas von dem Anlaß des Festes zu erkennen, der bekennende Stolz der Gay-Szene, der Lesben und Schwulen eben.
 
Die Gay-Scene
Auch das weiß heute kaum jemand, daß unter dem Namen Gay die am Aufstand Beiteiligten zusammengefaßt wurden, die mutig, kreativ und fröhlich (daher Gay) Ende Juni 1969 an den Straßenkämpfen teilnahmen, die um das Lokal "Stonewall Inn" in der Christopher-Street in New York tobten, Straßenkämpfe zwischen der martialischen homophoben Polizei und den Drag Queens, den Strichern und Huren des kleinen Parks nebenan, den im Lokal und dort auch anwesenden Lesben und Schwulen. Diese gemischte bunte fröhliche Szene wurde dann eben die Gay-Szene genannt.
 
Gay-Power und Gay-Pride
Und sie waren stolz darauf, daß sie endlich mit dem Anpassen schlußgemacht hatten. Vorbei war die Zeit, in der Männer mindestens 3 Kleidungsstücke anhaben mußten, die für Männer verordnet waren, und Frauen drei Kleidungsstücke anhaben mußten, die man für weiblich definierte, was bei den Polizeirazzien brutal und zynisch kontrollliert wurde.

Die Gay-Power-Scene nahm sich das Recht raus, mit Männer- und Frauenrolle lustvoll zu spielen. Damit befreite Mann sich von dem Anpassungsdruck an die Männerrolle, der mit dem Vorwurf arbeitet, Schwule seien keine "richtigen" Männer. Das gesellschaftliche Coming-out der Schwulen aus der Gay-Szene war das provozierende Verhalten als Nicht-Mann, als Tunte (Queer), während die angepaßten Nadelstreifenhomophilen weder mit der Revolte noch der Befreiung etwas zu tun hatten. Die Rollentugenden "Mann", identisch mit den Verhaltenstugenden "Soldat" wurde unterlaufen, in Deutschland zum Beispiel mit dem trotzigen Plakat: "Männer müssen zur Bundeswehr, wir nicht!"
 
Lesben und Schwule
Eine Trennung in eine Lesben- und eine Schwulenszene fand in den USA nicht statt. Und die an biologischen Merkmalen festgemachte feministische Aussage, daß Lesben zuerst einmal Frauen seien und Schwule zuerst einmal Männer, beschreibt zwar biologische Richtigkeiten, richtet sich aber gegen den damaligen gesellschaftspolitischen Ansatz, die alten Mann-Frau-Verhaltensrollen für Geschlechter einfach zu unterlaufen, wie dies zum Beispiel auch im Butch-Femme-Spiel geschieht.

Solch eine Trennung nach biologischen Geschlechtern verlangt von (auch schwulen) Männern wieder das zu sein, was Männer seit Jahrhunderten sein mußten, durch einen schmerzhaften harten Anpassungsdruck werden Jungen zu gefühllosen Wesen erzogen, die in der Lage sind, Arbeiter, skrupelloser Wirtschaftsführer und Soldat zu sein. Manche Schwulen wurden gerade in der Pubertät von ihren auf Anpassung dressierten altersgleichen Mitschülerinnen und Mitschülern verlacht, wenn sie nicht so waren, wie man es von Männern verlangt. Und nun kam dies aus der Feministinnenszene. Und die andressierten "weiblichen Tugenden" der Duldsamkeit und des Gefühls statt des Geistes wurden von diesen Feministinnen zu besonders wertvollen Anpassungsresultaten stilisiert, wobei Frauen vor dem "Mannweib" und dem Nachspielen der Männerrolle gewarnt wurde.
 
Die Gay Guys and Girls der USA, die Gays and Lesbians der BRD
Schon bald wurde aus der Gay-Szene in Deutschland die Gay- und Lesbian-Szene, wobei all das Rollenspiel der Gay-Szene dann nur noch den Schwulen überlassen wurde. Und in Deutschland benutzten dann solche homosexuell handelnde Männer das Wort Gay für sich, die sich mit dem Wort und Image "schwul" nicht zu identifizieren vermochten, die etwas Besseres serin wollten als ein Schwuler. Sie wollten sauberer und anständiger sein, als ihnen das Wort "schwul" nahelegte.

Daß sich Lesben und Schwule in den USA "Gay" nannten und nennen, hat etwas damit zu tun, daß der stattgefundene Aufstand Mut und Stolz einer Minderheit verkörperte, mit der nun eine Identifikation möglich war. Schluß mit Anpassung an die Normen des weißen heterosexuellen moralischen amkerikanischen Mittelstandes, Aufbegehren parallel mit der Schwarzenbewegung, den VietnamkriegsgegenerInnen und Hibbies, in Europa parallel mit der linken antiautoritären Studentenbewegung und ihrer Sex-Revolte.
 
Heute und hier
Was ist bei den heutigen lesbisch-schwulen Sommerfesten der großen Städte von diesem mutigen Aufbegehren einer trotzigen Szene noch zu spüren?
Alles ist ernster geworden. Die schwulen Männer sind wieder Männer, "Tunte" ist auch unter Schwulen ein Schimpfwort, das Image von "Mannweibern" möchten auch die Lesben nicht haben, obwohl hier doch oftmals noch lustvoll damit gespiel wird. Ansonsten möchte man sich mit ernsten Problemen an einem solchen Tag nicht abgeben. Wenn jemand einen lesben- oder schwulenpolitischen Beitrag vorträgt, wird der konsumiert wie die Musikbeiträge auch. Man hört sichs an oder auch nicht und unterhält sich dabei mit seiner Nachbarin, seinem Nachbarn, dies die Konsumenten.
 
Wie aber ists mit den VeranstalterInnen?
Von allen Seiten werden und wurden wir als VerantalterInnen gewarnt, doch ja nichts Politisches oder gar Alternatives zu machen. So sprachen uns im Vergangenem Jahr Vertreter des Völklinger Kreises in dieser Weise an. "Alternativ" schien ihnen ein Schimpfwort zu sein, was nicht verwundert, denn Linkes ist Wirtschaftsführern natürlich unangenehm. Ist der CSD heutzutrage Ausdruck einer Bewegung oder Ausdruck von Kommerz?
 
Bewegung oder Kommerz?
Wo engagierte Lesben und Schwule einen CSD durchführen, bemühen sie sich um den Schulterschluß mit der kommerziellen Szene. In manchen Städten ist diese Zusammenarbeit und das immer unpolitischer Werden des CSDs so weit gediehen, daß politische Gruppen (als "radikale Gruppen" von den veranstaltenden Clubs und Organisationen benannt) mit Hilfe der Polizei von der Gay-Pride-Demo, heute CSD-Parade, ferngehalten werden und wurden. So geschehen in Bremen. In Berlin fanden vor zwei Jahren zwei CSD-Demonstrationen statt, eine linke und eine bunte. Die störenden linken Tuntengruppen und andere linke CSD-Gruppen und Wagen waren im vergangenem Jahr wieder dabei, denn die großen Masse der Lesben und Schwulen hatte von der linken Demo keine Notiz genommen, nahezu alle Blätter hatten ja für die bürgerliche bunte Parade geworben.

Es ist nicht verwunderlich, daß der politische Aufstand von einst heute zum Kommerz verkommt. Sieht es nenneswert anders beim 1. Mai der Gewerkschaften aus? Ob eine solche Veranstaltung politisch oder eher unpolitisch ist, hat etwas damit zu tun, wieviel Anlaß für politisches Handeln in der jeweiligen Szene empfunden wird.

Auf jeden Fall zeigt sich zunehmend, daß die Feierlichkeiten zum CSD gerade deshalb von den Lesben und Schwulen bei der PDS wie den schwulen Managern, den radikalfeministischen und den autonomen Lesben und WILMA, der Gruppe der Managerinnen gemeinsam genutz werden können, weil politische Aussagen fehlen. Politische Aussagen drehen sich heutzutage nicht mehr darum, daß homosexuellen Menschen in einem Lokal kein Alkohol ausgeschenkt werden durfte oder daß homosexuelle Männer gesetzlich auf ein Geschlechtsleben zu verzichten hatten, wie dies bis in die 60er Jahre bei uns der Fall war. Heute geht es um soziale Fragen, um rücksichtslose Bereicherung führender Schichten auf Kosten der unteren Schichten der Gesellschaft. Und die von lesbischen oder schwulen GewerkschaftlerInnen gegenüber dem Völklinger Kreis oder WILMA vertreten Fragen, würden die Feierstimmung sprengen.

Gerade weil es sich zunehmend um Kommerz handelt, können solche großen CSD-Veranstaltungen stattfinden, wie sie damals während der Revolten eben nicht stattfinden konnten. Damals hielten nur Einige die Köpfe für Ziele hin, die den heute Feiernden ziemlich unverständlich sind. Und auf die kessen Väter, auf Neudeutsch Butchs, und die Tunten, die Queers und Drag-Queens herabblickend, kommen sich die VeranstalterInnen im Nadelstreifenanzug heutzutage sehr alternativ und tolerant vor.

Wem schadets denn, wenn wir kommerzielle Veranstaltungen besuchen? Der revolutionäre Anlaß der CSD-Revolte ist hier und im Moment nicht vorhanden. Daß aber Linke, Tunten, Butchs usw ausgegrenzt werden, daß es Leute gibt, die so instinktlos sind, die Polizei gegen linke Lesben und Schwule zu rufen, das ist wirklich äußerst bedenklich und hat gar nichts mit lesben- und schwulenpolitischen Fragestellungen zu tun, sondern damit, daß hier eine Art von Klassenkampf von oben zelebriert wird, wie wir es zum Beispiel auch bei Ausgrenzungen von PSD-nahen Lesben und Schwulen mitbekommen. Wenigstens in meinem lesbisch-schwulen freien Leben möchte ich nicht von Managertyper mit Unternehmerideologie konfrontiert werden, wie dies am Arbeitsplatz leider der Fall ist. Auch hier versuchen die wirtschaftlichen Führungskräfte des Landes zwischen den ihnen Nützlichen und den ihnen eher Unagenehmen zu sortieren, wie es z.B. der Völklinger Kreis Mz/Wi macht, der (konkurrierend zu unsrer Lesben-CSD-Veranstaltung) zu einer Parteienbefragung einlädt, zu dieser Wahlkampfveranstaltung jedoch "PDS und DVU" nicht einlädt, wie uns mitgeteilt wurde.

In den neuen Bundesländern jagen DVU-WählerInnen auf offener Straße Lesben und Schwule, ihre politischen Vorbilder haben unter anderen Schwule ins Konzentrationslager gesteckt. Von einer Minderheitenpolitik für Lesben und Schwule kann nicht die Rede sein. Eine Einladung von ihnen wäre also sinnlos. Die PDS hat eine offen lesbische Bundestagsabgeordnete, es gibt eine PDS-Lesben und Schwulenorganisation.

Es ist schlich ein Skandal, die miese Hinze-Propaganda-Diskriminierungen gegen eine lesbisch-schwule Gruppe zu richten und Vergleiche mit den menschenverachtenden potenziellen Massenmördern anzustellen.

Solche Leute können nicht mein Vertrauen haben, auch in meinem Sinne eine sinnvolle Politik für Lesben und Schwule zu gestalten, und sie sind auch nicht in der Lage, der Revolte zu gedenken, die Anlaß der CSD-Feiern ist. Spätestens hier scheiden sich die Geister.
Joachim Schönert
 
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