- 37. Lust: Aug/Sept. 96
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- Tourismus und Sextourismus
- Es soll in diesem Referat um Fernweh gehen,
um projizierte Sehnsüchte, Freiheitssuche und Ausbeutung.
Die ,,schönsten Wochen des Jahres" sind etwas, auf
das sich der/die Berufstätige freut. Hier hofft man, das
zu erleben, was man in den Zwängen des Arbeitsalltags schmerzlich
vermißt. Der Urlaub ist mit vielen Gefühlen besetzt.
Und immer dann, wenn viele Gefühle im Spiel sind, wird die
nüchterne Analyse als störend empfunden. Das Traum-Wunschbild
hat schließlich über viele alltägliche Widerwärtigkeiten
hinweggetröstet.
In diesem Referat beschreibe ich zuerst die Sehnsüchte,
dann dazu Beispiele aus der Literatur und schließlich die
Gegenseite, die Seite der "schönen jungen Menschen
mit dem natürlichen Charme und der unbekümmerten Lust
an der Sexualität, den glutbraunen Augen unter rauschenden
Palmen und der Romantik der untergehenden Sonne über dem
Meer".
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- 1. Fernweh
In unserer Arbeitswelt ist, wie aus den Medien erkannt werden
kann, die Sehnsucht nach dem Ausbruch schon formuliert und definiert.
Der Ausbruch wird zur Urlaubsreise definiert. Sie hilft, die
Widerwärtigkeiten des Alltags zu ertragen, denn der Urlaub
ist die Belohnung für die erlittenen Entsagungen. Die Urlaubsreise
hat für den Zufriedenheitsstatus des Menschen, der sich
festen Regeln unterwerfen muß, eine feste Funktion.
Ein ,,normaler Mensch" würde zum Beispiel dann ins
Bett gehen, wenn er dazu Lust verspürt, und dann aufstehen,
wenn er nicht mehr müde ist. Im Urlaub, so hofft der Arbeitnehmer
(die Arbeitnehmerin), steht er wirklich dann auf, wenn er will.
Leider wird er dann aber ständig zu der Zeit wach, zu der
er das Aufstehen gewöhnt ist. Er will essen, was er in der
Kantine immer vermißt hat. Nach dem ersten Durchfall bleibt
er dann doch bei Schnitzel mit Pommes.
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- Und natürlich will er dort Menschen
treffen, nach denen er sich hier immer gesehnt hat. Und diese
Menschen werden ihm genau die Träume erfüllen, die
seine Einsamkeit (auch in Beziehungen) immer begleiten. Denn
diese Leute da, das hofft der Arbeitnehmer (die Arbeitnehmerin),
diese sind anders, ursprünglicher, natürlicher, spontaner.
Und genau deshalb wollen sie uns das geben, was wir entbehren,
hoffen die UrlauberInnen
.
Ein Mann rennt durch die Wüste und begegnet dort einem anderen
Mann, der ihm entgegenkommt. ,,lch hau' ab," ruft der eine,
,,ich auch", ruft der andere und beide bleiben irritiert
stehen. Kann man seine Sehnsucht dort erfüllt bekommen,
wo andere aus dem gleichen Grund oder anderen noch schlimmeren
Gründen das Land verlassen?
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- ,,Warum reisen wir?" fragt Max Frisch
in ,,Du sollst Dir kein Bildnis machen" aus seinem Roman
,,Andorra" und antwortet: ,,Auch dies, damit wir Menschen
begegnen, die nicht meinen, daß sie uns kennen, ein für
allemal; damit wir noch einmal erfahren, was uns in diesem Leben
möglich sei - Es ist ohnehin schon wenig genug." Frisch
geht so weit, daß er meint, nicht nur die Arbeitswelt mit
ihren Zwängen fesselt uns, sondern auch die Auffassung eines
Freundes, einer Freundin, der/die meint, daß er/sie uns
kenne und somit in Verhaltensrollen binden.
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- Das Lieblose ist für ihn, wenn unser
Bild von dem/der anderen fertig ist. Dann sei man fertig mit
ihm/ihr und beklage, daß der/die andere nicht so sei, wofür
man ihn/sie gehalten habe. Jemanden kennen und erkennen zu wollen,
sei das Lieblose, was den anderen fesselt, weil man ihm die Kraft
des Lebendigen entziehe, weil man ihrer müde geworden sei,
weil man den/die andere(n) nicht (mehr) liebe.
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- Wie dem auch sei, Reisen ist Flucht vor den
alltäglichen Zwängen in der Arbeitswelt und in auch
in der Szene, deren Möglichkeitsgrenzen wir auch schon Iängst
erreicht haben. Eine Reise ist also der Versuch, vorübergehend
aus dem ,,Bildnis" befreit zu sein. Ohne die Vertröstung
auf den Urlaub wäre die Trostlosigkeit der Lebensrealität
kaum zu ertragen.
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- 2. Sehnsuchts-Literatur
Die Formulierung der Sehnsucht nach den ursprünglichen,
glücklichen und glücklich machenden Menschen ist ja
auch in der entsprechenden Literatur wiederzufinden.
Sehr oft sind die Autoren der Männer-Sehnsüchte von
der politischen Einstellung her utopische Sozialisten oder Anarchisten
und von der sexuellen Identität her doch recht oft schwul.
Sie schreiben die romantischsten (heterosexuellen) Liebesgeschichten,
bisweilen auch aus weiblicher Sicht.
Während in der für Frauen (zumeist von Frauen) geschriebenen
Literatur sich die Sehnsucht nach anderen Menschen und Verhältnissen
durch den blonden Chefarzt, den Graf von Schloß Adelstein
oder den jungen Oberförster erfüllen, verlagern Männer
die Befriedigung ihrer Sehnsüchte lieber ins Ausland. Frauen
suchen irgendwo in der Stadt oder in den Verhaltensweisen den
jungen aber vom Leben weise gewordenen, wohlhabenden aber doch
freigiebigen, von allen Frauen umschwärmten aber doch treuen
Mann, das, was sich in ihrem täglichen Leben nicht erfüllt.
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- Aber für Frauen gibt auch im Urlaub
genau solche Bekanntschaften, glaubt man der Literatur, und neuerdings
sucht die erfolgreiche Unabhängige auch den "ursprünglichen"
Mann, den edlen Wilden, männlich imponierend aber jung und
anpassungsfähig, der sich liebevoll aufopfert und sich nur
um sie kümmert.
Aus der zeitgenössischen lesbischen Literatur ist mir die
Formulierung solcher Sehnsüchte und sind mir solchen Erfüllungsversprechungen
nicht bekannt, wohl aber gibt es Ähnliches in der lesbischen
Literatur der Weimarer Republik.
Und in der Literatur für Schwule? Der junge ursprüngliche
Hirte in Arkadien taucht in der Literatur der Gründerjahre
auf, während im späten Kaiserreich und der Weimarer
Republik die geilen edlen Wilden eher auf den Trobiander-lnseln,
also in der Südsee, vermutet werden. Daß gerade die
Indianer (ohne genauere Angabe, bei welcher Indianernation es
so sein soll oder so war) solche Wünsche erfüllen könnten,
wird heutzutage vermutet.
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- Die Reisen gehen indes nach Thailand, auch
wenn es anrüchig wurde, darüber zu berichten. Die utopischen
Völker mit ihren ,,natürlichen" Verhaltensweisen
sind immer sehr weit entfernt angesiedelt. So verlegen englische
Schriftsteller, die die Realität in den Kolonien besser
kennen, den ,,natürlichen ursprünglichen Menschen"
in noch weitere Ferne, in die Arbeiterklasse, wo sie solche ,,ursprünglichen"
Tugenden erhoffen, die der Aristokrat entbehrt. Viele kennen
z.B. den Roman "Maurice" von Forster, er ist ein Beispiel
aus einer ganzen Reihe solcher literarischer Erzeugnisse.
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- 3. Realitäten
Ein spanischer Freund, kennengelernt in dem Touristen-Silo Playa
del Ingles, beschrieb mir seine Lage so, daß er Angst habe,
sich in einen der deutschen Touristen zu verlieben Nach 14 Tagen
sei der wieder weg. Es blieben vielleicht Briefe, deren Inhalt
man schlecht verstehen könne, oder Anrufe: ``Hola Joacimo!"
und dann ,,Hallo, Nico!" Vielleicht käme es auch einmal
zu einem Besuch in Deutschland. Dann sei der Freund aber ganz
anders.
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- Er habe keine Zeit, müsse ständig
zur Arbeit und sei überhaupt nicht mehr so freigiebig. Und
falls sich die beiden im nächsten Jahr tatsächlich
wieder begegnen sollten, dann habe sich in dem Jahr so viel verändert,
daß man sich gegenseitig als fremd empfinde. Der Freund
hatte ja in der Erinnerung weitergelebt, hatte in den Gedanken
ein Eigenleben geführt. Und nun sitzt mir dieser Mensch
gegenüber, der so ähnlich aussieht, wie der Partner
von früher und der Träume, der aber doch ein ganz anderer
Mensch ist als der meiner Träume und der, den ich erwartet
habe.
Vielleicht sucht der Besucher gar nicht die Wahrheit im Reiseland,
sondern die Bestätigung seiner Illusion? Klar, die jungen
Männer in den Tourismus-Hochburgen sehen zum Teil so aus,
wie die Traumprinzen der einsamen Nächte. Es gibt hier auch
Palmen, eine Sonne, die nie aufhört, zu Iächeln oder
zu lachen. Die hellen schwulen Lokale, die Promenaden, die schönen
gebräunten Körper, die Offenheit uns gegenüber.
Und die jungen Leute geben und nehmen die Sexualität sichtlich
gerne.
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- Sie wissen genau, wovon ihre Kunden träumen:
daß sie nicht so deutlich spüren, Kunden zu sein,
sondern daß sie glauben, sie, die Touristen, seien großzügige
Freunde aus dem wohlhabenden Ausland. Und diese jungen Leute
haben es ja auch wirklich in ihrer Heimat gar nicht so gut. Und
da sie so nett sind, hilft man schon gerne, besonders im Urlaub,
auf den man sich das ganze Jahr gefreut hat und wo man nicht
knauserig sein will.
In den Urlaubs-Hochburgen der schwulen Touristen beschenken die
Armut des Landes, die Sozialstruktur und/oder der Umgang mit
den einheimischen Schwulen dort die Touristen mit einer größeren
Menge schwuler Menschen. In den Ländern mit schwulenfeindlichen
Strukturen stellen die Touristen oft die einzige Möglichkeit
dar, daß Homosexualität, leider dort nur für
die jüngeren einheimischen Schwulen, ohne größere
Risiken ausgelebt werden kann.
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- Je weniger die Schwulen dort im Lande verfolgt
werden, um so häufiger stehen den Schwulen lediglich Sexkontakte
aus wirtschaftlichen Erwägungen zur Verfügung, denn
den Menschen der Länder mit den Tourismus-Hochburgen geht
es meistens wirtschaftlich nicht besonders gut. Das ist ja der
Grund, warum die Touristen dort so gerne hinfahren: alles ist
so preiswert, mit der DM kann man dort König, also auch
Profitierender an der Not sein.
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- 4. Prostitution
Ersparen möchte ich mir hier eine moralische Diskussion
über Prostitution. Für Menschen, die so konditioniert
sind,
-daß Sexualität etwas mit Nachwuchs zu tun hat und
deshalb in eine geschützte Dauerbeziehung gehört,
-daß Sexualität in eine gewisse Sentimentalität,
Verliebtheit genannt, eingebunden gehört,
-daß um Sexualität die Aura einer besonderen Erfüllung
in einer exklusiven Situation geflochten werden muß, damit
die Partnerin geneigt dazu ist,
-daß eine Beziehung einen Anspruch auf ausschließlichen
sexuellen Besitz über den Körper des Partners, der
Partnerin begründet,
-daß spontane sexuelle Lustbefriedigung mit dem Ziel, einfach
miteinander mehr oder weniger Spaß zu haben, wie es eben
klappt, abzulehnen sei, da dies unmoralisch, triebhaft, tierisch
sei und/oder andere Sehnsüchte nach Bindung nicht mitliefere
und deshalb zu wenig sei, für solche Menschen eben ist Prostitution
aus den oben genannten Gründen logischerweise unmoralisch,
was sie nicht an der Nutzung der Einrichtungen der Prostitution
hindert. Moralisten finden nämlich für ihr eigenes
Verhalten immer entschuldigende Gründe. Doch es bleibt ihnen
ein schales Gefühl dabei. Sie finden bei spontaner Lust
eben nicht das Umfeld, was sie als notwendig für ihre Sexualität
erachten, bei der sie ein gutes Gewissen haben können.
Für mich ist Prostitution in einem anderen Zusammenhang
problematisch. Zum Beispiel macht mir große sexuelle Lust,
wenn der andere an und mit mir sexuelle Lust verspürt. Es
ist für mich schon weniger schön, wenn der andere es
nur aus einer gewissen Verlegenheit heraus tut, also ihm nichts
oder niemand anderes dazu eingefallen ist.
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- Aber das hat er mit sich selbst auszumachen.
Wenn ich aber vermuten kann, daß ihn wirtschaftliche Not
zwingt, sich auf mich einzulassen, hat sich meine Möglichkeit,
Lust zu empfinden, gegen Null bewegt. Dann komme ich mir im Gegenteil
schuldhaft vor wie ein Ausbeuter einer Notlage, was für
mich äußerst unerotisch ist. Vielleicht könnte
ich zu meinen Gunsten annehmen, daß Sex für ihn ohnehin
eine relativ unbedeutende oberflächliche und kurzfristige
Sache ist, damit ich nicht annehmen muß, er leide auch
noch darunter.
Aber ich hatte auch schon unangenehme Gefühle bei der Sexualität
mit Partnern aus den mir üblichen Zusammenhängen, und
ich habe auch schon Rückmeldungen (meist über Dritte)
von ehemaligen Sexpartnern gehört, die das Vorgefallene
nachträglich eher negativ einstufen, was mich dann irritierte
und beschämte.
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- Mißverständnisse und Widersprüche
kann es immer geben, auch ohne Existenz der Prostitution. Aber
ich kann für meinen Teil ganz gut damit leben, daß
z.B. manche sexuellen Begegnungen von mir aus eigentlich nicht
so direkt angestrebt waren und ich sozusagen rumgekriegt wurde,
oder daß eine sexuelle Begegnung für mich unter dem
Strich weniger befriedigend verlief, denn meine Wertung des Vorgefallenen
hat eben im wesentlichen etwas mit meinen Vorurteilen zu tun,
für die meine Partner nichts können, und so meine ich,
ihre Wertungen hängen mit ihren Vorurteilen zusammen, für
die ich nichts kann.
Ich möchte nicht mißverstanden werden und betone deshalb
hier noch einmal ausdrücklich, daß ich Menschen, die
dem Beruf der Prostitution nachgehen, in keiner Weise zu kritisieren
habe. Es handelt sich um einen Diestleistungsberuf, darauf kann
man sich heutzutage sicher verständigen. Und mir scheint,
auch andere Berufe verlangen vom Berufstätigen einen hohen
körperlichen und psychischen Einsatz aus dem Zwang heraus,
daß sie Geld verdienen müssen, und nicht deshalb,
weil sie diese Tätigkeit so gerne verrichten. Machen sie
ihre Berufsarbeit aber gerne, um so besser.
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- Von Moralisten werden Prostituierte bemitleidet,
weil diese gezwungen seien, die Moral der Moralisten dem Broterwerb
zu opfern, dies besonders bei Strichern. Und sie werden von den
Moralisten gehaßt, weil diese ,,Unmoral" ermöglichen,
weil diese den Beruf vielleicht sogar mit eigenen Lustgefühlen
ausüben, was besonders schlimm und unmoralisch sei und ihnen
den Anspruch auf Mitleid oder gar menschlichen Umgang nimmt,
dies besonders bei Huren. Daß gerade die Moralisten zu
den häufigsten Kunden der Huren und Stricher gehören,
wird dabei übersehen.
Prostitution ist eine Berufstätigkeit und die kann nur nach
den Arbeitsbedingungen bewertet werden, die erträglich sind
oder unter denen der/die Berufstätige leidet. Kinderarbeit
ist aus meiner Sicht generell abzulehnen, bei bestimmten Arbeiten
aber ganz besonders. Niemand würde schon aus körperlichen
Erwägungen heraus mit gutem Gewissen Kinder schwere Zementsäcke
schleppen lassen. Ich meine, daß dies schon aus körperlichen
Gründen bei der Prostitution von Kindern zu berücksichtigen
wäre.
Es gibt aber auch Berufstätigkeiten, die von den Arbeitnehmern
nur schwer psychisch zu bewältigen sind. Auch dies trifft
für die Prostitution zu, besonders für Menschen, denen
man bestimmte moralische Normen und Werte beigebracht hat, und
die sie verinnerlicht haben. Doch bei Kindern unterstelle ich,
daß der wirtschaftliche Zwang, anderen Menschen Zugriff
auf deren Körper gewähren zu müssen, schwer psychisch
verarbeitet werden kann.
Kinderarbeit lehne ich aber auch für alle Berufe aus dem
Grund ab. daß sie nicht in der Lage sind, wirkungsvoll
für eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen einzutreten.
Und dies gelingt ja auch hier erwachsenen Arbeitnehmerlnnen nur
unter ganz bestimmten Umständen. Wieviel mehr ist dies in
den Ländern der Fall, wo die soziale Not größer
ist und die Persönlichkeitsrechte noch eingeschränkter
sind.
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- Pädophile Sextouristen sollten daher
in Rechnung stellen, daß die Inanspruchnahme von Kinderprostitution
nicht unbedingt ein Beleg dafür ist, daß die Kinder
die sexuellen Handlungen mit ihnen wirklich wollen, wie oft argumentiert
wird. Aber auch bei jugendlichen und erwachsenen Prostituierten
muß doch das Gefühl, der oder die andere macht dies
nur wegen des Geldes, das Gefühl der Lusterfüllung
beeinträchtigen.
Jugendliche begegnen ihren älteren Partnern (und auch Freiern)
oft auch lustvoll wegen ihrer jugendlichen Geilheit, was Moralapostel
gerne verhindern möchten. Ich finde Begegnungen aus Geilheit
aber in Ordnung. Ich wurde als Kind und Jugendlicher sehr moralisch
erzogen, und es war eine riesige Strapaze für mich, Selbstzweifel,
Schuldgefühle und Schuldzuweisungen zu überwinden.
Die ,,Schuld" für die (homo)sexuelle Handlung hat nicht
der andere, auch wenn nach dem Abspritzen die Moral wieder angekrochen
kommt und nach Entschuldigungen sucht.
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- Es wurde nicht meine ,,Notlage" durch
den anderen ausgenutzt. Im Moment der Geilheit wollte ich es,
auch wenn ich im Dienst der Moral in mir später den anderen
beschuldigte, mich verführt zu haben. Es ist ein langer
Weg, bis man sich erlaubt, ohne Schuldgefühle Lust zu genießen,
besonders, wenn im Umfeld moralischer Druck existiert, wie das
heutzutage wieder in Mode kommt. Dieser moralische Druck geschieht
aber nicht, wie es früher war, deutlich erkennbar durch
konservative Parteien und die Kirche, sondern durch die konservative
Wende in der Jugendszene selbst.
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- Und "Führer" können zur
Zeit sogar in schwulen Jugendgruppen Anhänger finden, wenn
sie mit moralischen Verurteilungen ihrer vermeintlicher Gegner
um sich schlagen. Dies belegt zwar nur ihre Doppelmoral und populistische
Machtgier, aber es kommt an, besonders bei Schwulen im Coming-out,
die noch voller Selbstzweifel sind und die auch in ihren Ängsten
und Schuldzuweisungen Bestätigungen erhalten wollen.
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- Das Coming-out ist aber erst dann vollständig
geglückt, wenn man sich von konservativen Ordnungsmodellen
und Fesseln befreien kann und keine Schuldgefühle für
seine sexuelle Lust mehr verspürt und keine Schuldzuweisungen
mehr nötig hat. Das aber schaffen auch viele Erwachsene
nicht.
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- 5. Schlußfolgerung
Ich behaupte, daß es sinnlos ist, nach dem Land zu suchen,
in dem die Menschen ohne wirtschaftlichen Zwang einfach auf uns
warten, weil sie auf uns Touristen so geil sind, und das, weil
sie so natürlich sind. Es gibt dieses Land aber vielleicht
doch, und zwar zum Beispiel hier, und natürlich überall
auf der Welt, wo sich Menschen von den andressierten und verinnerlichten
sexuellen Schuldgefühlen Iösen konnten.
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- Bei diesen Loslösungsprozessen können
wir ja auf lustvolle und emanzipatorische Art sehr hilfreich
sein. Und die Grenzen, die uns an der Erfüllung unserer
zwischenmenschlichen Bedürfnissen hindern, sind keine Staatsgrenzen,
sondern sie sind überwiegend zwischen und in uns selbst
angelegt worden. Der Urlaub Iöst auch nicht die Probleme,
die durch die Arbeitswelt entstehen.
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- Auch hier ist es nötig, für eine
Verbesserung und nicht für eine Verschlechterung der Verhältnisse
einzutreten, nur weil die Nutznießer der Verhältnisse
ihre Medienmacht nutzen, uns Verzicht ins Ohr zu blasen und uns
mit dem möglichen Verlust des Arbeitsplatzes erpressen,
damit es ihnen noch besser geht. Besonders ist die Ausbeuterideologie
zu bekämpfen, nach der sich für uns irgend etwas dadurch
Iöst, daß wir unsere Probleme an Schwächere in
den armen Ländern weitergeben.
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- Wer nicht hier einigermaßen Selbstbewußt
und zufrieden leben kann, wie soll der das woanders können?
Und Urlaub ist nur eine kurze Zeit, das wirkliche Leben, das
wir in der viel Iängeren Zeit zwischen den Urlauben verbringen,
muß lebenswert werden. l\latürlich haben Reisen, die
unternommen werden, um ein Stück Welt kennenzulernen, nichts
mit dem allen zu tun, was ich hier beschrieben habe. Dieser Text
richtet sich auch nicht generell gegen das Reisen.
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- Arkadien, das wilde Leben ungebundener Menschen,
alles das müssen wir dort erreichen, wo wir leben, indem
wir es vorleben, sooft wir nur können, und indem wir es
von unseren Freunden und Freundinnen erwarten, anstatt mit den
konservativen Wölfen zu heulen und sie so in einem unglücklichen
Zustand fesseln. Daß es so bleiben muß, wie es andere
aus Eigennutz für uns so angelegt haben oder noch anstreben,
ist kein Naturgesetz. Demokratie bedeutet doch wohl, daß
wir da auch noch ein Wörtchen mitzureden haben.
(Joachim Schönert)
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