35. Lust: April/Mai 96
 
Schwul-Sein mit Frau W.
Vom edelmütigen Mißbrauch eines Rosa-Winkel-Häftlings
Eines ist Maxi Wartelsteiner gewiß nicht nachzusagen: daß sie es nicht gut gemeint hätte. Die Leipziger Journalistin hat sich im Buch "Rückkehr unerwünscht" der Biographie von Walter S., eines ehemaligen KZ-Häftlings mit dem rosa Winkel, angenommen. Wie der rote Winkel politische und der grüne kriminelle, so kennzeichnete der rosa Winkel in den faschistischen Konzentrationslagern die homosexuellen Häftlinge. Wartelsteiners Idee ist insofern zu begrüßen, als es im Gegensatz zu anderen Verfolgtengruppen noch immer sehr wenige persönliche Erlebnisschilderungen damals inhaftierter Schwuler gibt.
 
Im Zuge einer politischen Denunziation im Leipziger "Burgkeller" geriet der 26jährige Walter S. 1940 wegen "Wehrkraftzersetzung" in die Mühlen der Nazijustiz. Bei der folgenden Haussuchung fand man die Liebesbriefe eines Freundes, was ihm vier Jahre KZ-Haft in Sachsenhausen und später Groß-Rosen einbrachte.
 
Die Autorin schildert S.' Erlebnisse in der Haft: den Sadismus der Wachmannschaften, Hunger, Tuberkulose und Typhus, die überlebte Testvergasung, die mörderische Zwangsarbeit. Nachvollziehbar wird auch die Einsamkeit der Schwulen, die im Gegensatz zu anderen Häftlingen keinerlei Gruppenidentität besaßen und in der Lagerhierarchie das Letzte waren.
 
Dabei hätte es die Autorin besser belassen. Denn obwohl diese Erinnerungen eingebettet sind in die Beschreibung von Walter S.' Kriegs- und Nachkriegsdasein (letzteres in der DDR) und seine heutigen Lebensumstände, mußte seine Gesamtpersönlichkeit zwangsläufig diffus bleiben. Leider nämlich begnügt sich die Autorin nicht mit der Wiedergabe von S.' Berichten, schon gar nicht läßt sie ihn selbst zu Worte kommen. Eifrig moralisierend ist sie vielmehr mit penetranter Selbstbespiegelung stets selbst im Text präsent.
 
Arglos wird Walter S.' Schicksal zugeschüttet mit den Schuld- und Sühnekomplexen einer heterosexuellen sozialistischen Kleinbürgerin, die einst den Suizid eines schwulen Kommilitonen nicht vereiteln konnte. Dabei hat sie die Schwulen immer so gemocht! Folglich jagt ein vermeintlich positives Klischee das andere. Frau W. weiß etwa, "daß Frauen ein unerschrockeneres Verhältnis zu Schwulen haben als heterosexuelle Männer (...) Frauen mögen schwule Männer - haben sie erst Kontakt gefunden - meist sehr gerne.
 
Sie finden in ihnen Seelenverwandtes. Schwule Männer können für Frauen die bessere Freundin sein. Mit ihnen läßt sich über alles reden, sie sind warmherzig und voller Komplimente und Liebenswürdigkeiten für die Freundin - und ganz ohne Eifersucht. Und auch andersherum wird der Schwule als Freundin logischerweise nicht als Konkurrenz empfunden." Damit auch der letzte heterosexuelle Leser Schwule mag (denn einzig für aufkärungsbedürftige "Normale" hat Frau W. nach eigenen Aussagen ihren "literarischen Report" verfaßt), muß alles und jeder halbwegs Taugliche herhalten.
 
Neben Berufs-Massenmördern wie Hannibal, den beiden Großen Alexander und Friedrich, Marschall Kutusow, General Cordoba, Wilhelm von Oranien, Graf Tilly oder Karl XII. von Schweden ("sie alle liebten nur Männer und waren trotzdem tapfere Männer") auch "leidenschaftlich onanierende Affen" und "die berühmten und gefürchteten Piraten des 16. und 17. Jahrhunderts", ferner Oscar Wilde, Alan Turing, Leonardo da Vinci und Hans Christian Andersen sowie "ein schwules Erpelpärchen". Sie alle frönten, da scheint Frau W. im Gegensatz zur seriösen Wissenschaft überaus sicher, "ganz einfach einer erotischen, genetisch bedingten Veranlagung". Schwul bis in alle Ewigkeit. Amen!
 
Frau W.s ewiger Hang zur ewigen Ewigkeit -"ewig" begegnet einem schon im grausigen Subtitel "Schwul-Sein und das ewig gesunde Volksempfinden" und wird im weiteren inflationär gebraucht - treibt sie auch zu Angaben wie jener über "den immer noch wie 1933 formulierten 175er des BRD-Strafrechts". Das Strafrecht habe "in seiner Geschichte immer wieder Gesetze gegen Homosexualität ausgebrütet". Einmal abgesehen vom vergleichsweise läppischen Irrtum betreffend den Wortlaut des § 175 StGB sind dem Rezensenten im Biologieunterricht diverse brütende Spezies begegnet ein Strafrecht indes war nicht darunter.
 
Freilich ist Maxi W. eigener homophober Vorurteile gänzlich unverdächtig, selbst wenn sie über die Begegnung mit den Schwulen des Leipziger Rosa Archivs schreibt: "Und so traf ich sie denn auch nicht im Bett bei brutalen Orgien ..." oder meint, schwule Liebe würde "nur allzugern und allzuoft ordinär, pervers, mit Fäusten im After und was sonst für krankhaften Geistesauswüchsen beschrieben."
 
Die Gabe, mit den Fäusten im Rektum irgendwas beschreiben zu können, mag noch als seltene anatomische Glanzleistung durchgehen. Aber schwules Fistfucking als krankhafter Geistesauswuchs - das kann dem sensiblen Leser gerade dieses Buches mindestens so hinterrücks treffen wie die Unterscheidung in "rank und schlank und schön oder dick und glatzköpfig". Es ist schon ziemlich hartnäckig, jenes "ewig gesunde Volksempfinden".
 
Daß es sich bei der Autorin um eine von Rang handelt, darf hier nicht unerwähnt bleiben. Selbst dem schlichtesten Gemüt (sofern es das Buch bis dahin erträgt) muß diese Erkenntnis spätestens fünf Seiten vor Schluß wie Schuppen aus den Haaren fallen: "Ich gebe S. das Manuskript eines Porträts über einen Autonomen. Er liest es interessiert, begeistert sich an der Schreibe ..."
 
Und wo hier gerade noch einmal von jenem Manne die Rede ist, dessen für sich stehendes Schicksal für dubiose Aufklarungsziele mißbraucht wird: Die Edelrnütige hat Walter S., wie sie Mitte November bei einer Lesung im Berliner Schwulenbuchladen "Prinz Eisenherz" kundtat, nach 1989 zur verdienten Ehrenpension verholfen.
 
Ob in der DDR alle ehemaligen KZ-Häftlinge eine solche erhalten hätten, wollte ein Gast wissen. "Ja", so die aufrechte Humanistin, "aber was die Kriminellen angeht, die mit dem grünen Winkel, da will ich doch hoffen, daß sich da nicht einer durchgemogelt hat". Eike Stedefeldt, SCHLIPS
 
(Maxi Wartelsteiner: Rückkehr unerwünscht. Schwul-Sein und das ewig gesunde Volksempfinden. GNN Verlag Sachsen, Schkeuditz 1995, 176 Seiten, 19,5O DM)
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