46. Lust: Februar/März 98
Lesbische und schwule Partnerschaften
"Verliebt, verlobt, verheiratet, so heißt das Glück zu Zweien..." das war ein gängiger Schlager aus der Zeit, in der ich anfing, über meine Sehnsüchte nach Beziehung nachzudenken. In Spielfilmen war das Ziel der Sehnsüchte, besonders das von Frauen, die Ehe. Und Männer führten sich gegenseitig stolz ihre Gattinnen vor.
 
1. Beziehungswünsche und Beziehungsrahmen
Freilich waren damals meine Beziehungsvorstellungen noch heterosexuell und ich schielte nach den Brüsten der Frauen, wenn ich auch schon im Schwimmbad den Männern auf die Badehosen sah, und in den Straßen den Typen auf die Beulen in den Jeans. In meine Heterozeit fiel die Studentenrevolte, die Sexrevolte, und nahezu einer ganzen Generation wurde klar: die Ehe ist eine Institution des gesellschaftlichen Überbaus; mit der Ehe will man uns einfangen und von vielen Möglichkeiten des Erlebens fernhalten. Frauen sollten aus der Vormundschaft des Vaters direkt in die des Ehemannes geraten. So mußten Frauen die Genehmigung ihres Ehemannes einholen, wenn sie neben ihren Familienpflichten auch noch arbeiten wollten.

Solche Argumente führte die CDU z.B. gegen das Bafög (Bundesausbildungsförderungsgesetz, Schüler und Studenten erhalten finanzielle Hilfen, falls die Eltern nicht dazu in der Lage sind) ins Feld, was für uns sehr aufschlußreich war. Zum Beispiel wurde argumentiert, daß es jungen Menschen durch das Bafög-Geld möglich sei, sich der sozialen Kontrolle durch die elterliche Familie zu entziehen, bevor sie durch neue berufliche und eheliche Zusammenhänge sozial eingebunden sein würden. Moralische Verwahrlosung sei die Folge.

Und bei Männern war eine Ehe nur dann legitim, wenn diese einen Beruf hatten, um "eine Familie zu ernähren". Frauen hatten in der Ehe die Aufgabe, eine sittliche und moralische Instanz zu sein. Wir wußten, daß zu den Erziehungszielen des neu eingerichteten Schulfaches Sexualkunde die "Ehefähigkeit" gehörte. Sex außerhalb der Ehe war untersagt und zumindest für mich sexuellen "Neuling" von den Räumlichkeiten her kaum möglich.
 
Es gab noch den Kuppelei-Paragraphen, aufgrund dessen die Eltern oder andere Personen verurteilt werden konnten, wenn sie Unverheirateten Geschlechtsverkehr in ihren Räumen ermöglichten. Selbstbefriedigung, das war eine mit Schuldgefühlen verknüpfte Sache, wobei man es als besser ansah, wenn man es möglichst selten oder nie machte. Die ehelichen Schlafzimmer mit ihrer gegenseitigen Kontrolle verhinderten ja sogar die Selbstbefriedigung, die (außer dem realen Fremdgehen) zumindest noch lustvolle (und auch homosexuelle) Phantasien ermöglicht hätten.
 
Die Ideologie von der genannten "Leib-Seele-Einheit" suggerierte, daß Sexualität, die nicht in eine eheähnliche Beziehungsstruktur eingebunden ist, etwas Niedriges und gesellschaftlich nicht zu Achtendes sei. Und das Versprechen, man liebe sich ein Leben lang, unterstellte etwas, an das zu glauben sich alle große Mühe gaben, nämlich, daß die erotische Faszination, die mit einer sentimentalen mystisch-geistigen Verknüpfung einhergehe, Liebe genannt, ein Leben lang anhalte und sowohl körperliche als auch mystisch-geistige Sehnsüchte mit anderen Menschen ausschließe.

Kurz, die gesellschaftliche Struktur der Zeit war entfaltungs- und sexualfeindlich, die dennoch vorhandene sexuelle Lust wurde so kanalisiert, daß sie in die Ehe zu münden hatte, dieser "raffgierigen Konsumeinheit" (APO-Spruch), dem "proletarischen Schutz- und Trutzbündnis" (Lenin), der "Prostitution auf Lebenszeit" (Marx/Engels), der "gesellschaftlichen Institution wünschenswerter sozialer Kontrolle" (CDU), der "heiligen Institution, die von Gott eingerichtet und deshalb vom Menschen nicht gelöst werden kann" (röm.-kath. Kirche) usw. "Außerehelicher Geschlechtsverkehr" war also das, vor dem die Bevölkerung "geschützt" werden sollte. Und die Strafe dafür traf auch noch die nächste Generation.
 
Die möglicherweise dadurch entstandenen Kinder wurden für die "Unmoral" der Eltern gestraft, durch gesellschaftliche und gesetzliche Benachteiligung "unehelicher Kinder". Und der § 182 StGB bestrafte den "Verführer" eines Mädchens im Alter zwischen 14 und 16 Jahren. Doch wenn er das Mädchen heiratete, entging er der Strafe. Das sogenannte Sexualstrafrecht hatte (und hat?) also die Funktion, die sexuellen Bedürfnisse so zu kanalisieren, daß sie zur Ehe führen müssen.

Man kann sich leicht vorstellen, daß unser damaliges Bestreben nicht unbedingt war, die Vorgaben der Institution Ehe zu erfüllen, sondern ein zufriedenstellendes soziales, gesellschaftliches, zwischenmenschliches und sexuelles Leben zu erproben und zu erstreiten. Es lag uns nicht daran, daß unsere eigene sexuelle Lust zum Agenten der Zwangsinstitution Ehe in uns gemacht wurde.

Womit ich als Schwuler nicht rechnete, war, daß irgendwann eine lesbische Frau oder ein schwuler Mann es als Auszeichnung empfinden könnte, in diese Zwangsinstitution eintreten zu "dürfen". Sie verwechseln die Propaganda für diese anrüchige staatlich-kirchliche Lebensart mit einer realen Ehrung.
 
Sie haben die Tatsache. daß unsere sexuellen Vorlieben und unsere Lebensgemeinschaften in den Lücken der starr geregelten Geschlechtsordnung bisher davon verschont wurden, als Benachteiligung empfunden. Reale Benachteiligungen gibt es im finanziellen, rechtlichen und sozialen Bereich für alle Menschen in Lebensgemeinschaften, die sich dem Ehediktat nicht beugen, so auch für selbstbestimmte lesbische und schwule Lebensgemeinschaften, und die heiratswilligen Lesben und Schwulen verwechseln das Nicht-Benachteiligen der staatlich-kirchlichen Ehe mit einer an sich ethisch wertvollen Auszeichnung solcher Beziehungen.

Interessant finde ich, daß linke heterosexuelle Freunde (verheiratet und Kinder) mich aufgrund Volker Becks Eheforderung ansprechen, was ich von der Eheforderung hielte, schließlich sei dies doch eine reaktionäre Forderung. Sie nutzten ganz selbstverständlich die staatlichen Privilegien der Ehe und kritisierten sie von innen heraus. Vielleicht war ihnen nicht klar, welche Benachteiligung und sogar Widerstände nichteheliche Beziehungen gegenüber der Ehe zu erleiden haben.

Aber, um Benachteiligungen zu bekämpfen, die zugunsten des Ehezwanges bestehen, muß man über die Benachteiligungen freier (also nichtehelicher) Beziehungen aufklären und die Forderung erheben, sie zu beenden. Das könnte genau so einen Wirbel verursachen und ginge nicht mit moralinsaurem Geflenne einher. Direkt falsch wäre es, nun unsererseits die Ehe zu einer Sache zu erklären, die für uns erstrebenswert sei. Unser Ziel muß die gesellschaftliche (öffentliche, juristische und soziale) Akzeptanz aller·, also auch unserer selbstgewählten Partnerschaftsformen sein.

Und eine sehr religiöse Arbeitskollegin, der es meistens gelingt, ihre Ablehnung meines Lebens hinter Toleranz zu verbergen, wußte schon von dem Streit zwischen homosexuellen EhebefürworterInnen und -gegnerInnen, und sie schlug sich sofort auf die Seite der EhegegnerInnen, was mich zuerst sehr verwunderte. Sie möchte wohl das "Heilige" ihrer Ehe nicht durch Homosexualität beschmutzt wissen.

Unsere Aufgabe wäre nun hier, vorausgesetzt, es geht uns noch um eine emanzipatorische Politik statt Anpassung, das sogenannte Heilige der kirchlich-staatlichen Ehe dadurch anzuzweifeln, indem wir die Ehe als das entlarven, was sie ist: eine gesetzlich abgesicherte Ordnungs- und Moralinstanz.

Nun gibt es aber auch Lesben und Schwule, die unterdessen diese Moral befürworten: Sexualität soll nach ihren Vorstellungen in solche Beziehungen eingebunden sein, die eine gewisse gegenseitige Kontrolle und Überwachung ermöglichen, und die Eifersucht ist ihnen ein Beleg der Liebe und nicht des Wunsches, die Partnerin oder den Partner auch in den Bereichen zu besitzen, die er/sie nicht dem/der PartnerIn, sondern anderen PartnerInnen widmet. Was für ein Bild vom Menschen steht dahinter, wenn man glaubt, man könne den egoistischen Beziehungsdruck auf den Partner mit "Liebe" und "Eifersucht" rechtfertigen?

Andere von ihnen sind religiös und wollen das, was sie Treue und Moral nennen, deshalb erfüllt wissen, weil es zu den Grundlagen ihrer Religion gehöre. Sie akzeptieren aber zum Beispiel nicht die Verurteilung der Homosexualität in ihrer Religion, sondern sie setzen sich die religiösen Gebote so zusammen, wie sie ihnen passen, weshalb man sagen kann, daß sie die gegenseitige Bevormundung für gut halten. Wie dem auch sei. Mögen sie für eine kirchliche und staatliche Ordnung der Sexualität und des Zusammenlebens eintreten, in ihren Kirchen und konservativen Parteien.
 
Dies kann aber nicht der Kampf der Lesben und Schwulen sein, die eine Emanzipation von staatlicher, religiöser und gegenseitiger Bevormundung anstreben, auch dann, wenn die Bevormundung derzeit auch mal wieder im unauffälligeren Kleide ankommt. Das ist ganz im Sinne gegenwärtiger Marktinteressen und der gegenwärtigen staatlichen Integrationspolitik, die dann das Kriminalisieren der nicht Integrierbaren zur Folge hat. Das grundsätzliche Problem existiert jedoch weiterhin. Übrigens, wer sich gegen die vorgeschriebene Moral wendet, auf den werden alle "Sünden" projiziert, von denen der/die SpießerIn träumt. Was ich wann mit wem in meinem Bett mache oder nicht mache, geht nur die Personen an, die mit mir in diesem Bett liegen. Niemand ist von mir ermächtigt worden, über mich zu urteilen oder seine eigenen Maßstäbe an mein Leben anzulegen.
 
2. Wie leben denn nun die Lesben und Schwulen?
Ich gehe davon aus, daß ich gar nicht so viel anders lebe als andere Schwule. Nur mache ich keinen Hehl daraus und mein Leben wird als einigermaßen bekannte Bewegungstype stärker diskutiert.

Das Leben von Lesben ist geprägt von der anerzogenen Frauenrolle und den gesellschaftlichen Konsequenzen daraus, das Leben der Schwulen von der anerzogenen Männerrolle und den Konsequenzen daraus. Das Leben von Lesben und Schwulen ist weiterhin von dem gesellschaftlichen Zwangsmodell der Ehe in vielfältiger Weise tangiert, indem auch lesbische und schwule Menschen auf ein heterosexuelles Partnerschafts- und Geschlechtsrollenmodell vorbereitet wurden, was ihnen die unterschiedlichsten "Selbstverständlichkeiten" vermittelte und bei Abweichungen Schuldgefühle und innere wie äußere Konflikte verursacht.
 
2.1. Das Lesbenleben
Aus unserem Umfeld und über unsere Sexumfragen ist uns bekannt, daß es viele lesbische Paarbeziehungen von einer gewissen Lebensdauer gibt, deren Partnerinnen auch zusammenwohnen. Hier wird, über Schwierigkeiten durch den Lebenskampf hinaus, die zu enge gegenseitige Kontrolle als Hauptgrund für das Scheitern angegeben. Es gibt auch Hinweise auf Gewalt in lesbischen Beziehungen. Dann gibt es Paare, die nicht zusammenwohnen. Unter diesen Umständen besteht theoretisch eine größere Möglichkeit, auch andere Nebenbeziehungen oder One-Night-Stands zu leben sowie einander gegebenenfalls auszuweichen. Frauen, die ihre sexuellen Kontakte ausschließlich über One-Night-Stands herstellen, sind eine sehr kleine Minderheit.
 
Es existiert auch kaum eine Szene. in der ein solches Leben relativ erfolgreich möglich wäre. Recht viele Frauen leben in sogenannten Affären, also zumeist Zweierfreundschaften von geringer Lebensdauer. Die meisten lesbischen Frauen leben aber alleine und tauchen auch selten in der Szene auf, weil diese an einer für Kontaktaufnahmen hinderlichen Struktur leidet: der Cliquenbildung. Cliquen vermitteln erst einmal einen gewissen Schutz. In der Szene gibt es nun verschiedene Cliquen, in die neue Frauen nur schwer hereinkommen.
 
Dort ist bekannt, wer gerade mit wer geht, und die Frauen achten auch gegenseitig darauf. Gruppenstrukturen unterliegen eigenen Gesetzmäßigkeiten und Gruppenmitglieder üben eine große gegenseitige Kontrolle aus. Die Szene erleichtert so verheirateten Lesben oder Lesben im Coming-out den Einstieg ins lesbische Leben nicht gerade. Auch gibt es, je enger die Cliquenstrukturen sind, um so größere Ausgrenzungstendenzen auch ideologischer Art, die den Übergang erschweren. Wie ist der Umgang mit einer verheirateten Lesbe, die die Familienbindung (noch?) nicht aufgeben will? "Verheiratet und Bi zwecklos" heißt es in so manchen Kontaktanzeigen.
 
Das weitgehende Fehlen eines promisken Lesbenverhaltens führt dazu, daß es von heterosexuellen Frauen weniger Ausgrenzung gegen über Lesben gibt, als dies von heterosexuellen Männern gegenüber schwulen Männern beobachtet werden kann. Dort kommt allerdings der Angst, unmännlich zu erscheinen, eine wesentlichere Bedeutung zu. Weil seitens der Lesben kein solch großes Abgrenzungsbedürfnis gegenüber Heteras besteht, ist die subkulturelle Lesbenszene auch vergleichsweise klein. Die fehlende Möglichkeit, schnelle (sexuelle) Bekanntschaften schließen zu können, fördert den Wunsch nach dem Festhalten der Partnerinnen.
 
Erst in letzter Zeit liest und hört man über Versuche, das Leben freier zu gestalten und das dazu nötige Umfeld zu entwickeln. Man kann sagen, daß sich der sichtbare Teil lesbischen Lebens in Zweierbeziehungen und in Cliquen abspielt. Dennoch wird aus der Lesbenszene die Forderung nach dem "Recht" auf Ehe kaum erhoben.
 
2.2. Schwulenleben
Cliquen im beschriebenen Sinne gibt es auch in der Schwulenszene, jedoch weit weniger stabile. Die Clique wird hier im wesentlichen genutzt, wenn keine Partnerschaft besteht. Im Gegenteil ist eine Clique für Partnerschaften oft eine Gefahr. Es gibt wenig Zweierbeziehungen von Iängerer Dauer, bei der die Partner zusammenwohnen. Als Hautursache für das Scheitern wird das allzuhäufige Fremdgehen des Partners oder die nicht mehr vorhandene sexuelle Anziehung angegeben. Häufiger anzutreffen ist der schwule Single, der eine Wochenendfreundschaft oder Ähnliches unterhält. Die häufigste schwule Lebensform scheint die heterosexuelle Ehe zu sein, schwule Begegnungen sind auf die Sauna, die Klappe oder den Strichermarkt beschränkt.
 
Unter schwulen Jugendlichen, die ihren "Traummann" noch nicht gefunden haben, überwiegt bei der aufwendigen Suche nach dem Mann für die Nacht der Wunsch, durch eine Beziehung davon befreit zu sein. Das Coming-out wird bei jungen Schwulen dadurch erleichtert, daß es eher zu viel statt zu wenig Männer gibt, die ihnen bei ihren ersten Schritten behilflich sein wollen. Nur glaubt jeder Coming-out-Helfer aus tiefsten Herzen, daß er aus irgendeinem Grund der genau Richtige dafür ist, der andere aber ein Schwein und Todfeind.

Später, nach einer Iängeren Phase eher kürzerer monogamer Zweierbeziehungen, kommt der Wunsch nach verläßlicheren Gemeinschaften auf, die ihrerseits nach dem Nachlassen des ersten brisanten Verliebtseins nicht das sogenannte Fremdgehen behindern. Da beschenken sich Freunde an Geburtstagen damit, daß sie dem Partner einen besonders für ihn passenden Stricher besorgen usw. So findet man in Kontaktanzeigen neben der Suche eines Freundes auch die Suche nach Partnern für Wohngemeinschaften. Schwule Männer, die den Schönheitsidealen nicht (mehr) entsprechen, leiden unter diesen Umständen an Vereinsamung. Die am häufigsten praktizierte Form schwuler Zweierbeziehung, bei der die Partner zusammenleben, schließt nach einer im Verlag rosa Winkel veröffentlichten Untersuchung Sexualität außerhalb dieser Beziehung nicht aus.
 
3. Welche Ansprüche an lebensfreundliche Rahmenbedingungen für selbstbestimmte Partnerschaftsformen ergeben sich?
Aus dem hier Vorgetragenen ergibt sich für mich, daß ein starres Korsett wie das der Ehe für uns weltfremd ist. Viele Lesben haben ihr Coming-out erst in einer heterosexuellen Ehe erlebt und kennen die Abhängigkeiten und Sachzwänge sowie die Schwierigkeiten, sich zu lösen. Das wollen sie sich nicht noch einmal antun, auch nicht mit einer Frau.
 
Und die Ehe wäre für schwule Männer (wie es ja bei heterosexuellen Männern auch der Fall ist) nur durch Seitensprünge und den Prostitutionsmarkt zu ertragen, und das bedingt verlogene Doppelmoral. Zusätzliche Normen aus heterosexuellen Mottenkisten würden uns nur noch zusätzliche Schwierigkeiten bereiten. Der CSD in Köln soll 1998 unter dem Motto stehen: "Freie Fahrt für die Homo-Ehe - ob Ehe oder keine, entscheiden wir alleine". Besonders in dem trotzig witzig anmutenden Nachsatz wird eine perfide Politik offenbar, bei der mit sachlich falscher Propaganda Nebelkerzen zugunsten der scheinbaren Wahlfreiheit für Lesben und Schwule geworfen werden, wenn es uns nur erlaubt sei, zu heiraten.
 
Die Wahlfreiheit bestünde jedoch nur, wenn alle selbstgewählten Lebensgemeinschaften die gleichen gesellschaftlichen Möglichkeiten hätten. Der Zynismus dieser Politik zeigt sich aber im ersten Teil des gleichen Satzes: Ehe oder keine! Das ist der Zynismus und die gesellschaftliche Praxis der letzten Jahrhunderte. Entweder bist du für die Ehe, oder du wirst ausgegrenzt, als jemand, der sich eben dagegen ausspricht und die Konsequenzen zu tragen hat. Oder glaubt jemand im Ernst, daß nach dem Erreichen einer "Ehe (zweiter Wahl) für Lesben und Schwule" noch ein guter Politikansatz für das Akzeptieren des Menschenrechts der freien Wahl der LebenspartnerInnen und der Beziehungsform besteht? Man wird uns vorhalten, was man schon nicht-heiratswilligen Heteros vorwirft: du kannst ja heiraten, wenn du das willst. Ehe oder keine, das entscheiden wir (die staatlichen und kirchlichen Moralpolitiker und ihre Zuarbeiter aus der Schwulen- und Lesbenszene) alleine.

Die Alternativen sind klar. Selbst wenn es eine Ehe auch für zwei Lesben oder zwei Schwule gibt, ist die Diskriminierung anderer Lebensgemeinschaften nicht beendet. Es gilt hier. dieses einzige Zwangsmodell nicht noch dadurch zu stärken, daß wir da unbedingt rein wollen, sondern für das Menschenrecht einzutreten, auf die Art und mit den Menschen zu leben, wie wir es für uns entscheiden, jeder für sich. Und das hat der Staat zu akzeptieren.
 
Und steuerliche Belohnung dürfte es entweder für alle Formen des Zusammenlebens oder für keine geben. Lediglich bei der Versorgung von Kindern oder solchen Erwachsenen, die keine andere Versorgung haben, dürfte eine steuerliche Förderung legitim sein. Wenn jemand "vor Gott" in der einen oder anderen Weise leben will, ist das seine Sache beziehungsweise das seiner Religionsgemeinschaft. Da hat sich der Staat rauszuhalten. Er hat für alle Arten von Gemeinschaftsleben ein gangbares Rahmenmodell zu schaffen, und nicht alle anderen Formen des Zusammenlebens durch Benachteiligung zu diskriminieren.

Es darf nicht zwischen guten (an Ehenormen angepaßte) und schlechte (in anderen Formen lebende) Lesben und Schwule sortiert werden, wie das im Heterobereich seit langer Zeit der Fall ist. Daß alle Lesben und Schwule von den Moralisten ohnehin als Schweine galten, hat es uns bisher Ieichter gemacht, gemeinsam gegen solche Diskriminierungen vorzugehen. Daß die Moralisten viel größere Schweine sind, wenn man Verhaltensweisen zugrunde legt, die sie als unmoralisch definieren, war dagegen von uns zu beweisen.
 
Daß es ein Recht gibt, so zu sein, wie man will, ohne als Schwein beschimpft zu werden, war ein gutes gemeinsames Ziel. Da brauchen wir keine lesbischen und schwulen Moralisten, die in unsere Betten schauen wollen. Im Gegenteil gehört es zu unserer Pflicht, dafür einzutreten, daß alle tun dürfen, was sie einvernehmlich wollen, auch wenn wir es selbst anders bevorzugen sollten.

Wichtig wird es nun werden, die sogenannte Heiligkeit dieses einen staatlich-kirchlichen Modells. des Zwangsmodells für das Zusammenleben, zu entlarven, und in vielen gesellschaftlichen Bereichen für die Anerkennung nicht nur unserer unterschiedlichen selbstgewählten Lebensgemeinschaften einzutreten.
 
Ob es sich nun um Paare oder Gruppen mit unterschiedlich vielen TeilnehmerInnen handelt, ob es sich um Frauen, Männer oder alles mögliche handelt, die auf die eine oder andere Art oder noch anders zusammenleben, zumindest zusammen verkehren wollen, das alles muß es geben dürfen, weil wir es in einer Demokratie so wollen. Wir haben uns nicht so lange anzupassen, bis uns auch die Moralapostel lieb haben, sondern man hat uns zu akzeptieren, wie wir sind oder sein und leben wollen.
 
Und weil unsere Lebensart schon problematisch genug ist, und weil sie sich in solch einer Vielfalt der Formen ausprägt, die für uns eben unter den vorliegenden Umständen gangbar sind, sind Prediger und Moralführer in den eigenen Reihen nicht nur entbehrlich, sondern ausgesprochen Iästig. (js)
 
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