- 41. Lust: April/Mai 97
-
- Gruppenprozesse
- Es geht hier um 2 Gruppenberichte. Bei
"Gruppe1" geht es um Gruppenprozesse in der Bewegung.
Gruppe2 (andere Datei) geht um Karriere in der Wirtschaft.
-
- Gruppe 1
- In der Lesben- und Schwulenszene spielen
Gruppen eine große Rolle. Viele sind von den gruppeninternen
Vorgängen oftmals überrascht. Was sich in Gruppen abspielt,
ist wissenschaftlich erforscht und unterliegt bestimmten Gesetzmäßigkeiten.
Es ist also nicht ein mieser Gruppenteilnehmer, der uns die Gruppe
verleidet, sondern es ist das Verhältnis zwischen meinen
(oftmals) unausgesprochenen Interessen und den vorhandenen Strukturen.
Wenn es eine jahrelang existierende Gruppe mit relativ stabilen
Teilnehmern gibt, dann beweist sie damit, daß sie (auch
ohne mich) erfolgreich existiert. Der Fehler könnte also
bei mir liegen.
Es gibt eine Reihe von Abläufen, von Rollen und Verhaltensweisen,
die sich in solchen Gruppen abspielen, die von der Definition
her Gruppen sind. Ob es sich um Gruppen in Ausbildung und Beruf
handelt oder im Freizeitbereich. Diese Gemeinsamkeiten zu erkennen,
heißt, Gruppenprozesse günstig beeinflussen zu können.
-
- 1. Was ist eine Gruppe?
Wir müssen der Korrektheit wegen Massen, Cliquen, Stammtische
usw. von Gruppen abgrenzen
1.1. Gruppen haben entweder einen gemeinsamen Weg, ein gemeinsames
Ziel oder gemeinsame Interessen. Sie haben regelmäßige
Treffen, einen gemeinsamen Anfang und ein gemeinsames Ende, wenn
z. B. das Ziel erreicht ist. Im Freizeitbereich gibt es Gruppen
mit einer großen Lebensdauer. Durch Neueintritte und Austritte
unterliegen sie einem ständigen Klärungsprozeß,
da sich Konflikte des Anfangs und Endes ständig wiederholen.
1.2. Gruppen sind im Gegensatz zu Massen oder Verbänden
so strukturiert, daß sich die Mitglieder noch individuelle
wahrnehmen können.
1.3. Gruppen haben eine Sinngrenze, die es den Mitgliedern ermöglicht,
zwischen "wir" und "die anderen" zu unterscheiden.
Zur Definition der Gruppe gehört es, daß sich die
Teilnehmer als Teil der Gruppe verstehen.
1.4. In Gruppen finden Prozesse zwischen den teilnehmenden Personen
statt. Die Teilnehmer werden durch diese Prozesse in ihrem Denken
und Handeln beeinflußt.
1.5. Kennzeichen von Gruppen ist die Aufgaben- und Arbeitsteilung,
was dazu führt, daß die Teilnehmer als "gut"
oder "schlecht" in Hinblick auf ihren Beitrag beurteilt
werden.
1.6. Gruppen entwickeln gemeinsame Normen und Regeln des Umgangs
miteinander. Diese ungeschriebenen Verhaltensvorschriften machen
es Neueinsteigern oder Seiteneinsteigern schwer, sich orientieren
zu können.
1.7. Es gibt formelle Gruppen, die von außen zusammengesetzt
werden, besispielsweise eine Arbeitsgruppe, deren Teilnehmer
von irgendeiner Führung zusammengesetzt werden, und informelle
(nicht formelle) Gruppen, die sich finden.
-
- 2. Führung und Leitung
Es gibt eine Diskussion, ob es Gruppen ohne Führung gibt
oder geben kann. Diese Frage ist schwer zu klären, weil
dies damit zu tun hat, was als Führung und Leitung empfunden
wird. Umstritten ist auch die Auffassung, daß sogenannte
informelle Führer in Wirklichkeit keine Führer seien,
weil sie keine Befehlsgewalt haben. Man kann aber persönlichen
Einfluß auch erhalten und leitet damit an, auch wenn man
keine eigentliche Macht hat. Macht ist dadurch definiert, daß
man die Möglichkeit hat, eigene Ziele gegen den Willen anderer
durchzusetzen. Um Macht haben zu können, ist die Abhängigkeit
der anderen TeilnehmerInnen die Voraussetzung.
2.1. Es gibt eine formelle Leitung, die von außen kommt
(ein Leiter einer Arbeitsgruppe wird vom Chef bestimmt) sowie
eine formelle Leitung, die durch Wahl entsteht. In beiden Fällen
handelt es sich um eine Hierarchie, weil hier Personen Entscheidungsgewalt
bekommen und ihnen somit Macht über andere gegeben wird.
2.2. Es gibt informelle Leiter, die aufgrund ihrer Sachkompetenz,
ihrer Struktur- und Organisationsvorschläge oder ihrer Beliebtheit
einfach die Möglichkeit bewkommen, andere Mitglieder anzuleiten.
Hier handelt es sich um Leitungsfunktionen die an eine Rolle
der Person und nicht an eine Machtposition der Person gebunden
ist. Auch wenn eine formelle Führerschaft besteht, entstehen
solche informellen Leitungsfunktionen.
-
- 3. Führungsstile
Der formelle Führer aber auch in Einzelfällen der informelle
Leiter können auf unterschiedliche Weise führen und
leiten. Es gibt drei unterschiedliche Fürungsstile, die
unterschiedliche Auswirkungen auf das Gruppenklima und die Arbeitsfähigkeit
der Gruppe haben. Es ist nicht alleine Sache des jeweiligen Leiters,
wie sein Führungsstil ist, sondern auch Sache der Mitglieder,
was sie davon hinzunehmen bereit sind. Natürlich ist in
der Realität das Verhalten nicht so typisch wie in den unten
stehenden Abgrenzungen beschrieben:
3.1. der autoritäre Führer
Er trifft alle wichtigen Entscheidungen selbst und alleine. Er
bestimmt, wer welche Tätigkeit ausführt; die Mitglieder
werden darüber bestenfalls informiert. Damit wird den Mitgliedern
nur ein Minimum an Einsichtnahme in den gesamten Arbeitsvorgang
gewährt. Lob und Tadel werden in den meisten Fällen
nach dem eigenen Gutdünken verteilt, Kriterien und Maßstäbe
von Bewertung sind nicht allen zugänglich.
-
- Der autoritäre Führer droht, moralisiert,
verlangt das Akzeptieren seiner Urteile. Einspruch und Nachfrage
sind schwer möglich. Er behält seine Mitglieder "im
Auge", erwartet Gehorsam und unterbindet oder lenkt die
Kontakte zwischen seinen Mitgliedern.
Der Autoritäre Führer erzeugt Unterwürfigkeit
und Speichelleckerei. Seine Autorität kann durch offene
Agression oder Mobbing Angst und Gefolgschaft erzeugen. Vorteil
für den Geführten: er braucht keine Verantwortung zu
unternehmen. Nachteil für den Geführten: er kann sich
nicht mit den Entscheidungen identifizieren. Vorteil des Führers:
er ist in seiner Eitelkeit geschmeichelt, er braucht Vorbereitungen
und Pläne nicht zu verändern. Nachteil für den
Führer: er erfährt nicht, wie die anderen Gruppenmitglieder
empfinden. Er vewechselt Unterwürfigkeit mit Zuwendung und
kann oftmals böse Überraschungen erleben.
3.2. Demokratische Führung
Wenn es sich um eine formelle Führung handelt, wird sie
demokratisch gewählt. Bei einer informellen Führung
wird sie aufgrund ihrer Fachkompetenz oder ihrer Organisaationsfähigkeiten
für diese Rolle akzeptiert. Diese Akzeptanz ist nicht an
seine Person, sondern an diese Rolle gebunden. Er hat keine Machtmittel,
irgend etwas gegen den Willen seiner Gruppenmitglieder durchzusetzen.
Entscheidungen werden von der Gruppe diskutiert und entschieden.
Bei der Aufgabenverteilung sind alle beteiligt und Lob und Tadel
werden nach sachlichen und objektivierbaren Kriterien verteilt.
Der demokratische Leiter versucht, alle zu einer aktiven Mitarbeit
zu bewegen und beschränkt seine Interventionen auf situationsgerechte
Unterstützung durch Rat, ordnende Vorschläge und unterstützende
Beurteilung.
-
- Die Meinungen der anderen werden als solche
toleriert, und der demokratische Führer ist aufgeschlossen
für Erfahrungen, Wünsche und Vorstellungen der Gruppenmitglieder.
Es herrscht eine vertrauensvolle und partnerschaftliche Atmosphäre,
in der jeder den anderen als gleichwertigen Partner mit seinem
Recht auf Selbstbestimmung und Selbsterfahrung achtet. Für
den Leiter einer solchen Gruppe ist es oft schwieriger, besonders
wenn er die Leiterfunktion aufgrund seiner Sachkompetenz hat,
das inhaltliche Ziel dieser Gruppe nicht aus dem Auge zu verlieren.
-
- Damit kann er sich unbeliebt machen. Näheres
dazu später an anderer Stelle. Die Gruppenmitglieder haben
den Nachteil, größere Verantwortung tragen zu müssen.
Sie haben den Vorteil, sich nicht inkompetent führen lassen
zu müssen.
3.3. Die laissez-faire Führung
Dieser Leiter existiert nut als formeller Führer. Er greift
nur selten in das Geschehen ein. Er agiert nur, wenn er aufgefordert
oder um seine Meinug gefragt wird. Die Führungsfunktionen
sind auf ein Minimum reduziert, und er versucht sich selbst aus
dem Gruppenprozeß herauszunehmen, indem er sie allein läßt.
-
- In seinem Umgang mit den Gruppnmitgliedern
vertröstet er sie auf mögliche Entwicklungen, verweist
auf unvermeidliche Außenbedingungen oder bagatellisiert
die Situationen. Er nimmt sie damit in ihren Absichten nicht
ernst. Er gibt den Mitgliedern keine Hilfestellung bei der Wegfindung
und gibt keine eigenen Erfahrungen preis. Vorteil für den
Leiter: er wälzt alle Verantwortung auf die Mitglieder ab.
Nachteil: er wird als entbehrlich empfunden. Vorteil für
die Mitglieder: sie können alles alleine bestimmen. Nachteil:
sie erhalten keine Hilfestellung.
-
- 4. Lebenslauf einer Gruppe
Eine Gruppe macht im Laufe ihrer Existenz vier klar zu unterscheidende
Phasen durch: (1) Anfangsphase mit hohem Wohlbefinden ihrer Mitglieder,
(2) Gärung und Klärung in einer Gruppe mit großem
Mißbehagen, (3) arbeitsproduktive Phase mit Schwankungen
zwischen Wohlbefinden und Mißbehagen und die (4) Abschiesphase
oder Ausstiegsphase mit einer inneren Bereitshaft der einen,
sich nun nach außen zu orientieren, was in der Gruppe als
Mißbehagen empfunden wird, oder dem Versuch des Festhaltens,
was euphorische Urteile entstehen läßt. Bei Gruppen
mit großem Lebenszyklus kommen immer wieder neue Einstiegsphasen,
Gärungsphasen bei neuen Zugängen zum Tragen, sowie
das schlechte Klima durch Aussteigende, die sich schon anders
orientiert haben. Eine Gruppe sollte Arbeitsthemen haben, denn
Beziehungsklärung ist inhaltsleer nicht möglich. Gemeinsamkeit
wächst mit einem gemeinsamen Ziel.
-
4.1. Anfangshase
Die Gruppe beginnt mit einem gemeinsamen Anfang. Dann kann die
formale Gruppenleitung dies planen und vorbereiten. Kommt jemand
Neues hinzu, dann empfindet er als Einzelner anders als die anderen
Mitglieder.
4.1.1. Die Teilnehmer
Für die neuen Gruppenmitglieder bedeutet dies Unsicherheit,
ambivalente Gefühle, Nähe und Distanz gegenüber
einander, es existiert ein Vorschußvertrauen und die Frage
der eigenen Akzeptanz in der Gruppe steht im Vordergrund.
4.1.2. Die Gruppenleitung
Sie kann die Teilnehmer empfangen, das Kennenlernen organisieren,
der entstehenden Gruppe eine Struktur geben, den Mitgliedern
eine Orientierung ermöglichen. Das erfordert viel Einsatz
von der Leitung.
4.1.3. Methoden
Es können Kennenlern-Spiele stattfinden, inhaltliche Aufgaben
gestellt werden, und zwar kurze Aufgaben mit rascher Befriedigung,
jeder soll sich freuen können und es können natürlich
auch schon die Ziele der Gruppe vorgestellt werden.
4.2. Gärung und Klärung
Diese unerfreuliche Phase muß die Gruppe durchmachen, denn
wenn sie unterdrückt wird, findet sie ständig versteckt
in der darauf folgenden Phase statt. Der Gruppenleiter soll keine
Partei ergreifen, soll aber eingreifen, wenn bei den Machtkämpfen
Opfer entstehen oder das Ziel der Gruppe infragegestellt wird.
-
- Bei Seiteneinsteigern wird diese Phase immer
neu wiedeholt. Von Neueinsteigern muß daher ein größeres
Integrationsbemühen verlangt werden, damit die Gruppe arbeitsfähig
bleibt. Wenn zum Beispiel jemand selten kommt, kann die Gruppe
nicht ständig Grundsatzdebatten beginnen. Sonst kann es
vorkommen, daß er die Gruppenmitglieder brüskiert
und er daher zum Außenseiter wird.
4.2.1. Die Gruppenmitglieder
Erste Beziehungen bilden sich, Teilnehmer loten ihre Grenzen
aus, Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden festgestelt, Rangfolgekämpfe
entstehen und der Gruppenleiter wird getestet, eine größere
Intimität zwischen Gruppenteilnehmern entsteht wie auch
ein wir-Gefühl, während andere Teilnehmer die Gruppe
verlassen.
4.2.2. Die Gruppenleitung
Die Gruppenleitung muß Vorbildfunktion für den Umgang
miteinander in der Gruppe haben. Sie darf sich nicht in die Auseinandersetzungen
hereinziehen lassen und kann versuchen, die Machtkämpfe
zu gestalten. Es ist für sie eine große Sensibilität
notwendig. Sie hat in dieser Situation die Aufgabe, Werte und
Normen der Gruppe zu verkörpern und zu gestalten, doch dann
muß sie ihre normierende und steuernde Funktion schrittweise
zurücknehmen.
4.2.3. Methoden
Sie kann Aufgaben stellen, mit solchen Sachfragen, die Kontroversen
zulassen. Sie bildet Kleingruppen mit Zufallszusammensetzung
und läßt Spiele spielen, die Wettkampfcharakter haben.
Letztlich muß die Leitung aber die Ziele der Gruppe begründen
oder sie verändern (lassen).
4.3. Die konstruktive Arbeitsperiode
Das Ziel einer Gruppe ist es, etwas zu entwickeln, zu lernen,
an einer Aufgabe beteiligt zu sein oder Ähnliches. Insofern
läuft alles darauf hinaus, diese Phase zu erreichen, in
der miteinander gearbeitet werden kann. Das Wohlbefinden der
Teilnehmer schwankt nun im oberen, im Zufriedenheitsbereich,
je nach Arbeitsbelastung und Einsicht in die Ergebnisse der Arbeitsteilung.
4.3.1. Die Teilnehmer
Sie empfinden Unterschiede als Stärke. Durch Arbeitsteilung
können sich alle in ihren Aufgaben gemäß ihrer
Stärken bestätigen. Die Beziehungen zwischen ihnen
sind relativ stabil. Es ist ein Wir-Gefühl durch die gemeinsam
Aufgabe (nicht z.B. durch einen inneren oder äußeren
Gegner, denn dies ist zu unstabil) entstanden, was mit einem
Abgrenzungsgefühl gegenüber anderen einhergeht: wir
und die anderen. Die Teilnehmer nehmen eigenverantwortlich teil
und wollen sebständig handeln, planen und arbeiten.
4.3.2. Die Gruppenleitung
Sie hat den Stand der Gruppe zu beobachten und gute Arbeit und
Arbeitsergebnisse durch Anerkennung zu belohnen. Sie hat die
Aufgabe, die Gruppe immmer mehr in die gemeinsame Planung mit
einzubeziehen, die eigenen Leituingsaktivitäten zurückzuschrauben
und das Wir-Gefühl der Gruppe zu stärken.
4.3.3. Methoden
Der Gruppe sollen komplexere Aufgaben gegeben werden. Die Teilnehmer
sollen zunehmend für das Produkt verantwortlich werden.
Sie sollen Themen erhalten, die von ihnen Engagement erfordern.
Der Leiter ist dann nur noch Moderator, Lernberater und steuert
die Metakommunikation.
4.4. Abschied, Austieg oder Transpher
Entweder erreicht die Gruppe das definierte Ende oder einzelne
Teilnehmer steigen aus. Ich beschäftige mich hier um das
definierte Ende und überlasse es den LeseInnen, das Entsprechende
für den Ausstieg Einzelner abzuleiten. In diesem Falle überwiegt
beim Aussteigenden die negative Gefühlsvariante, weil er
ja einen rechtfertigenden Grund für den Ausstieg benötigt
und emotional das Wir-Gefühl längst verlassen hat,
sich auf die Zeit danach schon eingestellt hat.
4.4.1. Die Teilnehmer
Die einen romantisieren den Zusammenhalt, andere bekommen Torschlußpanik
und versuchen das Ende herauszuschieben, sie bereiten sich auf
die Zeit danach oder den Übergang in andere Formen der Zusammenarbeit
vor. Zunehmende Vereinzelung findet statt, es entstehen zunehmend
Konflikte.
4.4.2. Die Leitung
Sie soll die Auflösung unterstützen, den Abschied gestalten
und Transphermöglichkeiten aufzeigen (nachfolgende Formen
der Zusammenarbeit).
4.4.3. Methoden
Die Leitung soll den Abschied gestalten, Themen abschließen,
vielleicht ein Abschiedsritual durchführen und einen Transpher
durchdenken lassen.
-
- 5. Rollen
Wenn es darum geht, das Rollenverhalten von Gruppenteilnehmern
zu beschreiben, dann fallen z. B. folgende Verhaltensrollen auf:
Gruppenführer, Kasper, Unbeteiligter, Kritiker, Vater- Mutterwesen,
Beschwichtiger, Heulsuse, Ablehner, konstruktiver Mitarbeiter,
Selbstdarsteller, Agressiver, Prediger, Moralist, Märthyrrher,
Besserwisser, Berufspessimist, Berufsoptimist, Organisator, Destruktiver,
Versachlicher, Außenseiter, Sündenbock, Opfer, Schleimer,
Hilfsbedürftiger, Arbeiter, Rückversicherer usw.
Viele der genannten Rollen haben etwas mit den Charaktereigenschaften
zu tun, die die Teilnehmer mitbringen. Es kann sich in Ausnahmefällen
auch um die Auswirkung einer psychische Erkrankung handeln, die
ein Gruppenmitglied mitbringt. Man spricht zum Beispiel von einem
"sekundären Krankheitsgewinn", den ein gewollter
Außenseiter erhält. Es sind Zuwendungen, die er ohne
diese Außenseiterposition nicht erhalten würde. Vieles
kann sich aufgrund des erworbenen Platzes in der Gruppe entwickelt
haben.
5.1. Kommunikations-Rollen
Man kann aus der Liste oben für die Kommunikationssituationen
folgende Rollenbeschreibungen in Arbeitsgruppen treffen:
5.1.1. Prediger und Besserwisser
Er belehrt, moralisiert, erklärt und interpretiert, spricht
in der "Wir-Form", verteidigt althergebrachte Regeln
und Normen, findet kaum ein Ende, sondert jedesmal einen ganzen
Redeschwall ab.
5.1.2. Besänftiger
Er beruhigt, bagatellisiert, versucht für alle Verständnis
aufzubringen, ist nett und verbindlich, kehrt Streitpunkte unter
den Tisch, versucht jedem gerecht zu werden, wirkt harmonisierend.
5.1.3. Killerphrasen-Produzierer
Er zitiert autoritäten, zitiert die "Wissenschaft",
spricht in der Man-sollte-Form, fragt, ob man das jemals schon
probiert hat, stellt alle Vorschläge in Frage.
5.1.4. Tadelnder
Er schüchtert ein, vergleicht mit anderen, urteilt schnell
über die anderen, macht Vorwürfe, wertet Vorschläge/Personen
ab, kritisiert destruktiv.
4.1.5. Ausweichender
Er tut so, als habe er das Ganze nicht verstanden, er vermeidet
ein klares ja oder nein, lenkt vom Problem ab und und geht auf
ein anderes Thema über, tut so, als hätte er mit dem
Problem nichts zu tun; kann nicht verstehen, daß es da
überhaupt ein Problem gibt und daß darüber soviel
Aufhebens gemacht wird.
5.2. Notwendige Gruppenrollen
Folgende Rollen ergeben sich aber notwendig aus den Eigengesetzlichkeiten
jeder Gruppe:
5.2.1. Der fachliche Leiter
Er wird zum informellen Führer einer Gruppe, bekommt die
Möglichkeit, Lob und Tadel auszusprechen, wird aufgrund
seiner Sach- und Fachkompetenz respektiert aber ist nicht sonderlich
beliebt.
5.2.2. Der soziale Leiter
Er ist der Sympatieträger der Gruppe, beeinflußt das
soziale Klima und ist sehr beliebt.
(Entweder handelt es sich um 2 Personen, dann kann es zum gegenseitigen
Ausspielen der Funktionen kommen. Oder beide Funktionen werden
von einer Person eingenommen. Dann halten sich Beliebtheit und
Respekt in Grenzen.)
5.2.3. Der normale Teilnehmer
Die oben genannten Eigenarten kann er aufweisen, aber er stellt
die Masse der Teilnehmer. Aus diesem Kreis entwickeln sich die
informellen Leiter und der Sündenbock.
5.2.4. Der Sündenbock
Er kommt zu dieser Rolle, weil er ein Normenstörer ist.
In jeder Gruppe entwickeln sich Normen. Als Blitzableiter für
eigene Schwächen kann ein außerhalb der Gruppe existierender
"Normenstörer" fungieren, der sich selbstverständliche
nicht an die Normen der Gruppe hält und deshalb nicht verteidigen
kann. Der Sündenbock innerhalb einer Gruppe ist ein Seismograph.
Er ist sensibel genug, schwachsinnige Normen zu erkennen und
durch sein Verhalten anzuprangern. Warum stört jemand jetzt?
Was kann uns das sagen? Was sagt der Umgang mit dem Sündenbock
über den Zustand der Gruppe aus?
Oft endet eine Auseinandersetzung mit einem Normenstörer
mit dessen Ausscheiden aus der Gruppe. Wenn es wirklich ernsthafte
Probleme in der Gruppe gibt, wird der Nächste zum Sündenbock.
Diese oben beschriebene nützliche Funktion ist natürlich
nicht auf einen Quertreiber anzuwenden, der das ganze in Frage
stellt und vor dem sich die Gruppe schützen muß.
-
- 6. Entscheidungsprozesse
Zur Erreichungen von Zielen ist das Treffen von Entscheidungen
erforderlich. Die Eigenart der Gruppenteilnehmer bestimmt die
Entscheidungsfindung mit. Kopfschütteln, Zwischenrufe, zustimmendes
Nicken, lautstarke Zustimmung usw. gehen der Enttscheidung voraus.
Besonders häufig anzutreffen ist in den Findungsprozessen
das Übergehen (Plops), z. B. wenn ein Gruppenmitglied eine
Entscheidung vorschlägt, die anderen aber nicht darauf eingehen.
-
- Dies kommt vor, wenn ein Gruppenmitglied
agressiv wird, der Vorschlag nicht deutlich formuliert wurde
und/oder die Gruppe aus mehreren gleich starken Mitgliedern besteht.
Oft werden Entscheidungen durch (Topic-Jumping) Abweichen vom
Thema verhindert, und die Gruppe kommt zu Entscheidungen, die
eigentlich nicht in der Absicht der Gruppe waren.
6.1. Mögliche Entscheidungsmethoden
Es gibt verschiedene Methoden und Arten, Entscheidungen durchzuführen.
6.1.1. Ein Gruppenmitglied maßt sich das Recht an, für
die Gruppe Entscheidungen (Self-authorized decision) zu treffen.
Alleine ein Vorschlag verführt die Gruppe dazu, diesem Vorschlag
zuzustimmen, da eine Ablehnung schwerer fällt. Die Entscheidung
kommt zustande, weil einige Mitglieder von ihrem Recht keinen
Gebrauch machen.
6.1.2. Eine Entscheidung kommt zustande, weil zwei aus der Gruppe
sich zusammenschließen (Hand-clapsing). Diese Zusammenschlüsse
sind oft mit einem Überraschungsmoment verbunden und zwingen
die Gruppe plötzlich, mit zwei Mitglieder gleichzeitig fertig
zu werden.
6.1.3. Mehrere Gruppenmitglieder legen im voraus ihre Entscheidung
fest (The Clique) und majorisieren dadurch die Gruppe. Unabhängig
von der Qualität der Entscheidung führt ein solches
Verhalten zur Verminderung des gegenseitigen Vertrauens.
6.1.4. In manchen Gruppen wird ein Mehrheitsbeschluß (Majority
Rule) angestrebt. Die unterlegene Minderheit bleibt jedoch häufig
gegen die Entscheidung eingenommen oder sabotiert sie sogar heimlich.
6.1.5. Durch Ausüben von Druck auf Widerstrebende, die ihr
Recht auf Meinungsäußerung nicht mehr wahrnehmen,
weil sie fürchten, nicht unterstützt zu werden. "Ist
jemand dagegen?" oder "Wir stimmen doch alle zu?"
6.1.6. Eine Entscheidung wird durch scheinbare Einstimmigkeit
(Unanimity) angenommen, weil der Druck mitzumachen so groß
ist, daß sogar eine Mehrheit überzeugt sein kann.
Derartige Entscheidungen werden in der Regel in der Praxis nicht
umgesetzt.
6.1.7. Eine Entscheidung wird getroffen, nachdem alle Gruppenmitglieder
ausreichend Zeit zur Darstellung ihres Standpunktes erhalten
haben und das Problem von den verschiedenen Standpunkten aus
beleuchtet worden ist. Am Schluß der Diskussion haben alle
Mitglieder die Überzeugung, daß die getroffene Entscheidung
die bestmöglichste ist, weil sie einen Konsens (Consensus)
der verschiedenen Ansichten darstellt. Auch diejenigen, die nicht
in allen Punkten übereinstimmen, können die Entscheidung
umsetzen und mittragen, weil ihre Meinung mit zur Geltung gekommen
ist.
6.2. Faktoren, die Beschlüsse durch die ganze Gruppe
erleichtern
Es ist manchmal nötig, daß die gesamte Gruppe an den
Entscheidungen teilnimmt, und zwar, wenn es notwendig ist, verschiedene
Standpunkte und Meinungen zu berücksichtigen, wenn die Gruppe
direkt von der Entscheidung betroffen ist, wenn die Gruppe den
Beschluß selbst ausführen muß, wenn die Gruppe
gelernt hat, wirksam zusammenzuarbeiten, wenn die Führungsfunktionen
verteilt sind, wenn ein Beschlußverfahren angewendet werden
soll, das dem Problem angemessen ist.
Die Gruppe kann die Entscheidungen dann besser fällen, wenn
eine genaue Definition des Problems vorliegt; wenn eine klare
Einsicht in den Grad der Verantwortung vorliegt, der jedem einzelnen
für die Entscheidung zukommt; wirksame Metoden der Ideenfindung
und Ideenmitteilung; eine angemessene Gruppengröße;
wirksame Methoden zur Prüfung anderweitiger Lösungen;
wirksame Methoden der Ausführung der getroffenen Entscheidung;
der Einsatz eines formellen Leiters für ein Verfahren, das
es der ganzen Gruppe ermöglicht, die Entscheidung zu treffen;
Übereinstimmung über das Verfahren, durch das Entscheidungen
getroffen werden sollen, noch bevor die Überlegungen zum
Problem beginnen.
6.3. Probleme, die einer Entscheidung entgegenstehen
Es können ganz unterschidliche gruppendynamische Prozesse
die Entscheidungskraft einer Gruppe behindern.
6.3.1. Zwischenmenschliche Konflikte
In jeder Gruppe gibt es persönliche Differenzen, die entweder
Zuneigung oder Ablehnung hervorrufen. Solche Differenzen erschweren
eine Entscheidungsfindungsprozeß ganz erheblich. In einer
solchen Situation ist es günstig, wenn "neutrale Dritte"
aus der Gruppe oder von außen, die nicht unmittelbar vom
Konflikt betroffen sind, auf die Natur dieser Differenz aufmerksam
machen.
6.3.2. Methodische Fehler
Einschränkungen durch starre Verfahrensregeln, die einen
Austausch unterschiedlicher Meinungen nicht zulassen. Persönliche
Ansichten werden einer genauen Erforschung des Problems vorgezogen.
Entscheidungen werden getroffen, ohne zu überprüfen,
ob Übereinstimmung vorliegt.
6.3.3. Schlechte Führung
Der formelle Gruppenleiter verhindert freie Meinungsäußerung
und Diskussion. Er wählt unangemessene Methoden der Beschlußfassung.
Er berücksichtigt die Beweggründe und Prinzipien nicht,
die in der Gruppe wirksam sind.
6.4. Schrittfolge für Entscheidungen aus Übereinstimmung
Es gibt 5 Schritte, die einen Entscheiungsprozeß erleichtern
und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, daß eine Entscheidung
den Willen der Gruppe zum Ausdruck bringt.
6.4.1. Genaue Bestimmung des Problems
Ein Verfahren wird eingeleitet, das es ermöglicht, das Problem
zu definieren und zu umreißen und die Konsequenzen aufzuzeigen.
6.4.2. Das Sichten und Prüfen der vorgeschlagenen Lösungen
Es soll ein Verfahren gewählt werden, das alle verfügbaren
Informationen und Tatsachen unter Berücksichtigung früherer
Erfahrungen berücksichtigt.
6.4.3. Das Festlegen auf eine Lösung
Die Gruppe legt sich auf eine Lösung oder eine Verbindung
verschiedener Lösungen fest.
6.4.4. Die Planung und Ausführung
Es sollen detaillierte Pläne erstellt werden, um die getroffene
Entscheidung umsetzen zu können.
-
- 7. Gruppennormen
In allen Gruppen entwickeln sich Normen, die das Zusammenleben
der Gruppenmitglieder regeln. Diese Normen verstehen sich nicht
von selbst. In einer anderen Gruppe können sich völlig
andere Normen entwickeln. Kennzeichen dieser Normen ist, daß
sie meist unbewußt aus dem Zusammenwirken der Gruppenmitglieder
entstehen. Sie sind eine Mischung von Haltungen, Normen und Werten
der Mitglieder und stellen einen Kompromiß des Umgangs
miteinander dar: Wie wird miteinander diskutiert? Wie gehen wir
mit Pünktlichkeit und Fehlzeiten, bevorzugter Kleidung und
der Sitzordnung um?
Obwohl die Normen nicht bekannt und nicht abgestimmt sind, wirken
sie für das Gruppenleben bestimmend. Die Gruppe übt
auf Normenstörer Druck aus, um sie zur Anpassung an die
Regeln zu zwingen. Das Schwierige dabei ist, daß diese
Regeln nicht genau bekannt sind und von den Mitgliedern unterschiedlich
beachtet und ausgelegt werden können. Klärungsversuche
können ur dann Erfolg haben, wenn diese Normen von der Gruppe
bewußt reflektiert, kritisch hinterfragt und verändert
werden dürfen.
Es gibt verschiedene Verfahren, die helfen, den Gruppenprozeß
transparent zu machen. In der Beziehungsanalyse wird versucht,
herauszufinden, welche Koalitionen und andere Beziehungen sich
in der Gruppe herausgebildet haben. Ein ähnliches Verfahren
ist die Soziometrie (Erstellen eines Soziogrammes), in dem die
Sympatie oder Antipatie der Mitglieder untereinander aufgezeichnet
wird.
- (Joachim Schönert)
-
- Dein Kommentar zum Artikel: hier
-