33. Lust: Dez 95/Jan 96
 
Schwulenwitze
Gibt es Witze für, von, über, gegen Lesben? Wir haben versucht, welche zusammenzutragen, es ist uns aber nicht gelungen. Möglicherweise hat dies damit zu tun, dass Lesben in der Stammtischmeinung die Frauenrolle nicht derart in Frage stellen, wie Schwule dies mit der ach so verwundbaren Männerrolle offensichtlich tun, zumindest in der Beurteilung der Stammtische. Solltet Ihr irgendwelche Lesbenwitze kennen, sendet sie uns bitte zu.
 
1. Allgemeine Definition des Witzes
Kleine Erzählungen, die bei den Zuhörern, zumindest aber beim Erzähler, Heiterkeit hervorrufen.
 
1.1. psychologische Definition
Witze beinhalten Sachverhalte, die Angst auslösen (verunsichern). Sie dienen dem Angstabbau oder der Abreaktion von Spannungen.
 
1.2. soziologische Definition
Witze werden erzählt, um durch Abgrenzungen Gemeinsamkeiten zu erzeugen. Innerhalb von sozialen Gruppen sollen sie die Rangordnung und die Rollen entstehen lassen oder festigen.
 
1.3. politische Definition
Es gibt politisch progressive und reaktionäre Witze. Die politische Satire ist progressiv. Sie versucht, politische Personen zu entlarven, zumeist feierliche Stimmungen, z.B. nationalistische Verklärung, sie versucht, emanzipatorische Aufklärung zu bewirken. Reaktionäre Witze diskriminieren Menschen wegen unangepassten oder außergewöhnlichen Verhaltens und erzeugen einen Anpassungsdruck. "Unpolitische" Witze habe zumeist letztere Funktion. Hierzu kommen noch die offen rassistischen Witze.
 
1.4. medizinische Definition
Witze bewirken eine vorübergehende Entladung von psychischen Verkrampfungen. Sie können nicht wirklich befreien, weil dadurch die gesellschaftlich-politischen Ursachen der psychischen Verkrampfungen nicht beseitigt werden. Während des Entladungsvorgangs verzieht sich das Gesicht krampfartig, die Patienten ringen nach Luft, das Gesicht rötet sich, vielfach werden Tränen abgesondert, häufig entweicht die Luft hustend oder in schrillen Schreien. Die Geräusche sind umso lauter, je stärker die Verkrampfung ist. (Dies sollte ein Witz sein!)
 
2. Witze konsumieren
Wenn Witze erzählt werden, können nicht immer alle lachen. Das Verstehen der Pointe ist nicht immer von der Bildung abhängig, sondern von den Einsichten in bestimmte Bereiche. Aber auch bei Verstehen der Pointe muss nicht jeder lachen. Lachen muss der, der an dieser Stelle irgendwie verkrampft ist, nicht nüchtern darüber nachdenken kann. Am häufigsten wird über das Missgeschick anderer gelacht. Der Schaden anderer löst Heiterkeit und Freude aus, wird offensichtlich als sehr witzig empfunden.
 
Je mehr Missgeschicke und ähnliches man selbst erlebt, umso mehr Situationen anderer wird man als witzig empfinden. So gesehen kann man grob schließen, dass niedere soziale Schichten, die durch ein Korsett von Tabus und Ängsten in ihren Rollen gehalten werden, mehr Dinge als witzig empfinden als beispielsweise ein gebildeter Mensch, dem die Zusammenhänge klar sind, der sich aufgrund seines sozialen Status zu wehren gelernt hat und deshalb solche Befriedigungen durch Witze nicht nötig hat.
 
Oft aber lacht man in höheren Kreisen aber über die hilflosen Versuche, das sogenennten "Kleinen Mannes", zurechtzukommen. Als besonders humorlos in diesem Bereich mag der gelten, der eher Mitgefühl als Schadenfreude empfindet.
 
3. Normierung und Normbruch
Der Witz bietet aber die Möglichkeit des verbalen Normbruchs, nicht nur im Bereich der Schadenfreude. Für Kinder mag vielleicht schon die Aussprache eines sogenannten schmutzigen Wortes witzig sein, bei Erwachsenen sind es eher gewisse Verhaltensweisen. Der Normbruch ist ja im Prinzip progressiv, kann sich aber auch als einfach Enthemmung reaktionärer oder diskriminierender Tendenzen zeigen, die durch größere Ängste oder Tabus oberflächlich zurückgehalten werden.
 
Man sollte aber bedenken, das "schlimme Wort" bleibt weiterhin schlimm und wird im Witz geradezu als schlimm bestätigt; das schlimme Verhalten bleibt weiterhin schlimm, der Mensch (der sich schlimm verhält) wird als lächerlich schlimm oder (in Ausnahmefällen) als verwegen schlimm hingestellt. Das Letztere wäre progressiv, weil es den Normbruch in irgendeiner Form positiv bewertet. Der Witz von Minderheiten könnte derart sein: etwa nach dem Motto "Na und? Nun erst recht!" oder ähnlich.
 
4. Witze erzählen
Der Witz-Erzähler verfolgt die Absicht zu renommieren. Dies gelingt ihm am besten, wenn er bestehende Vorurteile bestätigt. Daher übt er einen Anpassungsdruck aus. Oder er verfolgt die Absicht des Normbruchs. So ist z.B. der erotische Witz in einem Männerkreis durchaus ein erotisches Verhältnis zwischen diesen Männern, selbst wenn die Witze heterosexuell sind.

Ist der Witz-Erzähler am schwulen Kontakt interessiert, so wird er seine Witze eher alleine einem Partner erzählen, ohne soziale Kontrolle durch die anderen, er kann dann auch besser auf Reaktionen reagieren. Der Anmachversuch in einer Gruppe wird wahrscheinlich scheitern, selbst wenn der andere wollte. Er kann nicht positiv reagieren, und die anderen spielen ja schließlich auch mit und reagieren in ihrem eigenen Interesse.

Der Witz-Erzähler muss vor einer Menge ankommen. Er muss den Zuhörern einerseits verständlich sein und dann auch noch die Stimmung treffen, vielleicht noch steigern. Das geht eigentlich nicht durch einen deutlichen Normbruch oder gar intellektuelle Aufklärung. Es geht besser durch das Verächtlichmachen eines Verhaltens, das alle als verächtlich empfinden (und wenn nicht, müssen sie vorgeben, es verächtlich zu finden). Man kann dann in schenkelklatschender Gemeinsamkeit verweilen.
 
5. Minderheiten-Witze
Jeder Mensch ist eine Minderheit und somit alleine. Um nicht alleine sein zu müssen, hat er die Sehnsucht nach Gemeinsamkeiten mit anderen. Die großen Manipulationsorgane ihrerseits erklären uns, was alles Gemeinsamkeiten sind. Wer darauf hereinfällt (also nahezu alle), kommt ständig in die Lage, Gemeinsamkeiten zu beweisen und sich von denen zu distanzieren, die diese Gemeinsamkeiten nicht in allen Punkten aufweisen. Dies geschieht z.B. durch gemeinsame Kleidung, angewöhnte Verhaltensweisen (Wie geht ein Mann?), durch die Mode, durch verächtliches Reden, also auch durch Witze.

Wer dieses System durchschaut, verhält sich vielleicht anders, wird aber nicht nur von niemandem verstanden, sondern sogar aggressiv verfolgt. Wer sich teilweise anpasst, kompensiert sein teilweises "Fehlverhalten" durch Überanpassung in anderen Bereichen. Denn wer das ganze Prinzip nicht ablehnt, ist über irgendeine Ecke integrierbar. Sogenannte Minderheiten sind in irgendeiner Form zumeist überangepasst. Dadurch stabilisieren sie das Prinzip. Ein Jude kann durchaus Schwulenwitze erzählen und ein Türke Judenwitze und ein Schwuler Türkenwitze (oder umgekehrt).

Minderheitenwitze sind keine politische Satire. Sie werden nicht von der betreffenden Minderheit gegen die arrogante Mehrheit als Aus- und Abgrenzungsmittel verwandt. Die Minderheiten haben hierbei nichts zu lachen. Höchstens bei solchen Witzen, bei denen die Minderheiten unter sich noch Minderheiten ausmachen, wenn z.B. "normale Schwule" sich von Tunten, oder "schmutzigen alten Männern" abgrenzen.
 
6. Schwulenwitze
Wie andere Minderheitenwitze sind Schwulenwitze merkwürdige Kurzgeschichten über Schwule aus heterosexueller Sicht. Sie sollen abgrenzen und verächtlich machen. Daran ändert auch das tragikomische Verhalten, dass sich manche Schwule darin gefallen, solche Witze zu erzählen, nichts. Ich möchte diese Witze in vier Kategorien einteilen: 1. Entlarvung, 2. der lächerliche Schwule, 3. Analtrauma, 4. der lustvolle Normbruch.
 
6.1. Entlarvung
Ein wegen homosexuellen Kontaktversuchs straffällig gewordener Schwuler wird deshalb vor den Richter geführt. "Oh, Detlev", ruft der überrascht aus und stürzt auf den Richter zu, "hier arbeitest du also!"

Anruf beim Polizeirevier: "Bitte kommen sie schnell, hier in der Straße prügeln sich die Nutten mit den Schwulen!" "Hoffentlich gewinnen wir", antwortet der Polizeibeamte.

Die größte Angst vieler Schwuler ist es, von Heten als schwul erkannt zu werden. Und wirklich, Heten-Männer und Heten-Frauen sind zum großen Teil daran interessiert, herauszufinden, ob jemand schwul ist. Eigentlich wäre es ja egal, aber man kennt ja die Witze und weiß, welche Vorstellungen sich hinter dem Urteil "schwul" verbergen. Für den Hetero oder die Hetera ist aber die Erkenntnis alleine deshalb wichtig, um den möglichen Rivalen bzw. Sexpartner ausfindig machen zu können.

Jeder Schwule kennt die Situation, die sich daraus ergibt, dass die Kollegen, Mitschüler usw. wissen, dass man schwul ist. Ihr Verhalten ändert sich. Man wird mehr beobachtet, und da die Heteros natürlich auch ihre Vorurteile haben, wird das Leben schwieriger. P1ötzlich wird vieles auf die Homosexualität zurückgeführt, was allen passieren kann, z.B. wenn im Betrieb etwas vorfällt.
 
Es bereitet so manchem Hetero Lust, herauszufinden, dass irgendjemand Hochstehendes "nur ein Schwuler" ist. So ist bei den Witzen dieser Kategorie der Entlarvte meistens irgendwie hochstehend oder eine Respektsperson, die durch die Entlarvung erniedrigt wird. Besonders amüsiert den Hetero, wenn die Schwulen sich gegenseitig fertig machen, wie im ersten angegebenen Witz.
 
6.2. Der lächerliche Schwule
Bei diesem Witz kommt es häufig auf den Erzähler an, beziehungsweise auf seine Interpretationskunst. Er muss das, was Schwule sagen, ganz besonders tuntig bringen. Viele Heteros können dies überraschend gut. (Auch bei dem letzten Satz akzeptiere ich das Negative der Tunte und versuche den heterosexuellen Erzähler damit niederzumachen.) Der Schwule wird als Mensch dargestellt, der ständig vergeblich Männer anmacht, in der Absicht, sich durchficken zu lassen.

Zwei Männer gehen durch die Straßen. Sagt der eine: "Ich bin so geil, dass ich einen Hund ficken könnte. "Sagt der andere (besonders tuntig): "Wau wau!"

In diesen Witzen sind Schwule keine Männer, stehen noch unter der Frau, die ja sowieso als niedriger als der Mann angesehen wird.
Detlev sagt im Bus zu einer Frau: "Wären sie nicht ganz gerne manchmal ein Mann?" Die Frau antwortet: "Und Sie?"

Das Lächerliche ist also das Nicht-Einhalten der Männerrolle. Der Anmachvorwurf kommt auch aus den Erfahrungen des Heteros, der es entsetzlich findet, in einer Weise angemacht zu werden, wie Männer eben um ihre gewünschten Sexualpartner werben. Das fällt ihnen jedoch erst dann auf, wenn sie selbst Objekt sind. Schwule sind also lächerlich, weil sie Männer anmachen, sind tuntenhaft und unmännlich. Sie finden keine Erfüllung (finden keine Partner), führen ein lächerliches Leben usw. Es ist also nicht erstrebenswert schwul zu sein.
 
6.3. Analtrauma
Für die Heteros ist der Analverkehr offensichtlich das Bemerkenswerteste an der schwulen Sexualität. Da wünschen die Schwulen, dass man ihnen einen Presslufthammer in den Darm steckt oder im Darm einen Schirm aufspannt, Fürze seien Liebesgeflüster der Schwulen und anderes mehr. Hier scheint der Knackpunkt für die Heteros zu sein, denn Männersex bedeutet offensichtlich, ficken und nicht gefickt werden.

Die zusammengekniffenen Arschbacken machen den Heteromann aus. Und genau das ist ja auch die Achillesferse des Heteros, genauer gesagt, das ist die weiche Stelle, wo das Drachenblut nicht hinkam und Siegfried verletzlich war, wo der böse Hagen sein Schwert reinsteckte. Einige Witze dieser Art sind auch über Frauen zu hören, die sich nicht so gerne bumsen lassen wollen. Vielleicht bildet sich so mancher Witz-Erzähler ein, die Schwulen (oder die Frauen) würden sich so gerne gerade durch ihn in dieser Weise auf masochistische Art demütigen lassen, denn sein Kummer ist ja wohl, dass diese Bestätigung seiner Männlichkeit selten ist.
 
6.4. Der lustvolle Normbruch
Der Normbruch geschieht durch das Bejahen von Homosexualität und Partnerwechsel.

Treffen sich zwei Schwule. Fragt der eine: "Wohin fährst du denn dieses Jahr in Urlaub?" Antwortet der andere: "Nach Marokko." "Du Schwein", sagt der eine, wohl wissend, was in Marokko möglich ist. "Aber nein", meint der andere, "wo denkst du hin. Ich fahre doch mit meinem Freund." Daraufhin der eine: "Du dummes Schwein!" Der Normbruch des Fremdgehens wird hier positiv bewertet.
"Ich habe mich verliebt!" sagt Paul zu seiner Mutter in Belfast. "In wen denn?" fragt die Mutter. "In Mike, den Sohn des Bäckers", antwortet Paul. "Was für eine Schande! Der ist doch protestantisch!" antwortet die Mutter.

Der Hetero lacht hier wohl darüber, dass die Nordiren so im Religionszwist vernagelt sind, dass sie das Naheliegende und Schwerwiegende nicht mehr erkennen können. Der Schwule lacht darüber, dass er durch einen größeren Konflikt entlastet ist und dass solche Vorurteile allesamt unsinnig sind. Es kommt also bei vielen Witzen auch auf die Auslegungsmöglichkeiten aufgrund der eigenen Identität an.

Was ist das? Hat zweiundzwanzig Schwänzchen und macht trallala. Es ist der Wiesbadener Knabenchor (Name der Stadt variabel).
Man kann bei den hier vorgefundenen Witzchen eigentlich keine Diskriminierung der Schwulen entdecken und die singenden Knaben werden hier als potenzielle sexuelle Wesen dargestellt.
 
Abschließend
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass der diskriminierende Schwulenwitz nicht dadurch besser wird, dass er von Schwulen erzählt wird. Da solche Witze zumeist etwas Diskriminierendes haben, schlage ich vor, keine dieser Witze zu erzählen. Das heißt nicht, dass man humorlos werden soll. Aber wenn schon Humor, dann bitte auf Kosten eines diskriminierenden Verhaltens oder auf Kosten reaktionären Verhaltens, zum Beispiel über religiöse oder nationalistische Schwulenfeinde.
 
Über diese jedoch Witze zu machen, ist schwierig, weil die Reaktionäre und Diskriminierer dann, wenn es sie trifft, gewalttätig werden und gelegentlich bis zum Mord gehen. In Wirklichkeit zeigt sich darin die Humorlosigkeit, dass man nur über Wehrlose ablachen kann, dass man sih also nur im seinen Vorurteilen bestätigt, aber dass man dann keinen Humor hat, wenn die Vorurteile vorgeführt werden. (js)
 
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