- 110. Print-Ausgabe, Frühlings-LUST 2012
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- Brokeback Mountain als biblischer
Sündenfall
Viele haben den Film gesehen und wurden darin bestätigt,
dass Liebe und Sex zwischen Männern sehr schön sein
kann, dass sie aber in unserer Kultur keine Chance, respektive
keinen Platz hat
Doch in dem Film wird nicht nur die Sexualität überspielt,
der Regisseur Ang Lee spielte auch mit den Urkonflikten aus der
Bibel. Dies gesehen und beschrieben hat Kathrin Geyh, eine junge
Filmemacherin. Studium der Kommunikationswissenschaften und Arbeit
bei Amalia-Film.de
Sie kann sich wiederum auf zahlreiche Besprechungen und Kommentare
über den Film stützen.
Das Buch On Brokeback Mountain von Eric Patterson
umfasst sieben Essays, in denen die Themen des Films, wie gleichgeschlechtliche
Liebe, Homophobie oder gesellschaftliche Repressionen in einen
kulturgeschichtlichen Kontext gesetzt werden.
Die fünfzehn Aufsätze unterschiedlicher Autoren, die
Jim Stacy in Reading Brokeback Mountain zusammenstellte,
behandeln zusätzlich die filmrezeptorische Ebene und stellen
dar, welches Publikum auf welche Art und Weise und warum kontrovers
oder befürwortend auf den Film reagierte; oder wie sich
bei den Zuschauern das Image homosexueller Männer dadurch
veränderte, dass Ennis und Jack mit Heath Ledger und Jack
Gyllenhaal besetzt wurden. (Aus der Einleitung)
Sie geht den Beweggründen, Handlungen und Emotionen des
Films nach und sucht die Symbole in den biblischen Geschichten
von Genesis und im Sündenfall. Sie erkennt ganze Handlungsstränge
des Films darin wieder. Dies gibt dem Film eine zusätzliche
Tiefendimen-sion, die auch bei Fundis und Konservativen heftige
Gefühle auslösen musste.
Die Autorin bietet anfangs eine kurze Übersicht der Handlungsgeschichte
des Films und schließt daran eine Rezeption der biblischen
Aussagen, die sie heranzieht. Beim Brudermord der ersten Kinder
stellt sie fest:
doch da Kain und Abel eben nicht
Adam und Eva sind, kommt die Übertragbarkeit ihrer Geschichte
auf den Film an eine deutliche Grenze. (S. 27)
(Nachdem ich eine Lange Nacht über Totem und
Tabu bei Deutschlandradio verfolgt habe, über Vatermord
und Sohnestod, am Beispiel von Abraham und Isaak, sowie Gott
und Jesus und den damit verbundenen Erlösungswünschen,
könnte ich mir durchaus vorstellen, dass die Bruderliebe
sozusagen in der zweiten Menschheitsgeneration
noch einbezogen werden sollte
Homosexuelle
Männer (warme Brüder) trugen ja offensichtlich
ein Kainszeichen.)
Alles Männergeschichten aus der Urzeit nicht zu vergessen
die noch ältere Liebe von Gilgamesch und Enkidu.
Es ist faszinierend, neue Zusammenhänge dazu zu finden,
gerade für die aktuellen Diskussionen mit der Kirche und
mit den religiösen Wurzeln des Tabus Homosexualität
(John Lauritsen, 1974/1983 dt). Dabei geht es im Wesentlichen
um Männerbeziehungen, nicht um ausschliesslich homosexuell
definierte!
Geyh stellt ihrer Arbeit eine Darstellung des Sündenfalls
anhand von Gemälden der Kunstgeschichte voran. Dann geht
sie auf die Allegorie ein, die sie oft unterbewusst
aktivieren. (Uns vertrautes Beispiel: Die weibliche Helvetia
als Allegorie/Symbol der Schweiz, oder die Frau mit der Zipfelmütze
für Frankreich)
- Im zweiten Teil des Buches dann nimmt sie
sich die Elemente dieses Sündenfalls einzeln vor und liefert
die Bibelzitate gleich mit. Im letzten Viertel zitiert sie interessante
Texte verschiedener Autorinnen und Autoren.
- In Brokeback Mountain wird nun eine
homosexuelle Beziehung in die Natur platziert und erzählt,
dass die Protagonisten ihren wahren Gefühlen entsprechend
leben können. Dadurch entsteht eine
neue Gruppierung. (PT, ich würde es als Wertung bezeichnen)
Wo es vorher hieß: natürlich = gut, wird im Film etwas
mit natürlich in Bezug gesetzt, was von einer
Mehrheit der konservativen Gläubigen im Judentum,
Christentum und Islam als nicht gut deklariert wird. Die
neue Paarung im Film lautet also: Homosexualität = natürlich
(ihr Ort ist die Natur), Heterosexualität = unnatürlich
(die Protagonisten heiraten später in der Stadt, PT). Das
muss für Kontroversen sorgen. (S. 56)
Es stellt sich die Frage nach der Gesamtaussage der zwei
Geschichten. Welche Haltung offenbart der Film und was soll der
Sündenfall nachfolgenden Generationen mitgeben?
(S. 135)
Während die aktuelle queer-Diskussion
unter dem Eindruck von Homo-Ehe und traditioneller Zweierbeziehung
dazu neigt, homosexuelle Kontakte ihrer Exklusivität zu
entkleiden, um sie unsichtbar zu integrieren, meint
Geyh: Denn es geht ja gerade nicht um einen Konflikt zwischen
Gesellschaftsschichten oder Religionen, Jack und Ennis sind eben
nicht Romeo und Julia. Sie sind zwei Männer, die einander
lieben.
Mit Blick auf die Unfähigkeit, den Film als das zu benennen,
was er ist, nähern wir uns seinem tatsächlichen Thema.
Denn es fällt auf, dass auch die beiden
Hauptfiguren Schwierigkeiten haben, das, was ist, zu benennen.
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- Sie äußern sich nie wirklich dazu,
was sie füreinander empfinden, sie sprechen ihre Emotionen
kaum an, weder sich noch anderen gegenüber, gemäß
dem Motto: So lange man es nicht äußert, besteht es
nicht. Ennis kann nicht sagen, was er fühlt oder ist; er
kann nur sagen, was er nicht ist. (S. 135-136)
Das macht deutlich, dass der Film hier weniger das
Bild einer verurteilenden Gesellschaft zeigen möchte, sondern
das Bild eines verurteilenden und gewalttätigen Ichs. Es
geht um die fehlende eigene Akzeptanz; es ist die eigene Entwertung.
(S. 136)
Und das ist es, was verheerende Auswirkungen auf die Psyche von
Männern, Bisexuellen und Schwulen hat! So ein Liebesleben
MUSS in der Scheiße enden. Wortwörtlich!! Es MUSS
krank machen! Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung sozusagen.
Und ich verfolge das auf vielen Profilen und in Diskussionsforen
Bisexueller seit über 10 Jahren!
Und bei Adam und Eva: Aber mehr noch als ein soziales Regulativ
ist die Gottesebenbildlichkeit für Gläubige ein Regulativ,
das die eigene Haltung zu sich selbst bestimmen kann.
Ihnen ist sie ein göttliches Schild gegen Minderwertigkeitskomplexe,
gegen Aburteilungen des eigenen Inneren, eine göttliche
Abwehr gegen die Unfähigkeit, sich selbst nicht lieben zu
können.
im Gefühl, dass die Gotteseben-bildlichkeit
einer Schlechtheit gewichen ist; dass Gottes ursprünglich
liebevoller Blick auf sie vernichtend ist, da ihr eigener Blick
auf sich selbst vernichtend ist. So betrachtet erzählt auch
der Text von den Konsequenzen innerer Ablehnung und trifft sich
auch auf dieser Ebene mit dem Film. (S. 137)
Peter Thommen_62, Buchhändler, Schwulenaktivist, Basel
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- P.S. Miriam Daré weist in ihrer Besprechung
einer Story-Szene, die nicht im Film vorkommt, auf weitere psychoanalytische
Dimensionen hin. (Zschrf klass. PsyAnalyse, Heft 1, 2007, S.
66-79) Es handelt sich um eine Erniedrigung und Gewalttat des
Vaters Twist gegenüber seinem Sohn Jack: Er verprügelt
und bepisst ihn auf dem WC, weil dieser daneben pinkelte. ( Verpiss
Dich! wobei jeweils das Ich am Anfang fehlt
) Dieser nicht so seltene Fetisch unter Männern erstaunt
nicht. Die Handlung ist so tabuisiert, so dass sie auch im Internet
nicht benannt wird! (Die Empfindung ist zugleich Wärme und
Erniedrigung!)
Erstaunlich für mich ist, dass ich bis jetzt nur von Frauen
gelesen habe, die sich diesem Diskurs stellten: Annie Proulx
(Autorin der Geschichte), Kathrin Geyh, (Autorin des hier besprochenen
Buches über die Geschichte) und Miriam Daré, die
aus der Ecke der klassischen PSA schreibt. Männer haben
sich nach meinem Wissen noch nicht daran gewagt? (Ausser Ang
Lee, dem Regisseur)! P.Th.
Siehe auch: Thommen, hallo "bisexueller" Boy!
Kathrin Geyh: Das Helle braucht das Dunkle. Der biblische Sündenfall
in Brokeback Mountain, Universitäts Verlag Konstanz
2011, 175 S. 24.- Euro. CHF 34.90
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