- 43. Lust: Aug/Sept 97
- Brauchen wir eine Lesben- und Schwulenbewegung?
- Im Rahmen der Wiesbadener CSD-Woche führte
die Rosa Lüste auch eine politische Veranstaltung zum obengenannten
Thema durch, zu dem zu unserer Freude nahezu 30 Besucherlnnen
kamen. Das bedeutet, daß nicht alle Lesben und Schwule
nur einen unpolitischen CSD wollen. Auch von den beiden Wiesbadener
Tageszeitungen kamen interessierte Journalistinnen, die über
unsere Veranstaltungen berichteten. Das Referat von Joachim zur
Einleitung der Diskussion veröffentlichen wir hier in einer
überarbeiteten Version.
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- "Ich zitiere aus einem Leserbrief
an die LUST, der einen Artikel von unserem Alex zum Anlaß
nahm, das Bewegungs-Weltbild des Verfassers zu offenbaren. Ich
habe Schwierigkeiten mit der Veröffentlichung solcher Beiträge,
die sich nur scheinbar inhaltlich mit einem Artikel auseinandersetzen,
die ansosten so tun, als sei der Autor des Artikels, auf den
sie sich beziehen, komplett anderer Meinung. Eine polemische
Methode, die nicht der Klarheit dient. Nicht als Leserbrief,
sondern als eigene Positionsbestimmung, wäre mir ein solcher
Beitrag willkommen.
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- Ich zitiere also: ,,Ob man als Schwuler
auf ein, zwei düstere Kneipen angewiesen war, oder Schritt
für Schritt die Lebensbereiche, in denen man das, was Alexander
`schwule Identität´ nennt, ausleben kann, auf das
heutige Maß ausweiten konnte, hat nicht nur die Bedeutung
einer leicht verminderten Unterdrückung, sondern die eines
qualitativen Unterschiedes für das Leben als Schwuler in
unserer Gesellschaft. Vergleiche mit der Arbeiterbewegung drängen
sich auf. Natürlich ist der abhängig Beschäftigte
auch heute noch immer abhängig und somit noch immer ausgebeutet.
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- Es ist aber ein nicht nur scheinbarer
Unterschied, ob er 80 Stunden Wochenarbeitszeit, Hunger und eine
Lebenserwartung von 40 Jahren hat, oder Übergewicht, Urlaub
auf Mallorca, einen Mittelklassewagen und das Reihenhaus am Stadtrand....
Für mich ist die Sache ganz einfach: wenn es überhaupt
eine Forderung gibt, über die sich die Schwulenbewegung
als Schwulenbewegung definieren kann, dann ist es die nach gleichen
Rechten. Solange Heteros das Recht haben zu heiraten, ich dagegen
als Schwuler nicht, ist die Forderung nach der Möglichkeit
der schwulen Ehe, und zwar auch ganz genau so, wie sie für
Heteros möglich ist, eine originär schwulenbewegte
Forderung.
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- Forderungen dagegen, die statt auf gleiche
Rechte auf andere Rechte zielen, z.B. auf Abschaffung des Ehe-Monopols
und Schaffung alternativer Lebensformen, sind in Wahrheit gar
keine Forderungen der Schwulenbewegung, sondern solche einer
gesellschafts- und moralkritischen Bewegung, die von der sexuellen
Orientierung unabhängig ist, wie es Forderungen von Heteros
zeigen, Stichworte Adoptionsrecht `wilder´ Paare, Unterhaltspflicht
für die nichtehelichen Paare...".
,,Schöne schwule Welt" nennt Werner Hinzpeter sein
bei Quer erschienenen Band mit dem Untertitel ,,Der Schlußverkauf
einer Bewegung", der zu einigen Diskussionen in unserer
Szene geführt hat. ,,Niemand widerspricht den Schwulenverbänden,
darum können sie maßlos übertreiben", meint
der Autor. ,,Der offensichtliche Widerspruch zwischen dem fröhlichen,
unbeschwerten Leben der Schwulen und den Horrorgeschichten der
Funktionäre gab den Anstoß zu diesem Buch." (S.10).
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- Es gebe keine Belege für die Zunahme
antischwuler Gewalt, auch wenn der SVD das Gegenteil behaupte.
Volker Becks Gejammer, Deutschland sei ein schwulenpolitisches
Entwicklungsland, sei falsch, und das lächerlich dramatische
Bild, das die Gruppen und Verbände über die Schwulen
ausmahlten, trage erheblich zu dem Umstand bei, daß Deutschlands
Schwule ihr Glück nicht wahrhaben wollen, verkündet
er in ,,Die Lobbyistenfalle".
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- ,,Verbände müssen jammern, sie
müssen einseitig sein und sie dürfen übertreiben.
Dafür werden sie schließlich von ihren Mitgliedern
und Spendern bezahlt" (S.15). Schwule, die heiraten wollten,
seien nur eine zu vernachlässigende Minderheit. Eine wirkliche
Diskriminierung finde gar nicht statt.
Beide Positionen sehen auf dem ersten Blick gegensätzlich
aus. Die erste befürwortet Verbände auf dem Weg zur
Gleichstellung, die zweite hält Verbände für überflüssig,
da die Gleichstellung unterdessen erreicht sei. Beide sehen nichts
anderes als Gleichstellung als Ziel ihrer als ,,Schwulenbewegung"
benannten schwulenpolitischen Postionsbeschreibung. Andere Ziele
als die, mit allen positiven und negativen Auswirkungen der vorherrschenden
Strukturen dieser Gesellschaftsordnung verbunden zu sein, haben
sie nicht. Und die Frage, ob dieses Ziel erreicht sei oder noch
nicht erreicht ist, wird dann zur Frage, ob es noch solcher Verbände
bedarf, die solche Rechte einfordern, oder nicht und wird dadurch
zur Frage, ob nicht Sport- und Gesangsvereine neben den Diskotheken
ausreichen, alles andere sei dann als überflüssig anzusehen.
Nun meine ich ja, daß jede Ungleichbehandlung aufgrund
der sexuellen Orientierung tatsächlich eine Diskriminierung
darstellt. Ausschließen möchte ich hier die Position
der Selbstdiskriminierung, die auch gelegentlich zu hören
ist, etwa: ,,Du mußt doch einsehen, daß wir nicht
Gleiches fordern können, wir sind nun mal eine Minderheit".
Ich vermeide im übrigen das Wort Bewegung, denn ich meine,
daß unsere Szene gar keine eigentliche Bewegung ist. Eine
Bewegung hat nämlich die Eigenart, sich von einer als unerträglich
wahrgenommenen Lage auf ein Ziel hin zu bewegen. Doch wer aus
unserer Szene empfindet eigentlich seine Lage als derart unerträglich,
daß er für seinen politischen Kampf persönliche
Opfer und Nachteile hinzunehmen bereit ist? Und wer bestimmt
eigentlich, was die Ziele der Bewegung (nicht des Verbandes)
sind? Und wenn jemand Ziele formulieren würde, wen aus unserer
Szene würde das interessieren?
Gegen Ungleichbehandlungen zu sein, ist wichtig, das scheint
immerhin Konsens zu sein. Aber gibt es nicht auch noch Bereiche,
die über den Bereich Gleichstellung - Ungleichbehandlung
hinausgehen? Ich möchte zu Bedenken geben, daß eine
Gleichstellung ungleiche Auswirkungen für unterschiedliche
Menschen hat. Das Verbot für alle, unter einer Brücke
zu schlafen, trifft den Villenbesitzer anders als den Obdachlosen.
Das Recht, die Erbschaft in einer schwulen Partnerschaft regeln
zu können, tangiert jemanden, der etwas zu vererben hat,
natürlich mehr als den Besitzlosen. Das Verbot des Analverkehrs
träfe einen Heterosexuellen anders als manchen Homosexuellen.
- Wenn der Leserbriefschreiber einräumt,
daß es ein Ehemonopol gibt, muß er auch in Rechnung
stellen, daß er mit seiner Forderung nach der sogenannten
Homoehe auch die Tür zum Ehemonopol für Lesben und
Schwule aufmacht. Auch das Leben der Lesben und Schwule wird
dann nach den Gesichtspunkten der Ehemoral bewertet.
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- Wieso glaubt der Verfasser denn, daß
es nur um ein Recht zur Ehe gehe, während noch ein paar
Jahren vorher die Menschen sich über den Ehezwang beschwerten,
den sie durch gesellschaftliche flankierende Maßnahmen
erlebten, zu denen auch der § 175 StGB gehörte, das
sogenannte Schuldprinzip bei Ehescheidungen, das Recht auf Vergewaltigung
in der Ehe, das Postulat, daß jegliche Sexualität
nur in einer Ehe akzeptabel sei und außerhalb auch mit
juristischen Mitteln eingegrenzt wird usw.
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- Die Ehe-BefürworterInnen verschweigen,
daß sie damit letztlich auch Ehepflicht- und EhezwangbefürworterInnen
sind und in ihrer Gegnerschaft zur gesellschaftlichen Debattc
um Ehenorm oder das Recht auf selbstbestimmte Lebensformen nicht
im politisch luftleeren Raum argumentieren. Oder glaubt ernsthaft
jemand, daß es nach Erreichen des Gleichstellungszieles
Ehe noch realistisch ist, zum Beispiel für eine Dreierverbindung
oder andere selbstgewählte Strukturen ein paar rechtliche
Grundlagen zu schaffen?
Und eine Homoehe, könnte die nicht auch einer durchaus schon
sichtbaren moralinsauren Doppelmoral Vorschub leisten? Letztlich
stärken EhebefürworterInnen die Fraktion der heterosexuellen
Ehe-Monopolisten und erschweren die jahrzehntelange politische
Arbeit zur Brechung des Ehe-Monopols. Das alles ist sicherlich
nicht von allen Seiten in einer ,,Bewegung" beleuchtet,
analysiert und überdacht worden.
Ich wiederhole, daß das Eheverbot für gleichgeschlechtliche
Paare eine Diskriminierung ist, die es zu bekämpfen gilt.
Wenn jemand aufgrund seiner sexuellen Orientierung von einer
schönen oder unschönen Sache ferngehalten wird, beispielsweise
der Ehenorm, dann ist dies diskriminierend. Aber ich stimme nicht
zu, daß dort die Grenzen der Aufgaben unserer gemeinsamen
Anstrengungen sind. Es ist bei allen Forderungen, die wir erheben,
auch zu bedenken, daß man mit allem, was man tut und fordert,
auch Partei ist und insgesamt gesellschaftlichen Einfluß
nimmt.
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- Wir arbeiten nicht im politisch luftleeren
Raum. Lesbisch und schwul sein reicht als politische Handlungsgrundlage
nicht aus. Und da will wohl bedacht sein, was wir gesellschaftlich
tun, wenn wir etwas fordern.
Ich komme zurück zur Frage, ob wir eine Bewegung brauchen.
Ich glaube, daß wir sie noch nicht haben aber brauchen,
damit wir in den anstehenden Fragen nicht nur kurzfristig handeln
und damit längerfristige Entwicklungsziele verbauen.
Lesben und Schwule werden gleichgestellt, sind dann also normal".
Normalität ist mit Abstrichen von Sehnsüchten und der
Ausgrenzungen derer verbunden, die dieser Normalität nicht
entsprechen. Wie wäre es, an der Emanzipation von der Normalität
(nicht nur) der Schwulen zu arbeiten?
Manche Schwulen- und Lesbenverbände tun so, als seien sie
die Bewegung, aber das sind sie nicht, und sie vertreten nicht
"die Lesben und Schwulen", sondern einfach nur ihre
Mitglieder. Die "Familie" der Schwulen, so schreibt
Martin Dannecker in "Der gewöhnliche Homosexuelle",
ist die Szene.
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- Die begrenzten Möglichkeiten der Kommunikation
im unbegrenzten Unterhaltungsangebot unserer Szene suggerieren
Frohsinn, Unbeschwertheit, Spaß. Ist das alles Beweis dafür,
daß wir das Ende unser Bemühungen erreicht haben?
Wieviel menschliches Leid und auch zunehmendes soziales Elend
verbirgt sich hinter den glitzernden Fassaden, die im übrigen
auch der schwulen Kneipe an der Ecke, in der man sich noch persönlich
begegnet, die Luft nehmen. Als Arbeitnehmer und sozial engagierter
Mensch sind mir zum Beispiel wirtschaftliche Führungskräfte
und Manager mit ihrer Art, mit sozialen Belangen umzugehen, eher
unangenehm. Soll ich sie nun plötzlich lieben, weil es unter
ihnen Schwule gibt?
Die Gleichstellung, wo und falls sie erreicht ist, ist nicht
das Ende der anti-lesbischen und schwulen Diskriminierungen.
Was uns junge Schwule über miese Mobbing-Methoden durch
ihre Mitschüler erzählen, die ja ihre pubertären
und spätpubertären Profilspielchen zunehmend wieder
auf Kosten von Menschen erproben, welche sich schlecht wehren
können, widerlegt, daß es erreicht sei, das Ziel der
Gleichheit, auch wenn es juristisch erreicht wäre. Hier
spiegelt sich nur, was sich auch in anderen Bereichen der bundesrepublikanischen
Gesellschaft abspielt. Für das Versagen der wirtschaftlichen
und politischen Führungskräfte, den Mitgliedern der
Gesellschaft zu einem annehmbaren Auskommen zu verhelfen, werden
Sündenböcke unter denen gesucht, die sich wirtschaftlich
und politisch nicht wehren können.
Die Identität des Mannes, so untersuchte Gilmore, ist erarbeitet
durch Bekämpfung von Gefühlen, Zweifeln, Ängsten
und ,,Weichheiten", ist unter großen Leiden des Jungen
erarbeitet. Die Angst vor der Homosexualität ist in Wirklichkeit
die Angst davor, das gesellschaftlich verlangte Bild ,,Mann"
nicht zu erreichen. "Mann" ist das Wesen, das es geschafft
hat, seine Empfindungen und seine Sensibilität so weit zu
unterdrücken, daß er in der Lage ist, sich in der
Wirtschaft und sogar im Militär wohlzufühlen. Was er
sich an Unterdrückung selbst zumutet, mutet er im erhöhtem
Maße auch anderen zu.
Eine Lesben- und Schwulenbewegung kann nur dann über die
juristische Gleichstellung hinaus gesellschaftspolitisch wirksam
sein, wenn sie die sozialen und gesellschaftlichen Strukturen
dieser Gesellschaft nicht für ein Naturgesetz hält,
wenn sie die genormten Geschlechtsrollenbilder hinterfragt, mit
ihren Einrichtungen, die die Aufgabe haben, die Geschlechtsrollenmodelle
in alter Form am Leben zu erhalten, beispielsweise auch durch
die Ehe.
Eine Szene anständiger, gepflegter junger Frauen und Männer,
wohlhabend und karrierebewußt, die gegen Tunten, maskuline
Frauen, Pädos (und ein Pädo ist, wie wir erfahren haben,
ein 16jähriger, der sich in einen 15jährigen verliebt,
was nichts mit dem zu verurteilenden Sex auf Kosten von Kindern
zu tun hat), alten Lesben und Schwulen und Politischen (Linken)
eingestellt ist, unpolitisch bis ausländerfeindlich, Vertreter
der,,schönen neuen Welt" also, eine solche Szene hat
zur Zeit die Möglichkeit, sich ungestört in Diskotheken
zu ergehen usw. und bekommt auch eine gute Presse. Lesben und
Schwule, der gerne heiraten und sich auch ansonsten anpassen
möchten, haben die Sympathie der Medien.
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- Wie gehen wir mit den Bedenken um, die in
der Lesbenszene formuliert wurden: daß die Ehe als eine
Einrichtung zur Unterdrückung der Frau erfunden wurde, daß
die juristischen Vorteile der Ehe in Wirklichkeit auch eine Strafe
für alle sind, die diese Normen nicht erfüllen können
oder wollen. Daß diese juristischen Vorteile für alle
selbstgewählten Lebensformen erkämpft werden müßten,
verlangte die damals grüne Bundestagsabgeordnete und Sprecherin
des Lesbenringes Österle-Schwerin.
Das Vertreten der verlogenen Moral wird in den verlogenen (marktwirtschaftlich
erfolgreichen) Medien positiv aufgenommen, auf deren Urteil viele
Menschen unserer Szene so viel Wert legen. Schwule, die auf Stricher
zurückgreifen, die gelegentliche Sexabenteuer suchen und
sich dabei nicht unmoralisch fühlen, die etwas freier und
ungezwungener eingestellt sind, werden jedoch noch diskriminiert,
und, was neu hinzukommt, von der neuen doppelmoralischen Lesben-
und Schwulenszene selbst attackiert.
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- Lesben, die die Geschlechtsrollen und -normen
im Spiel unterlaufen, werden von anderen Lesben mit dem Argument
angegriffen, sie seien keine richtige Frauen und würden
durch ihre Rollenspiele nur Vorurteile bestätigen. Es ist
tatsächlich so, daß es Lesben und Schwule gibt, die
gegen das freie Ausleben der Homosexualität vorgehen, um
sich bei anderen Doppel-Moralisten einzuschleimen.
In der Jugend suchen sich die Heranwachsenden ihren Platz in
der Gesellschaft, ringen um Einfluß und Anerkennung. Es
ist schon erstaunlich, wieviel Allgemeinplätze sie gegeneinander
ins Feld führen, um sich aufspielen zu können. Aber
auch Ältere können es gut, gegenseitig am Arbeitsplatz.
Eine Frau wird auf einem Frauenfest als Lesbe von lesbischen
Kolleginnen an einem Lesbenstand gesehen, schon wird sie am Arbeitsplatz
verdächtigt, mit einer Kollegin, mit der sie ganz gut kann,
eine sexuelle Beziehung zu haben. Das führt natürlich
dazu, daß sich nun die Kollegin von ihr distanzieren zu
müssen glaubt.
Ein Lehrer, der relativ offen schwul ist, bekommt mit, daß
eine Kollegin in seinen Notenunterlagen rumschnüffelt. Zur
Rede gestellt, erklärte sie, sie wolle nur überprüfen,
ob der Kollege bei der Beurteilung männlicher Jugendlicher
sich ,,von seiner Veranlagung" leiten lasse. Überhaupt
werden reale oder angenommene Fehler, die einem schwulen, einer
lesbischen Kollegin passieren, auf dessen (oder deren) Lebenswandel,
,,krankhafte Neigung" usw. zurückgeführt.
Diskriminierer haben heutzutage nichts gegen Lesben oder Schwule,
denn dies würde ja auf sie selbst zurückfallen, nur
der eine (die eine) gehört eben zu der unangenehmen Art,
vor der man die Familie schützen muß, in die/den man
seine ganzen selbstunterdrückten Visionen projizieren kann.
Geld, Arbeitsplätze usw. werden knapper, und da wir in einer
Gesellschaft des jeden gegen jeden leben, in einer Gesellschaft
des oben und unten, wird die Diskriminierung nicht ab- sondern
zunehmen. Und es trifft in unserer Szene nicht mehr undifferenziert
alle, sondern die am meisten, die diese Vorgaben in Frage stellen
oder nicht erfüllen können. Es gibt sie nicht, die
Lesbenbewegung und die Schwulenbewegung, die nach Hinzpeter am
Ende sei. Es gibt im Gegenteil eine vitale Szene, in der es vielfältige
Spielarten des Lesbisch- und Schwulseins gibt, was gut ist. Auch
konservativ eingestellte Lesben und Schwule beginnen, sich zu
äußern und ihre Politik zu machen, die sich gegen
linke emanzipative lesbisch-schwule Inhalte richtet.
Es wird auch nicht die Bewegung der Schwulen und Lesben geben,
aber es könnte eine solche Bewegung von Lesben und Schwulen
geben, die über die Gleichstellungspolitik hinaus an emanzipatorischer
Arbeit interessiert ist. Und eine solche Lesben- und Schwulenbewegung
schwebt politisch auch nicht im luftleeren Raum, sondern ist
im weitesten Sinne links." (Joachim Schönert)
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