35. Lust: April/Mai 96
Vera Nauman
FeminisMuß
Eine polemische Kritik "von innen"
Am 6. Februar 1996 habe ich im Frauenkulturzentrum SARAH in Stuttgart eine Veranstaltung über Feminismus mit dem Untertitel "Polemik des Monats" angekündigt. Der folgende Text ist eine Zusammenfassung meiner Vorbereitung.
 
In der Diskussion traf eine der Teilnehmerinnen, eine Historikerin, eine Feststellung, die ich so wichtig finde, daß ich sie zum Verständnis nachträglich vornean stellen möchte: "Wir diskutieren hier nicht über Faschismus oder 'Urfaschismus'. Was wir am Feminismus oder an Feministinnen kritisieren, ist Dogmatismus." Insofern ist der Rückgriff auf Umberto Ecos Beschreibung vom "Urfaschismus", mit der ich den Abend eingeleitet habe, zu verstehen als Provokation zu einer offenen Diskussion. Ich danke den Frauen, die gekommen sind, daß ihnen das auch gelungen ist, und freue mich mit ihnen, die Gespräche gelegentlich fortzusetzen.
 
Feminismuß ist in der heutigen deutschen Frauenbewegung an vielen Orten erstarrt zu unhandlichen Formeln. Aktivistinnen wie Theoretikerinnen haben der Diskussion über feministische Grundwerte den Rücken gekehrt. Zwar ist durch die umfangreiche und vielseitige Spezialisierung feministischer Einzelthemen die Diskussion mancher Probleme sehr praxisnah geworden, z.B. wenn es um konkrete Handlungsalternativen im Umgang mit patriarchaler Gewalt geht aber feministische Grundsatzdiskussionen werden systematisch vermieden.
 
Das hat für die Frauenbewegung katastrophale Folgen: Ergebnisse und Erkenntnisse werden mit nachkommenden Frauen nicht offen weiterbearbeitet, sondern, wenn überhaupt, als unhinterfragbare Traditionen weitergegeben. Eine kontinuierliche, generationenübergreifende und auch konstruktive Diskussion zwischen den Feministinnen der 60er und 70er Jahre und den Jungfeministinnen der späten 80er und 90er findet nicht statt.
 
Trotzdem wird in den unterschiedlichen autonomen und institutionalisierten Gruppen der Frauenbewegung weitergearbeitet und weitergekämpft, und insbesondere in der autonomen Frauenbewegung führt der Mangel an konstruktiven Grundsatzdiskussionen immer wieder zu verbaler und sogar physischer Gewalt (z.B. zur Verwüstung der EMMA-Redaktion als Protest auf eine ausdrücklich zur Diskussion gestellte Veröffentlichung).
 
Ich sehe - als Feministin - in der heutigen Frauenbewegung faschistische Züge und werde diese heute Abend zur Diskussion stellen. Ich möchte keiner Bewegung angehören oder zuarbeiten, die glaubt, auf den Widerspruch und die Kreativität des feministischen Nachwuchses verzichten zu können, und möchte in einer bewußt polemisch angesetzten Darstellung die Diskussion darüber entfachen. Dazu ist die folgende Zusammenfassung vorgesehen.
 
Umberto Eco hat in einem ZEIT-Artikel 14 Merkmale des Urfaschismus zusammengetragen (DIE ZEIT vom 7. Juli 1995, Seite 47f), die ich als Stichworte und Aufhänger benutze für meine folgende Feminismus-Kritik: Feminis-Muß bedeutet für mich, die auffälligen Parallelen zwischen Ecos Charakterisierung des Urfaschismus und der neueren deutschen Frauenbewegung hinnehmen zu müssen.
Mehr als Tips zum Weiterlesen denn als Beleg habe ich feministische Literatur angeführt. Selbstverständlich gibt es zu fast allen Stichworten auch andere kritische, undogmatische Feministinnen; ich habe mich eher bemüht, Extrembeispiele zu nennen.
 
1. Traditionalismus: Die Wahrheit ist verlautbart, es kann keinen Fortschritt der Erkenntnis geben. Wir leben mit feministischen "Wahrheiten", die die Sehnsucht nach Bildung neuer feministischer Traditionen fördern: Es gab und gibt Matriarchate, und diese sind als höhere und bessere Zivilisationsformen als das existierende Patriarchat anzusehen. In dem Maße, wie moderne Feministinnen ihre matriarchalen Wurzeln und ihre kollektiven spirituellen Kräfte wiederentdecken, gewinnen sie an Gesundheit und Widerstandskraft gegen das Patriarchat. (Bsp.: Jutta Voss: Das Schwarzmond-Tabu. Die kulturelle Bedeutung des weiblichen Zyklus. - 1988) So " sind Mythen keine ahistorische Redeweise, sondern eine andershistorische, die es uns ermöglicht, eine existenziellere Wahrheit und Wirklichkeit der Wellt zu erahnen, als sie je in einem kausal-historischen Bericht erfaßbar wären."(s. 12)
 
An der Existenz von Matriarchaten zweifle ich auch nicht, aber die besitzergreifende Brücke zur patriarchalen Gegenwart erscheint mir gezwungen. Eine ausgezeichnete Kritik hierzu findet sich übrigens bei Christina Thürmer-Rohr: "Vagabundinnen". 1987: "Die Art der Übertragbarkeit historischer Erfahrungen ist fragwürdiger geworden als je zuvor. Gewiß eindeutig verfehlt ist die so beliebt gewordene mystische Ineinssetzung von Vergangenheit Gegenwart und Zukunft." (Kritik an Marie Mies, S. 48)
 
2. Ablehnung der Moderne: Ablehnung kapitalistischer Lebensweise
Z.B. Maria Mies und ihre Veröffentlichung über Subsistenzwirtschaft, z.B. aktuelle Diskussionen um die Finanzierung des jährlichen Lesbenfrühlingstreffens (siehe LR Info). Die einzelnen Entwürfe sind interessante und auch nicht unrealistische Konzepte; der feministisch-dogmatische Richtigkeitsanspruch allerdings, mit dem sie gelegentlich vorgebracht werden, mißfällt mir.
 
3. Kult der Aktion um der Aktion willen
Z.B. Walpurgisnacht, 31. April: Lieber eine Demonstration ohne ein einziges Transparent, im strömenden Regen, mit kaum hundert Frauen, als gar keine Aktion (so geschehen 1995 in Tübingen). Der Fatalismus "es bringt zwar nichts, aber wir machen es trotzdem" -. dem auch ich mich oft genug nicht entziehen kann, ist reine Energieverschwendung.
 
4 "Mangelnde Übereinstimmung wäre nützlich für die Bereicherung des Wissens. Fehlende Übereinstimmung ist Verrat."
Seit Jahren gibt es eine Kontroverse um S/M-Lesben auf lesbisch-feministischen Veranstaltungen, z.B. LFTs. Noch sind keine Pro-Contra-Diskussionen möglich, weil die S/M-Gegnerinnen sich der Diskussion nicht stellen. Die S/M-Lesben werden als Verräterinnen und Antifeministinnen diffamiert. Ich finde die Frage, inwieweit S/M Gefahr Iäuft, patriarchale Gewalt zu re-inszenieren, außerordentlich wichtig, und ich kenne eine Reihe von S/M-Lesben, die hier gerne etwas zu einer kritischen und konstruktiven Diskussion beitragen wollen. Dogmatikerinnen diskutieren aber nicht mit "Verräterinnen" (S/M-Lesben).
 
5. "Meinungsverschiedenheiten sind ein Anzeichen der Vielfalt; Urfaschismus beutet die natürliche Angst vor Unterschieden aus und verschärft sie."
Hier versuchen Feministinnen, gegenzusteuern; viele Rassismus-Diskussionen, Able-ismus wird angeprangert; ethnische Vielseitigkeit wird als erstrebenswert propagiert. Andererseits wird der Unterschied zwischen Lesben heterosexuellen Frauen von beiden Seiten als Mittel der Distanzierung benutzt. Bi-sexuelle Frauen werden so gut wie gar nicht genannt
.
6. "Der Urfaschismus entstand aus individueller und sozialer Frustration."
Feminismus ist eine soziale Bewegung, die sich ausdrücklich gegen die soziale Benachteiligung von Frauen gegenüber Männern wehrt. Das Problem dabei ist der Rückzug auf den Opferstatus, den manche Frauen auch dann einschlagen, wenn sie eigentlich handlungsfähig wären. Auch der Ungleichverteilung von Ressourcen unter Feministinnen wird kaum Rechnung getragen.- siehe auch 8.
 
7. "Alle Anhänger müssen sich belagert fühlen."
Da haben wir wohl allen Grund dazu. Ein Nachweis, warum Frauen sich durch Männer belagert fühlen, bei Susan Brownmiller: Gegen unseren Willen. Vergewaltigung und Männerherrschaft. - 1975 (Orig.), 1980.
 
8. "Die Anhänger müssen sich vom offensichtlichen Reichtum und der Macht ihrer Feinde gedemütigt fühlen."
Frauen verdienen wesentlich weniger als Männer, haben weniger Vermögen und schlechteren Zugriff auf die ihnen zustehenden Ressourcen. Beispiel: Nur 1% der Rentnerinnen in der BRD verfügen über eine gesetzliche Rente von DM 2.500 oder mehr im Monat. 75% der Frauenrenten liegen unter 1.000 DM monatlich. (Mehr Vergleiche bei Svea Kuschel: Frauen leben länger aber wovon? 1992) Demütigend finde ich das auch, aber ich bin auch keine Antikapitalistin. Wie verträgt sich die Ablehnung von Kapitalismus mit dem Neid am Reichtum der Männer?
 
9. "Pazifismus ist Kollaboration mit dem Feind."
Hier geht es um Frauen, die ihre Energie für die Wiederherstellung des männlichen Egos verwenden, und das oft genug als Einbahnstraße. Christina Thürmer-Rohr nennt das spöttisch "Weiblichkeit als Putz- und Entseuchungsmittel". Leider finden sich genügend Feministinnen, die der Meinung sind, sie hätten von Grund auf eine bessere Welt geschaffen, wenn sie an der Macht gewesen wären. Auf mich als Nichtraucherin allerdings nehmen sie in der Regel bei ihren Planungssitzungen keine Rücksicht.
Verena Stefan: Häutungen. - 1975. "Ob krieg oder frieden, wir leben im ausnahmezustand (...) Ich will keine gleichberechtigung in dieser welt. Ich will neben keines mannes brutalität und verkümmerung gleichberechtigt stehen." (S. 37) Mehr über Mittäterinnenschaft von Frauen bei Christina Thürmeu-Rohr, a.a.O., dort aber als Kritik
.
10. "Elitedenken hat eine grausame Verachtung des Schwächeren im Gefolge."
Hängt zusammen mit 5.: Elite bestimmter Frauen unter Frauen oder gar Führerinnenschaft wird weitgehend vermieden. Trotzdem verstehen sich Feministinnen gegenüber Männern als Elite i. b. a. verschiedene Eigenschaften z.B. kommunikative Fähigkeiten), Unterlassungen z.B. geringere Kriminalitätsrate) oder Ziele (z.B. Vereinbarkeit von Karriere und Familie anstelle von Trennung und Konkurrenz).
 
11. Heldentum ist die Norm.
Eher Antiheldinnen: Benachteiligte, verfolgte oder ermordete Frauen werden zu Heldinnen erhoben (z.B. Graffitis, Todeslisten, Opferlisten); das Erleiden von Unterdrückung oder Gewalt um des Widerstandes willen trägt in gewissem Maße zum Prestige einer Feministin bei. Positive Heldinnen gibt es kaum, da mit diesem Stereotyp unerwünschte Macht verbunden ist.
 
12. "Der Wille zur Macht wird auf die Sexualität übertragen."
Widerstand gegen die patriarchale Staatsgewalt und gegen heterosexuellen Gebärzwang läßt sich am besten in der Ablehnung männlicher Sexualität umsetzen. Dazu Sheila Jeffreys: Ketzerinnen. Lesbischer Feminismus und die lesbisch-sexuelle Revolution. - 1993 (0rig.), 1994: "Wir entwarfen eine neue, eine feministische Welt. Ausgehend von unserer Selbsterfahrung erklärten wir in grenzenlosem Optimismus Lesbischsein zu einer gesunden Alternative für Frauen. Ihre Entscheidung basierte auf der Liebe zu sich selbst, der Liebe zu anderen Frauen und der Zuruckweisung männlicher Unterdrückung." (S. 7)
 
13. "Das Volk ist eine monolithische Einheit, die den Willen aller zum Ausdruck bringt."
Übersetzbar in: "Die Frauenbewegung ist eine politische Bewegung von Frauen, die den Willen aller· oder zumindest vieler Frauen zum Ausdruck bringt." Konkreter: "Was für Lesben gut ist, ist auch für andere Frauen gut." (Jutta Oesterle-Schwerin, Mitgründerin der Partei "Die Frauen") Auch wenn ich dem zustimme - woher nehmen wir diesen Vertretungsanspruch?
 
Senganata Münst: jenseits individueller Identität. Netzwerke feministisch-lesbischer Frauen. In: Querfeldein. Beiträge zur Lesbenforschung, hg. von Madeleine Marti et al., 1994: "Die Existenz von Frauenräumen beinhaltet, daß unter Frauen sein, mit Frauen sein, eine Qualität ist, die einen bestimmten Inhalt hat und einen Wert ausdrückt. Frauenräume drücken den Wunsch nach Separatismus von Männern aus. Die positive Bewertung des Frauenraumes entspricht der gesellschaftlich sozialisierten negativen Bewertung von Frauen." (S. 57) Warum leiden dann so viele Frauen und Lesben, die zum ersten Mal in diesen Frauenräumen sind, so sehr unter der "Szene"?
 
14. "Newspeak": korrgierte Sprache, verarmtes Vokabular und elementare Syntax
Nur teilweise zutreffend auf Feminismus: Es gibt zwar viele Wortneuschöpfungen und Korrekturen, diese sind aber Präzisierungen des bisherigen Sprachgebrauchs, z.B. in dem Frauen dort genannt werden, wo sie vorkommen. Elementare Syntax oder journalistische Polemik kann nur wenigen feministischen Schriften attestiert werden. Umdeutungen von Worten: siehe Mary Daly, z.B. Gyn/Ecology oder Pure Lust.
 
Fazit
Offensichtlich sind eine Reihe der Parallelen schwierig zu bewerten. Kritisch zu sehen ist in jedem Fall jeder Punkt, in dem eine Differenzierung von Feministinnen abgelehnt wird - das ist der Kern der Dogmatismus-Kritik. Offensichtlich gibt es Frauen, die z.B. zwischen "dem Mann" als statistischem Konstrukt (und damit als "Täter") und einem männlichen Individuum unterscheiden.
 
Trotzdem macht es einen Unterschied, ob eine Feministin eine Besprechung verläßt mit der Entschuldigung, "ein Freund hat mich zum Essen eingeladen" oder "meine Mitbewohnerin hat Geburtstag, ich will auf die Party". Männer sollen Frauen nicht vom Zusammensein abhalten, und eine Feministin, gleich welche sexuelle Orientierung sie hat, soll unter Dogmatikerinnen nicht einem Mann den Vorzug geben, "weil das Patriarchat immer so ist, daß Frauen Männern den Vorzug geben". Wir werden diesen Zwiespalt zwischen Essen, Besprechung und Party sicher nicht auflösen, aber wir können anders damit umgehen - wenn wir wollen.

Was kann Feminismus, was können Feministinnen heute tun, um dem Dogmatismus etwas entgegenzusetzen? - Ich wünsche mir gute Ideen und Spaß bei der Umsetzung. Wenn die Frauenhewegung ein Ort der Lust wird, etwa so, daß Nicht-Feministinnen den Eindruck haben, daß sie etwas verpassen, wenn sie sich völlig heraushalten, dann können wir wieder zu einer Massenbewegung werden. Trotz aller Gewalt, der Frauen auch in diesem Land immer noch ausgesetzt sind, können wir aus einer Opferhaltung heraus als Bewegung nicht mehr wachsen. Wir sollten stolz sein auf die Alternativen, die Frauen Iängst geschaffen haben, und uns über Erfolge in der Öffentlichkeit präsentieren.
Vera Naumann
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