39. Lust: Dez 96/Jan 97
Schöne neue Welt
"Fast jeder siebte Deutsche würde eine Abtreibung befürworten, wenn sich mit einem Gentest spätere homosexuelle Neigungen des Kindes nachweisen ließen." (Forsa)
 
Dieses Jahr soll noch vom Ministerkomitee des Europarates die Bio-Ethik-Konvention (BK), beschönigend in "Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin" umgetauft, verabschiedet werden, die die Würde und Identität aller Menschen vor Mißbrauch durch Biomedizin schützen soll. Jedoch enthält der Entwurf auch einige Tücken. Schon die Präambel betont neben der individuellen Menschenwürde auch das Recht der "Menschheit insgesamt" auf "Genuß der Errungenschaften von Biologe und Medizin".
 
Gemeint ist, daß unter Umständen Einzelinteressen von z.B. Patienten zugunsten der Forschungsfreiheit zurücktreten müssen.. So werden in den Kapiteln III und VII je nach Lesart zum einen Schutzbestimmungen festgelegt, zum anderen inwieweit der Mensch als Ersatzteillager und Forschungsobjekt der Biomedizin verwertet werden darf. Artikel 5 bis 9 regeln die freie Einwilligung zu Eingriffen im Gesundheitsbereich.
 
Artikel 12 soll Gentests zu gesundheitlichen Zwecken oder für gesundheitsbezogene wissenschaftliche Forschung ermöglichen. Doch was ist Gesundheit? Im Nationalsozialismus wurde sie auch unter rassehygienischen Gesichtspunkten betrachtet, und selbst nüchterner formuliert, was sind gesunde Gene, was sind kranke Gene? Zum Beispiel galt bis vor wenigen Jahren Homosexualität bei der Weltgesundheitsorganisation noch als Krankheit.
 
Artikel 13 behandelt Eingriffe ins menschliche Erbgut zu präventiven, diagnostischen oder therapeutischen Zwecken. In V und VI geht es schließlich um die Bioressource Mensch, wobei Art. 17 (2) den Schutz einwiligungsunfähiger Personen (z.B. Koma-Patienten, Behinderte, alte oder suchtkranke verwirrte Menschen) sogar bei Forschungsvorhaben aufhebt, die ihnen selbst nicht nützen und sofern sie mit "minimalem Risiko und einer minimalen Belastung" einhergehen (noch so ein schwammiger Satz). Art. 18 sichert Embryonenversuche im Reagenzglas rechtlich ab. Bestimmte andere strittige Fragen, wie z.B. die Forderung des Verbots der Patentierung menschlicher Gene, behandelt die BK erst gar nicht.
 
Art. 26 (1) schließlich räumt den Unterzeichnerstaaten die Möglichkeit ein, "im Interesse der öffentlichen Sicherheit, zu Verbrechensverhütung, zum Schutz der öffentlichen Gesundheit oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer" bestimmte in (2) festgelegte Schutzbestimmungen und Rechte einzuschränken. Eine sehr dehnbare Formulierung! Nationale Gesetzgebung könnte somit die Weitergabe von Gen- und Gesundheitstestergebnissen an Arbeitgeber, Versicherungen, Behörden, Polizei etc. ermöglichen, die Einwilligungsbestimmungen einschränken, sämtliche Gentests z.B. im Hinblick auf angebliche Intelligenz-, Alkoholismus-, Kriminalitäts-, Asozialitäts-, Schizophrenie, Homo- oder andere Gene zulassen, die Erzeugung menschlicher Embryonen für Forschungszwecke vorsehen und den Vorrang des Individuums vor Wissenschaft und Gesellschaft sowie den gleichen Zugang jedes Menschen zu Gesundheitsleistungen von angemessener Qualität einschränken.
 
Und weil die Schutzbestimmungen vielleicht dem Standort Deutschland/Europa angesichts der internationalen Konkurrenz schaden, sieht Art. 32 (4) ganz locker vor, dieses Übereinkommen spätestens nach fünf Jahren zu überprüfen, "um der wissenschaftlichen Entwicklung Rechnung zu tragen". Wer will sich auch für immer alle Möglichkeiten angesichts des hemmungslosen Fortschreitens biomedizinischer Forschung und des sich ausweitenden Marktes und globalen Handels mit Organen, Zellen und Genabschnitten verbauen?
 
Sicherlich sind Schwule und Lesben von der BK wohl kaum direkt betroffen. Rechtlich und ethisch legitimiert diese aber auch die Human(gen)techniken und fördert damit sozialrassistische, eugenische Bilder von der angeblichen Mach- und Wünschbarkeit des schönen, sauberen, leistungsfähigen Menschen und biologistische Ideologien. Biologismus blendet die sozialen und ökonomischen (Sozialisations-) Bedingungen aus und behauptet, daß die Gene und die Natur bestimmend sind für die angebliche Überlegenheit der weißen Rasse, für die Geschlechterrollen, für angebliche Sozialunfähigkeit von Behinderten und für das Auftreten von psychischen Krankheiten, Kriminalität, Asozialität, Homosexualität, Dummheit, Intelligenz und Begabung.
 
Dazu Iäßt sich aus herrschaftskritischer Sicht z.B. anmerken: Was wäre ein Verbrechergen? Wer ist kriminell? Der Kriegsminister, der ausbeutende Großgrund- oder Fabrikbesitzer oder der kleine Dieb? Abgesehen davon, daß viele dieser angeblichen Gene sich bald nach ihrer Entdeckung als Enten erwiesen, nähren diese Meldungen die Volksmeinung, daß doch etwas am Gen dran ist und diese unser Verhalten bestimmen, daß es angeblich eine Naturordnung gibt, der man, frau, schwarz, weiß, deutsch, homo, hetero, behindert, gesund etc. sich zu fügen hat. Und daß es (gen-)technisch oder anders möglich ist, bestimmte Seiten des Menschseins oder sogar bestimmte Menschen auszumerzen, zu manipulieren oder erst gar nicht entstehen zu lassen.
 
Was könnte die Motivation sein, an solch einem menschenverachtenden Weltbild Gefallen zu finden? Dahinter steckt sicher auch die als Baby, Kind oder Erwachsener erfahrene Angst, mit Hilflosigkeit, Krankheit, Armut, Unwissenheit etc. alleingelassen worden zu sein und statt Anteilnahme, Hilfe, Solidarität oft Ablehnung und Infragestellung der eigenen Person erfahren zu haben, weshalb diese menschlichen Seiten oft nur mit negativ und belastend assoziiert werden und ihre Überwindung im unverwundbaren, gesunden, leistungsfähigen Menschen gesucht wird.
 
Welche Angst viele Schwule vor sozial-rassistischer/eugenischer Ausgrenzung haben, zeigt sich in Beteuerungen wie ansonsten doch ganz normal zu sein, daß sie mit ihren kulturellen, sozialen und ökonomischen Leistungen nützlich und wichtig für die Gesellschaft seien, die besseren Manager seien, die Modetrendsetter etc. Gegen Ausgrenzung, Leistungsdruck, genetische Erfassung und Verwertung von Menschen sollten deshalb Solidarität, Liebe und selbstbestimmtes Leben gesetzt werden. Gegen die Bio-Ethik-Konvention, gegen Sozialrassismus und Eugenik! (Arno Huth)
 
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