42. Lust: Juni/Juli 97
Homosexualität als Mittel der Diskriminierung
Wie sieht es am Arbeitsplatz aus? Gibt es dort keine Diskriminierung mehr? Wie verhalten sich konkurrierende KollegInnen, wenn sie merken, daß wir lesbisch/schwul sind? Gibt es in den eigenen Reihen welche, die bekannte Vorurteile gegen uns verwenden? Welche Erfahrungen haben wir im Familienleben gemacht? Eine Bestandsaufnahme.
 
Homosexualität als Mittel der Diskriminierung
Menschen stehen untereinander in Wettbewerb. Sei es um einen Arbeitsplatz oder dort um eine erstrebte Position, sei es um eine vermutete oder real bessere Ausgangssituation für das Bewerben um Sexkontakte, sei es um Machtpositionen oder um unterschiedliche Vorteilsnahmen, sei es im Spiel oder sportlichen Wettkampf.
 
Diskriminierung
Diskriminierung ist das Mittel, sich im Wettbewerb in günstigere Lebenslagen oder Ausgangssituationen auf Kosten des Diskriminierten zu vesetzen, es zumindest zu versuchen. Das nutzen Menschen gegen andere Menschen oder gegen ganze Menschengruppen, denen sie unterstellen, daß diese irgendetwas haben oder nicht haben, weshalb sie überhaut nicht für diesen Posten infrage kommen, dieses Privileg, dieses Recht mit jungen Schwulen zu sprechen, das Recht einen Arbeitsplatz zu bekommen oder Ähnliches.
 
Homosexualität
ist eigentlich nichts anderes als eine sexuelle Handlung mit einem Menschen gleichen Geschlechts. Wer Schwule toleriert, kann trotzdem Homosexualität verabscheuen. Es reicht heutzutage nicht aus, jemanden als Schwulen zu kennzeichnen, um ihn um dessen Job zu bringen. Es muß schon um etwas Abartiges gehen, was ihn zu Fall bringt, nämlich seine reale Sexualität. Und da kann es sich um das reale Verhalten des zu Diskriminierenden handeln, wenn man sich der selbstverständlichen Mißbilligung sicher ist; das reale Verhalten, das mißliebig interpretiert wurde, oder um offene Lügen, wenn erwartet werden kann, das dem zu Diskrimierenden dies zugetraut werden könnte. Diskriminierungsversuche werden ohnehin dann unternommen, wenn erwartet werden kann, daß man sich damit nicht lächerlich macht, sondern Erfolg hat.

Das bedeutet, daß man den gesellschaftspolitischen Hintergrund im Auge behalten muß, um beurteilen zu können, mit welchen Diskriminierungsversuchen man rechnen muß.

Und man muß auch das gesellschaftspolitische Klima im Auge behalten, um beurteilen zu können, mit welchem Engagement Diskriminierer vorgehen, welche Tabus sie zu brechen bereit sind, wieviel Menschlichkeit sie verdrängen können.

Und schließlich muß man noch die jeweilgen Interessenslagen berücksichtigen, wenn man beurteilen will, von wem, vor dem Hintergrund des gesellschftspolitischen Klimas, Diskriminierungsversuche ausgehen können.
 
Mittel
der Diskriminierung ist das Ausnutzen bestehender Vorurteile. Und das ist auch das Geheimnis, warum immer wieder Vorurteile entstehen, warum nach langer Zeit uralte und längst überwunden geglaubte Vorurteile immer wieder auferstehen, wenn in der Gesellschaft ein Zustand erreicht ist, der es lohnend macht, sich des Mittels dieser Diskriminierung zu bedienen.

Die Möglichkeit, Homosexualität diskriminierend zu nutzen, steigt mit der Möglichkeit, Sexualität zu normieren. Welche Form der Sexualität wird hingenommen, welche Form als pervers, abartig, grenzenüberschreitend und normbrechend angesehen?
Es gab zum Beispiel zu Beginn der Aufklärung das für alle geltende Gesetz, welches verbot, unter einer Brücke zu schlafen. Dieses Gesetz, für alle geltend, führte dennoch nicht zur Verurteilung adliger Großgrundbesitzer, sondern zur Verurteilung nichtseßhafter Besitzloser.

Nicht Homosexualität ist verboten, so lautete ein Gesetz, sondern Analverkehr zischen zwei Männern, weil es den Zeugungsakt verhöhne. Das galt für heterosexuelle Männer wie für homosexuelle. Zufällig traf es letztere häufiger. Dahinter eine Diskriminierung zu sehen, war abwegig. Ein besonders beliebtes Mittel der Diskriminierung ist es, den Diskriminierten die Möglichkeit zu nehmen, die Diskriminierung zu nennen. Es geht eher um eine höhere Gerechtigkeit, der einige Unangepaßten und Uneinsichtigen dann eben zu Opfer fallen. Pech für sie, aber die Gerechtigkeit ist eben die Gerechtigkeit.
 
Situationsanalyse
Schwule werden seitens der meisten Behörden oder Medien nicht mehr offen diskriminiert. Die Vertreter der Gleichstellungspolitik können sagen, daß sie mit ihren Zielen im großen und ganzen durch sind. Überall existiert Toleranz gegenüber Schwulen (und Lesben?). Werer Hinzpeter schreibt in seinem vielbeachteten Buch, wer als Schwuler in der Presse schlecht wegkommen wolle, müsse sich heutzutage schon anstrengen. Wems negativ trifft, der ist also selbst schuld?

Eine Szene anständiger gepflegter junger Männer, wohlhabend und karrierebewußt, die gegen Tunten, Pädos (und ein Pädo ist, wie wir erfahren haben ein 16jähriger, der sich in einem 15jährigen verliebt), alten Schwulen und Politischen (Linken) eingestellt ist, unpolitisch bis Ausländerfeindlich, Vertreter der "schönen neuen Welt" also, eine solche Szene hat die Möglichkeit, sich in Diskotheken zu ergehen usw. und bekommt auch eine gute Presse, genau wie die Kultur-Schwulen.
 
Der Schwule, der gerne heiraten möchte usw. hat die Sympatie der Medien. Das Vertreten der verlogenen Moral wird positiv aufgenommen. Schwule, die auf Stricher stehen, die gelegentliche Sexabenteuer suchen, die etwas freier und ungezwungener eingestellt sind, werden jedoch noch diskriminiert, und, was neu hinzukommt, von der neuen doppelmoralischen Schwulenszene selbst attackiert. Es ist tatsächlich so, daß es Schwule gibt, die gegen das freie Ausleben der Homo-Sedxualität vorgehen, um sich bei anderen Doppel-Moralisten einzuschleimen.

In der Jugend suchen sich die Heranwachsenden ihren Platz in der Gesellschaft, ringen um Einfluß und Anerkennung. Es ist schon erstaunlich, wieviel Allgemeinplätze sie gegeneinander ind Feld führen, um sich aufspielen zu können. Aber auch Ältere können es gut, gegenseitig am Arbeitsplatz. Eine Frau wird auf einem Frauenfest als Lesbe an einem Lesbenstand gesehen, schon wird sie am Arbeitsplatz verdächtigt, mit einer Kollegin. mit der sie ganz gut kann, eine sexuelle Beziehung zu haben. Das führt natürlich dazu, daß sich nun die Kollegin von ihr distanzieren zu müssen glaubt.

Ein Lehrer, der relativ offen schwul ist, bekommt mit, daß eine Kollegin in seinen Noten-Unterlagen rumschnüffelt. Zur Rede gestellt, erklärte sie, sie wolle nur überprüfen, ob der Kollege bei der Beurteilung männlicher Jugendlicher sich "von seiner Veranlagung leiten" lasse. Überhaupt werden reale oder angenommene Fehler, die einem schwulen, einer lesbischen Kollegin passieren, auf dessen (oder deren) Lebenswandel, krankhafte Neigung usw. zurückgeführt.

Diskriminierer haben heutzutage nichts gegen Lesben oder Schwule, denn dies würde ja auf sie selbst zurückfallen, nur der eine (die eine) gehört eben zu der unangenehmen Art, vor der man die Familie schützen kann, in die/den man seine ganzen selbstunterdrückten Visionen projizieren kann.

Geld, Arbeitsplätze usw. werden knapper, und da wir in einer Gesellschaft des jeden gegen jeden leben, in einer Gesellschaft des oben und unten, wird die Diskriminierung nicht ab- sondern zunehmen. Und es trifft in unserer Szene nicht mehr undifferenziert alle, sondern die am meisten, die diese Vorgaben in Frage stellen.
 
Ergo
Homosexualität wird weiterhin ein Mittel der Diskriminierung sein, so lange Diskriminierung generell nch ein Mittel im Wettbewerb zwischen Menschen ist und sein kann.
(Joachim Schönert, 42.LUST)
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