- 48. Lust: Juni/Juli 98
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- Der lesbisch-schwule Medienmarkt
- Homosexuelle Menschen werden nicht mehr
nur als Mörder oder MörderInnen oder Witzfiguren dargestellt,
wie das noch vor einigen Jahren der Fall war. Sowohl in Spielfilmen
als auch in Serien finden sich lesbische und schwule Protagonisten,
die mit einem Alltag gezeigt werden, der sich so oder ähnlich
darstellen könnte. Unterschiedlichste Verlage betrachten
Homosexuelles als Markt und haben das eine oder andere lesbische
oder schwule Buch verlegt. Manchmal entdeckt man in "heterosexuellen"
Verlagen interessantere Bücher als in lesbisch-schwulen.
Homosexualität wird "normal", das heißt
aber auch, daß sie normalisiert wird.
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- 1. Was sind lesbisch-schwule Medien?
Da entdeckte Olav Stüben in seinem Filmbuch Schwules im
Film "Lawrence von Arabien", weil dort der englische
Under-Cover-Agent. der einen arabischen Aufstand gegen das türkische
Weltreich steuert, mit zwei arabischen Knaben ein sehr enges
Verhältnis hat. Ob Sexualität mit im Spiel war, geht
weder aus dem Film noch aus der Beschreibung Stübens hervor.
Für ihn wäre dies aber vorstellbar oder sogar vorausgesetzt
gewesen. Ist das deshalb ein schwuler Film?
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- Und Hermann J. Huber findet in dem Filmbuch
"Gewalt und Leidenschaft, Das Lexikon Homosexualität
in Film und Video"des Bruno Gmünder Verlages den Film
"Tootsie" ausgezeichnet (sehr hohe Bewertung), weil
sich dort Dustin Hoffmann, als Frau verkleidet, in eine Seifen-Oper
(eineVorabendserie) schummelt und die unkonventionelle Frau spielen
kann. Hier kann er endlich die Karriere machen, von der der arbeitslose
Schauspieler geträumt hatte. Ein in vielen Versionen uraltes
und zahlreich wiedergekäutes Thema: Frauen, die als Männer
erfolgreicher sind, Männer, die als Frauen erfolgreicher
sind.
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- Dahinter steht das Ausschlachten des Unvermögens,
sich in die Rolle des anderen Geschlechts denken zu können,
da wird viel mystifiziert. Zur Homosexualität haben die
in diesem Film handelnden Personen allerdings kein Verhältnis.
Im Gegenteil wird für selbstverständlich gehalten,
daß sie (wie alle) dagegen sind. Ist das Schwule daran,
daß es auch schwule Männer gibt, die sich als Frau
verkleiden? Eo Eckerle (Raus aus den Toiletten, rein in die Kinos)
schreibt über Tootsie: "Als der Vater erfährt,
daß er auf einen Mann hereingefallen ist, schlägt
die Homophobie des Films voll durch: "Wenn Du zugelassen
hättest, daß ich Dich küsse, müßte
ich Dich jetzt umbringen".
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- Eine Tennisspielerin verliebt sich in eine
andere und bricht schluchzend vor deren Schlafzimmertüre
zusammen, in der diese mit einem Mann verkehrt. Dieser kommt
raus, macht die schluchzende Liebende zur Sau und zur Zufriedenheit
des Filmpublikums ist die Normalität und die Ehe wieder
hergestellt.
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- Was ist ein lesbischer oder ein schwuler
Film? Ein Film, in dem Lesben oder Schwule in irgendeiner Form
vorkommen? Oder einer, der von einer Lesbe oder einem Schwulen
hergestellt wurde? Oder wo lesbische und/oder schwule SchauspielerInnen
mitspielen? Wo alle (auch Lesben und Schwule) über Lesben
oder Schwule so herzlich ablachen können? Denn Lesben und
Schwule haben genau wie die Heteros gelernt. lesbisches und schwules
zu hassen. Oder sind es Filme, in denen die Story nur positive
Zerrbilder der Lesben und Schwulen schildert? Denn Filme zeigen
nur Zerrbilder.
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- Es gibt sie nicht, die lesbischen und schwulen
Medien. Wohl gibt es aber Medien, die die heterosexuelle Szene
braucht, um auf die eine oder andere Weise mit Homosexualität
und den Lesben und Schwulen umzugehen. Und es gibt Medien, die
für Lesben und Schwule eine gewisse Funktion erfüllen,
weshalb sie diese Medien brauchen, lieben, verachten und doch
nutzen usw..Und es gibt Medien, die von Lesben und/oder Schwulen
für die Zielgruppe der Lesben und Schwulen hergestellt werden,
dann gibt es natürlich auch Medien, die von Heteras und/oder
Heteros für Lesben und Schwule hergestellt wurden.
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- Immerhin unterliegen Medien für unsere
Zielgruppe unterdessen den gleichen Marktgesetzen, die für
Medien überhaupt gelten, denn auch in unseren Reihen existiert
sie selbstverständlich: die Marktwirtschaft. Und selbstausbeutende,
nicht auf Massen-Meinung also Profit abzielende Medien wurden
und werden von den kommerziellen verdrängt, nachdem diese
vorher den Markt erschlossen hatten.
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- 2. Wie funktioniert der Medienmarkt?
Der Medienmarkt ist ein Markt, der nach Marktgesetzen funktioniert.
Eine Nachricht ist nicht dann eine Nachricht von Wert, wenn sie
irgendwie stimmt, sondern wenn sie sich vermarkten läßt.
Nicht besonders gut vermarktbare Nachrichten sind nicht erwähnenswert.
Daß Herr Mayer beim Bumsen den lästigen Pariser benutzt,
interessiert niemanden.
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- Daß Herr Schneider und Herr Klein auf
Homosex aus Aids-Gründen seit Jahren verzichten, ist zwar
tragisch aber nicht erwähnenswert. Daß aber Herr Müller,
HIV-positiv und überhaupt nicht "treu", prinzipiell
ohne Pariser vögelt, dabei die Nationalhymne schändet
und nur sexgeile Jugendliche aus gutem Hause bevorzugt, das läßt
sich gut verkaufen. Auf dem Markt tnumphiert eine andere Normalität
als im Leben. Und den LeserInnen und ZuhörerInnen erscheinen
die marktgerechten Nachrichten als wahrscheinlicher als die Tatsachen.
Sie treffen sich ja mit anderen ähnlichen Informationen.
Die Nachricht ist eine Ware, die sich vermarkten läßt.
Der biedere treu liebende blonde junge deutsche Mann, der seinen
Freund so gerne vor dem Altar heiraten würde, kann interessant
für die Modebranche sein, für Finanzierungsmodelle
und Versicherungen, für rührende Regenbogengeschichten,
für Reisegesellschaften, die Urlaub in einem Seitensprung-Land
anbieten, für politische Interessengruppen, die ihr politisches
Geschäft mit der Norm der Ehe, Treue und Religion machen.
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- Das sind ganz andere Märkte als zum
Beispiel der für einen Schwulen, der im Wäldchen neben
dem Autobahnparkplatz sein G1ück im Verborgenen sucht. Bestenfalls
die Kondom- und Papiertaschentuchhersteller könnten hier
einen kleinen Markt erkennen, doch ließe sich dieser Markt
auch nicht mit positiven Leitbildern bewerben, denn positive
Leitbilder sind solche, die den gängigen Vorurteilen von
der glücklichen Familie entsprechen. Die lesbische Partnerinnen
einer rührend treuen Beziehung, die sich auch noch aufopfernd
um ihre Kinder aus erster Ehe kümmern, sind auch von größerer
wirtschaftlicher Attraktivität aus den oben genannten Gründen,
und durch Sex- und Krimegeschichten können sie ja auch etwas
ausgebaut werden.
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- Wenn ein früher staatstreuer Mensch
und Informant der Staatssicherheit einem Schäferhund die
Füße abhackt, das ist eine viel interessantere Nachricht
als wenn ein unter Schuldgefühlen ob seiner Homosexualität
leidender und deshalb angepaßter Comingoutler in der Wahlzelle
etwas ganz Perverses tut und sein Kreuzchen nicht bei der CDU
oder FDP, sondern heimlich bei der SPD macht, oder, um die Perversität
zu eskalieren, am Ende gar bei der PDS.
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- Wenn jemand permanent über Übergriffe
von Wirtschaftsbossen gegenüber ihren Angestellten berichtet,
wenn er darüber berichtet, daß in Frankfurt ein großes
Werk geschlossen wird, weil der Gewinn von 6 % den Kapitalgebern
zu niedrig war, wo man doch neuerdings über 50 - 60% Gewinn
machen kann, wenn man berichtet, daß heutzutage Menschen
aus Angst um ihren Arbeitsplatz trotz Krankschreibung zur Arbeit
gehen, dann wird man pleite machen, weil dies Nachrichten sind,
die sich nicht verkaufen lassen, indem die Leute, die das Geld
dazu haben, an solchen Nachrichten nicht interessiert sind. Da
sind "Sozialhilfebetrüger" deutlich interessanter.
Auch der lesbische-schwule Medienmarkt funktioniert unter den
gleichen Marktgesetzen.
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- 3. Was tut sich auf dem Büchermarkt?
Ganz selten gab es Bücher, in denen Homosexualität
nicht als Krankheit, Verbrechen usw. dargetellt wurden. Sowohl
in der wissenschaftlichen Literatur als auch in der schönen
Literatur.
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- Bei meiner I. Staatsprüfung wollte ichs
wissen und ließ mich in Soziologie zum Bereich Homosexualität
prüfen. Von Wolfgang Adler über Socarides und anderen
handelte es sich um die unterschiedlichsten Beschreibungen dieses
"Fehlverhaltens", selbst der in der linken Szene so
beliebte Erich Fromm (Die Kunst des Liebens) sprach von homosexuellen
Frauen und Männer als von Menschen, die das Ziel, Frau (Mann)
zu werden, nicht erreicht hätten, und auf narzistische und
egoistische Weise in der sozialen und biologischen Zwecklosigkeit
verharren würden, während Magnus Hirschfeld die sexuelle
Identität für angeboren hielt, und als (angeborene)
gesellschaftliche Aufgabe des "Dritten Geschlechts"
Kunst und Soziales ansah. Schelsky schrieb über die Frauen-Zoten
die in der männerbündlerischen Sozialgruppierung (Fußballclubs,
Militär usw.) erzählt würden, und die nötig
seien, das gegengeschlechtliche Verlangen am Leben zu halten
und die sozial schädliche Homosexualität zu verhindern.
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- Heutzutage schreiben lesbische und lesbisch-feministische
WissenschaftlerInnen wie schwule Forscher über Sexualität,
Beziehungen, auch über Homosexualität. Unterdessen
existieren Forschungen über fast alle Bereiche unseres Daseins
und auch Texte von Lesben und Schwulen, die sich an Lesben und
Schwule richten. Es gibt auch viel Schrott, zunehmend mehr Schrott,
der sich aber offensichtlich verkauft. Und in der schönen
Literatur gibts alles, vom Krimi zum trivialen Herzschmerz (was
sich besser verkauft als Aufklärung). seltener ernstzunehmende
Literatur, die etwas literarisches Niveau hat. Es ist eine Schwemme
von zielgruppenonentierter Literatur vorhanden, die niemand mehr
überschauen kann.
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- Ein kitschiger verlogener Roman, ist nicht
besser als dasselbe in hetero, vekauft sich zwar z.B. unter Schwulen
und Lesben nicht besser als das gleiche in hetero, jedoch deutlich
besser als das Aufzeigen realer doppelmoralischer Verhalten.
Und die abgebildeten Models in den Bildbänden sehen besser
aus als der eigene Schmerbauch oder der des vertrauten Partners.
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- 4. Was tut sich im Fernsehen?
Als Rosa von Praunheims "Nicht der Homosexuelle ist pervers,
sondern die Situation, in der er lebt" zur Gespensterstunde
in der ARD gezeigt wurde, schaltete sich der Bayerische Rundfunk
aus, denn das "konnte" er seinen Zuschauern nicht zumuten.
Bayern, das Tal der Ahnungslosen. Und in den schwulen Kneipen
schimpften alle über den Film: "So sind wir doch gar
nicht." Fast niemand praktiziert Anal-Verkehr, niemand geht
in eine Klappe oder einen Park.
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- Einfach spontane Lust, das gibt es bei uns
nicht. Bei uns geht's um was Höheres, Wir sind treue Paare,
vergleichbar mit den heterosexuellen Paaren in den amerikanischen
Spielfilmen. Das muß man begreifen, daß die Schwulen
ihre eigene Welt und ihr eigenes Leben nicht kennen (wollen),
weil sie dies (was sie tun) selbst für unmoralisch halten.
Sie schwärmen ihr Leben lang von der einen großen
Liebe, die aussieht wie die Filme aus Hollywood, und verachten
viele glückliche Begegnungen und Affären, die sie hatten.
Das Urteil spießiger Meteors ist ihnen wichtiger als ihr
Lebensglück.
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- Vor heterosexuellen Zeugen ist so mancher
bereit, andere Schwule wegen deren angeblicher Unmoral anzuschwärzen,
und manche Heteros vergleichen "das Furchtbare", das
sie da hören, mit ihrer heilen Ehewelt, wobei sie allerdings
das Bahnhofsviertel ausklammern. Und der, der dafür eintritt,
daß wir so sein dürfen, juristisch und moralisch selbstbewußt,
wie wir sind, bekommt keine Solidarität von anderen Schwulen
und noch weniger von Lesben, Heteras und Heteros dafür.
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- Karriere und Geschäfte sowie Erfolg
beim Anmachen hat und macht man da eher, wenn man die Doppelmoral
funktionalisiert, für "Liebe" der Lesben und Schwulen
eintritt und die Ehe fordert, auch wenn die dann kaum jemand
eingeht. Es lebe die Doppelmoral. Wir sehen da aber nicht besser
aus als die Heteros und Heteras, und das belegen die entsprechenden
Regenbogenblätter, die Chefarzt- und anderen Romane und
nicht zuletzt auch die Seifenopern.
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- Und nun gibt es in den Seifenopern auch das
schwule oder lesbische Paar. Natürlich handeln die wie Hetero/ra-Paare
und leben nur in einer Hetera/ro-Welt. Da gibt's keine One-Night-Stands,
Parks, Saunen, Klappen usw. Wären lesbische und schwule
Soup-Operas denkbar, falls es einen lesbisch-schwulen Fernsehsender
gäbe? Natürlich, sie waren denkbar. Und es wäre
auch denkbar, daß das reale Arbeits- Liebes- und Beziehungsleben
in einer lesbisch-schwulen Anstalt genauso zugunsten der heilen
Werbewelt ausgegrenzt wäre, wie wir das aus der Hetero-Medienlandschaft
schon kennen.
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- Homosexuelles ist aus den Medien nicht mehr
ausgegrenzt, besonders in den privaten Medien, die ja ihre Kuriositätenshows
bringen. Schwul oder lesbische Talk-Master existieren, denken
wir an Alfred Biolek, aber Talk-Master haben sich zurückzuhalten
und hier ist es kaum erkennbar, welche sexuelle Identität
der Talk-Master hat. Es ist auch nicht sicher, daß eine
lesbische Talk-Masterin oder ein schwuler Talk-Master immer homophobe
Inhalte hinterfragt.
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- Es gibt ja Lesben und Schwule, die selbst
in den Zwischentönen homophob sind oder nicht genügend
differenzieren können. Lesben und Schwule als Talk-Gäste
könnten da schon Anderes bewirken. Doch ist es sehr schwierig,
die Differenzen zum heterosexuellen Leben und der heterosexuellen
Identität herauszuarbeiten und dennoch nicht als Exot oder
Sonderling abgetan zu werden. Und überall gibt es sie ja,
die Lesben und Schwulen, die durch Anpassung Anerkennung suchen,
die dann gegen uns ins Feld geführt werden können.
Besonders stolz bin ich auf die schwulen Moderatoren und Talk-Master
sowie Witzesendungsmacher nicht gerade.
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- Ob Ralf Morgenthaler am Samstag Nachmittag
mit älteren Damen die Beziehungen von Prominenten diskutiert,
ob Harpe Kerkeling vor einem ähnlichen Klientel "witzig
und originell" ist, das ist nicht das speziell Schwule an
den Shows, und sie interessieren ältere heterosexuelle Damen,
die sich einen feschen unkonventionellen Jüngling wünschen
mehr als Lesben und Schwule. Ich bin sicher, daß Hella
auch nicht für alle Lesben steht. Und Nachtschwester Kroymann
war auch schon mal engagierter.
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- 5. Was ist in der Filmszene los?
Film ist ein sehr teures Medium. Da werden Geldgeber benötigt,
die ihrerseits natürlich wieder bestimmten Sponsoren, Firmen
usw. verpflichtet sind. So muß man bei professionell gemachten
und vermarkteten Hollywood-Produkten dann andere Regeln einhalten,
beispielsweise, daß das lesbische und/oder schwule Leben
nicht wie eine schönere Alternative zum grauen Ehealltag
erscheint, sondern viele Probleme hat, damit z.B. das schwule
Leben als nicht lebenswert erscheint.
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- So gesehen in dem Hollywood-Aidsfilm "Philadelphia",
dem kubanische Film "Erbeer und Schokolade" und auch
in dem deutschen Film "Der bewegte Mann". Sicherlich
wird das anders werden, wenn die ersten lesbischen oder schwulen
Ehepartner wie heterosexuelle Familien dargestellt werden und
dann den nachwachsenden Lesben und Schwulen als positive Leitbilder
fungieren. Dort wird es dann ja lebenslanges Glück geben,
oder es wird im Film "beim Happy End", wie Kurt Tucholsky
sagt, "wie gewöhnlich ausgeblendt".
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- 6. Was hören wir im Rundfunk?
Homosexuelles wird auch in den Radiosendungen nicht mehr ausgegrenzt,
doch finden sich selten Anlässe. Es gibt und gab eine Reihe
lokaler lesbischer und schwuler Sendeinitiativen, die mehr oder
weniger engagiert von sich und für die eigene Szene berichten.
Aber mit dem Nürnberger Fliederfunk hatte die dortige Medieninitiative
einige Schwierigkeiten, weil der CSU-lastige Bayerische Rundfunkrat
gerade diese zum Anlaß nahm, das ganze linke Senderprojekt
zu gefährden.
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- Erst war es eine Pädo-Sendung, und ich
muß zugeben, daß wir beim Thema Pädophilie eher
die Infos der Pädos für wahr hielten als die der Tugendwächter,
die ja auch gegen Schwule waren, als daß wir über
diese Zusammenhänge anders nachdenken konnten. Dann war
es eine SM-Sendung, und SM wird ja immer mit Gewalt gleichgesetzt,
also in einer Reihe mit Vergewaltigung. Aufklärung über
diese elementaren Unterschiede können dann für pornographisch
usw. verunglimpft werden. Ob die angepaßteren schwulen
oder lesbisch-schwulen Lokalsender überhaupt HöhrerInnen
aus unserer Szene haben, wird schwierig zu überprüfen
sein. Das Thema Homosexualität ist zum Normalfall geworden,
was niemanden mehr besonders an- oder aufregt. Und auch schwule
Sendeinitiativen können mit dem "Normalfall" ein
schwules Publikum kaum erreichen.
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- 7. Zeitschriften und Zeitungen
Es gibt einige Zeitschriften an Kiosken für Schwule, die
recht teuer sind, hochglanz, Männerakte, News Entertainment
und Promotion sowie Kontaktanzeigen. DU & ICH, ADAM, Männer
Aktuell usw. Diese erhalten eine verschärfte Konkurrenz
durch die kostenlos ausgelegten bundesweiten bunten Blätter,
die nahezu das gleiche bieten: Queer (die ehemalige Rosa Zone),
First, Box und Downtown.
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- Dann gibt es noch kommerzielle regionale
Blätter wie Siegessäule, Hinnerk, GAB, Our Munich usw.
Schließlich noch solche Restblättchen aus der Bewegung
wie die Nürnberger Schwulenpost, LUST, Hajo. Bei den letzteren
handelt es sich oft auch um lesbisch-schwule BIätter. Eine
lesbische Zeitschrift gibt es, die LesPress, die an speziellen
Plätzen bezogen und abonniert werden kann. Es gab mal das
Bewegungsblättchen "Rosa Flieder", eine Schwesterzeitschrift
von uns, das sehr engagiert, alternativ und kreativ war. Es hatte
bundesweite Bedeutung, wie zur Zeit die LUST, weil dort engagierte
Positionen miteinander rangen, neue Initiativen vorgestellt wurden,
eben ein Bewegungsblatt im schönen ursprünglichen Sinne.
Hier bewegte sich wirklich etwas.
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- Der Rosa Flieder war ein bißchen beispielhaft
für uns. In Berlin entstand ein Bewegungsblatt neuen Typs.
Es war regional und orientierte sich eigentlich mehr an den regionalen
Veranstaltungsblättern, dieses Blatt hieß "Siegessäule",
und das nicht, weil man deutschnationalen Charakter hatte, sondern
weil unter der Siegessäule in Westberlin eine sehr stark
frequentierte Klappe war. Das muß man heutzutage erklären.
Aus dem Rosa Flieder ging nach und nach die Luft raus. Nachwachsende
Blattmacher hatten einen etwas anderen Ehrgeiz, denn sie wollten
wohl, sie waren auch etwas jünger und unerfahrener, bedeutungsvoller
werden.
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- Die inhaltliche Bedeutung des Blattes ging
mehr und mehr zurück, und andere verloren immer mehr die
Lust, mit engagierten Jungschwulen zu streiten, die sich eher
an großen bunten Medien orientierten. Doch dieses Blatt
ging nicht ein, sondern es schloß sich mit der Siegessäule
zusammen zur MAGNUS, Sitz in Berlin. Das hatte zur Folge, daß
die Nürnberger Blattmacher raus waren. Bernt Offermann besuchte
uns im Vorfeld in Wiesbaden, begutachtete unsere Zeitungsproduktion
(damals unter dem Namen NUMMER) und meinte, daß wir keine
Überlebenschancen hätten. Bei einem Zeitungstreffen
im Waldschlösschen stürzten sich viele, die schon auf
die MAGNUS setzten, kritisierend auf die NUMMER, so könne
man heutzutage keine Bewegungszeitung machen, denn es ginge nur
so, wie es die MAGNUS konzipierte.
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- Nun, die MAGNUS entstand, mit einer Auflage
und einem Outfit. daß sie auch an Kiosken verkauft werden
konnte, man gründete auch einen Buchverlag und Unterzeitungen,
die als kostenlose Regionalblättchen den kleinen engagierten
Bewegungszeitungen den Markt streitig machen wollten. So entstand
die Siegessäule wieder, in Hamburg die HINNERK und man war
dabei, in Nordrhein-Westfalen den kleinen Blättern wie der
linken Rosa Zone etwas entgegenzusetzen oder sie zu schlucken.
Auch für das Rhein-Main-Gebiet interessierte man sich, und
Herbert Rusche hatte schon dafür Interesse angemeldet.
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- Als dann die Stöhntelefon-Anzeigen fortfielen
(wie man sieht, vorübergehend), brach MAGNUS ein. Es war
schon vorher zu spüren, daß sie immer hochglänzender
wurde, nur noch Coverboys auf dem Titel und bestenfalls noch
einen Kulturteil hatte, Bewegungsnachrichten wurden in die Regionalblätter
abgedrängt und eine Diskussion von Bewegungsinhalten fand
nicht mehr statt. Der Spaghat zwischen Bewegung und Kommerz klappte
so nicht. Man kann nicht die Bewegung sprechen lassen und gleichzeitig
Nachrichten mit Warenwert bieten. Und der Kommerz ist dann, wenn
man hoch hinaus will, wichtiger. Allerdings, dort, wo sich Geld
machen läßt, da sitzt meist schon jemand, der es einstreicht.
Nach der Pleite versuchte der Jackwert-Verlag die Magnus noch
eine Weile als kommerzielles Hochglanzmagazin zu führen,
auch dieser Versuch scheiterte. Übrig blieben dem Verleger
die Siegessäule und die Hinnerk als kommerzielles buntes
Veranstaltungsblättchen und der Magnus-Buchverlag ging in
den Jackwert-Verlag auf.
Unsere NUMMER gibt es auch nicht mehr, wir hatten damals den
Mut verloren, dachten , ohne Kommerzialisierung schaffen wir
das nicht mehr, und dazu hatten wir keine Lust. So etwas überlassen
wir denen, die sich mit ihren "Infos" verkaufen. Doch
nun gibt es unser Nachfolgeblatt LUST. Bei den kostenlos verteilten
Blättern tritt nun die QUEER mit einem Anspruch auf, der
uns an Magnus erinnert. Journalistisch will sie Arbeiten usw.
Die ROSA ZONE hatte in ihrer Geschichte einen Wandel mitgemacht.
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- Plötzlich wurde sie immer kommerzieller,
ihre kritische Haltung gegenüber Becks Gleichstellungspolitik
gab sie auf und verband sich mit den anderen regionalen kommerziellen
Blättern zu einen Zweckverband, um an die größeren
Werbekuchen zu kommen. Mit Hinnerk (Hamburg), Siegessäule
(Berlin), Our Munich (München), GAB (Frankfurt, ehemals
Young and Gay, aber wir werden ja alle mal älter), Männertreu-Depesche
(Nürnberg). Diese Zweckbündnis verlor seine Funktion,
als die Konkurrenz zwischen ihnen immer größere Ausmaße
annahm.
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- Die Rosa Zone entwickelte eine absolut kommerziell
aufgemachte Literaturbeilage, die sie bundesweit vertrieb, ebenso
eine Tourismusbeilage. Dann entstanden in verschiedenen Regionen
Regionalbeilagen. In der ehemaligen DDR gab es den Versuch ein
kommerzielles Blatt schrittweise aufzubauen, namens Queer. Es
würde diese Darstellung zu sehr ausweiten, wenn wir nun
noch die Geschichte von Queer beschreiben würden. Jedenfalls
kam es zum Zusammenschluß (oder zur Übernahme) von
Queer durch die Rosa Zone, gemeinsamer Name ist nun Queer.
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- Man kann nicht behaupten, daß alle
Beiträge in diesen genannten Blättern flach und nur
von Unterhaltungswert sind. News-Entertainment hat Unterhaltungswert.
Mehr wollen ja auch die LeserInnen dieser Massenwaren nicht.
Diese Konkurrenz läßt uns (LUST) ziemlich kalt, denn
Queer konkurriert bundesweit mit den anderen kostenlos verteilten
Blättern und regional mit den eben genannten Regionalblättern.
Die Gay-Expreß gibt es von diesen B1ättern schon am
Iängsten. Sie ist eine Metropolenzeitung für Berlin,
Hamburg und, seit wir die NUMMER eingestellt hatten, auch in
Frankfurt. Die First kommt aus Köln und hat sich als schwule
Bildzeitung ein bißchen kulturell gemausert.
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- Die BOX machte es anders, sie hat an verschiedenen
Stellen regionale Stützpunkte, Büros, Redaktionen,
Verteilerstellen gebildet. Das Downtown ist in seinen Beiträgen
oftmals wirklich auf Bild-Niveau. Unterdessen gibt es Schlachten
zwischen den verschiedenen Blättern, hinter denen finanzielle
Fragen stehen. Manche unserer Gesprächspartner unter den
Wirten berichten uns, daß einige Zeitungen ihre Veranstaltungen
nicht bringen, daß sie stiefmütterlich behandelt werden.
Manche Zeitungen dürfen in manchen Lokalen nicht ausliegen.
Wirte erzählen uns, daß sie stapelweise die B1ätter
wegwerfen müssen, weil so viele Zeitungen gar nicht mitgenommen
werde. Das passiert mit der LUST nicht. Wenn neben all diesen
bunten B1ättern die graue LUST liegt, dann wirken wir sehr
bescheiden, obwohl wir eigentlich stolz sein können. Unsere
Auflage wird erwartet und nahezu restlos mitgenommen.
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- S. Und wir?
Wie sind alles andere als kommerziell erfolgreich. Aber wir existieren
schon lange. Wir haben keine Schere im Kopf, betreiben keine
Selbstzensur. Unsere Artikel sind nicht die Verpackung der Werbung.
Die LUST ist nicht die reißerischste Zeitschrift. Sie ist
nicht am geilsten und am buntesten, die Titelbilder konkurrieren
nicht mit den Coverboys. Unsere Fehler und Schwierigkeiten verstecken
wir hinter unserer individuellen Besonderheit. Bei uns verdient
niemand etwas mit der LUST, im Gegenteil stecken wir noch unser
Geld, was wir wo anders verdienen, in diese Arbeit.
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- Wir veröffentlichen kostenlos alle Veranstaltungen
aller Betriebe und Gruppen, die uns bekannt sind, auch wenn manche
Betrieb nicht bei uns werben. Wie würden nie, auch wenn
wir uns über sie ärgern. gegen irgendwelche Veranstalter,
Wirte usw. schreiben, denn es macht gar keinen Sinn, dies zu
tun. Wir haben gar nichts gegen Veranstalter, Wirte usw. Wir
konkurrieren ja auch gar nicht mit ihnen, sondern wir sind ihre
Partner. Wir machen keine aufdringliche Akquisition nach Anzeigen.
Alle Anzeigen sind so in die LUST gekommen, weil die Wirte von
sich aus uns angesprochen haben. Wer bei uns werben will, der
tut es schon, denn wir sind nicht unbekannt. Unsere Kunden, die
Anzeigen bei uns aufgeben, sind uns zum größten Teil
schon seit vielen Jahren treu.
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- Wir haben im Grunde nicht das Problem, daß
Anzeigen aufgegeben werden und wir dann dem Geld hinterherlaufen
müssen. In einzelnen Fällen ist das aber auch passiert,
das verletzt uns auch menschlich. Aber das sind Einzelfälle.
Außer den Veranstaltungshinweisen und einigen Infos über
neue Lokale, Veranstaltungen usw. kümmern wir uns sonst
nicht um den Marktwert von Berichten, Artikeln und Informationen.
Und dieses Konzept geht auf. Die Wirte unserer Szene sind nämlich
gar nicht so spießig und untolerant, wie man es annehmen
müßte, wenn man die anderen Blätter liest. Wir
haben ein ausgesprochen gutes Verhältnis zu den Wirten unserer
Region, und das, ohne daß wir vor ihnen auf den Knien liegen
oder ihnen im vorauseilenden Gehorsam nur Werbung auf den Leib
schreiben.
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- Wen soll das auch auf Dauer interessieren?
Wir gehen das Risiko eines eigenen unverwechselbaren Stils ein,
weil wir keine Angst zu haben brauchen, daß wir dadurch
Geschäftsverluste befürchten müssen. Wir machen
ohnehin keine Geschäfte. Was wir über Werbung einnehmen,
muß lediglich reichen, um Druckkosten und den Versand zu
finanzieren. also pro Ausgabe 8.000 bis 9.000 DM, was allerdings
nicht immer klappt.
In den Artikeln werden Fragen der Menschen unserer Szene und
der Bewegung aufgegriffen, auch wenn wir oftmals damit nicht
den Massengeschmack der Heile-Welt-Romantiker treffen, vom Marktwert
ganz zu schweigen. Uns ist die richtige Analyse einer Sache wichtiger,
als dem Zeitgeist und den Trends hinterherzulaufen. Unsere Buchbetrachtungen
sind unser Paradepferd, obwohl gerade das wenig als medienwirksame
Sensation gilt.
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- Personen, Gruppen, andere Initiativen, die
irgend etwas anders sehen als wir, lassen wir zu Wort kommen
und manipulieren sie nicht durch irgendwelche Tricks, um eine
Heile Gemeinsamkeit vorzugaukeln. Allerdings kritisieren wir
das, was wir für falsch halten. Jede Zeitung hat ihre "Couleur",
manche verstecken diese hinter marktgerechten Floskeln, die allen
gefallen. Das tun wir nicht. Für uns machen emanzipatorische
Zielvorstellungen den Sinn unserer Zeitungsarbeit aus
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Allerdings müssen wir da konsequent sein, die Konsequenzen
tragen und akzeptieren, daß die LUST durch die Einnahmen
aus der Werbung nicht ihre Ausgaben decken kann. Eigentlich dürfte
es uns gar nicht geben, da wir eine Unmöglichkeit sind.
Aber als Lesben und Schwule haben wir gelernt, zu unseren Anderssein
zu stehen.
- (Joachim Schönert)
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